- Fast alle. Richtig, Frau Schulz-Höpfner, fast alle. Ich habe mich jetzt aber auf demografische Dinge bezogen, in der anderen Frage haben Sie Recht.
Wir haben vor drei oder vier Jahren - ich weiß nicht mehr genau, wann es war - in der Europäischen Union ein Symposium gehabt, in dem gezeigt wurde, was in Europa demografisch passieren wird. Es wurde mit deutlicher Betonung gesagt: Es könnte Regionen geben, in denen jede vierte Schule geschlossen werden muss. Es könnte Städte geben, die 10 bis 20 % Bevölkerungsverlust zu beklagen haben - und, und, und; ich will das jetzt nicht alles wiederholen. Wir haben dabeigesessen, haben uns nur angesehen und gesagt: Ach nee, so etwas droht also in den nächsten Jahren in Europa. - Das war eine Zeit, als wir - Sie werden sich erinnern, weil Sie dabei waren und das auch sehr konstruktiv - das Schulsystem längst hatten darauf einstellen müssen, leider verbunden mit der Schließung jeder zweiten Schule. Das war zu Zeiten, als wir in Schwedt, Eisenhüttenstadt, Guben und anderen Städten bereits ein Drittel Einwohnerrückgang nicht nur hatten, sondern teilweise auch bereits verarbeitet hatten.
Ich habe im letzten Sommer mit Kollegen aus anderen Bundesländern, die das auch sehr interessiert hat, einen halben Tag einen Stadtrundgang in Eisenhüttenstadt mit der Stadtarchitektin gemacht, wobei alle Aspekte eines solchen Stadtrückbaus beleuchtet wurden. Diejenigen, die davon noch nicht berührt waren, haben mit großen Augen geguckt, was das für eine Herausforderung ist. Es ist ja nicht nur eine architektonische - Abriss und Rückbau gehören dazu -, sondern die Stadt verändert sich auch unter der Erde, der Charakter der Stadt verändert sich, die Zentralität verändert sich, die Verkehrsflüsse verändern sich. Darauf, dass das so bewältigt wurde, können wir auch stolz
Wir haben 30 historische Stadtkerne - da wird jetzt einer fragen: Was hat das mit Demografie zu tun? - inzwischen wieder hervorragend in Schuss. Denn das erst ermöglicht, dass die Kernstädte weiterleben können, weil sie attraktiv für Bewohner, für Handel und Gewerbe, für das Handwerk geworden sind und dazu eine hohe Lebensqualität ermöglichen.
Wir haben den öffentlichen Personennahverkehr in den letzten 20 Jahren an vielen Stellen Stück für Stück umgestellt. Das waren herbe Einschnitte. Wer erinnert sich nicht noch an die 90er und den Anfang der 2000er-Jahre, wo es um manche Bahnhöfe ging, die nicht mehr zu halten waren? Aber da ist das Gros der Arbeit getan, und wir haben heute an vielen Stellen einen sehr gut funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr - trotz der demografischen Herausforderung.
Wir haben die Regionalen Wachstumskerne eingeführt; da waren Sie übrigens dabei. Wir haben damals in der Begründung gesagt: Auch das ist eine Reaktion - prophylaktisch - auf die demografische Herausforderung, um ein Gerüst im Land zu haben, ein Gerüst, das dieses Land am Ende hält, trägt und stabilisiert. Wir haben uns über viele Jahre bemüht, den Haushalt zu konsolidieren - natürlich auch mit Blick auf die demografischen Herausforderungen -, weil wir weniger Menschen werden und dadurch weniger Geld bekommen. Deshalb haben wir uns frühzeitig finanziell darauf eingestellt, mit dem Geld auszukommen. Wir gehören zu den wenigen Bundesländern, die ab 2014 geplant keine neuen Schulden mehr aufnehmen wollen.
Wir haben eine heiß umstrittene Personalbedarfsplanung aufgelegt, die ganz genau auf diese demografischen Herausforderungen schon präventiv reagiert. Das gefällt vielen nicht, das ist völlig klar, aber sie ist genau eine Reaktion auf das, was passiert.
Wir haben unseren Krankenhausplan darauf ausgerichtet, wie die Bevölkerungsstruktur in 5, 10, 15 und 20 Jahren sein wird. Wir haben ein Fachkräfteportal eingerichtet, weil wir wissen, dass wir Fachkräfte brauchen werden. Wir wollen sie anwerben. Wir wollen auch Rückkehrer, deshalb unterstützen wir entsprechende Initiativen. Wir wollen den Rückkehrern Mut machen, wir unterstützen sie, und wir hoffen, dass diese Initiativen sich weiter ausbreiten.
Alles das, Herr Schierack, sind Dinge, die ganz eng mit der demografischen Entwicklung zusammenhängen. Machen Sie von mir aus daraus einen Masterplan, aber wichtig ist, dass jeder mitdenkt - jeder Fachbereich, jedes Ministerium, jeder Bereich -: Was ist für eine Herausforderung da, wie machen wir es? Und ich denke: Wir stehen da wahrlich nicht schlecht da.
Meine Damen und Herren, wir haben eine Demografiekommission für die Grundschulversorgung im ländlichen Raum eingerichtet, um ab 2020 auch da möglichst auf der sicheren Seite zu sein und nicht erst reagieren zu müssen. Wir haben mit Gemeindeschwestermodellen, Telemedizin und anderen Dingen auf eine älter werdende, weniger werdende und multimorbider werdende Bevölkerung zu reagieren begonnen. Ich freue
mich auch sehr, dass neulich eine FDP-Staatssekretärin beim Besuch eines medizinischen Versorgungszentrums in einem Krankenhaus gesagt hat: Das ist eine ganz tolle Idee. - Und als ihr gesagt wurde „Früher hieß das Poliklinik!“, hat sie gesagt: Dann nennt es doch so!
Auch das sind doch Dinge, die wieder zurückkommen, aber auch Reaktionen auf die demografische Entwicklung sind. Denn wo kein niedergelassener Arzt mehr ist, gibt es auch keine Konkurrenz, da braucht die Kassenärztliche Vereinigung nicht zu protestieren.
Die Krankenhäuser beginnen mit Stipendien für Medizinstudenten, um sie anzuwerben. Sie bezahlen ihnen ein Teil des Studiums. Das ist auch eine Reaktion auf die demografische Herausforderung.
Herr Schierack oder Herr Büttner - ich weiß nicht wer es gesagt hat -: Natürlich ist es nur ein ganz kleiner Beitrag, wenn Auszeichnungen aktiven Bürgervereinen oder -verbänden verliehen werden, die sich zur Demografie etwas einfallen lassen. Aber ich habe jetzt schon gemerkt, dass dieses Demografieprojekt des Monats durch die Auszeichnung Öffentlichkeit erfährt und dadurch für andere nachnutzbar wird. Das ist der tiefere Sinn, und ich finde, das hat durchaus seinen Platz.
Meine Damen und Herren, wir werden uns in den nächsten Jahren sehr viel einfallen lassen müssen, um die Frage beantworten zu müssen, wie ein würdiger Übergang ins Alter passieren kann. Frau Nonnemacher hat den beruflichen Aspekt erwähnt. Der Innenminister ist dabei, mit Gewerkschaften auch darüber zu reden, wie Altersübergänge im öffentlichen Dienst passieren können, genau in dem Sinn, wie Sie es sagen: Viele Leute wollen noch arbeiten, können aber nicht mehr alles machen.
Wir müssen mit starren Systemen aufhören und stattdessen gleitende Übergänge schaffen. Diese sind übrigens auch für die Seelenlage des Menschen viel angenehmer als 100 % bis zum Stichtag zu arbeiten und dann gar nicht mehr; da haben wir noch viel Luft.
Wir müssen auch viele neue Ideen haben für Wohnformen im Alter. Die normale „Fruchtfolge“ - zu Hause wohnen, dann Altersheim, dann Pflegeheim - wird nicht mehr ausreichen. Das wird weder bezahlbar sein, noch ist es menschengerecht.
Wir brauchen Regeln, die verhindern, dass eine Wohngemeinschaft von sechs älteren Leuten schon unter die Heimverordnung fällt. Das wird nicht praktikabel sein, wir müssen andere Wege suchen.
Viele gute Initiativen vor Ort wurden erwähnt, aber wir merken bei fast allen - mehrere Redner haben es angeführt -, dass wir an Grenzen und Regeln, auf Gesetze und Verordnungen stoßen. Diese hatten in einer dichter werdenden Gesellschaft alle einen Sinn. Man muss Regeln aufstellen, wenn Leute dicht beieinander wohnen, wenn das Tempo höher wird. Wenn es aber ruhiger wird, wenn in ausgedünnten Gegenden weniger Menschen leben, muss man von dieser Regeldichte manches zurücknehmen
sonst funktioniert das Zusammenleben nicht mehr. Wenn der vorhin erwähnte KombiBus mittlerweile mit mehreren Dutzend Ausnahmeregelungen fährt, müssen wir in zwei Jahren - wenn das Modell ausläuft - so weit sein, dass wir die Ausnahme zur Regel machen, indem wir sagen: Der darf fahren - weil er erfolgreich fährt! Über diese Dinge müssen wir nachdenken.
Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass wir heute über dieses Thema sprechen, weil es jedes Nachdenken lohnt. Wir stehen in Brandenburg vor einer Herausforderung - Herr Schierack hat sie kurz berührt -, die kein anderes ostdeutsches Bundesland hat: Wir haben - anders als Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen - eine Monozentralität. Bis zum Jahr 2030 versammelt sich ungefähr die Hälfte unserer Wohnbevölkerung in „Rufweite“ Berlins. Daraus ergeben sich ganz andere Notwendigkeiten bei Schulbau, Kita-Bau, Verkehrsinfrastruktur usw. Die andere Hälfte der Bevölkerung hat 85 % der Landesfläche für sich. Das klingt zunächst nicht schlecht; man hat viel Platz und stört niemanden. Aber beiden Hälften das Gefühl zu vermitteln: Ihr lebt im gleichen Land, beides ist Brandenburg, beides bietet wenigstens ähnliche Lebensqualität, Herausforderungen und Herangehensweisen - das wird unsere gemeinsame Aufgabe sein. Ich freue mich darauf, weil ich glaube, dass wir diese Fragen in den letzten 20 Jahren gut bewältigt haben. Wir werden auch die nächsten 20 Jahre gut hinkriegen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie sagte ein ehemaliger Bildungsminister jüngst bei einer Anhörung in diesem Haus: Der demografische Wandel fand 1990 in den Krankenhäusern statt. - Recht hat er. Sechs Jahre später landete der demografische Wandel in unseren Schulen und wir hatten nur noch fast halb so viele Schüler wie vorher. Die Landesregierung - ich erinnere daran - hat schon damals gehandelt. Sie hat dies nicht von oben herab getan, sondern unter Einbeziehung von Lehrern, Eltern, Schülern, Politikern, Schulträgern und Gewerkschaften Kriterien künftiger Schulstandorte für die Sekundarstufe I aufgestellt.
Wir haben die „Kleine Grundschule“ eingeführt; genau deshalb können Oberschulen in Grundzentren im ländlichen Raum heute mit zwei mal 15 Schülerinnen und Schülern eine 7. Klasse einrichten. Alle Bemühungen waren und sind darauf gerichtet, möglichst viele Schulstandorte zu erhalten. Wenn wir die Kriterien aber vor Ort im konkreten Fall angewandt haben und es aus diesen Gründen zu Schulschließungen kam, war in der Regel die Reaktion nicht: Endlich! Gut, dass die Landesregierung entschlossen handelt! - Nein, dann sah die Bewältigung der demografischen Entwicklung anders aus. Egal, ob Landrat, Bürgermeister oder örtlicher CDU-Abgeordneter - im konkreten Fall hat man diese konsequente und vorausschauende Initiative nicht, wie hier gerade, gefordert, sondern man hat dagegen protestiert. Das ist einfach; schwieriger ist es, selbst zu
handeln. Und noch viel schwieriger ist es - das haben wir heute bei der CDU gesehen -, Vorschläge zu machen.
Die CDU hat zwar diese Aktuelle Stunde beantragt, aber ich dachte, es würde mehr Inhalt kommen, mehr Substanz, konkretere Beispiele. Demografischer Wandel ist nichts Allgemeines, sondern findet immer konkret, vor Ort, statt. Dort muss man Probleme und Konflikte aushalten.
Ich weiß, wie weh das tut. Obwohl ich aus dem Speckgürtel komme, musste ich in den 90er Jahren als Stadtverordneter meine Hand für die Schließung der Schule heben, auf die ich zehn Jahre lang gegangen bin. Es fordert ehrenamtlichen Kreistagsabgeordneten bei der Schulentwicklungsplanung einiges ab, die Schließung einer funktionierenden Schule mit genügend Schülerinnen und Schülern zugunsten der Stärkung einer anderen Schule zu empfehlen; sonst hätten möglicherweise beide keinen Bestand. Das erfordert Mut und Weitsicht.
Wir müssen den demografischen Wandel nach eigenen Möglichkeiten gestalten. Dabei muss jeder Verantwortung wahrnehmen, egal wo in Brandenburg er gewählt ist. Einfacher ist es, mit dem Finger nach Potsdam zu zeigen; das tun leider einige und erwarten Hilfe von oben. Ich hatte heute den Eindruck, dass CDU und FDP auf eine Planwirtschaft warten.
Aber die nächste Herausforderung steht vor der Tür. Wir haben eine - wieder sehr breit aufgestellte - Kommission gegründet, um das „demografische Echo“, das in den nächsten fünf bis zehn Jahren in unsere Grundschulen kommt, zu bewältigen. Wieder wird es Maßnahmen geben, die uns zunächst das Grauen in den Nacken treiben. Manches wird mit Schule, wie wir sie kennen, nichts mehr zu tun haben: Reiselehrer, Schulfilialen ohne eigene Leitung, Blockunterricht, Teleunterricht, Kooperation mit weiterführenden oder anderen Grundschulen. Bei all diesen Maßnahmen kommt es darauf an, dass man sie umsetzt und klug kombiniert. Wenn aber - ich habe Zahlen genannt - trotz solcher Maßnahmen Qualität und Vielfalt am Standort X nicht ausreichen und es zu einer Schließung kommen muss, dann zeigt sich ganz konkret, wie ernst Politiker in Land wie Kommune, wie ernst alle Menschen, die Verantwortung tragen, den demografischen Wandel nehmen - und die Bewältigung der Probleme, die er mit sich bringt. Dafür wünsche ich uns allen viel Mut und Rückgrat.
Während die Abgeordnete Große für die Linksfraktion ans Mikrofon tritt, begrüße ich unsere Gäste: Schülerinnen und Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums, meiner ehemaligen Oberschule in Fürstenwalde.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin einer Meinung mit allen, die heute gesagt haben: Wir müssen die demografische Entwicklung als Chance begreifen. - Das können wir auch, denn sie kommt nicht wie ein Tsunami über uns, auch nicht so schnell wie der Geburtenknick nach der Wende, dessen Folgen wir noch deutlich zu spüren bekommen werden. Was wir wirklich brauchen, sind neue Antworten, frische Ideen. Das kann nicht von oben verordnet werden, sondern die Ideen müssen von unten wachsen.
Herr Büttner, ich wundere mich ein wenig, dass Sie von „Mut“ gesprochen haben. Sie hat doch der Mut ganz und gar verlassen! Sie wollten Schulämter abschaffen, äußern sich jetzt aber zugunsten des Schulamts in Eberswalde, weil das in Ihrem Beritt ist. Überlegen Sie, was Sie wirklich wollen!
Ich möchte alle diejenigen einladen, die sich - genau das passiert vor Ort - Gedanken über eine wirklich andere Willkommenskultur für Rückkehrerinnen und Rückkehrer gemacht haben.
Willkommenskultur bedeutet mehr als nur ein Programm, das wir hier beschließen. Das hat etwas mit Schule zu tun, mit Bindungen, die in Schulen erzeugt werden. In dieser Hinsicht passiert schon ganz viel: In der Stadt Kremmen hat man sich vor zwei Wochen zusammengesetzt und überlegt, was man angesichts des demografischen Wandels mit den zwei Grundschulen und der einen weiterführenden Schule machen kann. Man ist auf die Idee eines Schulverbunds gekommen. In Templin hat man Praktikantinnen im Lehramtsstudium kostenlos in einer Pension untergebracht, damit sie merken, wie schön Templin ist, und vielleicht in der Stadt bleiben. In Bergfelde gibt es einen wunderbaren Hort, der jetzt schon als Begegnungsstätte für Senioren und Kinder eingerichtet ist; er könnte mühelos zu einem Seniorenheim umgebaut werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns verständigen, ob wir einen Grundkonsens hinbekommen: Wollen wir künftig, was den Bildungsbereich betrifft, Schulzentren haben, wie Schweden, wie Island, die Kinder somit auch in Internaten unterbringen und längere Wege finanzieren? Oder möchten wir das Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ beibehalten? Ich bin sehr dafür, dass wir dieses Prinzip beibehalten und uns Gedanken darüber machen, wie wir das gewährleisten können.