Wir stehen vor großen Herausforderungen für die nächsten Jahre. Richtig ist, dass die vergangenen Anpassungen und die vergangenen Strukturreformen, die es gab, im Grunde gescheitert sind. Das haben Sie, Kollege Schippel, mit anderen Worten dankenswerterweise dargelegt. Insofern sollten wir uns bemühen, unsere Aufgaben diesmal besser wahrzunehmen, als es in der Vergangenheit der Fall war.
Eine Herausforderung, vor der wir stehen, ist zum Beispiel folgende: Im Jahr 2011 haben wir lediglich 54 % unseres ausgegebenen Geldes in Brandenburg selbst erwirtschaftet, 46 % dagegen kamen von woanders. Wir wissen, dass der Solidarpakt II auslaufen wird, der Länderfinanzausgleich infrage gestellt wird von den Geberländern im Länderfinanzausgleich - und wir somit künftig mit deutlich weniger Geld auskommen müssen. Das Ganze geht einher mit dem demografischen Wandel, der einer der wesentlichen Auslöser für die Einsetzung dieser Enquetekommission war.
Mit dem Innenausschuss - nicht mit der Enquetekommission waren wir im vergangenen Jahr in der Schweiz. Dies war eine sehr interessante Reise. Dort konnten wir sehen, wie in der Schweiz selbst Kleinstkommunen auf erstaunliche Weise lebensfähig sein können. Aus dem, was dort gelaufen ist, kann man einiges lernen - zum Beispiel, wie mehr Verantwortung an die Kommunen gegeben werden kann.
Natürlich haben die Schweizer ein völlig anderes System. Die Schweizer Kommunen haben eine eigene Finanzhoheit. Wenn die Kommunen etwas planen, sagen sie ihren Einwohnern, was dies an Kosten verursachen würde. Anschließend können die Bürger entscheiden, ob sie persönlich das Geld dafür ausgeben wollen, um diese Aufgaben zu erfüllen. Das ist in unserem System völlig anders. Dennoch ist es ein Ansatz, den wir prüfen sollten, um auch hier nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Wichtig für uns in der FDP-Fraktion ist, dass insbesondere auf Freiwilligkeit gesetzt wird. Wir wollen Fusionen nicht oktroyieren. Ich erinnere an die vergangenen Diskussionen bzw. an die vergangenen Reformen im Jahr 2002/2003, bei denen sich unter anderem die Einwohner von Eiche und Golm für einen Anschluss nach Werder entschieden haben. Dies wurde jedoch ignoriert, und Potsdam erhielt den Zuschlag, und zwar gegen deren erklärten Willen. Die Lösung des Anschlusses nach Werder wäre lebensfähig gewesen. Auf diese Weise sollten wir, glaube ich, bei neuen Reformen nicht arbeiten.
Wir wollen Aufgaben dort streichen, wo es möglich ist, und Aufgaben nach unten verlagern; denn gerade mit der Abgabe nach unten bleiben auch kleinere Kommunen lebensfähig vorausgesetzt, dass die Konnexität, die bei uns in der Landesverfassung verankert ist, endlich einmal eingehalten wird und mit den nach unten gegebenen Aufgaben auch das notwendige Geld tatsächlich bereitgestellt wird.
Wir wünschen uns verstärktes bürgerschaftliches Engagement. Dabei ist klar, dass dies die Kommunen nicht retten wird, aber zumindest einen Beitrag dazu leistet. Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie auch heute schon Bürger die Kommunen wirksam entlasten, indem sie sich um ihre Nachbarn kümmern oder schauen, was auf der eigenen Straße bzw. vor der eigenen Haustür geschieht. Somit gestalten die Bürger mit ihrem Enga
gement eine lebenswerte Kommune. Das macht hinsichtlich der Zufriedenheit im Land Brandenburg viel aus und trägt wesentlich dazu bei, dass man den Bürgern die Möglichkeit zum Handeln gibt, wenn sie denn handeln wollen.
Natürlich werden wir uns am Ende Gedanken über Strukturveränderungen und auch über die Größe von Gemeinden machen müssen, und zwar sowohl über Mindestgrößen als auch über maximale Größen. Dabei geht es unter anderem um die Mindestgrößen von Einwohnerzahlen - diese Frage steht, egal, mit welcher Antwort wir hinausgehen werden - und die maximalen Größen der Fläche. Haben die Landkreise eine Fläche von der Größe, wie es sie in anderen Bundesländern gibt, stellt sich für mich die Frage, ob das dann tatsächlich noch eine Gemeinde ist, mit der man sich identifizieren kann, und wie wir mit diesem Problem umgehen wollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen zu danken, die an diesem Thema mitgearbeitet haben. Ich danke allen Mitgliedern der Enquetekommission. Dazu gehören auch Sie beide, Herr Schippel und Herr Scharfenberg. Ich danke den Mitarbeitern der Enquetekommission, die dort hinten sitzen, die in hervorragender Weise die Themen aufarbeiten und uns als Abgeordnete damit in die Lage versetzen, unsere Aufgabe zu erfüllen.
Ich weise noch auf Folgendes hin: Wenn man später einmal auf die 5. Wahlperiode dieses Landtages zurückschaut und sich überlegt, was wir denn alles getan haben, hat die Enquetekommission 5/2 das Zeug dazu, das entscheidende Thema dieser 5. Wahlperiode zu sein. Wir stellen hier die Weichen für die nächsten Jahrzehnte, wie Sie es richtigerweise angesprochen haben. Vieles andere, was wir machen, ist möglicherweise ein wenig rückblickend, ist das Tagesgeschäft. Aber dieses Thema, mit dem wir uns in der Enquetekommission befassen, ist das, womit die Menschen im nächsten Jahrzehnt in Brandenburg leben müssen. Insofern tragen wir eine große Verantwortung. Ich wünsche uns Erfolg bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung. Es liegt noch ein spannendes Jahr vor uns. - Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Goetz. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort. Frau Abgeordnete Nonnemacher erhält das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich möchte an dieser Stelle auch den Abgeordneten Petke ganz besonders begrüßen.
Lieber Sven, ich bin, ehrlich gesagt, freudig überrascht, dass du nach fast einjährigem Gang in die innere Emigration jetzt
wieder an der Oberfläche aufgetaucht bist; vielleicht noch nicht ganz auf der Höhe des Zeitgeschehens, aber immerhin.
Vor anderthalb Jahren haben wir uns in diesem Haus gemeinsam auf den Weg gemacht und die Enquetekommission 5/2 „Kommunal- und Landesverwaltung - bürgernah, effektiv und zukunftsfest - Brandenburg 2020“ ins Leben gerufen. Allen war klar, dass die ersten Sitzungen der Bestandsaufnahme dienen würden. Vielleicht war nicht allen bewusst, wie umfangreich diese Bestandsaufnahme werden würde, auch wenn der Einsetzungsbeschluss schon einen Hinweis geben konnte, dass eine Menge Arbeit vor uns liegen würde.
Ich möchte mich an dieser Stelle für die bisher gute und konstruktive Zusammenarbeit bedanken. Ein ganz besonderer Dank gilt neben den Ausschussreferentinnen und -referenten dabei den nichtparlamentarischen Mitgliedern der Kommission. Ihre Erfahrung und Kompetenz als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Expertinnen und Experten sind für unsere Arbeit unverzichtbar. Gut, dass Sie bereit waren, sich einzubringen.
Die Breite der Themen in der Enquetekommission reichte von der Bürgerbeteiligung bis zur Aufgabenverteilung zwischen dem Land und den Kommunen. Die Erfahrungen aus SachsenAnhalt wurden genauso geprüft wie die Strukturen in BadenWürttemberg oder die Reformen unserer europäischen Nachbarn im Norden und im Süden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kamen ebenso zu Wort wie Vertreterinnen und Vertreter aus Ministerien, Verwaltungen und der kommunalen Familie in ihrer ganzen Breite. Wahrscheinlich blieb kaum ein Experte auf den Gebieten, die von uns bearbeitet wurden, von der Enquetekommission unbehelligt.
Ich denke, wir haben gelernt, dass es bei den Themen, die uns bewegen, keine wissenschaftlich begründbaren absoluten Wahrheiten gibt. Am Ende müssen wir all das Fachwissen und jeden Blickwinkel an unsere Brandenburger Verhältnisse anpassen.
Dabei sind oftmals Details entscheidend. Manch einer stellt dann plötzlich fest, dass auch beim Vergleich von Äpfeln und Birnen der Apfel ein Apfel ist und die Birne eine Birne.
Die Aufgaben von Kreisen, Gemeindeverbänden und Gemeinden unterscheiden sich in den Bundesländern ganz erheblich. Selbst die Vergleichbarkeit von Gemeinden untereinander ist mittlerweile ein schwieriges Geschäft, da es in den einzelnen Gemeinden sehr unterschiedliche Formen der Aufgabenerfüllung gibt. Die wenigsten Gemeinden erfüllen alle Aufgaben durch die Kernverwaltung. Es gibt unter anderem Eigenbetriebe und kommunale GmbHs. Einige Aufgaben werden auch von privaten Trägern übernommen. Das erschwert die Vergleichbarkeit und macht die Gewinnung unumstößlicher Erkenntnisse nicht einfach.
An diese Grenze ist auch das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg gestoßen, das für die Enquetekommission Daten zur Kas
senstatistik geliefert hat. Entsprechend schwierig ist es auch, die letzte Gemeindegebietsreform bewerten zu wollen. Die Zeit bleibt nicht stehen. Große Veränderungen für die Kreise, Gemeinden und Ämter gab es nach der Reform der Agenda 2010. Neue Formen der Aufgabenwahrnehmung sind dazugekommen. Nicht zuletzt die Doppik hat in den Kommunen eine ganz neue Buchführung erforderlich gemacht.
Wird ein Kreis Optionskommune, hat dies wesentlichen Einfluss auf seinen Personalbestand in der Verwaltung. Konjunkturzyklen mit ihren Auswirkungen auf die Finanzausstattung pflegen sich auch hier nicht linear und vorhersehbar zu verhalten - von einer Krise, wie wir sie 2008 und in den Folgejahren erlebt haben, einmal ganz abgesehen. Hieraus objektivierbare Erkenntnisse für ganz Brandenburg ableiten zu wollen erscheint mir ein Ding der Unmöglichkeit. Wahrscheinlich werden wir niemals erfahren, ob die Reform aus dem Jahr 2003 eine Fusionsrendite erbracht hat.
Nach mehr als einem Jahr intensiver Arbeit haben aber wahrscheinlich alle Parteien festgestellt, dass es so, wie es ist, nicht bleiben kann. Wer noch vor einem Jahr Zweifel hatte, ob überhaupt Reformbedarf besteht, wird dies jetzt höchstwahrscheinlich mit Ja beantworten. Der Druck durch die demografische Entwicklung und den zu erwartenden Rückgang der Einnahmen lässt daran keinen Zweifel.
Auch die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger an ihre Verwaltungen ändern sich. Die Zeit des Untertanen, der sich geduldig in eine Schlange auf dem Amt einreiht und demütig darauf wartet, sein Anliegen vortragen zu können, ist lange vorbei. Die Flexibilität, die die Brandenburgerinnen und Brandenburger an den Tag legen müssen, erwarten sie auch von ihrer Verwaltung.
Jetzt müssen wir also mit der Diskussion über tragfähige Zukunftsmodelle für Brandenburgs Kommunal- und Verwaltungsstrukturen beginnen und weitreichende politische Schlussfolgerungen ziehen. An dieser Stelle kommen auch wieder politische Grundsätze und Ansichten zum Tragen.
Meine Fraktion - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - legt Wert auf die Schaffung längerfristig stabiler Verwaltungsstrukturen, die nicht im Zehn-Jahres-Rhythmus geändert werden müssen, die aber auch ausreichend flexibel sind. Zentral für uns ist zudem die deutliche Stärkung direkter und indirekter demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten.
Meine Damen und Herren, jetzt wird es also spannend. So langsam müssen die Karten auf den Tisch. Wir Bündnisgrünen sind in die Vorhand gegangen. Mit dem von uns in Auftrag gegebenen Gutachten zur Reform der Landes- und Kommunalverwaltung Brandenburgs, erstellt vom Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer, haben wir die Debatte nicht nur bereichert, sondern wir haben - daraus abgeleitet - auch konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt.
Sieben Leitthemen, über die wir uns unterhalten müssen, stehen für mich in den nächsten Monaten im Mittelpunkt:
Erstens geht es um die Frage der Funktionalreform: Welche Aufgaben wollen wir wo erledigen? Auf welche Aufgaben können wir eventuell verzichten? Welche Bereiche müssen gegebenenfalls gestärkt werden?
Zweitens müssen wir uns auf ein zukunftsfähiges Gemeindemodell einigen. Wir Bündnisgrünen schlagen vor, die Ämter zu direktdemokratisch legitimierten Verbandsgemeinden weiterzuentwickeln.
Dabei müssen wir uns - drittens - auch über Mindestgrößen von Einheitsgemeinden und Verbandsgemeinden im Hinblick auf die zu übertragenden Aufgaben verständigen. Ich halte die Aussage für plausibel, dass gestärkte Gemeinden, die mehr Aufgaben wahrnehmen, eine Mindestanzahl an Einwohnerinnen und Einwohnern haben sollten. Die aktuellen Reformbeispiele zeigen, dass die Grenze bei rund 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern liegen könnte. Eine solche Zahl darf aber kein Dogma sein.
Aufgrund der disparaten Siedlungsstruktur in Brandenburg müssen wir - viertens - flexible Lösungen ermöglichen. In dünn besiedelten, peripheren Räumen sollte es eine Flächenobergrenze geben, um zu ausgedehnte Gemeindeverbände zu vermeiden. Schon heute befinden sich einige der flächengrößten Einheitsgemeinden Deutschlands in Brandenburg. So hat die Gemeinde Wittstock/Dosse eine Fläche von fast 420 km2. Diese Obergrenze sollten wir nicht wesentlich überschreiten.
Eine Orientierung an den Mittelzentren, wie sie die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik - SGK - nun vorschlägt, schießt wohl über das Ziel hinaus, wenn damit Gemeinden entstehen, die über 1 200 km2 groß sind. An dieser Stelle werden die Nachteile einer Vergrößerung, zum Beispiel die Raumüberwindungskosten, die Skalenvorteile einer Maßstabsvergrößerung mit Sicherheit übersteigen. Oder, wie es bei einigen Wissenschaftlern so schön heißt: Mit der Größe wachsen auch die Frustrationskosten.
Fünftens muss die Frage der Kreiszuschnitte geklärt werden. Das Beispiel Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass riesige Regionalkreise kaum Vorteile, aber viele Nachteile mit sich bringen. Ich gehe davon aus, dass sich auch die SPD bald von dieser Option lösen wird und wir an dieser Stelle über moderate Änderungen diskutieren werden. Auch hier sind jüngste Vorschläge durchaus ermutigend.
Sechstens - das ist mir ganz wichtig -: All diese Änderungen ergeben nur dann Sinn, wenn wir Bürgerbeteiligungs- und Mitbestimmungsrechte ausbauen. Unser Gemeinwesen - und damit unsere Kommunen - lebt vom Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger. Dort, wo die viel beschworene Zivilgesellschaft nicht funktioniert, gibt es keine Zukunft, und die Letzte macht das Licht aus.
Neben einer Demokratisierung der Ämter scheint mir das der entscheidende Punkt zu sein. Zu einer lebendigen Demokratie gehören heute selbstverständlich mehr Beteiligungsmöglichkeiten, mehr Transparenz und bessere Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement.
Wenn wir es schaffen, in diesen sechs Punkten zu einer Übereinkunft zu kommen und ein Leitbild zu entwickeln, das auch die Perspektive einer Fusion mit Berlin offenhält, müssen wir siebtens - einen Fahrplan zur Umsetzung dieser Maßnahmen erstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Zwischenbericht der Enquetekommission 5/2 liegen viele Fakten auf dem Tisch. An einigen Stellen müssen wir noch nacharbeiten: bei der Bürgerbeteiligung, bei der Schaffung angepasster Verwaltungsangebote und beim E-Government. Ich hoffe, wir können uns in möglichst vielen Punkten an einen Konsens heranbewegen, und freue mich auf die weitere Debatte. Meine Fraktion ist dazu bereit.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Nonnemacher. - Bevor die Landesregierung das Wort ergreift und die Aussprache abschließt, möchte ich ganz herzlich die zweite Besuchergruppe aus dem Landkreis Elbe-Elster unter uns begrüßen.