Protokoll der Sitzung vom 04.12.2009

(Bischoff [SPD]: Sie heucheln jetzt!)

Ich glaube, das hat dieses Land nicht verdient.

(Beifall CDU und FDP - Bischoff [SPD]: Sehr geheu- chelt!)

Der Ministerpräsident sprach davon, er wolle diesen Prozess antreiben und begleiten. Ich stelle fest: Er war abgetaucht und eine ganze Zeit lang überhaupt nicht erkennbar. Wir vonseiten der Opposition mussten versuchen, einen gewissen Druck auszuüben, um wenigstens zu erfahren, was er denn nun darüber denkt und wie er es bewertet.

In der Präambel des Koalitionsvertrags ist von „offenem und kritischem Umgang mit der Vergangenheit“ die Rede. Darauf sind wir soeben noch einmal hingewiesen worden. Die Aussage ist sehr wichtig. Im 20. Jahr nach der friedlichen Revolution kann man kein Rot-Rot-Bündnis schließen, ohne sich dazu zu positionieren. Das ist völlig klar.

Ich hatte von Anfang an nicht viel darauf gegeben - Entschuldigung! -, aber gedacht: Wenigstens hilft es uns ein bisschen, dafür zu sorgen, im Landtag zu einem anderen Umgang mit der Vergangenheit zu kommen, als wir ihn in den vergangenen

neun Jahren erleben mussten. Wir mussten erleben, wie die DDR verklärt und wie auf die jetzige Gesellschaft, die Demokratie, gehetzt wurde. Dass sich die Aussage in der Präambel auf das reduzieren würde, was Herr Ness gestern bemerkte - alles sei ganz toll; der Koalitionsvertrag werde erfüllt, weil man sich mit den Stasiverstrickungen beschäftige -, hätte ich wirklich nicht gedacht.

(Beifall CDU und FDP)

Was die angebliche Offenheit angeht, will ich hier deutlich festhalten: Kein einziger hat sich freiwillig geoutet, kein einziger!

(Beifall CDU und GRÜNE/B90)

Das ist entscheidend. Nichts ist es mit Freiwilligkeit und Offenheit, in keinem einzigen Fall, auch wenn das Ausmaß dessen, was man verschwiegen hat, sehr unterschiedlich ist; das gestehe ich gern zu.

Und der kritische Umgang mit der eigenen Vergangenheit? Herr Platzeck hat den Beschluss der Linken von Anfang der 90er Jahre noch einmal vorgelesen. Ja, meine Güte, dann halten Sie sich doch daran!

(Beifall CDU, FDP und GRÜNE/B90)

Ich finde es völlig inkonsequent, wie an dieser Stelle - das haben wir jetzt mehrfach gehört - argumentiert wird: Frau Adolph und Herr Hoffmann - ganz schlimm, die Sündenböcke! Frau Stobrawa - kein Satz. Der Fall hat sich aus Opferakten ergeben!

(Beifall GRÜNE/B90)

Ich denke, der Mandatsverzicht ist hier das Mindeste, was man erwarten kann.

(Beifall CDU und FDP)

Nun wird gesagt, die Koalition treibe den Prozess der Aufklärung voran. Wenn hier durch irgendjemanden etwas vorangetrieben wurde, dann durch die Presse!

(Beifall CDU, FDP sowie GRÜNE/B90)

Ich erinnere auch an die erste Landtagssitzung, in der wir als CDU einen Antrag einbrachten - es gab mehrere Anträge -, der nur darauf zielte, dass sich jeder von uns bzw. von Ihnen freiwillig überprüfen lässt. In der Abstimmung über diesen Antrag haben Sie allesamt - ganz offen und kritisch - dagegengestimmt.

(Beifall CDU und FDP)

Das Argument lautete damals: Das haben wir schon beschlossen, das machen die Fraktionen selbstständig, das brauchen wir nicht. - Ich kann definitiv sagen: Bis zum gestrigen Tag waren bei der Birthler-Behörde mit dem Ziel der Selbstüberprüfung 19 Anträge der CDU-Fraktion, fünf Anträge der Grünen-Fraktion und sieben Anträge der FDP-Fraktion des Landtags eingereicht. Herr Dr. Woidke und Frau Kaiser, hier und heute würde ich von Ihnen gern wissen: Wie viele Anträge aus Ihren Frak

tionen sind definitiv bei der Birthler-Behörde eingegangen? Ich würde das auch gern überprüfen.

(Frau Kaiser [DIE LINKE]: Wo sind wir denn hier gera- de?)

Wenn Herr Platzeck sagt, das alles hätte nicht eintreten müssen oder dürfen und das hätte etwas mit dem Umgang miteinander in Brandenburg zu tun, dann hat das auch etwas mit seiner eigenen Rolle zu tun. 1995 war es eine SPD-Alleinregierung, die beschlossen hat, es ganz anders zu machen als in den anderen Bundesländern und im öffentlichen Dienst weit weg von den Kriterien zu gehen, die anderswo Anwendung fanden. Wollen Sie noch einmal die damalige Begründung für diese Entscheidung hören? In dem entsprechenden Bericht der Landesregierung hieß es dazu, man wolle damit „dem inzwischen vorangeschrittenen Prozess des Aufarbeitens“ - der Vergangenheit „und des Zusammenwachsens Rechnung tragen“. - Klingt auch nach Versöhnung.

(Lachen und Beifall CDU, FDP sowie GRÜNE/B90)

Wenn der Ministerpräsident vor wenigen Wochen der „Berliner Zeitung“ zu Rot-Rot gesagt hat - es geht heute nicht pauschal um Rot-Rot -, hier in Brandenburg passiere nichts Unerhörtes, dann muss ich sagen: Genau das ist hier in Brandenburg passiert.

Herr Ness sprach von einem „schmerzlichen Prozess“. Warum muss den eigentlich ganz Brandenburg durchmachen?

(Beifall CDU und FDP)

Dieser schmerzliche Prozess sei notwendig - hören Sie zu! -, damit diese Regierung zum Arbeiten komme. Ich frage mich: Wann? Im Frühjahr, wenn vielleicht alle Bescheide von der Birthler-Behörde da sind? Aber nein, darüber muss ja jede Fraktion selbst befinden, und das dauert lange. Wir haben darin stimme ich mit dem Ministerpräsidenten überein - ganz andere Probleme, als uns über Wochen oder gar Monate durch diese Fragen zu lähmen. Es darf deshalb kein Aufschieben und kein Aussitzen mehr geben. Es muss Schluss sein mit den leidigen Versuchen zu differenzieren und darauf zu warten, ob und wann der nächste Fall auftaucht.

Zu Ihrer Verantwortung, Herr Platzeck: Sie sind Ministerpräsident und tragen damit herausgehobene Verantwortung. Sie haben sich bewusst für diese Koalition entschieden. Das ist Ihr gutes Recht. Über die Gründe müssen wir hier nicht diskutieren. Aber Sie haben Verantwortung für das Land. Diese Verantwortung gebietet es, nicht tagelang stumm zuzuschauen, sondern heute und hier deutlich zu sagen, wie wir, wie Sie aus diesem politischen Dilemma herauskommen wollen. Das hätten wir heute von Ihnen erwartet.

(Beifall CDU, FDP sowie GRÜNE/B90)

Das Ablenken und das pauschale Diffamieren gerade unserer Seite helfen dabei überhaupt nicht. Herr Platzeck muss jetzt entscheiden und darf nicht ständig auf die Linke zeigen.

Meine Damen und Herren, auch wenn sich mancher heute und hier sehr wichtig vorkommt: Es geht nicht um die SPD, nicht

um die Linke, nicht um die tolle Präambel, sondern in diesem Haus geht es immer um das Ansehen Brandenburgs. Deshalb: Handeln Sie!

(Lebhafter Beifall CDU - Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Zur Information der Fraktionen: Die Redezeit des Ministerpräsidenten betrug 27 Minuten und 2 Sekunden.

Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Es spricht der Abgeordnete Dr. Woidke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Die heutige Debatte in diesem Hohen Haus begrüße ich außerordentlich. Die Diskussionen der vergangenen Tage haben gezeigt, wie wichtig und auch wie nötig Debatten über die Vergangenheit sind. Doch bei Debatten über die Geschichte müssen wir immer zwei Aspekte im Blick behalten:

Erstens sind Maß und Mitte notwendig. Geschichtsdebatten dürfen nicht zu Verfolgungsjagden werden. Sie dürfen auch nicht politisch instrumentalisiert werden, weil sonst eine vernünftige Aufarbeitung und eine faire Diskussion nicht möglich sind.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Zweitens: Unsere Geschichte darf Gegenwart und Zukunft nicht dominieren. Es muss immer noch möglich sein, über die Probleme des Jetzt und des Morgen vernünftig zu reden und dementsprechend zu handeln. Aufarbeitung muss sein, aber wer Aufarbeitung politisch instrumentalisiert, verhindert sie. Das sollte allen bewusst sein.

Offene Debatten über die Vergangenheit und über Schuld sind nur in einer offenen Gesellschaft möglich. Wer nicht mit offenem Visier kämpft, hat keinen Platz in einer demokratischen Gesellschaft.

Meine Fraktion - das will ich ausdrücklich betonen - erkennt an, wie intensiv die Führung der Linksfraktion versucht hat und versucht, den Geist der Präambel des Koalitionsvertrages, auf die der Ministerpräsident heute schon verwiesen hat, umzusetzen.

Ich will selbstkritisch anmerken, dass wir in der SPD gedacht hatten, die Linkspartei wäre mit diesem Teil der Aufarbeitung ihrer Geschichte weiter. Doch zu den Voraussetzungen von Aufarbeitung gehört die offene Beteiligung jedes Einzelnen. Auch einer Partei sind die Hände gebunden, wenn Einzelne meinen, sich nicht zu erinnern, sich nicht erinnern zu wollen oder sich nicht erinnern zu müssen. Mein Eindruck ist, dass in der Linksfraktion jetzt ein Prozess stattfindet, der durchaus schmerzhaft - über Schmerzen werde ich nachher noch ein paar Worte sagen -, aber nichtsdestotrotz notwendig ist. Ich bin davon überzeugt: Er wird am Ende auch heilsam sein - nicht nur für die Linksfraktion im Landtag, sondern auch für die Demokratie in Brandenburg.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr deutlich will ich mich jedoch gegen die Art und Weise der öffentlichen Debatte in den vergangenen Wochen verwahren. Sie hinterließ bisweilen den Eindruck einer Treibjagd. So kann man mit Menschen - unabhängig davon, ob Täter oder Opfer - nicht umgehen.

Mit dieser Art der öffentlichen Debatte wird man auch dem Leben in der DDR in keiner Weise gerecht. Das Leben in der DDR war eben nicht nur schwarz und nur weiß. Es bestand aus vielen alltäglichen Kompromissen, manchmal eben auch aus Glücksfällen oder aus Unglücksfällen. Mein Kollege Schippel hat in unserer Fraktion über seine Zeit bei den Grenztruppen der DDR berichtet. Nach jedem Dienst an der Grenze fiel er ins Bett und war heilfroh, dass auch in jener Nacht wieder nichts passiert war, dass er nicht vor der Entscheidung stand, abdrücken zu müssen. Er hat gewissermaßen Glück gehabt.

Ähnlich ging es mir persönlich. Ich bin Ende der 70er Jahre im hohen Bogen und mit der klaren Ansage aus dem Wehrkreiskommando geflogen: Wenn du dich nicht für 25 Jahre verpflichtest, ziehen wir Dich erst mit 25. Du darfst nicht studieren. - Zu meinem Glück war mir damals das Studium scheißegal. Mit 16, 17 Jahren hatte ich - im Gegensatz zu meinen Eltern, denen das nicht so egal war - noch andere Vorstellungen. Drei Wochen später hatte ich die berühmte, den Männern mit DDR-Biografie bekannte Musterungskarte wieder im Briefkasten und dachte: Eigentlich ist doch alles klar. Sie ziehen dich erst mit 25. - Ich musste aber wieder hinfahren.

Dort saß ein netter Mann in Zivil und sagte zu mir: „Dietmar, hör mal, beim Wehrkreiskommando in Forst gibt es nur ‚Bekloppte’, können wir nicht mal reden? Wir suchen Leute wie dich, großgewachsen und durchtrainiert, die die Botschaften in Berlin bewachen.“ In diesem Gespräch fielen nicht ein einziges Mal der Begriff „Staatssicherheit“ oder der Name Feliks Dzierzynski. Ich habe damals Glück gehabt; aus unerfindlichen Gründen - ich weiß es bis heute nicht - musste ich nichts unterschreiben. Im Hinblick auf die finanziellen Aussichten für drei Jahre Armeedienst - so kam es zumindest rüber - hätte ich eventuell schwachwerden können. Wenn ich mir das in Erinnerung rufe, kann ich nicht mehr so leichtfertig hingehen und mit dem Finger auf andere Leute zeigen.

Ein ehemaliger Kommilitone von mir hat sich mir nach der Wende offenbart. Er gestand mir, IM gewesen zu sein. IM sei er deshalb geworden, weil er während seines Armeedienstes aus Versehen einen Kameraden erschossen habe. Daraufhin sei die Militärstaatsanwaltschaft der DDR auf ihn zugekommen vielleicht auch noch einige andere Kollegen - und habe gesagt: Entweder gehst du 10 Jahre in den Militärknast Schwedt, oder du unterschreibst die Verpflichtungserklärung und kannst Veterinärmedizin studieren.

Ich will damit sagen, dass andere nicht so viel Glück hatten, einige erpresst wurden und einigen gedroht wurde. Ich weiß nicht, wie ich in einer solchen Situation, vor der mein Kommilitone damals stand, reagiert hätte. Wenn wir ehrlich sind, dann weiß das hier wohl keiner von sich so ganz genau.