Protokoll der Sitzung vom 16.12.2009

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Es ist spät am Tage, die Reihen sind trotzdem noch gut gefüllt. Das ist schön, das freut mich. Es ist nämlich ein Thema, das mir am Herzen liegt, und ich glaube, es wird noch interessant hier.

(Görke [DIE LINKE]: Manche von euch kamen den gan- zen Tag nicht!)

- Ich habe alle von uns gesehen; also machen Sie sich keine Sorgen.

Liebe Kollegen! Verschiedene Studien belegen, dass der Kenntnisstand der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die Geschichte der DDR große Defizite aufweist. Insbesondere eine Studie des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin aus dem vergangenen Jahr hat für viel Aufsehen gesorgt. Befragt wurden mehr als 5 200 Jugendliche in Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin. Das Ergebnis ich gehe davon aus, das wissen Sie - war besorgniserregend. So wissen viele Schüler aus Ost und West nur sehr wenig über die DDR. Beispielsweise wurde Willy Brandt - wahrscheinlich nicht nur, weil der Flughafen demnächst so heißt - als berühmter DDR-Politiker bezeichnet. Andere Schüler meinten, dass es unter Erich Honecker in der DDR demokratische Wahlen gegeben habe. Es gab noch weitere haarsträubende Aussagen.

Nun weiß jeder, dass es bei solchen Umfragen immer mal einen auf dem falschen Fuß erwischt.

(Zuruf des Abgeordneten Schulze [SPD])

In diesem Fall sind es jedoch nicht ein paar Ausschläge nach unten, sondern der Umstand, dass es sich um ein Massenphänomen zu handeln scheint. Der Studie zufolge verfügten nur rund 21 % der Schüler in Bayern über ein hohes oder sehr hohes Wissen bezüglich der DDR. In Nordrhein-Westfalen waren es knapp 9 %, in Brandenburg nur noch rund 7 %. Die Forscher fanden auch heraus, dass es zwischen Kenntnisstand und Urteil über die DDR einen klaren Zusammenhang gibt. Wer wenig weiß, beurteilt die DDR positiver.

Es muss klar gesagt werden, dass es uns dabei nicht darum geht, dafür zu sorgen, dass die DDR negativer beurteilt wird.

(Gelächter bei der Fraktion DIE LINKE)

Es geht uns einfach nur darum, dafür zu sorgen, dass die DDR realistisch beurteilt wird. Denn wer sie erlebt hat, der weiß: Man muss sie nicht negativer beurteilen, als sie war. Sie war schon negativ genug.

(Zuruf des Abgeordneten Krause [DIE LINKE])

Die Studie hat jedenfalls bewiesen, dass viele junge Menschen aufgrund mangelnder Kenntnisse die DDR deutlich positiver beurteilen, als sie war. Das war ein klarer und eindeutiger Befund, der normalerweise ein sofortiges Reagieren erwarten ließe. Leider hat sich in Brandenburg seitdem relativ wenig getan.

Der entsprechende Fingerzeig kam nun vom Brandenburger Landesverband der Geschichtslehrer. Dieser sieht auch ein Jahr nach den deutlichen Ergebnissen des Forschungsverbundes weiterhin erhebliche Defizite.

„Das Bildungsministerium hat die Chance vertan, hausgemachte Probleme anlässlich des 20. Jahrestages der friedlichen Revolution auszumerzen.“

Das sind nicht meine Worte, sondern die des Vorsitzenden des Landesverbandes der Geschichtslehrer, Günter Kolende, am 11. Oktober dieses Jahres. Fakt ist also: Das Thema DDR kommt im Unterricht zu kurz.

Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem vorliegenden Antrag „Bessere Vermittlung der DDR-Geschichte im Unterricht“ greift die CDU-Fraktion auch die Forderungen und Hinweise des Geschichtslehrerverbandes auf. Der Vorschlag, das Thema DDR nicht nur in wenigen Geschichtsunterrichtsstunden zu behandeln, sondern auch Fächer wie Deutsch, Kunst oder Musik einzubeziehen, ist sinnvoll und vielversprechend. Es ist auch ohne Weiteres möglich - seien Sie doch einmal ehrlich -, anhand der Musik von DDR-Liedermachern oder Werken von Schriftstellern und anderen Künstlern dieses DDR-typische System von Zensur, Kontrolle und Überwachung sowie der Einschränkung der persönlichen Freiheit an konkreten Beispielen zu verdeutlichen. Einen solchen koordinierten und übergreifenden Ansatz gibt es bislang noch nicht. Wenn überhaupt, bleibt es der Eigeninitiative engagierter Lehrerinnen und Lehrer anheimgestellt, ob das Thema DDR auch über den Geschichtsunterricht hinaus behandelt wird.

Hier gibt es also dringenden Handlungsbedarf, den der Bildungsminister entweder noch nicht erkannt hat oder noch nicht angegangen ist. Ein entsprechendes Konzept liegt offensichtlich bisher nicht vor, ist aber umso dringender erforderlich.

Ein weiterer Punkt unseres Antrags betrifft die Bereitstellung von entsprechenden Materialien, um die Vermittlung von DDR-Geschichte im Unterricht konkret zu unterstützen. Deshalb ist eine Empfehlungsliste aus Fachbüchern und Belletristik, aber auch aus audiovisuellen oder digitalen Medien zusammenzustellen, die pädagogisch wertvolle Materialien bündelt. Hierfür sollen nach unserer Ansicht eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung sowie die noch zu wählende Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur

einen gemeinsamen Vorschlag erarbeiten. Aus dieser Liste sollen dann 100 Pakete zusammengestellt werden, um die sich die Schulen begründet bewerben können.

Liebe Kollegen, die Bildungspolitik ist erklärtermaßen ein zentrales Anliegen aller Fraktionen in diesem Landtag. Deshalb dürften auch gewisse Mehrkosten - im Falle der Medienpakete handelt es sich nun wirklich um Einmalkosten, die auch durchaus im Rahmen sind, sie werden den Haushalt nicht sprengen kein Totschlagargument sein.

Die geplanten Neueinstellungen von Lehrern sind gut und richtig, aber es wäre ein Fehler, das inhaltliche Problem der Vermittlung der DDR-Geschichte damit schon als gelöst zu betrachten.

Mit unserem Antrag kann ein Beitrag geleistet werden, ein realistisches Bild der DDR zu vermitteln und das Interesse der Schülerinnen und Schüler an der Vergangenheit ihres Heimatlandes zu wecken. Selbstverständlich steht es der Landesregierung frei, darüber hinaus Maßnahmen zu ergreifen. Beispielsweise können Zeitzeugen in die Schulen eingeladen oder Klassenfahrten zu den Gedenkstätten intensiviert werden. Ich weiß, Herr Minister, dass Sie da auch persönlich sehr aktiv sind und selbst schon mit Zeitzeugen in Schulen waren. Aber Sie allein können natürlich nicht das ganze Land abdecken. Vielleicht können Sie da noch ein bisschen mehr machen.

Dieser Antrag ist auf jeden Fall dringend erforderlich, um eine bessere Vermittlung der DDR-Geschichte im Unterricht zu gewährleisten. Aus diesem Grunde bitten wir Sie hier ganz herzlich um Ihre Zustimmung. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Der Abgeordnete Kuhnert setzt die Debatte für die SPD-Fraktion fort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hoffmann, der 4. Landtag hat am 7. März 2007 einen Beschluss gefasst mit dem Titel „Umgang mit Geschichte zur Stärkung der Demokratie“. Darin wurde die Regierung aufgefordert, eine Konzeption zu diesem Thema vorzulegen. Das Konzept ist Ihnen offensichtlich nicht bekannt. Ich komme noch darauf zurück, dass wir die Minister einmal in den Bildungsausschuss einladen sollten, damit sie uns die Abarbeitung dieses Konzeptes vorstellen.

Acht Monate später, am 7. November 2007, hat die Regierung ein Konzept der Landesregierung zur aktiven gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur vorgelegt. Die darin enthaltene grobe Gliederung lautet: 1. Aufgaben, 2. Leitlinien, 3. Aktivitäten Bildungsministerium, Wissenschaftsministerium, Innenministerium, 4. Perspektiven. Auf 75 Seiten ist ein Handlungskonzept genau zu dem Thema, das Sie mit dem Antrag ansprechen, vorgelegt worden, und es ist auch in der Umsetzung begriffen. Insofern lautet der Vorschlag der SPD-Fraktion: Wir laden die drei Minister in den Bildungsausschuss ein, damit sie uns über den Stand der Umsetzung berichten können.

Ich nehme an, dass wir zu Punkt 1, den Sie angesprochen haben, unter anderem erfahren werden, dass die Lehrpläne bereits überarbeitet sind. Das schließt ja nicht aus, dass sie weiter überarbeitet werden sollten. Zu Punkt 3 wird wahrscheinlich mitgeteilt werden, dass die Empfehlungslisten vorhanden sind. Beim zweiten Punkt müsste man sehen. Sie haben gesagt, es werde auch Geld kosten. Ich denke, die Kosten sind nicht das Hauptproblem. Dennoch sollte man in einem solchen Antrag besser darstellen, wie die Kosten gedeckt werden sollen. Ich habe aber ein Problem damit, wenn zu viele Materialien gratis geliefert werden. Mit „gratis“ meine ich: Eine Sache, die nichts kostet, ist nichts wert. Das erlebt man oft. Ich meine hier nicht die finanziellen Kosten, sondern die Mühen. Ich gehe regelmäßig - das ist eine Empfehlung an alle Abgeordneten des Hohen Hauses, das ist kein Privileg des zuständigen Ministers - mit diesem Thema in die Schulen. Ich war am vergangenen Freitag und am vergangenen Montag wieder dort und machte sehr gute Erfahrungen mit Lehrern und Schülern, auch über den Informationsstand. Aber wenn man ein solches Thema angeht, denke ich, muss es auch ein bisschen Mühe kosten, indem man sich zum Beispiel bei der Landeszentrale oder der Bundeszentrale für politische Bildung sachkundig macht. Dort gibt es wirklich sehr gute Informationen, sehr gute Materialien. Ich stelle gern allen meinen Stundenentwurf, den ich jeweils vorbereite, als ein Beispiel zur Verfügung und gebe auch Hinweise auf gute und preiswerte Materialien.

Ich mache in meinem Bereich die Erfahrung und habe sie übrigens auch mit Schülern aus Niedersachsen gemacht, die die DDR-Geschichte auch nicht behandelt haben: Es ist weder schlechter Wille der Lehrer oder der Schüler noch Nachlässigkeit noch Berührungsangst mit dem Thema. Meist ist es ein ganz praktischer Grund: Die Schulzeit ist zu Ende, und sie sind nur bis 1945 gekommen. Da müssen wir wirklich einmal überlegen, wie der Unterrichtsstoff so gerafft werden kann, dass das für uns alle sehr wichtige Thema, nämlich die Zeit der DDR, nicht ausgeblendet wird, wie es leider im Einzelfall immer noch ist. Aber genau da steige ich ein. Ich melde mich als Abgeordneter, als Zeitzeuge an, und dann ist das Thema zumindest durch mich auch in dieser Schule.

Ich habe noch ein dringendes Anliegen. Sie haben sowohl in Ihrem Antrag als auch in Ihrer Rede auf den Diktaturbeauftragten Bezug genommen. Wir waren uns in allen fünf Fraktionen einig, dass der besondere Wert und der besondere Charme dieses Amts darin besteht, dass die Beauftragte unabhängig und nicht weisungsgebunden ist.

Ich bitte alle Begehrlichkeiten zurückzuhalten, die Diktaturbeauftragte, die noch nicht einmal gewählt ist, mit Aufträgen zu belegen, denn: Die Unabhängigkeit ist wirklich die einzige Chance, dass dieses Amt uns in dem Sinne ein Stück weiter bringt, wie wir es hier alle wollen.

(Beifall SPD und LINKE - Zuruf von der SPD: So ist es!)

Frau Poppe hat es gestern auch so deutlich gesagt, und es kann auch gar nicht anders laufen. Lasst sie uns morgen erst einmal ich hoffe einstimmig - wählen, dann lassen wir ihr Zeit, damit sie die sieben Mitarbeiter sammeln kann. Dann liegt es an uns, sie finanziell in ihrer Stätte hinreichend auszustatten. Des Weiteren braucht sie einen Ort - vielleicht in der Lindenstraße -, der zentral und gut gelegen ist. Dann wird sie ihre Analysen machen und uns Vorschläge unterbreiten, und das wird der ent

scheidende Anstoß für eine bessere Aufarbeitung der Geschichte sein, als wir sie bis jetzt hatten.

Die SPD-Fraktion sieht also keinen neuen Bedarf, die Regierung zu beauftragen. Wir wollen das machen, was ich gesagt habe: erst einmal anhören, wie weit die Konzeption umgesetzt und abgearbeitet ist. Daraus wird sich ergeben, ob wir weitere Beauftragungen als notwendig erachten oder nicht. Deshalb empfiehlt die SPD-Fraktion, diesen Antrag abzulehnen. - Vielen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Die Abgeordnete Teuteberg spricht für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag zielt darauf ab - wir haben es eingehend gehört -, die Bildungs- und Aufklärungsarbeit an unseren Schulen zur DDR-Geschichte weiter zu verbessern. Es besteht ein großer Bedarf, hieran weiter zu arbeiten. Denn nach wie vor kommt vor allem die Vermittlung der Lebenswirklichkeit aus der DDR-Zeit im Unterricht viel zu kurz. Die viel zitierten Studien zu diesem Thema weisen immer wieder darauf hin, dass es nicht nur darum geht, ob die Schüler bestimmte Daten und Fakten kennen, sondern auch darum, welches Bild sie insgesamt von der DDR haben. Die Erfahrung, die wir heute dabei machen, ist doch die, dass Unterdrückung häufig relativiert und vieles an den Lebensumständen in der DDR weichgezeichnet wird. Oder, um es mit Uwe Hillmer vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin zu sagen:

„Die Lebensgeschichten sind dabei, Systemgeschichte zu besiegen.“

Das Problem dabei ist, dass viele junge Menschen zwei Geschichtsbilder nicht überein bekommen: zum einen das offizielle, das sie hoffentlich in der Schule, aber auch über Medien, Literatur, Gedenkstätten vermittelt bekommen, und zum anderen das Bild, das in so manchen Gesprächen am Abendbrottisch mit Eltern und Großeltern gezeichnet wird. Um diesem Problem zu begegnen, muss in der allgemeinbildenden Schule genug sachgerechtes Wissen über die DDR vermittelt werden. Und dazu muss nicht nur über die Spitze des Eisbergs, über die Fragen von Staatssicherheitsdienst oder politischer Strafjustiz, gesprochen werden. Denn ein Land ist ganz wesentlich, aber längst nicht nur davon geprägt, was es seinen Opfern, die zu Unrecht zu Opfern geworden sind, antut, sondern es ist auch dadurch geprägt, was mit seinen Funktionseliten und was auch mit den ganz normalen Bürgern durch die Lebensbedingungen in diesem Land geschieht.

Vielmehr müssen gerade die Themen angesprochen werden, die zum sogenannten normalen Leben in der DDR gehören und die gerade die Lebenswelt von Jugendlichen betreffen. Da gibt es ganz konkrete Beispiele, nämlich, dass man schon als Schüler in der Familie lernt, den sogenannten „Doppelsprech“ anzuwenden, dass man eben im Familien- und Bekanntenkreis Dinge sagen kann, die man in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Universität lieber nicht ausspricht.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

- Ich habe in der DDR durchaus erlebt, dass man über die Christenlehre in der Schule besser nicht redet. Ich glaube, das teilen einige.

(Beifall CDU - Unruhe bei der SPD und der Fraktion DIE LINKE)

Dazu gehört auch die Erfahrung, dass man schon als Minderjähriger mit Wehrkundeunterricht konfrontiert oder schon in der Schule angesprochen wird, ob man sich nicht länger zur NVA verpflichten will und dass das einen gewissen Einfluss auf die Möglichkeit hat, Abitur zu machen oder zu studieren. Da gibt es viele Dinge. Es wurde schon angesprochen. Die Zensur bei Literatur und Musik - das sind alles Dinge, die Jugendliche in ihren Erfahrungen betreffen. Was uns bei der Beschäftigung mit solchen Fragen immer wieder begegnet,

(Zuruf CDU: Es war so!)

ist eine Art pragmatische Vernunft, die sich immer wieder arrangiert und nie die Zivilcourage der Einzelnen anspornt, sondern immer der Anpassung dient. Woran es nicht mangelt, das sind Rahmenpläne und Vorgaben für die Schulen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Kollegin, ich kaue immer noch am Anfang Ihrer Rede. Sie haben den scheinbaren Widerspruch zwischen dem über Schule und Gedenkstätten vermittelten Bild und den Elterngesprächen am Abendbrottisch zeichnen wollen. Habe ich recht verstanden, dass Sie dagegen plädieren, dass wir Eltern mit unseren Kindern über die Geschichte in der DDR reden? Ist das wirklich Ihre Aussage?

(Ha, ha, ha! bei der SPD )