Die Residenzpflicht ist nämlich eine der finstersten Seiten unseres Rechtsstaats. Was das genau bedeutet, brauche ich nicht noch einmal zu erklären. Aber das, was da ausgedacht wurde, sucht europaweit seinesgleichen und ist nichts anderes als eine Fußfessel, die des Mittelalters würdig wäre.
Wir Grüne setzen uns seit Jahren gegen die Residenzpflicht ein, auch in Brandenburg. Als Mitglied des Potsdamer Beirats für Toleranz und Demokratie erinnere ich mich sehr genau an die ablehnende Antwort der Landesregierung damals unter rotschwarzer Ägide auf eine Anfrage des Potsdamer Oberbürgermeisters nach einer möglichen Lockerung der Residenzpflicht. Das widerstrebte nämlich dem tatsächlich zuständigen General.
Andere Bundesländer sind da längst weiter. So gibt es die Möglichkeit, die Residenzpflicht zwischen den Landkreisen innerhalb eines Bundeslandes aufzuheben. Insbesondere nach der 2005 erfolgten Änderung des § 58 Asylverfahrensgesetz kann mit der Erteilung von Verlassenserlaubnissen längst großzügiger umgegangen werden. Es wäre auch in Brandenburg ab sofort möglich, je nach Empfängerstatus diese Erlaubnis so zum Beispiel gleich mehrfach auszustellen, den erlaubten Zeitraum zu verlängern bis hin zu einer Dauerverlassenserlaubnis, bei Besuchswünschen auf die Angabe der Adresse des Besuchten zu verzichten usw.
Von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern erwarten wir nach ihrer Anerkennung aktive Integrationsbemühungen. Und dann ist immer wieder zu hören, diese Menschen müssten uns für die Gnade der Aufnahme mehr Dankbarkeit erweisen.
Das ist völlig richtig. Integration kann nur funktionieren, wenn vonseiten aller Beteiligten Schritte aufeinander zu gemacht werden. In diesem Sinne könnten wir ruhig einmal darüber nachdenken, was für Zeichen wir mit der Residenzpflicht, der diese Menschen oft jahrelang unterliegen, ihnen gegenüber setzen.
Natürlich stimmen wir dem vorliegenden Antrag zu - mit wehenden Fahnen. Ich appelliere jedoch zudem an die Landesregierung: Lassen Sie sich mit der Prüfung nicht zu viel Zeit, setzen Sie das, was jetzt möglich ist, auch jetzt um! - Danke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Goetz, ich kann Sie ganz und gar beruhigen: Zwischen uns herrscht Vertrauen.
Herr Petke, erinnern Sie sich, dass der von Rot-Grün auf Bundesebene vorgelegte Gesetzentwurf zur Zuwanderung,
der aus meiner Sicht eher ein Zuwanderungsbeschränkungsgesetz als ein Zuwanderungsförderungsgesetz darstellte, im Bundesrat an der fehlenden Zustimmung Brandenburgs gescheitert ist und wir dabei fast das Ende unserer rot-schwarzen Regierung heraufbeschworen haben? Es ist in diesem Fall nicht an der SPD gescheitert, sondern an der CDU, weil da über die Bande gespielt wurde, und zwar in übelster Art und Weise. Wir hatten zuvor noch versucht, viele Bedenken der CDU aufzunehmen, und es ist nicht gelungen. Die Mär, dass Rot-Grün an der Stelle nichts unternommen, sondern etwas versäumt habe, ist einfach falsch.
Wir haben die Situation, dass wir nach der Rechtseinschätzung auf der Grundlage geltender Gesetze etwas bewegen können. Das ist aber aus meiner Sicht nicht ausreichend. Deswegen gibt es Bestrebungen dahin gehend, auf Bundesebene an der Stelle Lockerungen zu erwirken, und da setze ich, Herr Goetz, auf die Unterstützung der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag.
Herr Minister, ich verstehe Ihre Ausführungen so, dass auch Sie dem vorliegenden Antrag zustimmen werden. Insofern stellt sich für mich die Frage: Wenn wir uns einig sind, dass sofort gehandelt werden muss, warum tun Sie es dann nicht einfach, sondern warten ab, bis ein Beschluss aus Ihren eigenen Reihen kommt?
Ich warte nicht ab. Ich habe schon mit dem Kollegen Körting darüber gesprochen. Er hat einen Brief von mir erhalten, in dem ich zum Ausdruck brachte, dass in beiden Ländern, Berlin und Brandenburg, auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung Rechtsverordnungen erlassen werden könnten, die es ermöglichten, dass ein hier lebender Asylbewerber mit der SBahn durch Berlin nach Bernau fährt. Das soll gewährleistet werden. Dazu brauchen wir aber die Zustimmung Berlins. In Berlin wird die Rechtssicht der Brandenburger Seite geprüft. Ich hoffe, dass die Prüfung zu einem positiven Ergebnis führt. Noch besser und einfacher wäre es, auf der Grundlage eines geänderten Bundesgesetzes zu Regelungen zu kommen. Dazu gibt es derzeit wenig Bereitschaft der in Berlin regierenden Koalition. Da können Sie ja ein Übriges tun. Wir werden das, was wir umsetzen können, in Brandenburg und - so hoffe ich auch in Berlin umsetzen. - Vielen Dank.
Das Wort erhält noch einmal die antragstellende Fraktion, für die die Abgeordnete Fortunato spricht.
Ich möchte keine großen Erklärungen mehr abgeben. Aber denjenigen, die mehr erfahren wollen, möchte ich ein Buch empfehlen.
Das können Sie sich zu Weihnachten schenken lassen. Es ist ein Buch von der Sozialwissenschaftlerin Beate Selders, herausgegeben vom Flüchtlingsrat Brandenburg und von der Humanistischen Union. Es heißt „Keine Bewegung! Die ,Residenzpflicht‘ für Flüchtlinge - Bestandsaufnahme und Kritik“. Die ISBN gebe ich auf Wunsch durch.
Ich habe dieses Buch gelesen. Es enthält sehr viele Beispiele, die die Schizophrenie der Residenzpflicht aufzeigen. Ich gestatte mir, Ihnen ein Beispiel daraus vorzulesen:
„Als Serge Kemno sein polizeiliches Führungszeugnis erhält, das er für eine Stellenbewerbung braucht, erfährt er, dass er vorbestraft ist. Er ist schockiert. Er, der sich nie etwas hat zu Schulden kommen lassen - vorbestraft. Der Flüchtling aus Kamerun wurde im Aufnahmeverfahren für Asylsuchende dem Landkreis Barnim in Brandenburg zugewiesen. Jahrelang war er verpflichtet, dort in einer sogenannten Sammelunterkunft zu wohnen. Die Landkreisgrenzen durfte er nur mit einer vorher beantragten Verlassenserlaubnis überschreiten. Einmal musste er zum Rechtsanwalt nach Potsdam. Ein Anruf am Donnerstagnachmittag kam von ihm. Er sollte Freitag kommen. Die Ausländerbehörde ist geschlossen. Freitags ist keine Sprechzeit. Die Zeit drängt. Er fährt also ohne Genehmigung nach Potsdam. Im Zug fährt auch die Bundespolizei mit. Die Beamten kontrollieren fremdländisch aussehende Menschen wie ihn und wollen seine Papiere sehen.
Die erforderliche Verlassenserlaubnis kann er nicht vorweisen. Eine Anzeige wegen Verstoßes gegen die räumliche Aufenthaltsbeschränkung, allgemein Residenzpflicht genannt, folgt. In Potsdam angekommen, wartet er lange in der Kanzlei auf den Anwalt, der nicht kommt, weil sein Gerichtstermin sich in die Länge zieht. Also muss Kemno am Montag wiederkommen. Um nicht noch einmal die Fahrtkosten bezahlen zu müssen, übernachtet er bei Freunden. Am Montag erledigt er die Sache mit seinem Anwalt und fährt zurück. Dafür muss er in Berlin umsteigen. Auf dem Bahnsteig wird er wieder von Polizisten kontrolliert, wieder folgt eine Anzeige. Monate später verurteilt ihn ein Amtsrichter per Strafbefehl zu 90 Tagessätzen Geldstrafe. Kemno ist nun vorbestraft wegen eines Verhaltens, das für alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eine Selbstverständlichkeit ist. Die Ironie der Geschichte: Im Jahr 2008 wird Serge Kemno der brandenburgische Bürgerpreis ,Band für Toleranz und Verständigung‘ verliehen, weil er in Klassen und Jugendprojekten in Gesprächen Vorurteile und Fremdenfeindlichkeit abbaut.“
Frau Abgeordnete, ich nehme zu Ihren Gunsten an, dass Sie am Umsatz des Buches nicht beteiligt sind.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag in Drucksache 5/130. Wer ihm Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Damit ist dieser Antrag der Koalitionsfraktionen angenommen.
Erklärung des Landtages zum Verzicht des Bundesministers für Verteidigung auf die Nutzung der KyritzRuppiner Heide als Luft/Boden-Schießplatz
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was war das für ein Gefühl in diesem Sommer, was war das für eine Freude, als die Nachricht durchsickerte, dass der Bundesverteidigungsminister auf die Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide als Luft/BodenSchießplatz verzichten würde.
Sofort klingelten überall die Handys. Es fanden spontane Freudenfeste statt. In der Region konnte man es kaum fassen. Denn was war die Vorgeschichte? Hinter uns lagen mehr als 15 Jahre Proteste. Es waren mehr als 100 große Demonstrationen. Man muss sich das einmal vorstellen. Eine solch große Demonstration muss organisiert und durchgeführt werden. Mehr als 100 haben stattgefunden. Es gab mehr als 20 Gerichtsverhandlungen gegen das Bundesverteidigungsministerium. All diese 20 Gerichtsverhandlungen haben die Bürgerinitiativen und die Kommunen gewonnen. Dieser große Erfolg ist ganz und gar den Bürgerinitiativen „FREIeHEIDe“, „Freier Himmel“ und „Pro Heide“ zu verdanken. Es hat über alle Parteigrenzen hinweg das war die große Kraft dieser Bewegung -, über Ländergrenzen hinweg nach Mecklenburg-Vorpommern, auch über Berufsgruppen hinweg - wenn ich an „Pro Heide“ denke, es haben sich Unternehmerverbände, alle möglichen Kassen, Vereinigungen, selbst Banken angeschlossen und haben mitprotestiert - Protest gegeben. Die Banken haben gesagt: Wenn dieser Schießplatz Wirklichkeit wird, dann werden wir als Bank Verluste erleiden, weil die Unternehmen darunter leiden würden. - Das war also eine sehr große Bewegung. Eine große Erleichterung ging durch die gesamte Region Nordbrandenburg und Südmecklenburg.
Auch für mich als neuer Bürgermeister war das Anfang der 90er Jahre durchaus keine gewöhnliche Situation, als die Stadt Rheinsberg gegen die Bundesrepublik Deutschland klagte. Das klingt schon ein bisschen ungewöhnlich. Heute ist es das vielleicht nicht mehr so, aber Anfang der 90er war es schon noch ein bisschen ungewöhnlich.
Natürlich gab es auch eine Reihe von Skeptikern, die gesagt haben: Mit solch einem Gegner im Gerichtssaal, welche Erfolgschancen haben wir denn da eigentlich? Es musste in den 15 Jahren auch immer wieder Geld für Gerichtsverhandlungen bereitgestellt werden. Auch das war keine leichte Angelegenheit. Die Kommunen mit ihren schlechten Haushalten mussten ausgerechnet dafür Geld bereitstellen. Es gab viele Sammlungen, viele Spenden, eine unglaubliche Zahl von kreativen Initiativen, die das am Ende möglich gemacht haben. Ich nenne nur einige der Mecklenburger Seite. Dort haben 50 Gemeinden schriftlich vereinbart, dass sie eine Pro-Kopf-Umlage erheben und damit die Klagen bis zum Schluss durchziehen. Auch Gemeinden, die gar nicht direkt betroffen waren, haben gesagt: Es hilft uns, wir sind eine Urlaubsregion um die Müritz herum, das darf uns nicht passieren. - Sie haben diesen langen Klageweg gemeinsam finanziert. Die kleine Stadt Rheinsberg hat immer mal wieder 10 000, 20 000, 30 000 Euro für diese Klagen bereitstellen müssen. Ich hätte auch lieber eine Kita damit renoviert oder irgendetwas anderes damit gemacht.
Nachdem es jahrelang immer wieder auch Zweifel am Einfluss von Bürgern auf die sogenannte große Politik gab, ob man denn gegen die Bundesrepublik gewinnen könne, ist dieser große Erfolg auch ein Erfolg für den Rechtsstaat, in dem wir heute leben. Ich habe das so empfunden, und viele Bürger der Region haben das am Ende auch so gewertet. Das kann man nicht hoch genug loben. Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, bürgerliche Rechte haben die Demonstrationen überhaupt erst ermöglicht.
Was mich auch sehr beeindruckt hat: Unabhängige Richter haben die Argumente abgewogen und bewertet. Ich war bei fast allen Gerichtsverhandlungen zugegen. Ich bin kein Jurist. Aber es war für mich aufregend, mitzuerleben, wie Richter den Anwälten des Bundesverteidigungsministeriums aber so etwas von genau gesagt haben, was sie alles falsch machten. Ich habe mich manchmal gefragt: Wo sind wir eigentlich? Es war toll. Der Rechtsstaat hat in dem Fall funktioniert