Protokoll der Sitzung vom 30.08.2012

Wir haben erreicht, dass das Innenministerium durch ein aktualisiertes Rundschreiben und mehrere gut besuchte Veranstaltungen mit den Vertretern der Wasser- und Abwasserverbände eine verstärkte Beratungsfunktion wahrnimmt und für die Anwendung der verschiedenen Modelle zur Entlastung der Altanschließer - auch für die differenzierten Herstellungsbeiträge wirbt. Das ist nicht im Selbstlauf entstanden.

Trotzdem gibt es nach wie vor zahlreiche Betroffene, und Sie bringen das mit Ihrer Initiative zum Ausdruck. Sie haben völlig Recht,

(Vereinzelt Beifall CDU)

dass Sie sich diesem Problem stellen. Hierbei sind wir in Übereinstimmung. Es ist nachvollziehbar, dass Interessenverbände wie der BBU oder der VDGN für die verbindliche Einführung von Musterverfahren werben, zum Beispiel analog Mecklenburg-Vorpommern.

Ziel einer solchen Regelung soll es sein - dies ist hier bereits gesagt worden -, die Vielzahl von Widersprüchen zu bündeln und damit letztlich den Rechtsfrieden zu stärken. Das wäre nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Beitrag zur Lösung dieses Problems, das wesentlich mit dem Gerechtigkeitsempfinden der Betroffenen sowie mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Unternehmen, insbesondere in der Wohnungswirtschaft, zu tun hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage ganz klar: Die Linke

befürwortet die Einführung einer solchen Regelung in das brandenburgische KAG.

(Beifall DIE LINKE und CDU)

Dabei muss allerdings gesichert sein, dass diese verbindlichen Musterverfahren rechtskonform ausgestaltet werden und wirklich zu einer Stärkung des Rechtsfriedens beitragen.

Damit bin ich beim Gesetzentwurf der CDU-Fraktion, der genau diese Ansprüche nicht erfüllt.

(Oh! bei der CDU)

Nicht nur, dass Sie den falschen Eindruck erwecken, das Problem der Altanschließer auf diesem Weg grundsätzlich lösen zu wollen. Das geht gar nicht. Aber schauen Sie sich einmal Ihren Gesetzentwurf und die Begründung an! Mit diesem Gesetzentwurf wird ein aus unserer Sicht gutes Anliegen stümperhaft umgesetzt.

(Widerspruch bei der CDU)

Für mich ist nicht nachvollziehbar, was die CDU bewegt hat, eine solche umfangreiche und detaillierte prozessrechtliche Regelung vorzulegen, die zum Teil zuungunsten der Betroffenen ausgestaltet ist und zudem in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes eingreift.

Diese massiven verfassungsrechtlichen Bedenken betreffen insbesondere den zweiten Teil der Regelungen. Dabei will ich über die ausgeprägten sprachlichen Mängel gar nicht reden. Es ist nun einmal inakzeptabel, wenn mit einem Landesgesetz in die Verwaltungsgerichtsordnung eingegriffen werden soll, die in Bundeskompetenz liegt. Auch die Erfindung des Begriffs der „Beigeladenen“ ohne entsprechende Definition zeugt von wenig Solidität.

Diese kritische Bewertung widerspiegelt sich auch in aller Deutlichkeit in der Stellungnahme des VDGN, der mit Vehemenz für Musterverfahren wirbt, aber den Gesetzentwurf der CDU ablehnt. Ich zitiere aus dieser Stellungnahme.

Herr Dr. Scharfenberg, dazu haben Sie leider keine Gelegenheit mehr, denn Ihre Redezeit ist abgelaufen.

(Beifall CDU)

„Der Verband Deutscher Grundstücksnutzer unterstützt uneingeschränkt das Grundanliegen der CDU, Gesetzesinitiative zum Führen von Musterprozessen bzw. Musterverfahren, lehnt aber den Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung vollständig ab.“

Das ermöglicht es uns nicht, diesen Gesetzentwurf zu überweisen.

Herr Dr. Scharfenberg, ich bitte Sie, Ihre Rede zu beenden!

Wir werden aber an diesem Thema dranbleiben und weiter mit unserem Koalitionspartner streiten. Darauf können Sie sich verlassen.

(Beifall DIE LINKE - Zurufe von der CDU: Schön!)

Vielen Dank, Herr Dr. Scharfenberg. - Es wurde eine Kurzintervention angemeldet. Herr Abgeordneter Dombrowski erhält dazu Gelegenheit.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Kollege Scharfenberg hat hier versucht, den Spagat zu vollbringen, einerseits darzustellen, dass man sehr wohl diese Initiative begrüßen könnte, weil dies eine Erleichterung für die Bürger bedeutet, andererseits darzulegen, warum dies alles nicht ginge. Er hat noch einen kurzen Ausflug in die letzte Wahlperiode gemacht.

Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Scharfenberg: Wenn Sie der CDU vorwerfen, sie hätte sich gegenüber der SPD nicht durchgesetzt, dann haben Sie alle Chancen dazu, genau das zu tun. Ergreifen Sie die Gelegenheit!

(Beifall CDU - Zuruf von der SPD: Sie verkennen unsere Stärke!)

Flüchten Sie nicht in Schaukämpfe oder fadenscheinige Begründungen. Sie haben alle Möglichkeiten, Sie regieren in Brandenburg - falls Sie es noch nicht gemerkt haben.

Wir haben übrigens keinen Antrag gestellt, sondern einen Gesetzentwurf vorgelegt. Er erhebt nicht den Anspruch, das Problem grundsätzlich zu regeln, denn wir haben - der Kollege der SPD hat darauf hingewiesen - auch Rechtsprechungen zu beachten. Nicht nur für den Schallschutz am Flughafen, sondern auch bei den Altanschließern hat das OVG-Urteil für uns Bedeutung. Daran halten wir uns als CDU.

Wir haben nicht eine übertriebene Regelungswut, wenn wir jetzt etwas für die Kommunen regeln wollen, sondern für uns gilt der Grundsatz, dass nur das durch Gesetz geregelt werden muss, was regelungsbedürftig ist. Der Kollege von der FDP hat vorgetragen - das passt zu dem, was von Herrn Scharfenberg vorgetragen wurde -, dass die Kommunen ja auch entscheiden sollen. Wir stehen zur kommunalen Selbstverwaltung, aber wenn wir ins Gesetz geschrieben haben oder wissen, wer zuständig ist, zum Beispiel diese Gruppenklagen bzw. Musterklagen zuzulassen, und das dann nicht angewandt wird, dann haben wir als Landtag sehr wohl das Recht, ich meine, auch die Pflicht, den Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen. Wir haben auch in anderen Fällen - ich denke an die Beiräte bei den Wasser- und Bodenverbänden - durchaus unterschiedliche Herangehensweisen, nämlich dass dort Zweckverbände sagen, dass sie das nicht wollen, und es über Jahre behindern. Das können wir nicht dulden. Daher besteht hier der Regelungsbedarf eines Rechtschutzinteresses der Bürgerinnen und Bürger, um sie in die Lage zu versetzen, sich mit einem kalkulierbaren Risiko gegenüber einem übermächtigen, zumindest materiell über

mächtigen Rechtsstreitpartner austauschen zu können und zu einem Urteil zu kommen. Darum geht es, um nichts anderes.

Ansonsten ist für uns die Rechtsprechung Maß der Dinge. Hier betreiben wir auch keinen Populismus. Es geht ausschließlich darum, den Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen, ihre Chancen zu verbessern. Dagegen können Sie eigentlich nichts haben, und Sie werden bei der Abstimmung - das sage ich in Richtung Linke - auch die Möglichkeit haben, Ihre persönliche Meinung, auch wenn sie zu Ihrem Koalitionspartner differierend sein könnte, deutlich zu machen. - Danke.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dombrowski. - Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg hat die Möglichkeit, darauf zu reagieren. Bitte, Herr Dr. Scharfenberg.

Herr Dombrowski, in Ihrer Gesetzesvorlage findet sich die Formulierung:

„Rechtliche Probleme werden hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Gleichstellung von Alt- und Neuanschließern … gesehen.“

Das ist genau das Problem, über das wir reden. Sie wissen, dass eine Leitentscheidung des Landesverfassungsgerichts in diesem Jahr angekündigt ist, mit der diese Problematik noch einmal grundsätzlich aufgegriffen und diese Frage hoffentlich beantwortet wird. Wir warten mit Spannung auf diese Entscheidung.

Ich sage noch einmal: Wir hatten einen völlig anderen Ansatz, einen Ansatz, den Sie nie im Auge hatten. Eine solche Herangehensweise war Ihnen völlig egal. Weil Sie die Frage gestellt haben, was wir in dieser Koalition tun, sage ich Ihnen - und das halte ich für normal bei unterschiedlichen Auffassungen -: Wir haben zu diesem Thema vielfältige Diskussionen geführt. Wir haben einiges bewegt - nicht das, was wir wollten. Wir reden über die Frage der Musterverfahren. Es ist vereinbart worden, die Erfahrungen in Mecklenburg-Vorpommern zu nutzen, wo diese Regelung angewendet wird, die dort übrigens im Kommunalabgabengesetz in einer rechtskonformen Weise ausgestaltet ist, nicht so wie in Ihrem Vorschlag. Wir werden daraus Schlussfolgerungen ableiten.

Wir können - das wissen Sie ganz genau - gemeinsam mit unserem Koalitionspartner eine solche Initiative voranbringen oder nicht. Wir wollen diesen Weg gehen, und Sie können uns dann gern an dem Erfolg messen. Uns geht es um die Sache und nicht um die Show, die Sie hier offensichtlich in den Mittelpunkt gestellt haben. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE - Widerspruch bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Scharfenberg. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Frau Abgeordnete Nonnemacher hat das Wort.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ein weiteres Mal beschäftigt uns in diesem Parlament die sogenannte Altanschließerproblematik. Wir alle würden sicher gern den Stein der Weisen oder das Ei des Kolumbus finden oder wahlweise den Gordischen Knoten durchschlagen, um in dieser Frage Ruhe und Akzeptanz zu finden.

Die CDU-Fraktion nimmt mit diesem Antrag zur Einführung von Musterklagen in das Kommunalabgabengesetz eine Initiative zweier Verbände von Betroffenen auf. Die Zulassung von Musterklagen ist neben der grundsätzlichen Abschaffung der Beiträge der sogenannten Altanschließer - darum geht es ihnen ja eigentlich - eine der wesentlichen Forderungen des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer, VDGN, und des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, BBU.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, irritiert bin ich vom Zeitpunkt dieser Gesetzeseinbringung. Wie Sie wissen, ist am Landesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde zu den Altanschlussbeiträgen anhängig. Letzte Woche erklärte der neue Präsident des Verfassungsgerichts, Jes Möller, in der „Märkischen Oderzeitung“:

„Im Moment ist es mir jedoch fast noch wichtiger, dass wir das Thema Altanschließer möglichst schnell beenden... Ich rechne damit, dass das Gericht die Sache bis spätestens zum Jahresende abschließen kann.“

Aus Respekt vor dem Verfassungsgericht halte ich es für geboten, vor einer Neuregelung des KAG aus Anlass der sogenannten Altanschließerproblematik das Urteil des Landesverfassungsgerichts doch bitte abzuwarten. Die Einführung von Musterklagen, Musterverfahren in dieser jetzt vorgeschlagenen Form würde alle Kommunalabgaben betreffen, auch wenn es derzeit um die Bescheide bei den Wasser- und Abwasserzweckverbänden geht.

Ein derart starker Eingriff in das Kommunalabgabengesetz will wohlüberlegt sein. Seine Auswirkungen müssen intensiv geprüft und abgewogen werden. Ich frage mich, ob Sie die Folgen Ihres Gesetzentwurfs wirklich im Blick haben. Wir bezweifeln, dass er die Lösung irgendeines Problems ist. Nein, er hat aber das Potenzial, die Kommunen vor neue, sehr, sehr große Probleme zu stellen.

Ob eine Beitragssatzung rechtmäßig ist, kann durch eine Normenkontrolle geklärt werden. Ist sie es nicht, muss eine neue, rechtssichere Satzung erarbeitet werden.

An der Beitragserhebungspflicht ändert das nichts. Das wurde wiederholt höchstrichterlich festgestellt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, welchen Vorteil bringt dann das Musterverfahren, wenn die Rechtmäßigkeit einer Satzung festgestellt wurde? Wie können vor allem sinnvolle Musterfälle ausgewählt werden? - Im Abgabenrecht - insbesondere in einer so umfangreichen Materie wie der Beitragsermittlung - gibt es selten mehrere inhaltlich gleiche Fälle. Grundstücksgrößen, Lage, Geschossigkeit und viele andere relevante Faktoren sind unterschiedlich, sodass kein Beitrag und kein Bescheid dem anderen gleicht. Nach einem Musterverfahren - wie von der CDU vorgeschlagen - würde Ungleiches gleich behandelt werden. Wäre das gerecht?

Was wären die Auswirkungen auf die Kommunen oder Zweckverbände, wenn das Widerspruchsverfahren bis zum letztinstanzlichen Urteil des EuGH ruht? Sollen die Kommunen bis zu zwölf Jahre warten, bis sie entsprechende Beitragseinnahmen einziehen können? - In so manchem Fall könnte das zur Insolvenz von Zweckverbänden führen. Ist das wirklich so von Ihnen beabsichtigt?