Protokoll der Sitzung vom 04.12.2009

Ich bitte Sie, dass wir das gemeinsam überdenken und zu einem vernünftigen, demokratischen Miteinander zum Wohl des Landes Brandenburg über alle Parteien hinweg kommen. Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das Wort erhält die FDP-Fraktion. Es spricht die Abgeordnete Teuteberg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während im Landtag von Thüringen heute mit einem Festakt der Besetzung der Stasibezirksverwaltung in Erfurt vor 20 Jahren gedacht wird, steht hier im Landtag Brandenburg wieder einmal die Frage nach der Vergangenheit und Glaubwürdigkeit einiger Abgeordneter auf der Tagesordnung. So traurig es ist: Da ist er wieder, der Brandenburger Weg. Was dort Anlass für einen Festakt des Landtages ist, bleibt bei uns wieder bürger

schaftlichem Engagement überlassen. Aber das gibt es ja zum Glück. Allen, die sich dafür interessieren, empfehle ich, morgen in die Potsdamer Lindenstraße zu gehen, wo auch für Brandenburg dieses Ereignisses gedacht wird.

(Beifall FDP und CDU)

Und ich muss schon sagen, Herr Ness, Sie können Regierungen bilden, wie Sie wollen, Koalitionen auf der Grundlage von Wahlergebnissen, das ist alles okay. Aber prüfen Sie erst einmal Ihren Zugang zu dem Thema und zu der Verantwortung! Nachdem Sie in der Vergangenheit immer von „Außenstellen“ gesprochen haben, die es nicht gibt, haben Sie diese Woche „Überprüfungen“ behauptet, die es im Landtag Brandenburg 1999 und 2004 nicht gab. Manchmal sollte man innehalten, bevor man zum Thema weiterredet.

(Beifall FDP und CDU)

Die neu bekannt gewordenen Fälle von Stasiverstrickungen sind mehr als nur Einzelfälle von verdrängter Vergangenheit. Sie zeigen bestürzend deutlich, wie sehr es sich heute, bald 20 Jahre nach dem Ende der DDR, rächt, dass wir in Brandenburg keine glaubhafte Aufarbeitung unserer Geschichte betrieben haben. Die Situation, wie wir sie heute vor uns haben, ist nicht als unvorhersehbare Naturkatastrophe über uns gekommen. Nein, der Punkt, an dem wir heute stehen, ist ein Punkt am Ende einer Reihe von Versäumnissen in Brandenburg. Darüber kann man auch ohne Schaum vor dem Mund einmal seinen Unmut äußern und sagen, dass man nicht damit zufrieden ist, wie das in Brandenburg gelaufen ist.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Ja, es muss einmal gesagt werden, Herr Ministerpräsident: Man kann auch ohne Schaum vor dem Mund bei diesem Thema zu anderen Schlussfolgerungen kommen, als Sie es tun. Die Kritik an den Versäumnissen beginnt zum einen damit, dass wir 1991 diese letzte Stasiüberprüfung mit damals natürlich noch sehr unzureichend erschlossenem Datenbestand hatten, mit einer sehr fragwürdig besetzten Kommission und vielem anderen, was man kritisieren kann.

(Krause [DIE LINKE]: Wer hat denn Anfang der 90er Jahre regiert?)

In der 2. Legislaturperiode gab es den Verzicht auf die Überprüfung und den Beschluss, auf die Regelanfrage im öffentlichen Dienst zu verzichten. Die „FAZ“ hat damals treffend geschrieben: Brandenburg macht sich damit zum gelobten Land für Belastete. - Es gipfelt darin, dass wir hoffentlich noch im 20. Jahr nach der friedlichen Revolution endlich einen eigenen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur bekommen. Obwohl man offenbar auch Zweifel haben kann, wie schnell das gehen wird.

Tatsächlich ist die politische Kultur in unserem Land in Gefahr, wenn wir dem Irrtum unterliegen würden, Aufklärung und glaubwürdige Aufarbeitung ließe sich auf die Frage reduzieren: Wer war IM und wer nicht, wer war für die Stasi tätig und wer nicht? - Es geht nicht darum, mit dem Finger auf Einzelne zu zeigen und zu sagen: Du warst dabei und du nicht. - Es geht darum zu klären, wie so ein Apparat funktionieren konnte. Richtig ist aber, dass die heimliche Zusammenarbeit mit dem MfS

kein Kavaliersdelikt war. Sie hat dazu beigetragen, dass es überhaupt ein Klima der Angst und Denunziation geben konnte. Vermeintlich banale private Informationen waren für die Stasi nützlich. Sie waren meistens der Schlüssel für Zersetzungsmaßnahmen und haben geholfen, ein Klima der Angst zu schüren.

Zur Aufarbeitung gehört aber mehr als das Wissen um die Namen derer, die mit ihrem Tun den Unrechtsstaat getragen haben. Dazu gehört ein aufgeklärter und aufrichtiger Umgang mit der DDR-Vergangenheit insgesamt. Dazu gehört es auch, bei den nachrückenden Generationen die Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Erinnerung zu halten. Und dazu gehört zuerst und vor allem, die Opfer zu hören, angemessen zu würdigen sowie ihr Leid und ihre Leistungen anzuerkennen.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Wir erleben hier derzeit einen schmerzhaften Prozess. Ich möchte das einmal ganz persönlich sagen, auch wenn ich aufgrund meines jungen Alters diesbezüglich wenig Befürchtungen haben muss. Ich merke, wie angespannt die Atmosphäre und menschlich schwierig das hier ist. Aber deshalb ist dieser Prozess nicht weniger notwendig. Nichts wäre schlimmer für die politische Kultur in unserem Land, als wenn wir nach einer möglichst raschen Überprüfung aller Abgeordneten dieses Landtages, nach womöglich weiteren Enttarnungen und neuen Enttäuschungen politischen Schaden zwar bedauern, dann aber zum Tagesgeschäft zurückkehren. Ich hoffe deshalb sehr, dass diese schlimme Entwicklung, die wir in den letzten Tagen erlebt haben, zu einem echten Wendepunkt führt, zu mehr Ernsthaftigkeit im Umgang mit der Vergangenheit. Ich sage das sehr bewusst als eines der jüngsten Mitglieder dieses Hauses. Ich habe als junge Heranwachsende in den 90er Jahren vieles von diesem Brandenburger Weg mit Unbehagen wahrgenommen.

(Krause [DIE LINKE]: Da waren Sie 12 oder 13!)

- Wissen Sie, jeder hat hier das legitime Recht auf seine Meinung. Sie können Ihre sagen. Ich habe das durchaus wahrgenommen.

Solche Zitate, egal wie Sie gemeint waren, zum Beispiel von Herrn Bräutigam zum DDR-Schlussgesetz, es müsse deutlich werden, dass Loyalität auch in einem Unrechtssystem nicht grundsätzlich als verwerflich anzusehen sei, haben mir Bauchschmerzen bereitet. Ich frage mich: Wie will man da jungen Menschen Zivilcourage beibringen?

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Das scheint mir ein symptomatischer Ausspruch gewesen zu sein; denn wie will man Zivilcourage beibringen, wenn man nicht eigene Fehler aufarbeitet? Ohne Einzelne angreifen zu wollen, ist dieser Brandenburger Weg für mich ein Irrweg. Frau Kaiser, entgegen dem, was Sie angedeutet haben, war er ja nicht der Weg der Bürgerrechtler. Nein, er war nicht einmal der Weg der Mehrheit, geschweige denn aller Bürgerrechtler. Er hat für Bündnis 90 hier im Landtag zu einer großen Zerreißprobe geführt. Insofern gab es schon damals sehr unterschiedliche Vorstellungen zum Umgang mit der Vergangenheit.

Beim Festakt in der Nikolaikirche zum 20. Jahrestag der friedlichen Revolution haben wir alle eine beeindruckende Rede

von Wladyslaw Bartoszewski, dem ehemaligen polnischen Außenminister, gehört. Eines seiner Bücher heißt „Es lohnt sich, anständig zu sein“. Wenn Wladyslaw Bartoszewski das sagt nach seinen Erfahrungen mit zwei Diktaturen, mit der nationalsozialistischen und mit der kommunistischen, dann muss es stimmen. Der Brandenburger Weg indes hat mich und, ich glaube, vor allem viele Opfer öfter einmal daran zweifeln lassen, dass das so ist.

(Beifall FDP und CDU)

Auch heute frage ich mich, ob wir gerade den jungen Menschen genügend deutlich machen, dass sich Anstand und Zivilcourage lohnen, auch in Brandenburg. Schwerpunkt der Debatte in Brandenburg war viel zu lange, dass Täterschaft ja nicht zu viel Schaden für die Karriere im öffentlichen Dienst oder gar in der ersten Reihe hier in der Landespolitik von Brandenburg bedeuten darf.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

In Brandenburg müssen wir endlich viel mehr über die vielen Menschen reden, die anständig geblieben sind, auch in 40 Jahren.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Was aber anständig ist, das sagt einem immer das eigene Gewissen und nicht irgendeine Parteidoktrin oder ein sonstiger Zwang. Das gilt für uns genauso wie für alle Bürgerinnen und Bürger von Brandenburg. Der Umgang mit der DDR-Geschichte ist noch immer viel zu sehr geprägt durch die Sichtweisen derjenigen, die das System selbst erlebt haben, die in irgendeiner Form betroffen waren und deren Befindlichkeiten heute noch bedient werden. Dazu möchte ich zweierlei sagen:

Erstens: Politik ist nicht nur Aufnehmen und Bedienen vorhandener Befindlichkeiten und Stimmungen. Politik ist Meinungsbildung und Führung. Deshalb ist es unsere Pflicht, uns damit auseinanderzusetzen. Das wäre es selbst dann, wenn es in der Bevölkerung eine Mehrheitsmeinung für einen Schlussstrich gäbe. Ich nehme zwar eine andere Stimmung wahr, aber unabhängig davon ist es unsere Aufgabe, hier die richtigen Fragen zu stellen, auch unangenehme Fragen. Dafür ist das Parlament der richtige Ort.

Zweitens und vor allem: Irgendwann wird aber der Charakter der DDR als Unrechtssystem von der Geschichtsschreibung unabhängig von der Sichtweise derer gesehen werden, die diesen Unrechtsstaat selbst aktiv miterlebt haben. Dann wird sich zeigen, dass der Umgang, den wir hier in Brandenburg mit diesem Thema in den letzten Wochen und auch Jahren erlebt haben, wenig zukunftsgerichtet ist. Daran, wie wir heute als Volksvertreter mit dieser Vergangenheit umgehen, werden wir auch in Zukunft gemessen werden. Und je weiter die DDR zurückliegt, desto unglaubwürdiger wird es, nicht zur eigenen Vergangenheit zu stehen. Diesen Standpunkt lasse ich mir nicht nehmen, auch wenn ich selbst die DDR nur einige Jahre als Kind erlebt habe. Eine angemessene Beurteilung eines Systems ist auch denen möglich, die selbst aufgrund des Lebensalters noch nicht in die schwierigen Situationen gekommen sind. Anderenfalls würde man auch zu anderen geschichtlichen Epochen jungen Menschen absprechen, sich aufgrund von Fakten und Zeitzeugengesprächen eine Meinung bilden zu können.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

In der Regel braucht es immer auch die Sichtweise nachrückender Generationen, um überhaupt erst zu einer angemessenen Bewertung zu kommen. Mit sehr viel Besonnenheit und Augenmaß sage ich: Unser 68 kommt nicht irgendwann oder nie. Es hat gerade eben in Brandenburg begonnen, hier und heute.

(Beifall FDP, CDU und GRÜNE/B90)

Gerade aus der Sicht der jungen Generation sage ich deshalb: Endlich ist die Aufarbeitung auf der Tagesordnung, nicht nur symbolhaft, sondern, so schmerzhaft es ist, mit allen Auswirkungen und Konsequenzen. Es muss ernsthafter um dieses Thema gehen. Es geht nicht darum, Biografien abzuwerten oder Einzelnen Lernfähigkeit abzusprechen. Dann wäre vieles, was wir im Hinblick auf die letzten 20 Jahre erreicht haben, hinfällig. Das ist es aber nicht. Es wurde viel erreicht in den 20 Jahren nach dem Mauerfall.

Aber es wurde eben auch einiges versäumt. Wenn wir jetzt nicht alles dafür tun, dass die Geschichte der DDR-Vergangenheit glaubwürdig aufgearbeitet wird, dann nutzen uns auf Dauer auch andere Erfolge, so wichtig und anerkennenswert sie sein mögen, wenig und werden gleichsam relativiert. Worum es heute geht, ist, diesen Wendepunkt ernst zu nehmen und dafür zu nutzen, diese neue Ernsthaftigkeit umzusetzen. Es geht um Aufrichtigkeit, um klare Kriterien, die für alle gelten, die überprüft werden, und eine echte Aufarbeitung ermöglichen.

Versöhnung setzt voraus, dass wir nicht nur mit denen reden, die Unrecht verursacht haben, sondern vor allem mit denen, die Unrecht erleiden mussten und deren Vertrauen missbraucht wurde.

(Beifall FDP, CDU und GRÜNE/B90)

Wer neu anfangen will - tatsächlich hat jeder das Recht, neu anzufangen -, der muss vorher glaubhaft darlegen, womit er denn abgeschlossen hat.

Meine Damen und Herren, um mit Worten von Richard Schröder zu sprechen:

„Die halbe Wahrheit ist immer noch eine Lüge.“

Wer Regierungsverantwortung übernimmt, der muss diese Verantwortung unter Beweis stellen und vorher darlegen, womit er abgeschlossen hat. Offenbar hat sich die SPD auf einen Partner eingelassen, der dieser Verantwortung nur in Teilen gerecht wird.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

Der Umgang in den letzten Wochen mit immer neuen Stasifällen beweist, dass die Bekenntnisse, wie sie im Koalitionsvertrag niedergeschrieben sind, nicht viel wert sind, wenn sie nicht mit Leben gefüllt werden. Was Sie als Regierungskoalition dort gefordert haben, nämlich den offenen und kritischen Umgang mit früheren Fehlern und die Übernahme von Verantwortung für verursachtes Unrecht, sollte schleunigst angegangen werden, und zwar - um eine letzte Bemerkung zu machen - mit der Bundesbeauftragten und nicht gegen sie. Manche in diesem Haus scheinen in diesem Zusammenhang wieder einmal zu vergessen, dass die Existenz und Arbeit der Bundesbeauftrag

ten auf den Willen der letzten und zugleich ersten frei gewählten Volkskammer zurückgehen. Die Volksvertreter selbst haben dieser Behörde den Auftrag für ihre Arbeit erteilt. Da kann man ihre unabhängige Arbeit nicht nur deshalb kritisieren, weil sie für einige im Einzelfall höchst unangenehm wird. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP, CDU sowie GRÜNE/B90)

Das Wort erhält noch einmal die Linksfraktion. - Die Abgeordnete Kaiser verzichtet. Somit erhält das Wort wieder die FDPFraktion, die noch fünfeinhalb Minuten hat und sich überlegt, ob ein oder zwei Redner sprechen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich schaffe die fünf Minuten durchaus alleine. - Wir haben in der Diskussion heute gemerkt, dass sich Brandenburg in einer schwierigen Situation befindet. Anstatt dass sich das Hohe Haus mit den wichtigen inhaltlichen Fragen, die die Menschen in diesem Land bewegen, beschäftigen kann, anstatt dass sich die Regierung um die Gestaltung dieses Landes kümmert und Zukunftsperspektiven für alle Brandenburger eröffnet, anstatt dass Landtag und Landesregierung gemeinsam in dem Bewusstsein ihrer Verantwortung für die Menschen über die besten Konzepte streiten Herr Ministerpräsident, Aufgabe der Opposition ist es nicht, der Landesregierung das Leben schwer zu machen, Aufgabe der Opposition ist es, Ihnen, der Landesregierung und den Regierungsfraktionen, einen anderen Weg zu zeigen, der aus unserer Sicht vielleicht der bessere Weg ist, um dieses Land vorwärts zu bringen -,

(Beifall FDP)