Protokoll der Sitzung vom 17.12.2009

Aber, Herr Wichmann, Sie hätten vielleicht doch einmal mit den Kollegen Ihrer Fraktion Rücksprache halten sollen, wie wir und worüber wir in der vorangegangenen Wahlperiode intensiv diskutiert haben.

(Wichmann [CDU]: Ich bin im Gespräch!)

Das Thema Kinderschutz war wirklich das Hauptthema, leider.

Leider musste es das Hauptthema sein, weil es viel zu viele Fälle gab, die in puncto Kindesverwahrlosung, Kindesmisshandlung, Kindestötung öffentlich geworden sind. Es war nicht nur ein Fall, es waren viele Fälle. Jeder Fall war anders gelagert. Jeder Fall musste auch anders betrachtet werden.

Ich erinnere mich an unzählige Diskussionen und Anhörungen auch im Fachausschuss und an die Betroffenheit und die Hilflosigkeit, die man manchmal in diesem Haus gespürt hat.

Wir haben in der letzten Wahlperiode unglaublich viel auf den Weg gebracht. Insofern sind einige Punkte, die Sie in Ihrem Antrag formulieren, längst erledigt. Das läuft.

(Beifall des Abgeordneten Jürgens [DIE LINKE])

Insbesondere der erste Punkt, verbindliche Standards in puncto präventiver Arbeit, Qualifikation. Wann spricht man von Kindesgefährdung? Wie ist sie definiert? Das alles ist in Form von Empfehlungen - in Zusammenarbeit mit allen Experten - sofort zu Papier gebracht worden. Danach wird in aller Regel auch in den Jugendämtern gearbeitet.

Was mich allerdings etwas irritiert, ist Ihr Auftritt heute und auch Ihre Pressemitteilung in der „MAZ“ vom heutigen Tag. Sie suggerieren den Brandenburgerinnen und Brandenburgern, das Kinderschutzgesetz sei Ihre Erfindung. Ich weiß gar nicht, wie Sie darauf kommen. Die CDU hat davon nichts in ihrem Wahlprogramm.

(Beifall des Abgeordneten Jürgens [DIE LINKE])

Ich darf aber deutlich sagen: Wir, die Sozialdemokraten, haben ein Kindergesundheits- und Kinderschutzgesetz in unserem Wahlprogramm. Dieses Thema ist auch Thema in der Koalition.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Wir haben das in der Koalition vereinbart. Diese Illusion muss ich Ihnen nehmen: Es ist nicht Ihre Idee. Die Koalition behandelt dieses Thema sowieso. Nur muss man das Thema Kinderschutz nun vom Kopf auf die Füße stellen; denn Sie haben es jetzt leider auf den Kopf gestellt. Es ist für mich unverständlich und der falsche Ansatz, über den Kinderschutz bei den strukturellen Fragen beginnend zu diskutieren. Das tun Sie nämlich. Sie wollen erst einmal nur Strukturen schaffen: Kinderschutzbeauftragter, Gremium zwischen Kommune und Ministerium, Kinderausschuss, also nur Strukturen.

Unser Ansatz ist ein anderer. Das war er übrigens auch in der vorhergehenden Wahlperiode. Wir diskutieren zuerst fachlich und inhaltlich - insofern unser Entschließungsantrag. All die Punkte, die wir in der letzten Wahlperiode auf den Weg gebracht haben, werden wir evaluieren und fachlich sowie inhalt

lich betrachten. Wir werden neue Ziele formulieren und dann überlegen, wie diese Vorgaben und Ziele umgesetzt werden können und welche Strukturen dafür erforderlich sind. Daraus ergibt sich dann - das ist unser Ziel - ein neues Kindergesundheits- und Kinderschutzgesetz. Das ist unsere Herangehensweise, und da lassen wir uns auch gar nicht aus der Bahn bringen.

(Beifall DIE LINKE)

Natürlich sprechen auch wir mit Experten, Herr Wichmann. Die Fachleute sagen mir derzeit: Um Himmels willen, nur kein aufgeblähtes System. - Wir brauchen Netzwerke für den Kinderschutz. Es gibt zwar viele, aber sie müssen noch besser werden. Denn noch immer ist festzustellen, dass es nicht nur innerhalb der Jugendhilfe eine mangelnde Kommunikation gibt, sondern auch außerhalb. Man sagt weiterhin, die persönliche Kommunikation der Akteure vor Ort sei nach wie vor das A und O. Pädiater haben mir in den letzten Wochen gesagt, dass man gerade im medizinischen Versorgungssystem die Kinderschutzkompetenz verbessern müsse. Hier erkennen Experten noch Defizite. Das werden wir uns nicht in Ruhe, allerdings sehr gründlich anschauen. Wir werden Experten anhören und zu gegebener Zeit, wenn der Wissensstand so ist, wie er sein soll, mit einem entsprechenden Gesetz reagieren. Kinderschutz bleibt auch weiterhin Thema. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Herzlichen Dank, Frau Lehmann. - Das Wort erhält der Abgeordnete Büttner.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jedes Mal, wenn die entsprechenden Bilder von Kindern, denen Gewalt angetan wurde, die missbraucht oder ermordet wurden, durch die Medien gehen, geht verständlicherweise eine Welle der Empörung durch das Land. Das auch deshalb, weil die allermeisten Eltern nichts lieber tun, als sich um das Wohl ihrer Kinder zu kümmern. Diesen Eltern, die mit viel Liebe und Geduld ihren Kindern helfen, den richtigen Weg in dieser Gesellschaft zu finden, gebührt unser tiefster Dank.

Dennoch wollen wir ein Gesetz zum Schutz des Kindeswohls auf den Weg bringen, weil wir sehen, dass einige Eltern ihre Pflichten nicht erfüllen wollen oder sie nicht erfüllen können. Der Gedanke, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen, ist richtig. Viele traurige Fälle, gerade auch der in der Begründung des Antrags angesprochene Fall aus der Uckermark, bewegen uns dazu, eine weitergehende gesetzliche Regelung zu treffen. Wir befinden uns hierbei in einer sehr komplizierten und sehr komplexen Situation. Wir haben einen Weg zu finden, wie wir einerseits Gewalt gegen Kinder effektiv bekämpfen können, andererseits Eltern aber nicht unter Generalverdacht stellen. Bei der Erarbeitung dieses Gesetzes, in welcher Form es dann auch immer kommen mag, ob durch die eher unwahrscheinliche Zustimmung zu dem Antrag von CDU und GRÜNE/B90 oder wie Sie es gerade angesprochen haben, Frau Lehmann - nach einer Evaluierung, ist dennoch darauf zu achten, dass wir diese notwendige Ausgewogenheit auch hinbekommen.

Wir als Freie Demokraten stimmen dem vorliegenden Antrag von CDU und GRÜNE/B90 in der jetzigen Form zu, jedoch unter der Prämisse, dass bei Vorliegen eines Gesetzentwurfs dieser dann ausführlich in dem zuständigen Ausschuss beraten und eine Expertenanhörung dazu durchgeführt wird. Unser Ziel ist es, mit diesem Gesetz Kindern zu helfen und sie besser zu schützen. Wir wollen kein Gesetz, mit dem nur aktionistisch Vollzugsdefizite übertüncht werden. Wir müssen ein katastrophales Ergebnis des Entwurfs wie beim Kinderschutzgesetz auf der Bundesebene vermeiden, welches zu Beginn dieses Jahres massive Kritik der Berufs- und Sozialverbände bezogen hat. Gerade in einem so sensiblen Bereich wie dem Kinderschutz ist es notwendig, dass wir vernünftige und ausgewogene Regelungen finden. Diejenigen, die diese Regelungen umsetzen müssen, sind in die Diskussion einzubeziehen. Einige Punkte sind uns als FDP dabei besonders wichtig:

Erstens glauben wir, dass bei einem Gesetz, welches die Rechtsgrundlage sein soll, in Familien einzugreifen, die Landesdatenschutzbeauftragte bereits in die Erarbeitung einbezogen werden muss, damit es zu einer tragfähigen Gestaltung des Gesetzes hinsichtlich der Ausgewogenheit zwischen den Erfordernissen des Datenschutzes auf der einen Seite und der tatsächlichen Verbesserung des Kindeswohls auf der anderen Seite kommt.

(Beifall GRÜNE/B90)

Mögliche Datenerhebungen und -übermittlungen sind mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Einklang zu bringen.

Zweitens halten wir den Punkt der Prävention für besonders wichtig. Wir sind der Meinung, dass die Prävention die Maxime unseres Handelns sein muss. Deswegen wird es darauf ankommen, Maßnahmen zu erarbeiten, die den Präventionsgedanken in den Vordergrund stellen.

(Zuruf der Abgeordneten Wöllert [DIE LINKE])

Drittens werden die Jugendämter Dreh- und Angelpunkt allen Handelns sein. Es wird deshalb besonders notwendig sein, dass die Jugendämter auch die personellen und sachlichen Voraussetzungen bekommen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Dazu sind die Kommunen finanziell in die Lage zu versetzen. Wir könnten hier kein Gesetz erarbeiten und verabschieden, welches den Kommunen mehr Kosten auflädt, ohne dass wir einen Weg der Mitfinanzierung finden.

Viertens ist es unser Anliegen, dass wir im Rahmen der Jugendministerkonferenz darauf hinwirken, einheitliche Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendhilfe festzulegen. Wir müssen feststellen, welche Prozesse nicht optimal laufen, strukturelle Mängel identifizieren und Optimierungsmöglichkeiten finden. Außerdem wäre es wichtig, die Forschung zu den Indikatoren, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf eine Kindeswohlgefährdung verweisen, zu intensivieren. Wir wünschen uns, dass wir insgesamt eine wissenschaftliche Begleitung bei der Erarbeitung dieses Gesetzes haben, um im Vorfeld vor dem Hintergrund der Erfahrungen in anderen Ländern wie Rheinland-Pfalz Regelungen zu treffen, die einen möglichst breiten Erfolg haben und die die jeweils erforderlichen Maßnahmen sowie Präventions- und Hilfsstrukturen klar definieren.

Auf den von SPD und von der Fraktion DIE LINKE vorgelegten Entschließungsantrag Bezug nehmend: Sie zählen eine Reihe von Gesetzen und Maßnahmen auf, die wir natürlich nicht abschaffen wollen, die wir aber gebündelt und verbessert in einem Gesetz zusammenfassen wollen. Das erhöht aus unserer Sicht die Rechtssicherheit.

(Beifall CDU)

Wir werden den Schutz und die Gesundheit der Kinder in Brandenburg letztlich nur dann nachhaltig verbessern können, meine Damen und Herren, wenn wir im Landtag einen sachlichen Konsens zwischen allen Fraktionen finden. Auf dieser Basis können wir dann ein solides und handwerklich gut gemachtes Gesetz verabschieden, welches betroffenen Kindern in der Realität auch wirklich Schutz und Hilfe bietet. - Vielen Dank.

(Beifall FDP, CDU und GRÜNE/B90)

Vielen Dank, Herr Büttner, Sie haben ihre Redezeit ordentlich ausgenutzt. - Wir kommen zum Redebeitrag der Fraktion DIE LINKE. Die Abgeordnete Wöllert hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich fange mit dem an, was Sie am Ende Ihrer Rede gesagt haben, Herr Wichmann. Wir wollen kein Nichthandeln erklären. Wir wollen besser handeln, als Sie es uns vorgeschlagen haben. Ich werde Ihnen jetzt erklären, wie wir uns das vorstellen. Da können Sie gespannt sein. Ich kann mich dabei ganz nah auf das beziehen, was Herr Büttner gerade dargelegt hat. Die Frage ist, ob Kinderschutz und Kindeswohl nur die Abwesenheit von Missbrauch, Vernachlässigung und Misshandlung ist.

(Beifall DIE LINKE und SPD)

Das ist genauso wenig so, wie Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit ist. Genau in diesen Konsens wollen wir unsere Überlegungen stellen, indem wir ein Kindergesundheits- und Kinderschutzgesetz in hoher Qualität verabschieden werden, was diesen Ansprüchen gerecht wird. Ich lade Sie alle hier im Parlament ausdrücklich ein, daran mitzuwirken. Denn uns eint ja viel mehr, als uns trennt.

Wir alle wollen die Bedingungen für ein Umfeld schaffen, das unseren Kindern ein wohlbehütetes, gesundes Aufwachsen ermöglicht. Ich meine, dazu können wir unsere Kräfte bündeln. Wenn Sie dabei sein wollen, dann kommen Sie in dieser Legislaturperiode regelmäßig in den Jugendhilfeausschuss. Wenn Sie das vorher getan hätten, dann hätten wir uns schon in den letzten fünf Jahren kennengelernt, Herr Wichmann.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Dort gibt es viele Unterausschüsse. Ich habe Sie weder bei einer Klausurtagung noch bei der großen Veranstaltung zur Kinderarmut der Katja-Ebstein-Stiftung gesehen, noch habe ich jemanden aus Ihrer Fraktion getroffen, als es um das Thema „Sicherheit von Kindern“ - nämlich die Zertifikation der Re

gion für Kindersicherheit durch die WHO in der vergangenen Woche in der Staatskanzlei ging. Auch da stand das Thema „Kindersicherheit“ im Mittelpunkt. Ich lade Sie herzlich ein, kommen Sie dahin. Dann wissen Sie, was wir hier zu tun haben.

Nun komme ich ganz konkret auf Ihre Gesetzesrichtlinie. Sie meinen immer, allein durch Gesetze lebten Kinder sicherer. Das ist aber leider nicht der Fall.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

Den Fall Jennifer hat es trotz entsprechender Gesetze gegeben. Doch was nutzt es, wenn die Gesetze nicht eingehalten werden? Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Wichmann, möchte ich, dass Nachbarn, dass alle Leute darauf achten, ob es Kindern gutgeht. Sie sollen nicht die 110 oder die 112 wählen, wenn sie meinen, es bestehe Gefahr, sondern sie sollen selbst eingreifen. Dazu fordere ich alle auf. Das heißt, Bedingungen für Kindeswohl zu schaffen, und das wollen wir in dieses Gesetz bringen. Deshalb unser Entschließungsantrag. In unserem Entschließungsantrag sind Ihre Gedanken gut aufgehoben. Wir wollen diese Gedanken gar nicht wegdiskutieren, sie können hier mit einfließen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von GRÜNE/B90, ich lade Sie ausdrücklich dazu ein: Lassen Sie uns das bearbeiten. Bereits im Jahr 2006, als wir uns mit diesem Thema beschäftigten, habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass wir uns immer erst dann verständigen, wenn es einen schlimmen Fall gibt. Genau das wollen wir nicht: unser Handeln von schlimmen Fällen abhängig machen. Wir wollen diese schlimmen Fälle verhindern, das ist unser Anliegen. Darauf habe ich hingewiesen. Wir müssen - wie Sie auch sagten - die Lage analysieren. Ich habe das Saarbrücker Memorandum als Beispiel genannt, wo alle Bereiche - Justiz, Bildung, Jugendhilfe und Gesundheit - zusammenkommen und sich insgesamt für das Kindeswohl verantwortlich zeigen.

Liebe Monika Schulz, ich habe mich sehr gefreut, dass heute die UN-Konvention für Kinderrechte eine große Rolle spielte. Ich möchte zitieren, was dort im Artikel 19 steht. Hier sollte die CDU überprüfen, ob sie mit ihrem Antrag nicht viel zu kurz gesprungen ist.

„Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenzufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs zu schützen.“

Ich meine, dies muss Anliegen eines Kindergesundheits- und Kinderschutzgesetzes sein. In den letzten Jahren, seit das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz eingeführt wurde, ist vor Ort auch schon vieles umgesetzt worden. Und, Monika Schulz, wir sind doch gemeinsam im Jugendhilfeausschuss des Landkreises Spree-Neiße und wissen, was dort schon an Kräften gebündelt wurde und dass es dort schon ein Ergebnis gab, das sich sehen lassen kann und angesichts dessen ich sage: Lassen Sie uns einmal nachdenken, worum es gehen kann, wenn man dies einmal analysiert. - Bei uns ist das im Kreis bereits in Ansätzen geschehen.

Frau Abgeordnete Wöllert, Ihre Redezeit ist bereits überschritten.

Dann werde ich es Frau Schulz später persönlich sagen.

Ich lade Sie recht herzlich ein, mit uns gemeinsam zu arbeiten, nicht nur in einem Unterausschuss, sondern fachübergreifend, ministerienübergreifend. Ich meine, dann bringen wir ein gutes Gesetz auf den Weg.