Protokoll der Sitzung vom 23.01.2013

Starke Städte in Brandenburg

Antrag der Fraktion der SPD der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 5/6646

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Frau Abgeordnete Alter wird erwartet und erwartet selbst ihren Beitrag.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir wieder herunter - vom Himmel auf die Erde, auch wenn Reinhard Mey singt: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“

(Heiterkeit bei der SPD)

Manchmal wäre man ganz gern dort. Anlass unseres Antrages ist die Initiative der drei städtischen Arbeitsgemeinschaften „Städtekranz Berlin-Brandenburg“, „Städte mit historischen Stadtkernen des Landes Brandenburg“ und „Innenstadt Forum Brandenburg“, die im Oktober 2011 gemeinsam den ersten Stadtentwicklungstag organisiert haben. Dabei wurde deutlich, dass die Stadtentwicklung politisch noch nicht den Stellenwert besitzt, den sie verdient.

Wir müssen uns bewusst machen, dass Städte eine Ankerfunktion im Raum haben. Sie sind - mit steigender Tendenz - Bevölkerungsschwerpunkte, sie sind Arbeitsmarktzentren und bevorzugte Standpunkte von Unternehmen. Sie sind aber auch Zentren von Forschung und Bildung, Anker für den Einzelhandel, Verkehrsknoten sowie Zentren von Kultur und Sport.

Diese Rolle von Städten wird sich in Zukunft noch verstärken müssen. Deswegen müssen wir die Städte stärken und sie in die Lage versetzen, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Städte sind mehr als Stein und Beton. Für unsere Brandenburger sollen die Wohnquartiere Heimat sein und für Neubürger Heimat werden. Das geschieht aber nicht von allein hier gilt es, Wohnviertel nicht abzuhängen oder aufzugeben.

Vor welchen Herausforderungen stehen wir in den Städten? Da ist zunächst der demografische Wandel. Es gibt einige wenige Wachstumszentren, aber selbst im sogenannten Speckgürtel geht die Einwohnerzahl einiger Städte zurück oder sie stagniert. In den Wachstumszentren müssen Wohnungsengpässe beseitigt und der Ausbau der Infrastruktur finanziert werden. Wo es Schrumpfungsprozesse gibt, gibt es auch klugen Rückbau und den Erhalt und die Konzentration von Infrastruktur. Die Förderpolitik muss flexibel sein, um beide Prozesse parallel zu begleiten. In Ballungsgebieten steigen die Mieten und bezahlbarer Wohnraum wird knapp. Der Stadtumbau ist noch lange nicht beendet.

(Beifall des Abgeordneten Burkardt [CDU])

Wir rechnen mit einer „zweiten Leerstandswelle“. Bis 2020 werden wir noch 140 000 Einwohner verlieren. Das hat Auswirkungen auf die Sozialstruktur und die Wohnkaufkraft.

Um einen gesunden Wohnungsmarkt zu erhalten, wird es weiter notwendig sein, gezielt Wohnungen aus dem Markt zu nehmen und Stadtquartiere zu stärken. Hierfür fordern wir auch ein Investitionspaket vom Bund. Wir haben gerade eine Energiewende gestartet, deren Konsequenzen für uns im Detail noch nicht absehbar sind. Die Energiepreise werden vermutlich steigen, was sich ebenfalls auf den Wohnungsmarkt auswirken wird. Hohe Investitionen werden notwendig sein, um die Klimaziele umzusetzen und die Preissteigerungen durch Einsparungen zu kompensieren.

Gute und energiesparsame Wohnungen müssen für alle vorhanden sein. Die energetische Sanierung hilft Energie zu sparen, verringert den CO2-Ausstoß und schafft Arbeitsplätze in Handwerk und Großindustrie. Trotz steigender Heizkosten hat die Bundesregierung den 2008 eingeführten Heizkostenzuschlag beim Wohngeld wieder abgeschafft. Das gilt es rückgängig zu machen, denn viele Menschen, deren Einkommen nicht ausreicht, sparen an der Heizung, leben stellenweise in ungeheizten Räumen und müssen Arbeitslosengeld II beantragen.

Es gibt jedoch angesichts dieser Herausforderungen keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Ich habe eingangs die Initiative der drei Arbeitsgemeinschaften erwähnt. Die Stadtentwicklung in Brandenburg zeichnet sich seit den 90er-Jahren durch gute Kooperation aus. Probleme werden hier nicht ideologisch diskutiert, sondern gemeinsam, strategisch und pragmatisch gelöst.

Brandenburg ist auf diese künftigen Herausforderungen gut vorbereitet. Wir setzen seit Jahren konsequent auf Innenstadtstärkung. Alle zentralen Orte haben ein integriertes Stadtentwicklungskonzept (INSEK). Diese werden regelmäßig evaluiert und fortgeschrieben. Das gibt es in dieser Form nur in Brandenburg. Die Stadtentwicklung und die Wirtschaftsentwicklung sind miteinander gut verzahnt. Das wird durch eine

enge Abstimmung der INSEK mit den Entwicklungskonzepten der Regionalen Wachstumskerne erreicht. Das geht in den Städten herunter bis auf die Projektebene. Die Förderpolitik ist flexibel und deckt schon heute zahlreiche der genannten Herausforderungen ab: Energieeffizienz, Barrierefreiheit, Stadtumbau und Innenstadtstärkung.

Aber, liebe Kollegen, welche neuen Akzente müssen wir künftig setzen? Mit diesem Antrag initiieren wir wiederum einen kooperativen Prozess. Das Ministerium wird sich in diesem Jahr mit den Akteuren von Wohnungswirtschaft und Stadtentwicklung zusammensetzen und einen Bericht zur Stadtentwicklung erarbeiten müssen. Das Ergebnis wird die Fortschreibung einer gemeinsamen Strategie sein. Das ermöglicht es, dass auch bei der Umsetzung alle an einem Strang ziehen.

Wir regen in dem Antrag an, einige neue Akzente zu setzen. Zum Beispiel möchten wir die Finanzierung der Stadtentwicklung nachhaltig gestalten. In der Haushaltsberatung haben wir bereits die Aktivierung des Landeswohnungsbauvermögens umgesetzt. Mit diesem Einsatz der Entflechtungsmittel tragen wir dazu bei, dass das Vermögen mittelfristig revolviert und dauerhaft als Finanzierungsquelle zur Verfügung steht.

Darüber hinaus brauchen wir weitere revolvierende Instrumente, beispielsweise für energieeffizientes Wohnen. Wir regen an, die Stärken von Stadt und Land zu verbinden. Das stärkt Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit unserer Regionen. So wie wir in der Wirtschaft und in den Städten auf das Prinzip „Stärken stärken“ setzen, sollten wir das auch im ländlichen Raum umsetzen. Konkret regen wir an, in der neuen EU-Förderperiode die Förderinstrumente für Wirtschaft, Stadt und Land zu verbinden und dabei insbesondere die Stadt-UmlandBeziehung zu stärken.

Die im ländlichen Bereich wohnenden Bürgerinnen und Bürger haben in den letzten Jahren erfahren, dass lebenswichtige Angebote bei ihnen wegbrechen. Damit meine ich nicht nur die Kneipe um die Ecke, den Hausarzt oder den Tante-EmmaLaden, sondern auch die Ausdünnung der Infrastruktur in der Region. Hier müssen neue Ideen, die stellenweise schon in Erprobung sind - zum Beispiel Ruf-Bus und Fahrgemeinschaften, Telemedizin und Modelle wie „AGnES“ -, die Lücke schließen.

Auch das hat etwas mit starken Städten zu tun: Die Städte müssen sich ihrer Verantwortung gegenüber den Umlandgemeinden stellen und zusammenarbeiten. In der Mittagspause heute hat ein Ausschussgespräch stattgefunden. Dabei wurden mit Vertretern der Landesarbeitsgemeinschaften und der lokalen Aktionsgruppen in Brandenburg die Verzahnung und ähnliche Probleme angesprochen.

Natürlich müssen wir in unserem Antrag auch Stellung zur Politik der Bundesregierung beziehen, die sich seit Jahren aus der Stadtentwicklung zurückzieht, als ob sie das überhaupt nichts anginge. Während Brandenburg die Städtebauförderung immer kofinanziert hat, hat der Bund die Ansätze kontinuierlich zurückgefahren. Geradezu skandalös finde ich es, dass der Ansatz für das Programm „Soziale Stadt“ bundesweit auf 40 Millionen reduziert wurde.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Die SPD hat angekündigt, den Ansatz nach der Bundestagswahl wieder auf 150 Millionen aufzustocken.

(Zurufe von der SPD: Nach der Wahl!)

Im September 2012 informierte die KfW über das beginnende Förderprogramm „Barrierearme Stadt“, in dessen Rahmen kommunale Unternehmen und soziale Organisationen investive Maßnahmen starten können, die Barrieren beseitigen und den alters- und familiengerechten Umbau fördern - in Zeiten des demografischen Wandels eine richtige und zukunftsweisende Entscheidung.

Lassen Sie mich an dieser Stelle meine persönliche Kritik an und Verwunderung über Baumaßnahmen der letzten Jahre äußern. Von 1990 bis 2004 war ich im Landkreis Oder-Spree unter anderem Beauftragte für Menschen mit Behinderung und engagierte mich seit dieser Zeit für barrierefreie Zugänge im privaten wie auch im öffentlichen Bereich. Ich staune immer wieder, was alles genehmigt und gebaut wurde, als ob es die DIN 18040 nicht geben würde.

(Zurufe von der SPD: Das stimmt! - Das ist richtig!)

Lassen Sie uns das Augenmerk darauf richten, dass Personen, die aufgrund ihrer Behinderung schon genug benachteiligt sind, nicht noch durch neu geschaffene Barrieren weitere Benachteiligung erfahren. Darüber haben wir heute schon mehrfach diskutiert. Dafür werden auch ältere und gehbehinderte Menschen und Eltern mit Kleinkindern dankbar sein.

Trotz aller vor uns stehenden Aufgaben sehe ich uns in der Stadtentwicklung auf einem guten Weg. Das wurde uns auch kürzlich von zahlreichen Akteuren aus Politik und Wohnungswirtschaft auf einer von uns organisierten Veranstaltung zu diesem Thema bestätigt. Aber wir haben noch viel zu tun. Wie von mir eingangs gesagt, muss es unser Ziel sein, dass alle Brandenburger das Gefühl haben: Hier will ich leben, hier bin ich gern zu Hause. - Danke schön.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Alter. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der CDU-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Genilke.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den Antrag der Regierungskoalition gelesen habe, habe ich mich zuerst gefragt: Was ist eigentlich neu an diesem Antrag gegenüber dem, was wir im Infrastrukturministerium schon seit Jahren tun? Da nicht wirklich viel Neues in Ihrem Antrag steht, sondern das Alte noch einmal hervorgehoben wird - und richtigerweise hervorgehoben wird -, kann ich es vorwegnehmen: Wir werden diesem Antrag zustimmen.

(Frau Lehmann [SPD]: Oh! Oh!)

- Ja, so sind wir. - Aber einige Worte möchte ich dazu noch sagen. „Starke Städte in Brandenburg“ - wenn man das wirk

lich so plakativ als Antragstext formuliert, so meine ich, kann man das nicht einfach herbeistimmen, nicht ab- und auch nicht wegstimmen. Regierungen kommen und gehen. Koalitionen kommen und gehen. Städte aber bleiben.

(Abgeordnete Lehmann [SPD]: Richtig!)

Weil das so ist, haben wir uns das sehr viel kosten lassen, auch im Land Brandenburg: seit 1992 über 3 Milliarden Euro. Man sieht es unseren Städten auch an. Es wurde immer belächelt, wenn Helmut Kohl von blühenden Landschaften gesprochen hat. Ich bin der Auffassung: Wir haben mithilfe der Stadtumbau-Programme, gerade auch im Denkmalschutzbereich, eine ganze Menge in diesem Land getan. Deshalb geht unser Lob an die EU, an den Bund, an das Land, aber auch an die Verantwortlichen in den Kommunen.

(Beifall CDU)

Meiner Ansicht nach berücksichtigt das MIL alle städtebauförderrechtlichen Dinge vollumfänglich und managt sie erfahrungsgemäß auch sehr gut. Ich werde morgen Herrn Schweinberger anrufen und fragen, wie er mit Ihrem Antrag umzugehen gedenkt.

(Henschke [DIE LINKE]: Er wird ganz überrascht sein!)

Er wird sagen: Ich mache so weiter wie immer. Das ist ein gutes Zeichen. Herr Henschke hat übrigens seine gesamte Haushaltsrede dem Stadtumbau gewidmet. Ich bin daher gespannt, was Neues von Ihnen hinzukommt.

Das, was natürlich nicht fehlen darf, Frau Alter, ist der Bund. Das ist klar. Der muss bei Ihnen eine Rolle spielen. Der muss das Geld geben. Wenn Ihnen die soziale Stadt so wichtig ist, Frau Alter, dann legen Sie es bitte schön oben drauf. Niemand verbietet Ihnen, in diesem speziellen Bereich auch ohne Förderung mehr Geld zu verwenden, wenn es Ihnen so wichtig ist wie die Städtebauförderung. Niemand verbietet Ihnen das.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Vor allem zwei Dinge müssen wir noch lernen - Sie haben es gesagt -: zum einen bei der energetischen Sanierung. Ich halte es bis heute für nicht nachvollziehbar, dass Sie das Programm der steuerlichen Erleichterung bei energetischen Maßnahmen in Höhe von 2 Milliarden Euro mit dem Verweis abgelehnt haben, das sei schlimmes Teufelszeug, weil wir weniger Steuereinnahmen erhalten. Bei einem Euro, der der Städtebauförderung zufließt, können wir acht Euro generieren. Nur bei der Gebäudesanierung soll das angeblich nicht zutreffen. Ich hielt und halte das immer noch für einen Fehler. Sie haben eine ganze Menge Redezeit für die energetische Gebäudesanierung verwandt.

Wenn ich in Zukunft Energie bezahlbar machen will - also auch Heizenergie, das ist die primäre Aufgabe unseres Energieverbrauchs -, dann brauchen wir Gebäudesanierung gerade im energetischen Bereich. Deshalb halte ich es für einen fatalen Fehler, dass Sie dies aus, wie ich glaube, ideologischen Gründen abgelehnt haben.

(Beifall CDU)

Ansonsten fand ich das alles ganz nett, auch Ihre Begründung. Hier steht zum Beispiel unter Punkt 2:

„Das für Infrastruktur und Landwirtschaft zuständige Mitglied der Landesregierung wird gebeten, dem Ausschuss für Infrastruktur und Landwirtschaft zum III. Quartal 2013 einen Bericht zur Situation der Stadtentwicklung vorzulegen...“.

Ich glaube, ich bin über keinen Bereich so gut informiert wie über die Städtebauförderung. Daher auch meinen Dank an die Verantwortlichen in Ihrem Ministerium, Herr Minister. Wenn Sie unbedingt diese Arbeit auf sich nehmen wollen, dann tun Sie es noch einmal. Ich glaube, durch die Veranstaltungen, die wir besuchen - und die haben viel mit Stadtumbau zu tun -, sind wir bestens informiert. Jeder Euro, der dort einfließt, wird uns dokumentiert, und alles, was wir nicht schaffen, wird uns dementsprechend an den Kopf geworfen. Das kann man an der Stelle auch einmal sagen. Das ist nun einmal so.