Protokoll der Sitzung vom 06.06.2012

Ich als Liberaler teile beide Auffassungen nicht - typischerweise nicht -, aber ich erkenne an, dass andere Auffassungen bestehen, die zu tolerieren sind und mit denen wir uns auch hier in diesem Haus auseinandersetzen müssen.

(Frau Melior [SPD]: Nicht in jedem Fall!)

Ich hätte mir übrigens auch in der Debatte heute Vormittag über das Betreuungsgeld mehr Toleranz gegenüber einer von der CDU-Fraktion vorgetragenen anderen Auffassung - die auch ich ausdrücklich nicht teile - gewünscht.

(Vereinzelt Beifall FDP und CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Wenn Menschen allerdings den Boden unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlassen, dann haben wir uns massiv mit ihnen auseinanderzusetzen. Genau dazu verhält sich der Bericht zum „Toleranten Brandenburg“, und genau dazu erfolgt die verdienstvolle Arbeit der hier Anwesenden wie auch Tausender anderer Beteiligter im gesamten Land.

Kollege Hoffmann hat bereits darauf hingewiesen, dass es im Ergebnis von rechtsextremistischen Aufmärschen in Brandenburg leider auch zu linksextremen Straftaten kommt. Auch damit müssen wir uns befassen. Es ist Aufgabe der Organisatoren, dafür zu sorgen, dass auch wir auf der anderen Seite uns im Rahmen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen und wir uns ebenfalls an die Gesetze halten, deren Einhaltung wir doch von anderen fordern. Wir haben auch diejenigen, die scheinbar an unserer Seite stehen, dazu zu bringen, dass sie sich an die Gesetze halten.

Ich danke ausdrücklich der Fraktion DIE LINKE für die regelmäßigen Anfragen zur politisch motivierten Kriminalität von rechts. Ich danke in gleicher Weise der CDU-Fraktion für die regelmäßigen Anfragen zur politisch motivierten Kriminalität von links. Das erspart mir die Arbeit; denn ich müsste sonst dieselben Fragen stellen, weil beides dazugehört.

Im Verfassungsschutzbericht 2011 hat der Innenminister erklärt:

„Auch wenn die Herausforderung unseres demokratischen Gemeinwesens vor allem von Rechtsextremisten ausgeht,“

- da hat er Recht

„wäre es falsch und fahrlässig, andere politische Gefährdungen geringzuschätzen. Dies gilt insbesondere für die verschiedenen Spielarten des Linksextremismus. Die wehrhafte Demokratie darf auf keinem Auge blind sein.“

Auch das ist richtig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Es gibt umfassende Statistiken über Straftaten von Extremisten. In diesen Statistiken wird deutlich, dass es in jedem Fall deutlich mehr rechtsextremistische als linksextremistische Straftaten gibt, wobei auch klar ist, dass es sich überwiegend um das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole handelt, während die Gewaltstraftaten von der Anzahl und letztlich auch von den Auswirkungen her so unterschiedlich nicht sind. Auch da sind wir gefordert, einzuwirken und für Toleranz einzutreten, wo immer sich jemand auf dem Boden unseres Grundgesetzes bewegt.

Richtig ist, dass gegen extremistische Bestrebungen in Brandenburg sowohl der Staat - mit Polizei und Verfassungsschutz wie auch die Zivilgesellschaft in gleicher Weise vorgehen müssen. Ich danke Ihnen, Frau Ministerin, dass Sie ausdrücklich angesprochen haben, dass Profis mit den Akteuren der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Nur auf diese Weise können wir erfolgreich sein. Jeder, der einzeln versucht zu handeln, wird scheitern.

Dazu gehört dann bitte auch - sehen Sie mir den Innenpolitiker nach! -, dass auf unsere Polizei Rücksicht genommen wird. Es

muss mehr Verständnis gezeigt werden, wenn die Polizei bei irgendwelchen Aufmärschen - auch von Rechtsextremen - ihren Verfassungsauftrag erfüllt und auch denen - man mag es gut finden oder nicht - die Möglichkeit zur Meinungsäußerung im Rahmen des Grundgesetzes gibt. Das gehört dazu. Auch insofern erledigt unsere Polizei ihren Job verantwortungsbewusst und gesetzesgemäß. Wenn viel getan wird, passieren manchmal auch Fehler. Das gehört dazu, ändert aber nichts daran, dass unsere Polizei bemüht ist, ihren richtigen Auftrag gut zu erfüllen. Wir sollten auch insoweit hinter unserer Polizei stehen.

Natürlich hat die politische Bildung einen Beitrag zu leisten. Da wir einen besonderen Schwerpunkt im Bereich des Rechtsextremismus haben, sind wir dort stärker gefordert als im Bereich des Linksextremismus. Das ist völlig klar. Insofern danke ich denjenigen, die sich engagieren. Was das Handlungskonzept angeht, wünsche ich mir jedoch, dass wir darüber nachdenken, dessen Auftrag bzw. Handlungsrahmen zu erweitern und auch in die andere Richtung zu schauen. Auch dort gibt es Probleme. Vielleicht kann man es unter einem Dach, das heißt gemeinsam machen. Das wäre ein Gewinn für uns alle. Falls das nicht möglich sein sollte, müssten wir darüber nachdenken, wie wir uns sonst verstärkt mit dem Extremismus der anderen Seite befassen können.

Noch einmal unser herzlicher Dank an diejenigen, die sich engagieren und die dazu beitragen, dass Profis und Zivilgesellschaft gemeinsam agieren können. Wir können wirklich feststellen, dass im Land Brandenburg Fortschritte bei der Bekämpfung von Extremismus, insbesondere auf der rechten Seite, gemacht worden sind. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP)

Die Abgeordnete Fortunato setzt für die Linksfraktion fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich Herrn Hoffman fragen, auf welcher Demo er war. Ich habe keine gefährlichen Linksextremisten, sondern nur friedliche, demokratische Akteure gesehen. Aber vielleicht müssen wir einmal gemeinsam auf eine solche Demo gehen, damit Sie mir das zeigen können.

(Beifall DIE LINKE und des Abgeordneten Vogel [GRÜ- NE/B90] - Görke [DIE LINKE]: Das war eine Einladung!)

Herr Goetz, ganz kurz zu Ihnen: Ich hoffe, dass Sie mit den Rechten, die sich angeblich auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen, nicht die gemeint haben, denen ich immer so begegne.

Zu meinem Redebeitrag:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Liebe Gäste! Der vorliegende Bericht zeigt uns anschaulich die Umsetzung des Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg“ im Jahr 2011. Die Rückläufigkeit rechtsextremer Gewalttaten seit 2004 setzte sich auch 2011 fort. Das ist erst einmal ein gutes Zeichen.

Gleichzeitig ist die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten nahezu unverändert hoch geblieben. Wir haben es also weiterhin mit rechtem Gedankengut, Gewaltbereitschaft und Rechtspopulismus in der Gesellschaft zu tun. Gerade die im vergangenen Jahr aufgedeckten terroristischen Taten der sogenannten NSU-Gruppe und ihre lange Verborgenheit zeigen, dass ständige Aufmerksamkeit unerlässlich ist.

Im Bericht heißt es dazu, nichtsdestotrotz müssten der Druck der Sicherheitsbehörden sowie das Zusammenwirken der Justiz unvermindert fortbestehen und die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten unterstützt werden.

Die Koordinierungsstelle „Tolerantes Brandenburg“ schafft Verbindung zwischen Staat, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Sie unterstützt mit den Netzwerkakteuren regionale und überregionale Aktive bei der Entwicklung eigener Strategien. Sie berät Bündnisse und Vereine, stößt Prozesse an und vernetzt verschiedene Akteure. Dafür an dieser Stelle meinen herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

So kamen zum Beispiel zu den seit 2007 entstandenen zehn lokalen Aktionsplänen mit dem Votum der Koordinierungsstelle im letzten Jahr sechs neue hinzu. Diese konzentrieren sich hauptsächlich auf den südlichen Teil des Landes Brandenburg. Meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen. Dass das dort dringend erforderlich ist, zeigt nicht zuletzt das jüngste Beispiel der Einschüchterungsversuche gegenüber der „Lausitzer Rundschau“ in Spremberg. Die Zeitung hatte über rechtsextreme Aktivitäten in der Stadt berichtet.

Drei wichtige Punkte möchte ich besonders hervorheben. Richtig ist aus meiner Sicht zum einen, die verstärkte Aufmerksamkeit auf die Sportvereine und die bei ihnen aktiven Mitglieder zu legen. Nur mit entsprechender Kenntnis können sich Vereine gegen die Vereinnahmung durch rechtsextreme gewaltbereite Mitglieder wehren. Dabei sind das Wissen und die Aktivität von lokalen antifaschistischen Gruppen ein wichtiger Baustein.

Zum Zweiten ist die Förderung demokratischer interkultureller Kompetenzen in Schule und Kitas wichtig. Ich habe dazu ein nettes Beispiel: Das Erzieher-Team einer Kita begab sich an einem freien Wochenende freiwillig in einen Anti-Beißkurs, um zu lernen, wie man Formen von Diskriminierung, Ausgrenzung und Herabsetzung von Menschen in Bezug auf ethnisierende Kategorisierungen, zum Beispiel aufgrund des Geschlechtes oder der sozialen Schicht, thematisiert und wie man ihnen im Alltag begegnet. Das ist unter anderem ein Ergebnis der Aufklärungsarbeit des Beratungsnetzwerkes. Wenn die Kita-Erzieherin im Land zum Schluss erkennt, dass die Zahl 88 auf dem T-Shirt des Kindes ein Szenesymbol der Rechtsextremen ist, und dagegen etwas tut, sind wir einen großen Schritt weiter im Sinne des Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“.

(Beifall DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben es aber nicht nur mit den altbekannten Erscheinungsformen der rechtsextremen Gewalt und des Populismus wie Heldengedenken, Aufmärschen, gewaltbereiten Fangruppen bei Fußballspielen zu tun, sondern es kristallisieren sich für uns jetzt neue, andere Bilder heraus. Es wurde bereits kurz angesprochen: Rockergruppen mit dem Hauch der großen Frei

heit, Fitness-Studios mit asiatischen Kampfsportarten, offene Angriffe auf Sympathisanten und Unterstützer der Anti-NaziDemonstrationen - und das nicht nur auf dem flachen Land, wie wir immer sagen, sondern auch in den Städten.

Die Erscheinungsformen wandeln sich und sind teilweise nicht mehr so einfach auszumachen. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass das Handlungskonzept in seiner Umsetzung weiter angepasst wird. Entscheidend ist und bleibt, dass ein breit organisierter, vielfältiger, auch verschiedene Protestformen umfassender Widerstand wirksam wird.

Ich möchte noch kurz ein Wort zur Demokratieerklärung sagen. Viele Akteure haben eine Regelung gefunden, dass die Partner nicht unter Generalverdacht gestellt werden, und auf diese Erklärung verzichtet. Ich weiß, dass derzeit ein entsprechender Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen im Bundesrat zur Abstimmung vorliegt. Ich gehe davon aus, dass sich die Landesregierung gemäß unserer Beschlusslage vom vergangenen Jahr an dieser Entscheidung beteiligen wird. - Ich danke Ihnen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und GRÜNE/B90)

Die Abgeordnete Nonnemacher setzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was ist seit der Debatte über den 2. Bericht der Landesregierung zum Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ vor knapp einem Jahr in puncto Rechtsextremismus nicht alles geschehen? Wir blicken zurück auf die Neonaziaufmärsche in Neuruppin am 9. Juli und am 24. September 2011, der wegen des damit verbundenen Polizeieinsatzes nachhaltig für Diskussionen in Brandenburg sorgte.

Kurz nachdem die Bundesrepublik Deutschland Anfang November mit der unfassbaren Mordserie der Zwickauer Terrorzelle NSU konfrontiert worden war, fand in der geplagten FontaneStadt der Bundesparteitag der NPD statt, begleitet von einem weiten Medienecho und einem breiten Protest. Völlig ohne Medienecho oder Reaktion der vielbeschworenen Zivilgesellschaft hielt die NPD nur wenig später, quasi klammheimlich, ihren Landesparteitag im uckermärkischen Grünow ab. Ein rühriger und bis in die Mitte der Gesellschaft hinein anerkannter NPD-Kreisvorsitzender und gute Kontakte aus alten NVAZeiten hatten es möglich gemacht. Dass über die Versammlung von 70 bis 80 vorwiegend männlichen und ortsfremden Gästen im Wirtshaus einer kleiner Ortschaft nichts offiziell bekannt wurde, wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Probleme in der Umsetzung, mit denen das Netzwerk „Tolerantes Brandenburg“ zu kämpfen hat.

Das Jahr 2012 war bisher begleitet von einer Vielzahl von Kundgebungen der Rechtsextremisten: Zossen am 27. Januar zum Gedenktag der Opfer des Holocaust, am 15. Februar in Cottbus, am 24. März in Frankfurt (Oder), am 31. März in Brandenburg an der Havel, am 14. April wieder in Neuruppin in Form einer Kundgebung von nationalen Laubenpiepern, am 20.04. in Nauen, am 01.05. in Wittstock und am 12. Mai erneut in Cottbus.

Verbrämt werden die Aufmärsche durch angekündigte Sonnenwendfeiern im Barnim, Konzerte mit rechtsextremem Inhalt in abgelegenen Immobilien, Kampfsportveranstaltungen mit eindeutigem ideologischen Hintergrund oder mit den spontanen internetbasierten „Volkstod“-Aktionen des Portals „Spreelichter“. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden.

Welche Schlussfolgerungen ziehen wir aus dieser deprimierenden Synopsis? Trotz eines Rückgangs der rechtsextremistischen Straftaten im Allgemeinen und der Gewaltstraftaten im Besonderen nach der Definition der politisch-motivierten Kriminalität und einer schrumpfenden NPD besteht kein Grund zur Entwarnung. Die neo-nationalsozialistischen Kräfte mit gefestigtem Weltbild und hoher Gewaltbereitschaft wachsen und professionalisieren sich.

Die Weiterentwicklung des Handlungskonzeptes und das konsequente Knüpfen des Netzwerkes gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit und für Bildung, Demokratie und Integration ist weiterhin dringend angesagt. Sie bleibt auf der politischen Agenda der nächsten Jahre.

Dass das Netzwerk einige neue Maschen bekommen hat - ich denke an die Kooperationspartner Landfrauenverband, Arbeitslosenverband, Frauenpolitischer Rat oder Verkehrsverbund -, ist erfreulich. Dass das Netzwerk fester und straffer geworden ist, etwa durch die neuen lokalen Aktionspläne im Süden unseres Landes, in Cottbus und im Landkreis Spree-Neiße, ist ebenso ermutigend. Wir müssen aber darauf achten, dass das Netz mit Leben gefüllt ist und gefüllt bleibt.

Bei den vielen Projekten und Aktivitäten, die im Bericht mit beeindruckenden Akronymen wie DEM-TRA-BE oder Empa aufgeführt sind, beschleicht mich manchmal ein Missbehagen, ob dadurch nicht mehr Aktivität vorgetäuscht wird, als wirklich vorhanden ist. Wenn an einer Schule, die den Titel „Schule gegen Rassismus“, „Schule mit Courage“ führt, Mitarbeiter des Jüdischen Museums antisemitisch beschimpft werden, begnügt man sich offenbar mit Etiketten, ohne den Inhalt zu verstetigen.

Das leitet über zur vielgelobten Zivilgesellschaft. Martin Osinski vom Aktionsbündnis „Neuruppin bleibt bunt“ hat auf einer vielbeachteten Veranstaltung im Verfassungsgericht am 19.04.2012 seinen Redebeitrag unter den provokanten Titel „Zivilgesellschaft - jedermanns Liebling oder jedermans Depp?“ gestellt. Wir wissen: Da, wo sich Rechtsextremismus halten kann und ausbreitet, ist die sogenannte Zivilgesellschaft schwach. Das zarte Pflänzchen von demokratischem Engagement und politischer Kultur zu pflegen und zu fördern muss immer unser vorrangigstes Anliegen sein.

Bei allem Lob und Dank für die zahlreichen Aktivitäten: für ein tolerantes Brandenburg gibt es auch in den nächsten Jahren noch genug zu tun. - Bleiben wir dran!

(Beifall GRÜNE/B90, SPD und DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, damit beende ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Sie haben den Bericht der Landesregierung zur Kenntnis genommen.