Protokoll der Sitzung vom 27.02.2013

Die meisten jugendlichen Straftäter in Brandenburg verbüßen eine Jugendstrafe, weil sie Gewalt- oder schwere Eigentumsdelikte begangen haben. Wenn Erziehungsmaßregeln, Verwarnungen, Auflagen und Jugendarrest oder auch der Warnschussarrest nicht mehr reichen, um sie auf den richtigen Weg zu führen, muss diese Erkenntnis leider in Jugendstrafanstalten durch Jugendstrafe vermittelt werden. Sie müssen dann befähigt werden, künftig ein Leben in sozialer Verantwortung und ohne Straftaten zu führen. Ich betone: Soziale Verantwortung ist nichts Kuschliges; soziale Verantwortung ist die Einhaltung von Regeln, denen alle hier im Land lebenden Menschen unterworfen sind.

Wir wollen jedenfalls, dass junge Gefangene zu einer Auseinandersetzung mit ihren Taten befähigt werden. Sie müssen begreifen, dass sie den Opfern Schaden zugefügt haben; sie müssen Einsicht in das Leid der Opfer gewinnen und die Fehler ihrer Tat erkennen und anerkennen. Wir brauchen deshalb vor allem besondere Bemühungen beim Täter-Opfer-Ausgleich, bei der Schadenswiedergutmachung, der Konfliktschlichtung, der Entlassungsvorbereitung und auch ein gewisses soziales Training.

Im Rechtsausschuss diskutierten wir unlängst den Entwurf des neuen Strafvollzugsgesetzes, welches die Untersuchungshaft, den Jugendstrafvollzug und den Erwachsenenstrafvollzug neu regelt. Ob der Jugendstrafvollzug in einem einheitlichen Strafvollzugsgesetz normiert werden sollte, ist verfassungsrechtlich umstritten - das hat die Anhörung noch einmal gezeigt. Ich würde es jedenfalls begrüßen, wenn wir mit dem neuen Gesetz einen Beitrag zum Schutz der Allgemeinheit vor Straftätern und auch zum Opferschutz leisten könnten. - Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Eichelbaum. - Wir kommen nunmehr zum Beitrag der Fraktion DIE LINKE. Frau Abgeordnete Mächtig hat das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst herzlichen Dank an die Kol

legen von der FDP-Fraktion für diese Anfrage, weil sie uns allen in Vorbereitung des derzeit laufenden Gesetzgebungsverfahrens tatsächlich noch einmal die Möglichkeit gegeben hat, etwas genauer hinzuschauen, was im Jugendstrafvollzug passiert. Ich finde das deshalb besonders gut, weil es genau die rechtlichen Vorbehalte gibt, von denen Kollege Eichelbaum gerade sprach, die sich darauf beziehen, ob man im Land Brandenburg das Jugendstrafvollzugsgesetz in ein allgemeines Strafvollzugsgesetz integrieren kann.

An den Ergebnissen, die uns dank Ihrer Anfrage vorliegen, wurde auch deutlich, dass das Jugendstrafvollzugsgesetz vom 18.12.2007, für das Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU mit Ihrer Frau Ministerin Blechinger die Verantwortung trugen, ein gutes Fundament für Resozialisierungsmaßnahmen - gerade im Jugendbereich - legt.

Ich finde es erwähnenswert - das erkennt man, wenn man genauer hinschaut -, dass es aufgrund der Umsetzung dieses Jugendstrafvollzugsgesetzes gelungen ist, Jugendlichen die Chance zu geben, selbst zu entscheiden, in welchem Umfang sie sich Resozialisierungsmaßnahmen unterwerfen und diese nutzen, um nach dem Strafvollzug Chancen wahrnehmen zu können.

Nicht jeder kann sich Zeit nehmen, die umfangreiche Antwort zu lesen. Mein Dank gilt dem Ministerium. Gestatten Sie mir deshalb, einige Zahlen zu nennen. Allein die Tatsache, dass wir zwischen 2009 und 2012 einen stetigen Rückgang der Zahl straffälliger Jugendlicher hatten, zeigt: Wir sind auf einem guten Weg. Vielleicht wird es eines Tages möglich sein - so soll unser aller Wille sein -, auf die Jugendstrafvollzugsanstalt in Cottbus zu verzichten, weil es dann weniger jugendliche Straftäter gibt.

Große Sorge - ich teile sie mit meinen Vorrednern - bereitet mir die Anzahl der Abbrüche von Berufsausbildungen im Vergleich zu ihrer Aufnahme. Hier gilt es, Herr Minister, genauer hinzuschauen, was die Ursachen dafür sind, dass nicht alle Jugendlichen, die hinter Mauern eine Berufsausbildung beginnen, diese auch erfolgreich zum Abschluss bringen. Dies scheint mir umso wichtiger, als die Anzahl der Strafgefangenen ohne Berufsabschluss besonders hoch ist.

Liebe Kollegen, können Sie ein bisschen leiser sein? Es fällt mir schwer, Sie reden zu hören und mich auf meine Rede zu konzentrieren.

(Frau Lehmann [SPD]: Entschuldigung!)

- Vielen Dank. - Was die Bildungsabschlüsse angeht, die die Strafgefangenen vor der Haft erworben haben, zeigt sich: Je geringer der Bildungsstand, desto mehr Menschen im Strafvollzug. 2009 hatten 41 % der Insassen im Strafvollzug keinen Bildungsabschluss, 2012 waren es 56 %. Bei Menschen mit allgemeiner Berufsausbildung waren es 2009 59 % und nur 44 % im Jahr 2012; im Bereich der Berufsabschlüsse und Abiturienten sind überhaupt keine Straftäter zu sehen. Das zeigt die Notwendigkeit nicht nur starker Resozialisierungsmaßnahmen, sondern auch von Bildung und Ausbildung vor und hinter den Mauern.

Gestatten Sie mir einige Aussagen zu Fragen der Ausführungen und Ausgänge. Ja, es ist ein Problem, das wir gemeinsam sehen. Dennoch ist festzustellen, dass sich gerade der offene Vollzug verstetigt. 2010 waren es noch 6 %, 2012 schon 23 %.

Frau Abgeordnete Mächtig, lassen Sie eine Frage von Frau Blechinger zu?

Selbstverständlich!

Darf ich Ihre Ausführungen so verstehen, dass Sie unser Anliegen einer verstärkten Jungenförderung in der Schule unterstützen würden?

(Beifall CDU - Och nein! bei der Fraktion DIE LINKE)

Bitte, Frau Abgeordnete! - Sie haben die Frage erlaubt, nun hat es Ihnen die Sprache verschlagen.

Ja, ich bin überrascht, dass meine Kollegin darauf aufmerksam macht. Weil mehr Jungen als Mädchen im Strafvollzug sind, geht sie offenbar davon aus, dass durch stärkere Förderung von Jungen einem Strafvollzug vorgebeugt werden kann. Ich weiß nicht, ob ich einen solchen Zusammenhang herstellen möchte. Ich teile Ihre Auffassung, dass Jungen und Mädchen gleichberechtigt Zugang zu Bildung haben müssen und dass es individuelle Maßnahmen der Förderung geben muss. Ob es Jungen und Mädchen gleichermaßen betrifft oder Jungen im Besonderen, darüber würde ich mit Ihnen gerne bei einer Tasse Kaffee diskutieren.

Gestatten Sie mir, dass ich fortsetze. Ich glaube, dass wir - auch das zeigt die Antwort auf die Anfrage - hinsichtlich der Unterbringung in besonderen Erziehungseinrichtungen oder Übergangseinrichtungen freier Träger Reserven haben. Wir sollten weitere Maßnahmen gerade mit Blick auf Resozialisierung in unserer Gesellschaft durchführen. Waren es 2009 7 %, sind es 2012 immer noch 7 % - mir ist es zu wenig. Ich glaube, dass gerade im Jugendbereich eine Steigerung möglich ist, weil - wir wissen es alle - Resozialisierung damit anfängt, dass man soziale Kontakte hat. Wer sie nicht hat, kann nicht resozialisiert werden.

Gleichzeitig möchte ich darauf aufmerksam machen, dass die Urlaubsgewährung einen Beitrag leistet. Wir haben darüber schon diskutiert, als es um den normalen Strafvollzug ging. Während Urlaubsgewährung 2009 mit 18 % zu Buche schlug, waren es 2012 schon 38 %. Hier gibt es also Kontinuität vom Jugendstrafvollzugsgesetz aus dem Jahr 2007 bis hin zu unserem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf. Ich könnte noch eine Viertelstunde Zahlen nennen, die beweisen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Ich wäre dankbar, wenn die Kollegen der CDU das im Ausschuss bei der gemeinsamen Diskussion des neuen Strafvollzugsgesetzes, das eine Einheit von Jugendstrafvollzug und Strafvollzug beinhaltet, anerkennen würden.

Zur Rolle von Arbeit im Strafvollzug: Ja, darüber müssen wir nachdenken. Aber Arbeit ist kein Allheilmittel für den Strafvollzug, auch nicht für die Resozialisierung.

Um meinen Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften noch einen Hinweis zu geben: Wir müssen darüber diskutieren, warum der Krankenstand in unseren Strafvollzugsanstalten, insbesondere im Verwaltungsdienst und beim Krankenpflegedienst, so hoch ist. Ich kann mir das im Moment nicht erklären, bin aber dankbar für die Frage und damit die Beantwortung durch den Minister. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Mächtig. - Wir kommen zum Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN; Frau Abgeordnete von Halem hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antwort auf die Große Anfrage ist auch aus unserer Sicht aufschlussreich, wirft aber ihrerseits Fragen auf, zum Beispiel zu Behandlungsmaßnahmen, zur Gewalt im Jugendstrafvollzug, zur Besuchspraxis, zum Krankenstand und zur Fortbildung der Bediensteten. All dies greife ich exemplarisch heraus; einige Vorredner haben schon diverse Fragen gestellt.

Erstens wurde nach Evaluationsergebnissen zu Behandlungsmaßnahmen gefragt. Da hält sich die Landesregierung leider bedeckt. Zur Maßnahme „Verantwortung übernehmen - Abschied von Hass und Gewalt“ fällt der recht schwammige Satz:

„Die Evaluationsergebnisse lassen Effekte auf der Verhaltensebene und bei der Legalbewältigung erkennen.“

Das finde ich ein bisschen mau. Man fragt sich, welche Effekte genau festgestellt werden konnten. Ähnlich spärlich finde ich, dass das Training zur Konfliktbewältigung und Mediation durch den Maßnahmenträger selbst ausgewertet wurde. Ähnlich sieht es bei der Evaluation von Entlassungsvorbereitungsund Wiedereingliederungsmaßnahmen aus. Dort wird zum Beispiel erklärt, das Projekt „Wegebau“ sei in den Jahren 2009 bis 2011 durchgeführt und evaluiert worden. Zu den explizit erfragten Ergebnissen der Evaluation findet sich kein Wort. Ich frage mich, ob die Maßnahme 2011 aufgrund einer schlechten Bewertung beendet wurde.

Zweitens bleibt die Landesregierung leider auch eine Antwort auf die Frage schuldig, welche Konsequenzen sie aus Ergebnissen der Studie des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen zieht:

„Der Erkenntniswert … kann aufgrund der noch andauernden Feinauswertung nicht abschließend beurteilt werden.“

Das Justizministerium arbeitete schon intensiv daran, einer „Gewaltausübung unter Jugendstrafgefangenen entgegenzuwirken und ihr von vornherein den Nährboden zu entziehen“.

Welche konkreten Maßnahmen werden dafür umgesetzt? Gibt es konkrete Vorgaben für die Bediensteten? Konkret wird die

Antwort nur bezüglich der Verfolgung von Vorfällen im Wege des Disziplinarrechts und der Erstattung einer Strafanzeige, worüber auch dem Justizministerium detailliert zu berichten sei. Aber das ist mir zu wenig. Wie wird Übergriffen vorgebeugt?

Drittens: Sehr erhellend fand ich die Antwort auf die Fragen, wie die Besuchspraxis von der Landesregierung bewertet werde und wie Angehörigenbesuche gefördert werden. Mir scheint, hier steht nicht das Ziel der Resozialisierung im Mittelpunkt, sondern Anpassung an die Kapazitäten. Noch dazu ist die Aussage: „Die Besuchspraxis entspricht den gesetzlichen Vorgaben; im Rahmen ihrer jeweiligen räumlichen und personellen Möglichkeiten bemühen die Anstalten sich darum, individuellen Besonderheiten und Bedürfnissen Rechnung zu tragen“, keine Bewertung.

Außerdem ist mir aufgefallen, dass in Wriezen Besuch nur samstags und 14-tägig donnerstags empfangen werden kann, wohingegen in Cottbus Besuch an jedem Wochentag möglich ist. Sollte nicht gerade Jugendlichen ein größtmöglicher Kontakt zur Außenwelt ermöglicht werden?

Viertens: Problematisch erscheint uns außerdem der Krankenstand. In den letzten zwei Jahren lag dieser teilweise bei 15 bis 30 %. Auch die Zahlen vom II. Quartal 2012 verheißen nichts Gutes. Dieses Problem gibt es ebenso bei der Polizei. Hier ist eine Konzeption notwendig, wie die Landesregierung diesen Missstand ändern will.

Fünftens: Als Letztes möchte ich auf die Fortbildung der Bediensteten eingehen. Die anstaltsinternen Fortbildungen haben 2012 signifikant abgenommen. Die Gründe hierfür würden mich interessieren. Schließlich war gut ausgebildetes Personal gerade Thema im Rechtsausschuss, im Rahmen der Anhörung zum Justizvollzugsgesetz.

Aber nun will ich dem Minister das Wort überlassen.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Sehr großzügig!)

Das eint mich mit meiner Vorrednerin Frau Mächtig. Vielleicht werden dann einige Fragen gleich beantwortet.

Vielen Dank, Frau von Halem. - Dazu hat jetzt Herr Minister Schöneburg das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einige Fragen werde ich beantworten, einige bleiben offen - oder vielleicht für den Rechtsausschuss -, ich werde das kurz umreißen.

Lassen Sie mich mit einer doppelten Danksagung beginnen. Die erste Danksagung geht an die Diskutanten heute hier. Es war eine sehr produktive Atmosphäre, und das lässt mich auch fraktionsübergreifend optimistisch in den März, April schauen, wenn wir das Justizvollzugsgesetz hier endgültig debattieren.

Die zweite Danksagung geht an die FDP-Fraktion, insbesondere an Frau Teuteberg. Ich glaube schon, dass die Große Anfrage dazu beigetragen hat, sich den umfassenden Blick einer Berichterstattung aus der Sicht meines Hauses zu verschaffen; in

sofern stehe ich der Möglichkeit überhaupt nicht ablehnend gegenüber. Die muss nur über einen größeren Zeitraum laufen; eine Berichtspflicht in der Legislaturperiode vor dem Rechtsausschuss oder vor dem Landtag zu bestimmten Dingen. Denn es zwingt einen dazu, sowohl die positiven Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen, als auch die Schwachstellen in den Blick zu nehmen und die Probleme, die Sie ja zum Teil benannt haben - Frau von Halem gerade in besonderer Konzentration -, zu lösen.

Es ist schon gesagt worden: Ausgangspunkt für das Jugendstrafvollzugsgesetz Brandenburgs, das ja unter Federführung von Frau Blechinger - das muss man hier noch einmal hervorheben - entstanden ist, auch weitestgehend fraktionsübergreifend, war das Bundesverfassungsgericht.

(Beifall CDU)

Im Prinzip fehlte ja nur ein Millimeter, dass die Linke dem Gesetz auch zugestimmt hätte. Ausgangspunkt war natürlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wir hatten bis 2007 keine separaten Jugendstrafvollzugsgesetze in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht hat das expressis verbis eingefordert, und zwar mit konkreten Vorgaben. Die sind hier schon benannt worden, auf vier will ich noch einmal kurz eingehen.