Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen SPD und DIE LINKE - Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen verbessern -, der Ihnen in der Drucksache 5/6700 vorliegt. Wer diesem Entschließungsantrag Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag mehrheitlich angenommen.
Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz nicht über die Köpfe der Beteiligten hinweg durchsetzen, dem Prozess mehr Zeit geben
Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Abgeordnete von Halem erhält das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste - ganz besonders: liebe Gäste aus der Lausitz! Mit der 2. Lesung des Errichtungsgesetzes stehen wir am Ende - die Initiatoren des Volksbegehrens würden wahrscheinlich sagen: am Zwischenstopp - eines Verfahrens, das aus unserer Sicht von Anfang an fahrlässig geführt wurde. Das Referat „Strategische Kommunikation“ hat mal wieder versagt. Manchmal hat man bei dieser Landesregierung den Eindruck, strategische Kommunikation gebe es nur, wenn es etwas zu vertuschen gibt.
Dann wird vom „Landeswohl“ und von „Verantwortung“ gesprochen, die man zu übernehmen bereit sei - wattig und abstrakt -, ohne die Begriffe mit Inhalten zu füllen. Wer dann kritisch nachfragt, bekommt vorgehalten, er verstehe offensichtlich dieses Land nicht.
Wenn es aber nicht darum geht, Versagen kleinzureden, sondern wenn man Gegebenheiten und Ressourcen verändern will,
die vielen Menschen ans Herz gewachsen sind - so, wie die daraus resultierenden Gewohnheiten die Tage der Menschen bestimmen -, reicht es nicht, mit dem großen weichen heimatgetränkten Schwamm von „Gemeinsinn und Erneuerung“ darüberzuwischen. Dann muss man den Menschen schon genau erklären, was man will, warum man es will und wie es zu den Vorstellungen der Menschen passt, die diese Veränderungen letztlich umsetzen sollen.
Am 10. Februar dieses Jahres wurde das sogenannte Emmermann-Gutachten in Cottbus öffentlich vorgestellt.
Dort präsentierte Frau Ministerin Kunst der erstaunten Öffentlichkeit ihren Neugründungsvorschlag mithilfe eines Organigramms. Aber nicht einmal das Organigramm lag schriftlich zur Verteilung vor, ganz zu schweigen von Erläuterungen, warum, wieso das nicht anders zu erreichen sei und welches Ziel verfolgt werde.
Fünf Tage später - am 15. Februar - malte die Ministerin im Wissenschaftsausschuss eine Skizze an das Flipchart, mehr gab es auch dort nicht. Am 20. Februar 2012 erhielten die Ausschussmitglieder dann einen vierseitigen Text aus dem Ministerium. In der Region wurde über Wochen geklagt, dass es nichts Schriftliches gebe.
Stellen Sie sich einmal vor, die Akteure in der Region - nicht nur diejenigen aus den Hochschulen, sondern unter anderem auch die Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaftsverbänden, der Hochschulrektorenkonferenz und der Kommunen - hätten zumindest parallel zur Vorstellung der Grundidee die Einladung zu einer Reihe von Workshops erhalten, in denen über die Zukunft der Hochschulen hätte diskutiert werden können!
Was wäre passiert, wenn sich alle Beteiligten sachlich über verschiedene Szenarien hätten auseinandersetzen können; wenn Sachverständige hätten darlegen können, mit welchen Studierendenzahlen an den Hochschulen für die nächsten 20 Jahre zu rechnen sei, und was das angesichts welcher genau zur Verfügung stehenden Mittel für verschiedene Optionen bedeutet hätte; wenn zugleich die europaweit stattfindenden Veränderungen durch den Bologna-Prozess mit der Eliminierung der Unterschiede zwischen Fachhochschulen und Universitäten, aber - notabene - nicht der Unterschiede zwischen praxisorientierten und wissenschaftsorientierten Ausbildungen hätten dargelegt werden können; wenn die Wirtschaft, die Kommunen und die Wissenschafts-Community ihre Erwartungen für die nächsten Jahrzehnte dort hätten kommunizieren können - ihre eigenen Erwartungen! - und wenn man sich dann in einem geordneten Prozess über den Fortgang hätte verständigen können: Wer will eigentlich was, und was passiert, wenn nichts passiert? Was ist das Ziel? Welche Strukturen brauchen wir zu dessen Umsetzung? Und wie sieht es eigentlich konkret aus - über die allgemein geteilte Feststellung hinaus, dass die Lausitz auch in der Zukunft ein attraktives Hochschulangebot braucht? Nein, einen solchen strukturierten Diskussionsprozess hat es leider nicht gegeben.
Die Vorstellung, Herr Grünewald hätte einen solchen Prozess moderieren können, war von Anfang an eine Totgeburt. Die
Rolle von Herrn Grünewald - das möchte ich deutlich sagen war immer eine andere, auch wenn es sicherlich besser war, dass er in der Lausitz war, als wenn es ihn dort nicht gegeben hätte. Natürlich wurde er als Adlatus der Ministerin Kunst und als Vertreter der Ministeriumsposition vor Ort wahrgenommen. Moderator hätte nur eine neutrale Person sein können, auf die sich die Parteien hätten einigen müssen. Es hätte möglichst ein professioneller Organisationsentwickler bzw. eine professionelle Organisationsentwicklerin sein müssen, der oder die nicht aus dem fachpolitischen Kontext rekrutiert wird und professionelle Erfahrungen damit hat, wie solche Transformationsprozesse an großen Institutionen kompetent begleitet werden.
Wenn nun unter anderem von Wirtschaftsvertretern geäußert wird, die Hochschule Lausitz müsse unbedingt erhalten bleiben, weil die Wirtschaft in der Region die Absolventen mit anwendungsbezogener Ausbildung brauche, ist das ein wunderbares Beispiel für die Sprachlosigkeit, die hier herrscht; denn niemand hat jemals anwendungsbezogene Ausbildung in der Lausitz infrage gestellt.
Das alles hätte man vorher wissen oder zumindest im Verfahren besser einfangen können - in einer Region, die sich seit Jahrhunderten zwischen den Zentren Dresden auf der einen Seite und Berlin auf der anderen behaupten muss und sich immer im Grenzgebiet „zwischen Brandenburg und Sachsen, Deutschland und Polen, Preußen und Schlesien“ befand, eine Region, die - wie es in dem von uns in Auftrag gegebenen Gutachten so treffend beschrieben wird - „wissenschaftspolitisch eine Region des Zwischenraumes“ ist. Ich zitiere weiter:
„Daraus ergibt sich, dass in der Lausitz die Hochschulen als etwas Eigenes der Region betrachtet werden, […] das gegen eine Potsdamer Suprematie verteidigt werden muss. Mit jeder Veränderung unter als finanzpolitisch restriktiv erlebten Bedingungen sind Ängste verbunden, dass mit ihnen Statusverlust einhergehen könnte. Weder die demographische noch die raumstrukturelle Entwicklung des Landes haben in der Vergangenheit dazu beigetragen, diese Ängste abzubauen.“
Ich füge hinzu: Derjenige, der den Hochschulen in die Rücklagen greift - wie diese Landesregierung -, 10 Millionen Euro entnimmt, die vertraglich zugesichert waren, dann hoch und heilig verspricht, das sei eine einmalige Situation, die sich nicht wiederholen werde, aber in der Folge den ohnehin unterfinanzierten Hochschulhaushalt Jahr für Jahr mit einer globalen Minderausgabe in ähnlicher Höhe belastet, kann doch nicht im Ernst erwarten, seine weiteren Veränderungsvorschläge würden auf den fruchtbaren Boden gewachsenen Vertrauens fallen.
Wir werden das Errichtungsgesetz jetzt ablehnen, aber nicht deshalb - auch das möchte ich hier noch einmal ganz klar sagen -, weil wir eine Fusion der Hochschulen, wie sie die Landesregierung anstrebt, für das Erreichen des Zieles nicht für einen möglichen Weg hielten, sondern weil wir das Verfah
ren für gründlich missraten halten. Es entspricht unserem Verständnis von Demokratie und Hochschulautonomie, wenn wir jetzt die Einrichtung eines Lausitz-Beirates fordern, die Einbeziehung nicht nur des Sachverstandes der Hochschulen, sondern auch der kommunalen Vertreterinnen und Vertreter aus der Region, der Wirtschaftsverbände, der Landesregierung, eines Umweltforschungsinstitutes, des Wissenschaftsrates, der Landeshochschulrektorenkonferenz und des Landeshochschulrates.
Dieser Lausitz-Beirat soll - gerne unter professioneller Moderation - ein tragfähiges Modell für die Lausitzer Hochschullandschaft entwickeln. Das sind die Akteure, die ernst zu nehmen uns die Ehrlichkeit gebietet, um in Kooperation miteinander ein kreatives Modell zu entwickeln. Dabei habe ich durchaus Verständnis für diejenigen, die sagen, es könne nicht noch zwei Jahre gewartet werden. Wenn das aber so wichtig ist, dann muss es den Zauderern - auch denen, die diese Meinung teilen - klargemacht werden. Natürlich ist es umso besser für alle, wenn es schneller geht. Eine Lösung aber in so einer Situation zu erzwingen - gegen den Willen derer, die letztlich für die Umsetzung verantwortlich sind - ist das Gegenteil von Erfolgsgarantie.
Natürlich geht es hier auch um Geld. Dass den beiden Hochschulen in der Grundsituation andauernder struktureller Unterfinanzierung der Brandenburger Hochschulen - Stichwort: seit Jahren rote Laterne - für die Neustrukturierung erst nach langer Diskussion finanzielle Zusagen gemacht wurden und auch die jetzt in Aussicht gestellten 10 % je zur Hälfte für zusätzliche Studiengänge und den TV-Umbau vorgesehen sind, für die eigentliche Umstrukturierung also überhaupt kein Geld zur Verfügung steht, ist ein weiteres Zeichen für das Versagen der Landesregierung in diesem Prozess.
Natürlich ist eine Technische Hochschule eine Investition in die Region. Genau das soll sie auch sein, aber dann darf es keine weiteren Kürzungen und auch keine globalen Minderausgaben geben.
Auf dem Neujahrsempfang der TU Berlin hat deren Präsident berichtet, das Wirtschaftsvolumen der Ausgründungen habe 2012 etwa 1 Milliarde Euro betragen. Das ist mehr als das Dreifache der investierten Landesmittel. Natürlich wollen wir so etwas auch für die Lausitz. Aber dazu brauchen wir eine Landesregierung, die bei „Startchancen“ nicht in erster Linie an Flugzeuge denkt, sondern an junge Leute.
Vielen Dank, Frau Abgeordnete von Halem. - Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Frau Abgeordnete Melior hat das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Nach dem Redebeitrag meiner sehr verehrten, geschätzten Kollegin Marie Luise von Halem und vor dem Hintergrund des vorliegenden gemeinsamen Antrages von BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und CDU werde ich zunächst auf die Frage des Zeitpunktes der abschließenden Beratung des „Gesetzes zur Neustrukturierung der Hochschulregion Lausitz“ eingehen. Ich sage ganz deutlich: Jeder und jede, der bzw. die hier warten will, riskiert den Hochschulstandort Lausitz insgesamt.
Wir haben fast genau ein Jahr lang den Vorschlag der Ministerin Sabine Kunst diskutiert. Die einen sagen - wie Marie Luise von Halem -, dass alles hätte viel besser laufen können. Die anderen sagen, es war gut, dass wir so viel miteinander und so viel über die Hochschulen in der Lausitz gesprochen haben. Die leider oft schweigende Mehrheit - und darauf kommt es mir an - sagt wie Goethe im „Faust“: „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn!“ Liebe Marie Luise von Halem, wer dann noch sagt - das hast du hier wiederholt und neulich in Cottbus ebenso gesagt -, dass die Kontrahenten in der Lausitz auch in zwei Wochen schon einig sein könnten und das Gesetz dann beschlossen werden könne, der verkennt nach meiner Auffassung die Situation völlig.
Es mag richtig sein, dass der gesamte Kommunikationsprozess suboptimal gelaufen ist. Es mag richtig sein, dass zu wenig aufeinander gehört wurde. Ich verstehe auch die Sorge um die Finanzierung angesichts knapper Kassen und neuer Herausforderungen. Was ich nicht verstehe und was ich vor allem nicht akzeptieren kann, ist die Empfehlung: „Warten wir mal weiter ab.“ Das darf eine Landesregierung nicht, und das dürfen auch verantwortliche Landespolitikerinnen und Landespolitiker nicht, denn trotz vieler Energie in der Lausitz geht dann das Licht in der Hochschule aus, und das wollen wir alle nicht.
Meine Damen und Herren, wir sind bei der Vor-Ort-Diskussion in Cottbus immer wieder gefragt worden, warum das denn alles sein müsse. Ich habe dort gesagt und wiederhole es hier gern: Die Hochschulstandorte in der Lausitz müssen zukunftsfest werden. Sie werden sagen, das sei eine Worthülse; aber ich fülle sie gleich. Angesichts des demografischen Wandels braucht es junge Menschen, möglichst viele Studierende - auch in den kommenden Jahren - in Cottbus und in Senftenberg. Außerdem brauchen die Unternehmen in der Region gut ausgebildete Fachkräfte vor Ort. Das sagen die IHK, die klein- und mittelständischen Unternehmen und alle Studien. Die Verbindung von Wissenschaft und Forschung kann das einmal mehr sichern helfen, wenn mit der Wirtschaft intensiv gemeinsam gearbeitet wird. Junge Menschen plus Wissenschaft und Forschung - das ist Zukunft für die Lausitz, meine Damen und Herren.