Protokoll der Sitzung vom 12.12.2012

(Bischoff [SPD]: Wie lange wollen Sie denn warten?)

Bei dieser Frage gibt es kein Ermessen. Grundlagen der Gesellschaft müssen in Gefahr sein.

Frau Fortunato, Sie haben eben gesagt, was wäre, wenn es nach der NPD ginge, und Sie haben die Konsequenzen aufgezeigt. Es ist aber so, dass es bei uns nicht nach der NPD geht, und das ist auch gut so. Für mich ist auch nicht absehbar, dass es bei uns in der nächsten Zeit nach der NPD gehen, dass die NPD einen maßgeblichen politischen Einfluss gewinnen wird.

Ich habe Zweifel, dass ein NPD-Verbotsverfahren erfolgreich wäre. Nun können Sie fragen: Wer ist schon dieser Goetz? Ein kleiner Anwalt vom Lande. - Aber ich bin nicht der Einzige. Die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger teilt diese Zweifel. Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hat sich gegen den Verbotsantrag des Bundestages ausgesprochen. Gemäß „FAZ“ hat Herr Lammert erklärt, das gegenwärtige Ver

fahren sei nicht durchdacht und lediglich ein Reflex auf die NSU-Morde. Wenn Sie Frau Schnarrenberger und Herrn Lammert nicht glauben wollen, wie wäre es dann mit Hans-Jürgen Papier? Er war von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichtes und hat im Dezember 2011 erklärt:

„Die Politik ist wieder dabei, in eine unsägliche Falle hineinzulaufen. Ein zweites Scheitern würde einen ganz fatalen Schaden für die politische Kultur in diesem Land anrichten.“

Es gibt Protokollnotizen aus Hessen und dem Saarland zum NPD-Verbotsverfahren, die diese Bedenken aufgreifen. Durch die permanente Diskussion dieses Themas in der Öffentlichkeit gewinnt man allmählich den Eindruck, dass die Entscheidungen von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte bereits präjudiziert seien. Das ist falsch. Weder das Bundesverfassungsgericht noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte werden sich an Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit orientieren - und auch das ist gut so.

Am vorigen Dienstag, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben wir in einer kleinen Runde von Abgeordneten über das Thema NPD-Verbotsverfahren gesprochen. Da habe ich gesagt: Ich bin für ein solches Verbotsverfahren, wenn sicher ist, dass es am Ende auch erfolgreich ist. - Oben habe ich dargelegt, dass ich genau daran schwerste Zweifel habe. Zusätzlich führt ein Verbotsverfahren, das Jahre dauern würde, zu einer Aufwertung der NPD und bietet ihnen jahrelang ein Podium für ihre faschistoide Propaganda.

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde dauert 67 Minuten. 20 Minuten davon spricht die SPD, 15 Minuten die Landesregierung, 13 Minuten die Linke, neun Minuten die CDU, jeweils fünf Minuten die FDP und die Grünen. Das ist nicht annähernd genug, um das Thema einigermaßen umfassend und abschließend zu erörtern.

Ich biete deshalb jedem von Ihnen - jeder Gruppe von Abgeordneten, jeder Fraktion, selbstverständlich auch der Landesregierung und der Öffentlichkeit - an, zu dieser Thematik ins Gespräch zu kommen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Dombrowski, bitte.

Herr Kollege Goetz, Kollege Ness hat vorhin erklärt, man müsse nur googeln, um ausreichend Gründe für das Verbot der NPD zu finden. Teilen Sie diese Auffassung? Können Sie mir bestätigen, dass es so einfach ist wie von Herrn Ness dargestellt, obwohl sich so viele - bis hin zu ehemaligen Verfassungsrichtern - den Kopf darüber zerbrechen, weil das womöglich doch alles schwieriger ist?

Herr Dombrowski, vielen Dank für die Frage. - Nein, ich teile diese Auffassung nicht. Herr Ness, in einem Punkt haben Sie völlig Recht: Wenn man googelt, findet man schwerstextremistisches Propagandamaterial, auch entsprechende Äußerungen, auch von NPD-Funktionären.

(Frau Lehmann [SPD]: Das macht ja nichts!)

Insofern mag man dazu kommen - selbst diesen Schritt gehe ich noch mit -, dass diese extremistischen Äußerungen der NPD tatsächlich zuzurechnen sind; das ist ja eine wichtige Voraussetzung für das Verbot. Aber selbst das wird am Ende nicht genügen, weil es nicht unsere freiheitliche demokratische Grundordnung in Gefahr bringt. Die NPD steht nämlich nicht vor der Machtübernahme und wird auch in absehbarer Zeit nicht vor der Machtübernahme stehen. Die NPD hat diesen Einfluss nicht.

(Bischoff [SPD]: Wollen Sie so lange warten?)

- Kollege Bischoff, ich möchte nur die Voraussetzungen darlegen, die erfüllt sein müssen, um ein Parteiverbot umzusetzen.

Ich setze meine Rede fort. Am Ende der Debatte lässt sich alles …

Nein, für das Fortsetzen der Rede ist die Zeit schon abgelaufen.

(Beifall des Abgeordneten Bischoff [SPD])

Herr Präsident, die Frage des Kollegen Dombrowski zählt doch nicht zu meiner Redezeit.

Ich habe die Antwortzeit gestoppt; sie ist nicht mit drin.

Dann gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung. Die Gründe will ich nicht weiter zusammenfassen; ich habe nur meine Sorge geäußert, dass ein weiteres Verbotsverfahren scheitern wird. Statt der Zusammenfassung einen Satz zum Schluss: Ich hoffe inständig, dass ich mich mit meiner Erwartung an den Ausgang eines solchen Verbotsverfahrens diesmal irre. - Ich danke Ihnen.

(Beifall FDP und GRÜNE/B90)

Die Abgeordnete Nonnemacher setzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fort.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich glaube, uns alle in diesem Parlament eint der Wunsch,

dass wir einen pöbelnden Haufen wie die NPD gern schnellstmöglich los wären: keine rassistischen Hasstiraden mehr in deutschen Landtagen, kein Holocaustleugnen, keine Aufmärsche, kein Heldengedenken, kein Antisemitismus, finanziert durch öffentliche Gelder und geschützt durch das Parteienprivileg, die Demonstrations- und die Meinungsfreiheit.

Ja, der Ausspruch: „Keine demokratischen Freiheitsrechte für die Feinde der Demokratie!“ ist Balsam für die Seele, die vom braunen Mob geschunden wird; problematisch bleibt dieser Ausspruch trotzdem.

Auch die Sprüche von der „wehrhaften Demokratie“ haben einen schalen Beigeschmack. Es ist in einem demokratischen Rechtsstaat kein Zeichen von Stärke, demokratische Rechte einzuschränken. Das scharfe Schwert des Parteienverbots mag als Ultima Ratio legitim sein. Die Demokratie wird durch ein solches Verbotsverfahren aber definitiv nicht gestärkt, sondern sie muss schon deutlich geschwächt sein - oder diese Schwäche zumindest empfinden -, wenn sie zu solchen Maßnahmen greift.

(Beifall GRÜNE/B90, FDP und vereinzelt CDU)

Der von den Innenministern der Länder erzwungene und von den Ministerpräsidenten bestätigte Beschluss auf ein neues NPD-Verbotsverfahren ruft bei mir einige Skepsis hervor. Die beiden einzigen Parteiverbotsverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - die Verbotsentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergingen 1952 und 1956 - liegen lange zurück. Die Anforderungen an ein Parteiverbot waren damals hoch. Sie sind aber durch die Geschichte des vergangenen halben Jahrhunderts in einer gefestigten Demokratie, durch das gescheiterte NPD-Verbot von 2003 und durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ungleich höher geworden.

Eine Neuauflage des Verbotsverfahrens hat zwei Dimensionen: erstens eine juristische, zweitens eine politische. Die juristische Dimension lässt sich in mehrere Teilfragen untergliedern: Stammt das vorgelegte Material wirklich belastbar nicht von VLeuten? Hat das Material die Qualität, die aktiv-kämpferische und aggressive Haltung der NPD mit dem Ziel, unsere freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, zu belegen? Und hält es - die ersten beiden Annahmen als erfüllt vorausgesetzt - einer Revision vor dem Europäischen Gerichtshof stand, wenn es zu beweisen gilt, dass eine Partei, die noch nie in den Bundestag eingezogen ist und die bei den letzten Wahlen weniger als 1 % der Stimmen errungen hat, eine virulente Gefahr für unseren Staat darstellt?

Der Journalist Heinrich Wefing hat dies sehr schön auf den Punkt gebracht:

„Die NPD ist ekelhaft, aber keine Gefahr für Deutschland.“

Dass das gesammelte Material garantiert nicht quellenverseucht ist, dafür wollen sich nicht einmal unsere Innenminister aus dem Fenster lehnen. Sie schicken ihre Behörden- und Abteilungsleiter zum Testieren vor, die im Falle unliebsamer Überraschungen dann eben einen Karriereknick zu verkraften haben. Wir denken an das Aktenschreddern in Berlin.

Schauen wir uns die politische Dimension an: Die NPD-Mitgliederzahl ist von 7 200 im Jahr 2008 auf etwa 5 900 gesunken und damit rückläufig. Von diesen ist wiederum die Hälfte aktiv oder aktivierbar. Die Partei ist heillos zerstritten, hat Wahlergebnisse - wie zuletzt in Nordrhein-Westfalen - von 0,5 % und steht vor der Pleite.

Die NPD selbst hat kürzlich beim Verfassungsgericht einen Antrag auf Überprüfung ihrer Verfassungstreue eingebracht. Sie wartet - bei dahinsiechenden Umfragewerten - förmlich darauf, sich in den nächsten Wahlen zum Märtyrer stilisieren und sich damit interessant machen zu können.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

Die NPD als Opfer von „Systemparteien“ - welch ein Angebot an den Protestwähler mit diffus rechtspopulistischem Weltbild! Müssen wir einer Partei, die nicht den Hauch einer Chance hat, in Niedersachsen, in Hessen, in Bayern oder gar im Bund in das Parlament einzuziehen, eine solche Bühne verschaffen? Und müssen wir ihr im Falle eines gescheiterten Verbotsverfahrens den Triumph gönnen, sich noch eine gerichtsfeste Unbedenklichkeitsbescheinigung verschafft zu haben?

(Beifall GRÜNE/B90, CDU und FDP)

Nein, durch ein NPD-Verbot rotten wir nicht den Alltagsrassismus in unserer Gesellschaft aus, den die Studien von Heitmeyer und der Friedrich-Ebert-Stiftung so eindrucksvoll belegt haben.

(Beifall GRÜNE/B90)

Wir vertreiben nicht die militanten Kameradschaften und die Autonomen, die sich ständig neu formieren. Wir verhindern auch nicht die ärgerliche Verschwendung von Steuermitteln zur Finanzierung des braunen Sumpfes.

(Bischoff [SPD]: Doch!)

Denn schon stehen neue Parteien wie „Die Rechte“ als Auffangbecken bereit, oder sie wären im Nu gegründet. - Vielen Dank.

(Beifall GRÜNE/B90, CDU, FDP und der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

Minister Dr. Woidke spricht für die Landesregierung.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der vergangenen Woche haben sich die Innenminister aller Bundesländer einmütig für einen NPD-Verbotsantrag ausgesprochen. Die Ministerpräsidenten sind dieser Empfehlung einen Tag später gefolgt. Damit wird es für die NPD eng.

Besonders hervorheben möchte ich hier - auch wenn es sich in den letzten Minuten nicht so angehört hat - die große parteiübergreifende Übereinstimmung auf Länderebene.