Protokoll der Sitzung vom 25.04.2013

(Beifall FDP, B90/GRÜNE und vereinzelt DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, ich begrüße als unsere Gäste Vertreterinnen und Vertreter der marokkanischen Assoziation „Jugend für Jugend“, die zurzeit bei der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Gast ist. Herzlich willkommen im Landtag zu Brandenburg!

(Allgemeiner Beifall)

Wir setzen die Debatte mit dem Beitrag der Landesregierung fort. Innenminister Woidke spricht zu uns.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Land Brandenburg haben die Bürger seit Beginn des Jahres 2010 das Recht, ihre Landrätin oder ihren Landrat direkt zu wählen. Bisher sind sieben solche Direktwahlen erfolgt. Damit hat erst in der Hälfte der 14 Brandenburger Landkreise eine Direktwahl eines Landrates oder einer Landrätin stattgefunden. Bereits diese Tatsache legt nahe, dass es heute zu früh ist, eine Schlussfolgerung zu ziehen oder gar etwaige Gesetzesänderungen zu diskutieren.

Seit 2010 werden die Landrätinnen und Landräte nach dem Wahlverfahren direkt gewählt, das seit 1993 - darauf sind einige Vorredner eingegangen - auch für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in diesem Land gilt. Bisher ist in Brandenburg bei noch keiner Bürgermeisterwahl dieses Zustimmungsquorum von 15 %, das hier heute in Rede steht, verfehlt worden. Dem gegenüber erreichten bei sechs von insgesamt sieben Landratswahlen kein Kandidat und keine Kandidatin das zur Wahl notwendige Zustimmungsquorum von mindestens 15 %.

Sinn und Zweck dieses Quorums ist die Gewährleistung einer hinreichenden demokratischen Legitimation der Gewählten. Es dürfte hier auch unstreitig sein, dass die Direktwahl die demokratische Legitimation der oder des Gewählten grundsätzlich zu stärken vermag. Allerdings dürfte das nur unter der Voraussetzung gelten, dass es eine ausreichende Wahlbeteiligung gibt. Somit sichert das Zustimmungsquorum das Ziel der Direktwahl, die demokratische Legitimation der Gewählten zu befördern. Darüber hinaus gewährleistet das Zustimmungsquorum, dass jede gewählte Landrätin und jeder gewählte Landrat auch erheblichen Rückhalt bei den Bürgerinnen und Bürgern besitzt, die eben nicht zu den regelmäßigen Wählern ihrer Partei oder Wählergruppe gehören müssen.

Ebenso wie bei der mittelbaren Wahl durch den Kreistag bedarf der Wahlerfolg einer breiten Zustimmung jenseits der eigenen Partei und jenseits der eigenen Wählergruppe. Auch deshalb spricht vieles dafür, dieses Zustimmungsquorum nicht vorschnell preiszugeben.

Die Wahlbeteiligung bei den bisherigen sieben unmittelbaren Landratswahlen im Land Brandenburg schwankte bei den Hauptwahlen im ersten Wahlgang zwischen 22,6 % im Landkreis Barnim und 37,6 % in der Uckermark. An den Stichwahlen im zweiten Wahlgang nahmen zwischen 20,4 % der Wahlberechtigten des Landkreises Barnim und 29,1 % der Wahlberechtigten des Landkreises Uckermark teil. Die Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahlen ist regelmäßig deutlich höher. Dies hat wiederholt Zweifel am Interesse der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger an der Direktwahl der Landräte laut werden lassen.

Aber auch in diesem Zusammenhang empfiehlt es sich meines Erachtens, die weitere Entwicklung abzuwarten. Hierfür spricht gerade auch, dass die bisherigen sieben unmittelbaren Landratswahlen bemerkenswerte Besonderheiten aufwiesen, sodass generalisierende Schlussfolgerungen verfrüht erscheinen. So sank beispielsweise die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl im Landkreis Uckermark gegenüber dem ersten Wahlgang um 8,5 %. Dem gegenüber sank die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl im Landkreis Elbe-Elster nur um 0,5 %. Das zeigt, dass wir in den Landkreisen sehr unterschiedliche Bedingungen vorfinden.

Diese erheblichen Differenzen legen den Schluss nahe, dass die Wahlabstinenz auch eine bewusste politische und demokratische Wahlentscheidung einzelner Wählerinnen und Wähler beispielsweise auch gegen die zur Stichwahl angetretenen Kandidatinnen und Kandidaten - sein könnte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das geltende Wahlverfahren hat sich zumindest bei den Direktwahlen der Bürgermeister in der Wahlpraxis des Landes Brandenburg bewährt das ist unstreitig. Bezüglich der Landräte erscheint eine Bewertung des Wahlverfahrens auf der Grundlage von nur sieben durchgeführten Einzelwahlen heute verfrüht. Vielleicht bedarf es einer längeren Anlaufzeit, bis die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Wahlrecht bei unmittelbaren Landratswahlen rege Gebrauch machen. Letztlich dürfte die Beteiligung an Wahlen der Landrätinnen und Landräte über die Akzeptanz und den Fortbestand der Direktwahl in Brandenburg entscheiden. Aber dies, meine Damen und Herren, ist keine Frage, über die wir in dieser Wahlperiode entscheiden sollten. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das Wort erhält noch einmal die SPD-Fraktion. Der Abgeordnete Schippel spricht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns im Grundsatz einig: Demokratie, einmal ganz leicht übersetzt, heißt, dass die Mehrheit entscheidet. Wir reden normalerweise von der Mehrheit der Wahlberechtigten. Die Frage ist: Was machen wir, wenn uns diese Mehrheit der Wahlberechtigten - aus welchen Gründen auch immer - verweigert wird?

Müssen wir dann nicht ein Mindestmaß an demokratischer Legitimation absichern? Ich glaube, dies ist unsere Verpflichtung, damit die Gewählten - aber auch die Wähler - wissen: Da ist ein Prozess dann doch noch demokratisch zustande gekommen. - Einzig und allein diesem Ziel dient das Quorum.

In Zusammenhang mit der Wahl in Teltow-Fläming wurde auf Korruptionsvorwürfe und Ähnliches eingegangen. Es gab eine besondere Situation und das hat die Wahlbeteiligung entsprechend gedrückt. Wenn man es rein logisch betrachtet, hätte dann die einzig erfolgreiche Direktwahl eines Landrats nicht stattfinden können, denn auch im Landkreis OberspreewaldLausitz gab es eine außergewöhnliche Situation: Diese Wahl kam zustande, weil ein CDU-Landrat im Zusammenhang mit Kinderpornografie zurücktreten musste, also die Bürger sensibilisiert waren. Trotzdem lag auch dort die Wahlbeteiligung unter 30 %.

(Zurufe aus der CDU: Wo ist da der Zusammenhang?)

- Ich kann verstehen, dass Sie diesen Zusammenhang nicht herstellen wollen - es ist aber so. Es gab zwei herausragende Dinge. Die Korruption wurde hier als außergewöhnliches Ereignis angesprochen, und darauf beziehe ich mich.

Jetzt sage ich auch Folgendes: Wenn hier von dem SPD-Kandidaten die Rede war, Prof. Schierack, dann sage ich, dass man, wenn man unter dem Eichelbaum sitzt, nicht mit Kastanien werfen soll.

(Starke Heiterkeit und Beifall SPD - Zuruf: Der war gut!)

Auch da ist ja ein Verfahren anhängig. Ich lasse diese Polemik aber jetzt beiseite, denn das bringt uns nichts.

(Frau Schier [CDU]: Du hast es aber gerade gemacht!)

- Ja, ja, man muss auch irgendwann einmal auf Vorwürfe antworten können. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen! So ist das im Leben.

(Frau Melior [SPD]: Genau! - Beifall SPD)

Wir haben es bei der Landratswahl mit einem Phänomen zu tun, das wir auch im Rahmen der Enquetekommission festgestellt haben: dass die Landkreisebene nämlich schon relativ weit vom Interesse des Bürgers entfernt ist - logischerweise, weil der Landrat zu 80 % Verwaltungsbehörde ist und zu 20 % eventuell noch politische Entscheidungen trifft. Dass das nicht gut ist, wissen wir. Es ist auch Aufgabe, daran zu arbeiten. Aber im Ergebnis ist es tatsächlich so. Fragen Sie doch heute einen Bürger, wer der Landrat ist. Wer der Bürgermeister ist, wissen alle, aber wer der Landrat ist, die wenigsten.

(Frau Stark [SPD]: Das stimmt! - Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Das glaube ich! Das liegt aber am Landrat!)

Insofern stimme ich mit Ihnen, Herr Prof. Schierack, überein wie auch mit Frau Nonnemacher. Die Wurzel des Übels all dieser Diskussionen ist die Wahlbeteiligung. Wir täten alle gut daran, Mittel zu finden, die Wahlbeteiligung den Leuten nicht aufzuzwingen, aber ihr Interesse zu wecken und sie dazu zu bewegen, zur Wahl zu gehen. Da kann ich Ihre Vorschläge, Frau Nonnemacher, durchaus erwägen: Lasst uns überlegen, inwieweit wir Wahltermine zusammenlegen.

Herr Schippel, es besteht der Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen.

Bitte.

Herr Schippel, Sie reden davon, wie wichtig es sei, Wahlbeteiligung zu erhöhen. Sind Sie der Meinung, dass es ein probates Mittel zur Erhöhung der Wahlbeteiligung ist, wenn man diejenigen, die sich an der Wahl beteiligt haben, damit bestraft, dass man ihre Stimmen für null und nichtig erklärt?

Zum einen ist das keine Strafe, sondern ein Vorgang. Ansonsten würde man auch alle die bestrafen, die zum Wahlergebnis eine andere Meinung vertreten oder jemand anders gewählt haben. Die werden ja auch nicht bestraft.

(Beifall SPD)

Vielmehr wäre doch interessant, dass genau die Bürger, die hingehen und sagen „Ich möchte mein demokratisches Recht wahrnehmen“, die anderen mitziehen und dass wir als Parteien das Unsere dazu tun. Der Vorschlag von Frau Nonnemacher an der Stelle ist doch nicht schlecht. Das Problem ist nur: Dann müssen wir auch über die Frage der Amtszeit nachdenken; an der Stelle sind wir uns dann auch einig.

(Frau Nonnemacher [B90/GRÜNE]: 5 Jahre!)

Von der Sache her und auch bezüglich der Ursache sind wir uns einig: Die mangelnde Wahlbeteiligung provoziert diese Diskussion, und daran sollten wir letzten Endes arbeiten.

Was ich ganz persönlich bei direkt gewählten Kandidaten speziell bei Landräten, die ja in hohem Maße Verwaltungsaufgaben wahrnehmen -, empfinde, ist, dass der Landrat im Zweifelsfall nicht seiner Beamtenrolle gerecht wird, wenn es schwierig wird, und sich aus politischen Prozessen zurückzieht und sagt: „Ich bin ja direkt gewählt. Was wollt ihr? Ich muss mich nicht entscheiden, ich gucke nur nach Gesetzen!“ - Wir alle wissen, dass Gesetze unterschiedlich auslegbar sind, ohne dass man sich bei einer bestimmten Art von Auslegung gleich in den Konflikt des Gesetzesbruchs begibt.

Ich rede jetzt einmal von meinem Landrat, dem einzigen direkt gewählten, der, als die Mehrheit des Kreistages beschloss, das Asylbewerberleistungsgesetz an der Stelle zu verändern, zweimal gegen das Votum des Landkreises vorgegangen ist. Ich glaube, das wäre einem durch den Kreistag gewählten Landrat nicht passiert, denn der hat schon Mehrheiten in seinen Entscheidungen zu beachten. Der kann sich nicht auf die Position zurückziehen: „Mir kann nichts passieren.“ Insofern glaube ich letzten Endes, dass zutrifft, was der Innenminister und auch

Prof. Schierack gesagt haben: Es ist zu früh, eine Gesamtbeurteilung zu treffen. Wir sollten sehen, wo das hingeht. Aber die Grundrichtung für mich ist die demokratische Legitimation durch ein Quorum; sie ist einer entsprechenden Wahl durch den Wähler zumindest gleichberechtigt. Die Ergebnisse zeigen, dass Landräte oft zu weit weg sind vom Bürger, als dass man sagen könnte: Dann ist diese Direktwahl unbedingt erforderlich. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD)

Während Herr Bretz zu einer Kurzintervention ans Rednerpult tritt, begrüße ich die nächste Gruppe der Teilnehmer des Zukunftstages in Brandenburg. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Manches im politischen Alltag tut weh.

(Görke [DIE LINKE]: Das stimmt!)

Manches tut in besonderer Weise weh, nämlich genau dann, wenn mit solchen Mitteln, Herr Kollege Schippel, mit denen Sie hier gerade zugange gewesen sind, argumentiert wird.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, meinen Kollegen Danny Eichelbaum, den Sie gerade in Ihrem Redebeitrag namentlich erwähnt und in einen nicht angemessenen Zusammenhang gestellt haben, zu verteidigen.

(Beifall CDU - Widerspruch bei der SPD - Holzschuher [SPD]: Kastanien!)

Ich will Ihnen das in aller Kürze begründen.

(Jürgens [DIE LINKE]: Er hat von Pflanzen gesprochen!)

Richtig ist, Herr Kollege Jürgens - hören Sie doch einfach mal zu! -, dass gegen meinen Kollegen Danny Eichelbaum eine anonyme Anzeige eingegangen ist, die ihm im Kern vorwirft, sein Lebensmittelpunkt sei nicht Jüterbog.