- 70 km/h, richtig. So schnell kann man der Zeit voraus sein. Ich freue mich, dass Sie noch wach sind.
Auch wenn es zu dieser späten Stunde kompliziert wird und der Duft in diesem Raum nicht unbedingt dazu beiträgt, sich
konzentrieren zu können, kann ich Ihnen die Definition, wann es sich nach Ansicht der Landesregierung um eine Straße mit dichtem Baumbestand handelt, leider nicht ersparen.
„Dichter Baumbestand liegt vor, wenn sich die Zahl der Bäume mit mehr als 25 cm Stammumfang an beiden Fahrbahnrändern in einer Distanz von ≤4,5 m vom jeweiligen Fahrbahnrand auf einer Strecke von 500 m und auf eine beidseitige Summe von mindestens 15 Bäumen beläuft.“
Sie können sich vorstellen, welch bürokratischen Aufwand dieser Erlass in den Verkehrsbehörden des Landes ausgelöst hat. Aber das ist nicht einmal der Hauptgrund, warum wir uns gegen diesen Erlass aussprechen.
Der Hauptgrund ist: Das Land ist ein Flächenland. Die meisten Brandenburger müssen tagtäglich viele Kilometer zu ihrer Arbeit, zu Verwandten, Freunden, aber auch zu Behörden zurücklegen.
Wir alle wissen, dass die meisten dabei auf das Auto angewiesen sind, gerade auch angesichts der durch die rot-rote Landesregierung vorgesehenen Ausdünnung im SPNV; wir haben es heute schon besprochen. Mit diesem Erlass, den ich trotz der gebotenen Sensibilität beim Thema Verkehrssicherheit als aktionistisch bezeichnen möchte, verschlechtern wir die Erreichbarkeit im ganzen Land.
Ihr Argument, dass es sich nur um eine Minimierung um 10 km/h handelt, kann ich dabei nicht gelten lassen. Natürlich sind es auf dem Papier nur ein paar Minuten für 10 km Fahrweg, aber es ist die Summe der Einschränkungen, die hier bedeutend ist. Schon die heutigen 80 km/h sind ja eine Einschränkung gewesen, denn einstmals lag das Tempolimit bei 100 km/h.
In Bezug auf die vielen Straßen mit einem sogenannten dichten Baumbestand wird durch den Erlass die Geschwindigkeit von gegenwärtig zugelassenen 100 km/h auf 70 km/h beschränkt, was eine spürbare Einschränkung bedeutet.
Was mich besonders ärgert, ist, dass dieser Erlass ohne konkreten Anlass in Kraft gesetzt wurde und nicht einmal die Auswirkung beziffert werden kann. Sie wissen nicht einmal, wie viele Straßen mit dichtem Baumbestand es in Brandenburg gibt. Nach Ihrer Definition sind es zahlreiche Straßen, weshalb man durchaus von „flächendeckend“ sprechen kann. Aber vielleicht können Sie, Herr Minister, uns heute konkretere Zahlen vorlegen als in der Antwort auf meine Kleine Anfrage.
Natürlich sind uns die Unfallzahlen bekannt. Wir wissen, dass das Land vor allem durch seine zahlreichen Alleen in der Verkehrstotenstatistik leider ganz weit oben steht. Baumunfälle enden in der Regel tragischerweise tödlich.
Jedoch zeigen die Statistiken auch, dass diese Unfälle nicht nur an konkreten Unfallschwerpunkten, sondern leider flächendeckend geschehen. Ihre Antwort darauf, ein flächendeckendes striktes Tempolimit vorzusehen,
ist für uns aber der falsche Ansatz, weil es automatisch alle Autofahrer in Mithaftung nimmt; denn Ihre eigene Statistik zeigt, dass bei 30 der im Jahr 2010 registrierten 66 Baumunfälle die Ursache eine nicht angepasste Geschwindigkeit war. Diese Unfälle geschahen also nicht bei 80 km/h, sondern bei 100 km/h, 120 km/h oder vielleicht sogar noch höheren Geschwindigkeiten.
Diese Unfälle werden wir mit einem noch schärferen Tempolimit nicht vermeiden können. Im Gegenteil. Der Anreiz zum gefährlichen Überholen - ich kenne das aus eigenem Erleben wird durch Ihre Regelung noch erhöht.
Ich kann Sie gern einmal für eine Fahrt auf der B 96 mitnehmen. Das, was ich dort an verkehrlichen Kunststücken sehe so muss man das wirklich sagen -, ist haarsträubend, nachdem die Geschwindigkeit auf diesen Alleen auf 70 km/h festgelegt wurde. Der eine oder andere ist bei vorher zugelassenen 80 oder 85 km/h noch hinter seinem Vordermann geblieben, aber bei 70 km/h wird die Anzahl der Überholvorgänge, die kreuzgefährlich sind, steigen.
Die Autofahrer, die die Wege kennen und bisher sicher gefahren sind, nehmen wir mit dieser Regelung in Mithaftung, was wir ablehnen.
Ich bin folgender Auffassung: Eine normale Brandenburger Allee ist mit 80 km/h sicher zu durchfahren. Gewiss gibt es Stellen auf unseren Straßen, bei denen eine erhöhte Gefährdung vorliegt, aber diese sind zum Teil bereits auf eine Höchstgeschwindigkeit unter 70 km/h begrenzt.
Alleen und Straßenabschnitte, die besonders gefährlich sind, müssen - dagegen habe ich nichts einzuwenden - gekennzeichnet und notfalls baulich mit sogenannten Leitplanken umgerüstet werden, die im Land natürlich deutlich verstärkt werden müssen und für die wir noch einmal deutlich in die Kasse greifen müssen; denn vor allem in diesem infrastrukturellen Bereich können wir nicht einfach sagen: Wir senken die Tempolimits immer weiter und hoffen auf eine weitere Reduzierung der Unfallzahlen. Im Grunde genommen könnten wir das dann tatsächlich auf 60 km/h oder vielleicht sogar auf 50 km/h reduzieren.
Sie wissen, dass wir mit unserer Ansicht nicht ganz allein sind. Die Industrie- und Handelskammern haben sich bereits gegen Ihr Ansinnen gestellt, weil Mobilität ein bedeutender Faktor der wirtschaftlichen Entwicklung ist.
Mit Herrn Zalenga und Herrn Schmidt haben Sie auch zwei Landräte, die Ihnen vielleicht nicht unbekannt sind und die
sich bereits offen gegen diese Regelung ausgesprochen haben. Zudem hat sich im Mai - das ist interessant - der Kreistag ElbeElster in einem Antrag nahezu geschlossen - zumindest unter Mitwirkung und auf ausdrücklichem Wunsch aller Fraktionen für die Abschaffung dieser Regelung ausgesprochen. Insofern hoffe ich, dass Sie sich dem Antrag anschließen können.
Wir haben eine große Aufgabe vor uns und - das ist auf der Internetseite des Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft ersichtlich - wie aus den Unfallzahlen aus dem Jahr 2011 hervorgeht, gab es seit 1992 noch nie so wenig Unfälle. Es gab aber nicht nur weniger Unfälle, sondern auch bei der Anzahl der Unfalltoten und der Schwerverletzten hat sich etwas getan. Die Zahl der Unfalltoten ist im Jahr 2011 seit 20 Jahren am niedrigsten und die Zahl der Schwerverletzten am zweitniedrigsten. Insofern hat die Präventionsarbeit hier ein Stück weit gezogen. Das ist gut, ist positiv. Aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass wir die Mittel für Prävention in der bisherigen Höhe beibehalten sollten und sie nicht im allgemeinen Haushalt „verfrühstücken“ können. Das ist eine wichtige Arbeit. Schließlich ist Einsicht immer noch die beste Variante, um zu bedeutenden Ergebnissen zu kommen. Ich hoffe, Sie können sich unserem Antrag anschließen, weil das Tempo-70Limit vor allem im ländlichen Bereich bereits für deutlichen Missmut gesorgt hat. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Genilke. - Es gibt die Anmeldung einer Kurzintervention. Frau Abgeordnete Hackenschmidt möchte sich äußern.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Genilke hat richtig dargestellt: Der Kreistag hat sich damit beschäftigt. Ich möchte verdeutlichen, dass ich den genannten Landtagsbeschluss in der Kreistagssitzung mitgetragen habe. Das heißt, ich habe gegen diese Resolution gestimmt, was erwähnt werden sollte.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Hackenschmidt. - Herr Abgeordneter Genilke, Sie haben die Möglichkeit, auf diese Kurzintervention zu reagieren. - Das möchten Sie nicht tun. Damit kommen wir zum Beitrag der SPD-Fraktion. Frau Abgeordnete Kircheis, nehmen Sie sich Zeit.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Ihrem Antrag, liebe CDU-Fraktion, ist vielfach die Rede von ausgewiesenen Unfallschwerpunkten und belastbaren Unfallschwerpunktausweisungen. Wissen Sie was? - Es gibt gar keine Unfallschwerpunktausweisungen in diesem Sinne.
Um das zu verstehen, müssen Sie nur den von Ihnen erwähnten Runderlass des Brandenburger Infrastrukturministeriums lesen. Darin steht nämlich klar und deutlich, dass die mehrjährige Unfallauswertung zeigt, dass sich Baumunfälle nicht nur auf bestimmte Schwerpunktstrecken konzentrieren, sondern sich in
erheblichem Umfang über fast das gesamte außerörtliche Straßennetz verteilen, sobald die Bäume entlang der Fahrbahnen eine bestimmte Dichte erreichen. Insofern gibt es keine ausgewiesenen Unfallschwerpunkte, weil fast das gesamte außerörtliche Straßennetz in Brandenburg aufgrund der hohen Anzahl der an Straßen stehenden Bäume Unfallschwerpunkt ist.
Darum macht es auch überhaupt keinen Sinn, diesen Runderlass zurückzunehmen oder gar die bisher gültigen Regelungen wieder in Kraft zu setzen. Erinnern Sie sich noch daran, welches der Grund für den Alleen-Erlass war? Wenn ich Ihren Antrag lese, habe ich nämlich den Eindruck, dass das nicht der Fall ist. In Brandenburg starben 2010 60 % aller auf Bundes- und Landesstraßen tödlich verunglückten Verkehrsteilnehmer bei Baumunfällen. Bundesweit liegt die Zahl bei lediglich 20 %. Das heißt, wir haben in Brandenburg eine besondere Situation.
Deshalb hat die Landesregierung die Baumunfälle zwischen 2008 und 2010 analysiert. Hauptursache für tödliche Baumunfälle sind demnach Fahrfehler und zu hohe Geschwindigkeit. Dabei passiert mehr als die Hälfte der Baumunfälle auf Alleen, davon deutlich mehr auf Straßen mit einem lückenhaften Baumbestand.
Das ist die Ausgangslage, die zum Alleen-Erlass geführt hat. Dieser ist ganz klar einem einzigen Grundsatz verpflichtet: Sicherheit geht vor. Das mögen insbesondere die Wirtschaftsverbände, die sich gegen den Erlass ausgesprochen haben, nicht so gern hören, aber ernsthaft werden auch sie diesen Grundsatz nicht infrage stellen. Ich sage deshalb: Ein Tempolimit ist eine sinnvolle Maßnahme für mehr Sicherheit im Straßenverkehr und eine lebenserhaltende Maßnahme - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Ein gern vorgebrachtes Argument ist auch der durch ein Tempolimit verursachte Zeitverlust. Aber: Im Schnitt liegen zwei Ortschaften in Brandenburg 3,8 Kilometer auseinander. Bei Tempo 70 statt 100 Kilometern pro Stunde verlängert sich die Fahrzeit um etwa eine Minute.
Es lohnt sich zeitlich also überhaupt nicht, mit 80 oder 100 Kilometern pro Stunde die Allee entlangzubrausen und sein Leben zu riskieren, zumal sich bei einem etwaigen Unfall bei Tempo 70 die Aufprallenergie gegenüber Tempo 100 gleich um die Hälfte verringert. Abgesehen davon könnte ein Tempolimit und die damit mittelfristig einhergehende Verringerung der Motorleistung der Flotte die Automobilindustrie dazu bringen, ihre Selbstverpflichtung hinsichtlich der CO2-Emmission zu erfüllen - und das ganz ohne zusätzlichen Aufwand. Allerdings - das ist neben den erwähnten fehlerhaften Termini von belastbaren Unfallschwerpunkten das zweite Manko Ihres Antrages - will uns Ihr Antrag auch noch Glauben machen, das Tempolimit 70 gelte uneingeschränkt oder, wie Sie es ausdrücken, flächendeckend.
Erstens. Es gilt auf allen Abschnitten ohne Leitplanken. Dazu muss man wissen, dass das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft das Anbringen von Leitplanken fördert. Leider ist noch kein einziger Antrag eingegangen, was mich zu der Vermutung treibt, dass kein so großes Interesse daran besteht, Straßenabschnitte mit Leitplanken zu versehen, nur um dann schneller als 70 km/h fahren zu können.
Zweitens. Die Landkreise dürfen selbst jene Strecken bestimmen, für die ein Tempolimit nicht gelten soll. Einzelfallprüfungen laufen gerade, und es ist überhaupt nicht sinnvoll, mit einem solchen Antrag in diesen Prozess hineinzugrätschen. Und schließlich: Wozu soll ein Erlass zurückgenommen werden, der gerade umgesetzt wird? Immerhin ist noch bis Ende 2012 Zeit, den Erlass umzusetzen. Vielleicht ist es ja erst einmal interessanter und vor allem nützlicher, den Runderlass wirken zu lassen. Ich würde mich viel lieber Anfang oder Mitte nächsten Jahres noch einmal damit befassen, und Herr Genilke, wenn Sie das „Fachmagazin für Verkehrssicherheit“ gelesen hätten, denke ich, wären Sie zu dem Schluss gekommen, dass es besser ist, Ihren Antrag zurückzuziehen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kircheis. - Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben nur noch wenige Minuten vor uns, und ich bitte, aus Respekt vor der Arbeit derer, die heute noch sprechen müssen, den Lärmpegel ein Stück herunterzufahren.