Wenn ich Ihre Argumentation höre, wenn Sie über Charakter reden, Herr Dombrowski, dann sprechen Sie anderen Menschen ab, dass sie sich ändern können. Das ist für Sie eine Charakterfrage. Ich habe in den Zeiten der Krise vor anderthalb Jahren über Ihren Charakter von ihren Parteimitgliedern gehört, und zwar von hochrangigen. Meine bürgerliche Erziehung verbietet mir, das hier zu gebrauchen. Wir haben uns damals übrigens sehr zurückgehalten, weil wir durchaus noch Anstand haben.
Wenn Herr Schönbohm heute schreibt, dass den Ostdeutschen Anstand, Sitte und Moral fehlten, wenn Herr Schönbohm schreibt, dass die Ostdeutschen stillos im Umgang miteinander seien, dann finde ich das komplett falsch. Ich frage mich aber, wie er darauf kommt. Ich glaube, er war zu lange Chef der CDU in Brandenburg. Da kommt man vielleicht zu genau solchen Einschätzungen.
Meine Damen und Herren, ich verstehe sehr gut, dass die Oppositionsparteien in diesem Hause darauf aus sind, der neuen Regierungskoalition das Leben möglichst schwerzumachen. Das ist auch ihre Aufgabe. Aber ich bitte Sie mit großem Ernst, dabei das geeignete Verhältnis von Mitteln und Zwecken nicht aus den Augen zu verlieren.
Herr Kollege Vogel, das beträchtliche Unwohlsein der GrünenFraktion angesichts der geradezu treibjagdartigen Auswüchse der vergangenen Tage habe ich sehr wohl zur Kenntnis genommen. Ihre Haltung deute ich als ein Zeichen großen politischen Anstandes und ernsthaften Interesses an einer sorgfältigen Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Dafür danke ich Ihnen ausdrücklich.
Meine Damen und Herren, wir brauchen in Brandenburg eine Politik mit Augenmaß. Das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes schuldig. Von den Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei erwarte ich ganz klar, dass sie ihre vergangenheitspolitischen Hausaufgaben zügig und sorgfältig zu Ende bringen.
Die Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsparteien bitte ich, die Kirche im Dorf zu lassen und auf den Teppich zurückzukommen. Wir alle gemeinsam - Regierungsparteien und Opposition - tragen Verantwortung für die Zukunft unseres Landes. Diese Verantwortung erschöpft sich nicht im Streit über die Vergangenheit. Die Aufarbeitung der Geschichte ist wichtig und beileibe nicht abgeschlossen, aber sie gibt uns auch noch keine hinreichenden Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft.
Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass wir mit unserer Geschichte ins Reine kommen. Sie erwarten dies vor allem auch deshalb, damit wir unsere Köpfe umso freier haben für Fragen, von deren Beantwortung die Zukunft aller abhängt. Es sind nämlich die Fragen, wie wir allen Brandenburger Kindern und Jugendlichen in allen Landesteilen erstklassige Bildungs- und Lebenschancen ermöglichen, wie wir bestehende Arbeitsplätze sichern und qualifizierte neue Jobs in zukunftsfähigen Branchen ins Land holen, wie wir wirtschaftliche Erfolge und soziale Gerechtigkeit auf produktive Weise miteinander verbinden und nicht gegeneinander ausspielen, wie wir gezielte Investitionen in die Zukunft unseres Landes mit solider Haushaltsführung vereinbaren, wie wir langfristige Energiesicherheit mit ökologischer Vernunft in Einklang bringen und wie wir Weltoffenheit und Toleranz in unserer Gesellschaft nachhaltig fördern und durchsetzen. Um diese Fragen muss es in Brandenburg so schnell wie möglich wieder gehen, sie vor allem sollten wir - gern auch in produktivem Streit - diskutieren. Letztlich sind es diese Herausforderungen, von deren Bewältigung das Schicksal unserer Kinder und Enkel im Lande abhängt.
Wir werden diese Herausforderungen allerdings nur dann bewältigen können, wenn verdrängte Vergangenheit nicht immer wieder Gegenwart und Zukunft mit Beschlag belegt. Genau das geschieht aber gerade dort, wo man über das historisch Gewesene nicht ehrlich Rechenschaft ablegt. Wir erleben das in diesen Wochen. Deshalb ist diese Debatte, die wir heute und in den nächsten Monaten führen, so wichtig. Wir sollten sie gründlich und ehrlich bis zum Ende führen, auch wenn es hin und wieder ein bitteres sein kann. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir setzen die Debatte mit dem Redebeitrag der CDU-Fraktion fort. Es spricht die Abgeordnete Prof. Dr. Wanka.
Herr Landtagspräsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Es wurde gerade Richard Schröder zitiert. Auch ich würde ihn gern an dieser Stelle erwähnen. Richard Schröder hat gesagt: „Jede halbe Wahrheit ist
1986 - Beginn von Glasnost - waren mein Mann und ich Assistenten an einer Technischen Hochschule und wurden damals von der Parteiführung der Fakultät eingeteilt, während der „Roten Woche“ ein Seminar zu halten. Das war unüblich. Solche wie wir übernahmen so etwas normalerweise nicht, sondern das machten die Genossen oder die Nicht-Genossen, die 100%ig waren.
Das hat uns große Probleme bereitet, aber absagen konnten wir nicht; denn einer war der Vertreter des anderen. Deshalb haben wir uns sehr damit gequält, was wir in dieser Veranstaltung, die für die Studenten der Mathematik des dritten bis fünften Studienjahres gedacht war, machen sollten. Diese Studenten kannten uns aus Fachvorlesungen und hatten eine Meinung von uns. Insofern konnten wir dort nicht einfach irgendetwas erzählen.
Schließlich hielten wir ein Seminar ab, in dem es zum Beispiel um die Stationierung von SS-20 ging und darum, was man davon zu halten hatte. Wir gestalteten ein Seminar, in dem wir 1986! - diskutierten, was wir von Wehrkundeunterricht hielten, der überall in den Schulen flächendeckend eingeführt worden war. Das hatte natürlich Konsequenzen: Es gab einen Aufschrei, einen Skandal. Später habe ich bemerkt: Die entsprechenden Faxe gingen wegen zweier „kleiner Lichter“ - bis Berlin.
Dann passierte etwas, was vielleicht nicht leicht zu beschreiben ist. Es setzte ein Prozess der Ächtung ein. Kollegen, mit denen wir zwölf Jahre zusammengearbeitet hatten, waren nicht mehr bereit, mit uns gemeinsam zu frühstücken. In der Mensa gab es während des Mittags immer eine große Fläche um uns, wo niemand saß. In dieser Zeit haben wenige zu uns gehalten, was ich mir gemerkt habe. Einer der wenigen war ein SED-Genosse, der sogar mehrere Jahre Parteisekretär dieser Fakultät gewesen war.
Ein anderes Beispiel, das nicht sehr viel später war - ein halbes oder Dreivierteljahr, ich weiß es nicht mehr - betrifft eine langjährige Arbeitskollegin - stramm SED, aus Überzeugung und von einer gewissen Naivität. Der Mann war Parteisekretär an einer anderen Fakultät, auf Karriere bedacht. Ich kannte sie seit langem; unsere Jungs gingen in eine Klasse, und wir wohnten in einem Haus. Diese Kollegin informierte mich, dass sie zur Hochschulleitung bestellt worden war und dort zwei oder drei Stasimitarbeiter saßen, die sie ausführlich nach uns befragten. Sie musste natürlich unterschreiben, dass sie niemandem etwas darüber sagt - niemandem! Dennoch ist sie zu mir gekommen, hat mir das gesagt und ist damit ein Risiko eingegangen.
Als wir in den 90er Jahren nach Berlin fuhren - unsere Stasiakte befand sich in der Normannenstraße; wir hofften die ganze Zeit, dass keiner der Freunde dabei gewesen sei -, konnten wir die Akte lesen. Dort befand sich - das hätte man 1986 nie gedacht - das Protokoll der Vernehmung der Arbeitskollegin. Einer der beglückenden Momente bei mir war, dass jedes Wort stimmte und dass man deutlich merkte, wie sie versucht hatte, uns zu schützen.
Deswegen, Herr Ministerpräsident, sage ich hier ganz deutlich: Ich bin in der Lage, differenziert zu beurteilen und nicht pau
schal zu verurteilen - nicht so, wie Sie es versucht haben, was billig war. Ich brauche auch nicht die Neugründung der SPD zu diffamieren; ich weiß, dass dort Ibrahim Böhme und andere dabei waren. Das, meine Damen und Herren, habe ich hier nicht nötig.
Für mich gibt es verschiedene Kategorien bei der Bewertung der Vergangenheit. Es gibt beispielsweise diejenigen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen und für die unterschiedlichsten Gegenleistungen bereit erklärt haben, ihre Nachbarn, ihre Freunde und ihre Verwandten zu bespitzeln oder zu verraten. Dann gibt es diejenigen, die das nicht getan haben und auch nie getan hätten, für keine Gegenleistung, unter keinen Umständen, für kein Gegengeschäft. Nur das ist bei mir die Trennlinie zwischen denjenigen, die anständig und aufrichtig waren und Charakter hatten, und den anderen, die das Gegenteil waren.
Heute weiß ich: Viele hier im Raum haben sich für den anständigen Weg entschieden. Die Stasi - das waren nicht viele, aber was hat dieses 1 % der Bevölkerung erreicht? Das Schlimmste, was sie erreichen konnten und erreicht haben, war Misstrauen. Fehlendes Vertrauen zerstört die Basis jeder Gesellschaft. Insofern kann ich nur lachen, wenn ich hier Beiträge über das DDR-Bildungssystem höre. Die Basis war Misstrauen durch das, was die Staatssicherheit angerichtet hat.
Wer als Hauptamtlicher oder als Freiwilliger bei der Stasi gearbeitet hat, hat dies freiwillig getan. Er hat davon profitiert, hat davon in völlig unterschiedlicher Art und Weise etwas gehabt. Ich weiß es nicht genau, aber es kann mal Geld gewesen sein, ganz wichtig - ein Studienplatz, den man sonst nicht bekommen hätte. Oder man war eine Weile im Ausland und machte eine steile Karriere. Wir anderen waren hinter der Mauer, ein Mitarbeiter der Stasi durfte vielleicht ein Weilchen nach Westberlin oder woandershin.
In Brandenburg geht es seit einigen Wochen nur um diese Menschen. Ich glaube, auch heute - außer dem plakativen Satz zu Beginn - nichts zu den Opfern gehört zu haben. Ich habe nichts gehört.
Was ist denn mit denjenigen Jugendlichen, die zu DDR-Zeiten im jugendlichen Alter etwas Dummes gesagt haben und dafür ihr Leben lang büßen müssen? Was ist denn mit den jungen Menschen, die zum Beispiel sportlich oder wissenschaftlich begabt waren und keine Chance erhielten, weil sie in der evangelischen Studentengemeinde waren? Sie hatten keine Möglichkeit zu Promotion und Karriere. Was ist mit denjenigen, denen die Kinder weggenommen wurden, oder gar mit denen, die versucht haben, ein bisschen Freiheit zu bekommen?
Das, was mir durchgängig fehlt, sind Worte an die Opfer, Reue für das, was passiert ist, ein Prozess des Entschuldigens. Nein, im Mittelpunkt auch der heutigen Sitzung und im Mittelpunkt der Diskussionen bei der Linkspartei in den letzten Tagen stehen immer nur das eigene Ego, die Bedingungen für die Enttarnten und die eventuellen persönlichen Folgen.
Ich glaube, das Muster der Beschäftigung mit dieser Vergangenheit läuft immer nach demselben Schema: Solange es keine
Anhaltspunkte gibt, wird gar nichts gesagt. Wird dann ein Verdacht geäußert, wird geleugnet oder gelogen. Gibt es Beweise, hat man Schwierigkeiten, sich zu erinnern. Zum Schluss ist alles gar nicht so schlimm gewesen - weil man jung war, weil man stets darüber geredet hatte und weil man immer irgendeinem schon einmal etwas gesagt hatte. Ich denke, dieser Landtag ist keine Selbsthilfegruppe,
die den Tätern dazu verhilft, vor den Augen der Öffentlichkeit ihre Erinnerungslücken zu schließen, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und sich zu ihr zu bekennen.
Der Schaden, der durch diesen Prozess angerichtet wurde, ist unvorstellbar groß. Die Enthüllungen der letzten Tage - auch die Art und Weise der Diskussion darüber - beschädigen die Glaubwürdigkeit der Politiker und das Vertrauen der Menschen in die gewählten Politiker, wovon wir alle betroffen sind.
Wer der Stasi etwas erzählte oder anvertraute, der wusste, dass er immer Vertrauen missbraucht, dass er Lebenswege beeinflusst. Niemand aus dem Westen kann sich vorstellen, durch welche lapidaren Dinge, die bei der Stasi landeten, Lebenswege maßgeblich beeinflusst wurden. Das Weitergeben von Informationen an die Stasi war ein Missbrauch des Vertrauens. Das gilt für mich völlig unabhängig davon, ob irgendeine Verpflichtungsermächtigung unterschrieben wurde, handschriftlich oder in anderer Form. Die Frage des Wie ist mir egal, mich interessiert das Ob. Niemand, der in der DDR gelebt hat, kann erklären, dass er das nicht gewusst habe.
Ich habe als Rektorin und vorher als Mitarbeiterin der Personalkommission in der Kreisverwaltung über Stasifälle entscheiden dürfen, können, müssen. Ich habe bis zum heutigen Tag keinen einzigen ehemaligen IM getroffen, der anderen geschadet hat. Diese Haltung ist sehr deutlich. Seit Wochen wird nun von der SPD versucht - wir haben es gerade wieder erlebt -, die IM in zwei Kategorien einzuteilen. Da sind zum einen diejenigen, die irgendwann enttarnt wurden und nun plötzlich offen damit umgehen; das müssen sie ja, davon reden. Dann sind da die anderen, die sich viele Jahre durchgemogelt und weggeduckt haben und die jetzt - vor allem durch die Presse, nicht durch die CDU - enttarnt wurden.
Das sind die Schlechten, die - zum Teil auch von der eigenen Partei - in heuchlerischer Weise vorgeführt werden.
Der Ministerpräsident hat den Umgang der Linksfraktion mit der Thematik angesprochen und auf die Sondierungen, die Koalitionsgespräche und die tolle Präambel des Vertrags verwiesen. In diesem Zusammenhang ist immer wieder zu hören: Das sind diejenigen, die sich bekannt haben. Das muss man akzeptieren. Reue muss möglich sein. - Natürlich ist das alles möglich. Wenn ich aber in die „Berliner Zeitung“ von 1994 schaue, lese ich dort, Frau Kaiser habe für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet, dies aber - entgegen den Parteitagsbeschlüssen - nicht vor ihrer Wahl zur stellvertretenden Parteivorsitzenden offengelegt. Dieselbe Frau Kaiser hat noch vor zwei,
Frau Kaiser, Sie sollten an Ihre eigenen Worte von vor wenigen Wochen - noch vor IM „Schwalbe“ und IM „Marisa“ - erinnert werden:
„Aufrichtigkeit und Offenheit jedes Einzelnen in Bezug auf seine politische Biografie ist eine wesentliche Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit unserer gesamten Politik. Wer überzeugend für Transparenz in der Gesellschaft streiten will, muss sie in den eigenen Reihen praktizieren.“
An dieser Stelle kann ich nur sagen: Sie können kein Vertrauen erwarten, auch oder gerade weil Sie dieses Wort - mir kommt es schon manchmal hoch - inflationär verwenden. Niemand weiß, was in den nächsten Wochen oder in einem halben Jahr noch passieren wird. Niemand weiß, wer geschwiegen hat und noch hochgeht. Brandenburg hat sich in den vergangenen Wochen bundesweit zum Gespött gemacht. Solche Phasen hatten wir schon. Ich denke an unsere geplatzten Großprojekte und erinnere daran, wie lange sich der Lausitzring, die Chipfabrik und anderes durch die Presse zogen.
Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel Mühe darauf verwendet, dieses Image zu verändern und klarzumachen, dass Brandenburg ein lebenswertes, wettbewerbsfähiges Land ist. Und jetzt? Jetzt werden wir bundesweit immer nur als „Stasiland“ und im Zusammenhang mit Enttarnungen wahrgenommen. „IM unterschreiben den Koalitionsvertrag und sitzen in der Regierung“ - das ist das Thema. Diese bundesweite Diskussion gefährdet das, was wir, was die Brandenburgerinnen und Brandenburger in den vergangenen 20 Jahren geschafft haben.