Protokoll der Sitzung vom 25.04.2013

(Eichelbaum [CDU]: Straftat!)

müsse man dem Prinzip der Freiheitsorientierung folgen und einen Sicherungsverwahrten auch ab und zu unter Begleitung in die Freiheit bringen.

Was ist eigentlich ein Rückfall? Auch der Diebstahl von Waren in einem Kaufhaus, die nicht Mundraub sind, wäre ein Rückfall. Bei der Definition von Rückfall ist es nämlich nicht so, dass nur die schweren Straftaten gemeint sind, für die derjenige seine Strafe verbüßt hat, sondern gemeint sind sämtliche Straftaten, also im Grunde genommen auch, wenn er - schlecht überwacht - in der Sicherungsverwahrung das Internet nutzt und einen Download vollzieht, der nicht legal ist. Das wäre auch ein Rückfall.

Da bin ich beim nächsten Punkt: Herr Eichelbaum, es ist auch so, dass es sich nicht um Straftäter handelt, vor denen wir die Bevölkerung schützen, sondern es handelt sich um Menschen, die ihre Strafe verbüßt haben, ihre Haftzeit hinter sich haben und lediglich die Prognose einer besonderen Gefährlichkeit bekommen haben. Es handelt sich also um potenzielle Straftäter. Das ist das Problem in dieser Rechtskonstruktion: Für diejenigen, die in der Sicherungsverwahrung sind, ist die Chance, als nicht gefährlich eingestuft zu sein, irgendwann einmal ziemlich gering, weswegen übrigens hier im Brandenburger Landtag am 21. Februar - Sie waren dabei - einer der Anzuhörenden darauf hingewiesen hat, dass es besser wäre, wenn unser Bundesgesetzgeber den Zeitraum der Sicherungsverwahrung auf ein Maximum von vielleicht zehn Jahren festlegen würde und dass da unbedingter Handlungsbedarf bestehe.

Eigentlich waren wir uns darüber einig. Insofern bin ich über Ihre Rede heute ziemlich überrascht; ich dachte, wir hätten den Prozess der parlamentarischen Auseinandersetzung schon geführt.

Ich muss sagen, dass ich mit dem Gesetz, das wir hier vorliegen haben, sehr zufrieden bin. Die Bedenken, die zum Thema Sicherheit vorgetragen wurden, auch vom Bund der Strafvollzugsbediensteten etwa, dass man die Sicherungsverwahrten in der Freiheit vielleicht nicht so begleiten könne, dass sie genügend beaufsichtigt sind, wurden auch aufgehoben.

Wir hatten noch dazu das Problem, dass man in dem Trakt, der in Brandenburg an der Havel vorgesehen ist, einmal für acht Sicherungsverwahrte, auf der anderen Seite für zehn Sicherungsverwahrte, die Zelle zuschließen kann. Andere Länder haben es so gelöst, dass man nachts grundsätzlich schließt. Hier ist es eine Kannbestimmung.

Dann gab es eine Frage zur Sicherheit innerhalb der Sicherungsverwahrung, auch zur Sicherheit der Bediensteten; das hat man in der Anhörung auch gelöst. Wir haben einiges zum Datenschutz geregelt. Und wir haben - Linda Teuteberg sagte es, ich finde es auch sehr gut - eine Berichtspflicht eingeführt, die uns ermöglicht, das Thema regelmäßig zu debattieren und nicht nur im Rahmen einer engeren Evaluation, sondern im parlamentarischen Prozess weiter an dem Gesetz zu feilen.

Nichtsdestotrotz sehe auch ich hier eine zu geringe Ausstattung mit Personal. Dabei geht es immer um zwei Themen, einmal die Sicherheit nach außen und einmal die innerhalb der Anstalt an sich. Insofern muss man auch für die Sicherheit derjenigen, die im Vollzugsdienst arbeiten, genügend Personal zur Verfügung stellen und nicht nur für die Therapieangebote, die natürlich auch viel Personal brauchen.

Wir haben im Verfahren immer wieder darauf hingewiesen, dass eigentlich das Trennungsgebot besteht, das heißt, Strafgefangene müssen getrennt von Sicherungsverwahrten untergebracht werden. Aber die Sicherungsverwahrten können sehr wohl an Maßnahmen zusammen mit den Strafgefangenen teilnehmen. Insofern ist es ein ganz guter Synergieeffekt, dass wir in der JVA Brandenburg an der Havel diese Einrichtung ausbauen bzw. errichten.

Ich danke den Mitgliedern aller Fraktionen für die konstruktive Zusammenarbeit. Zugleich begrüße ich es, dass auch in der heutigen Debatte auf Folgendes hingewiesen worden ist - insbesondere Linda Teuteberg hat es gesagt -: Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Gesetz Akzeptanz findet und nicht gegen die - unbedingt auszubauenden - Hilfsangebote für Opfer ausgespielt wird. Es darf nicht sein, dass Opfer ihre Therapien selbst bezahlen müssen, während Menschen in der Sicherungsverwahrung und im Strafvollzug für die Therapien ein Entgelt bekommen. Das ist ein Problem, das deutlich sichtbar auf dem Tisch liegt. Obwohl man darüber an anderer Stelle diskutieren muss: Es ist sehr wichtig, das Problem im Auge zu behalten. Danke.

(Beifall B90/GRÜNE sowie der Abgeordneten Teuteberg [FDP])

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Niels. - Für die Landesregierung wird Herr Minister Dr. Schöneburg die Aussprache fortsetzen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal danke ich herzlich Frau Mächtig und Frau Niels, denn deren fundierte Ausführungen ersparen es mir, mich mit den Halbwahrheiten und Unterstellungen von Herrn Eichelbaum auseinanderzusetzen. Daher kann ich an dieser Stelle etwas Grundsätzliches sagen.

Das Justizvollzugsgesetz, über das wir gestern gesprochen haben, steht übrigens in Verbindung mit dem Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz, das heute auf der Tagesordnung steht. Letzteres schließt - auch in seiner Struktur - daran an. Deswegen ist es erst zeitversetzt zum Justizvollzugsgesetz in den Landtag gekommen.

Herr Kuhnert hat gestern ausgeführt, das Justizvollzugsgesetz bedeute einen Systemwechsel; so habe ich es auch heute in der Zeitung nachlesen können. Ich würde es gar nicht so zugespitzt formulieren, sondern festhalten: Das Justizvollzugsgesetz steht in Kontinuität zu dem Strafvollzugsgesetz von 1977 und baut bestimmte Linien weiter aus. Wenn Sie den Entwurf heute annehmen, kommt es auf dem Feld der Sicherungsverwahrung tatsächlich zu einem Paradigmenwechsel, dessen Bedeutung

man nur dann richtig erfassen kann, wenn man einen Blick zurückwirft.

Da heute im Bundestag über das NPD-Verbot debattiert wird und wir im Zusammenhang mit dem NSU-Verfahren intensiv über Rechtsradikalismus in unserer Gesellschaft reden, weise ich darauf hin, dass die Sicherungsverwahrung im November 1933 vom NS-Gesetzgeber durch das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ eingeführt wurde. Es war zwar vorher schon diskutiert, aber nicht eingeführt worden, weil man rechtsstaatliche Bedenken hatte. Diese sind vom NS-Gesetzgeber hinweggefegt worden.

In der Dissertation der Leiterin der Gedenkstätte Brandenburg, Sylvia de Pasquale, über den Strafvollzug im Zuchthaus Brandenburg von 1920 bis 1945 kann man sehr gut nachlesen, wie die Maßregel der Sicherung und Besserung - man hat zweispurig gedacht - in der NS-Zeit in Brandenburg vollzogen wurde. Eine lange Passage widmet sich der Sicherungsverwahrung.

Man sollte zur Kenntnis nehmen, dass in der NS-Zeit Sicherungsverwahrte als „Parasiten am Volkskörper“ und „unverbesserliche asoziale Elemente“ betrachtet wurden. Entsprechend dieser Diktion wurden sie in Brandenburg an der Havel behandelt, obwohl die Analyse der Akten ergeben hat, dass die Sicherungsverwahrten gar nicht so hochgefährliche Straftäter waren. Zum Teil waren Kleinstkriminelle darunter, 5 % waren als Homosexuelle verurteilt worden, 75 % wegen Diebstahls, Raubes oder Hehlerei, die restlichen 20 % wegen Betruges oder ähnlicher Delikte, zum Beispiel Urkundenfälschung. Sie wurden wie Zuchthäusler behandelt, nachdem sie ihre Strafe abgesessen hatten, die nach der Tatschwere und der Tatschuld bemessen worden war. Alle drei Monate hatten sie die Möglichkeit, Besuch zu empfangen, einmal im Monat durften sie ihren Angehörigen schreiben. Es wurde angeordnet, dass die Sicherheitsbestimmungen ihnen gegenüber noch schärfer, noch radikaler angewandt wurden. 1937 hat der Anstaltsleiter zusammen mit dem Anstaltsarzt festgestellt, dass die Sicherungsverwahrten sich angeblich nicht für eine Wiedereingliederung eigneten und bis zu ihrem Lebensende in Sicherungsverwahrung bleiben müssten.

Daneben haben die NS-Herrscher an Sicherungsverwahrten Sterilisations- und Ernährungsversuche vorgenommen. Später, ab 1942, wurden 70 bis 80 % von ihnen im Rahmen der „Asozialen-Aktion“, quasi durch Arbeit vernichtet, das heißt, sie wurden in Konzentrationslager überstellt und dort ermordet.

Nach 1945

(Zurufe von der CDU: Jetzt wird es ja spannend!)

- ja, jetzt wird es sehr spannend - sind solche Versuche natürlich nicht mehr durchgeführt worden. Wir haben schon in der gestrigen Debatte verdeutlicht, dass nach dem Grundgesetz die Menschenwürde garantiert ist. Aber der Vollzug der Sicherungsverwahrung wie eine Strafe hat sich nicht geändert. Sicherungsverwahrte sind wie Zuchthäusler bzw. - nach Abschaffung der Zuchthausstrafe - wie Gefangene untergebracht worden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 17. Dezember 2009 interveniert und entschieden: Es ist menschenrechtswidrig, wenn Sicherungsverwahrte, die ihre Strafe abgesessen haben, wie Strafgefangene untergebracht werden.

Es war übrigens der große hessische Generalstaatsanwalt, Sozialdemokrat und Antifaschist Fritz Bauer, der schon 1957 feststellte, dass die Sicherungsverwahrung in dieser Form letztlich ein Etikettenschwindel sei, da sie wie eine Strafe vollstreckt werde. Er ging sogar so weit, in Anlehnung an Gustav Radbruch davon zu sprechen, dass die Sicherungsverwahrung, wie sie in der Bundesrepublik vollzogen werde, „gesetzliches Unrecht“ darstelle. Klaus Lüderssen, ein über jeden Verdacht erhabener Strafrechtsprofessor aus Frankfurt am Main, hat noch vor wenigen Jahren gesagt, dass diese Maßregel durch ihre Nähe zur NS-Gesetzgebung im Kern vergiftet sei.

Mit dem neuen Gesetz stellen wir sicher, dass es tatsächlich eine Maßregel der Besserung und Sicherung - die Betonung liegt auf „Besserung“ - ist. Wir setzen um, was das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte uns ins Stammbuch geschrieben haben: Wir organisieren einen freiheits- und therapieorientierten Sicherungsverwahrungsvollzug, der einerseits die berechtigten Sicherheitsinteressen der Gesellschaft berücksichtigt und andererseits die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens beachtet. Es gilt die Basisaussage, dass auch Sicherungsverwahrte Träger von Grundund Menschenrechten sind. Das bringen wir wieder in die richtige Balance.

Insofern bin ich in gewisser Weise froh - sogar stolz -, dass die Brandenburger Landesregierung, aber auch der Brandenburger Landtag seit 2009 in der Debatte über die Sicherungsverwahrung genau mit dieser Zielrichtung argumentiert, gearbeitet und Initiativen auf den Weg gebracht haben. Wir haben uns an den Diskussionen bundesweit und auf Landesebene aktiv beteiligt.

Unser Ansatz steht im Gegensatz zu dem, was ab 1933 in Brandenburg gemacht und mit einer gewissen Kontinuität nach 1945 fortgesetzt wurde. Wir setzen dem ein Gegenbeispiel entgegen. Die neue Sicherungsverwahrungsvollzugsanstalt, die wir in Brandenburg an der Havel bauen, bietet die Möglichkeit, therapeutische Angebote wahrzunehmen. Die Mittel für das in der Sicherungsverwahrung tätige Personal sind übrigens schon in den Haushaltsverhandlungen berücksichtigt worden. Mir ist überhaupt nicht bange, dass wir es zur Verfügung stellen können.

Wir sind auch gezwungen, schon während des Strafvollzugs passgenaue Therapien anzubieten. Geschieht dies nicht, hat der Sicherungsverwahrte Anspruch darauf, dass seine Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt wird. Wir sind also verpflichtet und werden berechtigt in die Pflicht genommen, tätig zu werden.

Ich bin froh, dass Brandenburg einen solchen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht hat und dass wir den Sicherungsverwahrungsvollzug, für den wir zuständig sind, zur Deckung mit den Menschenrechten und dem Verfassungsrecht bringen. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD und von Minister Dr. Markov)

Vielen Dank, Herr Minister Dr. Schöneburg. - Wir sind in der Situation, dass der Minister seine Redezeit um 2 Minuten und 50 Sekunden überschritten hat. Gibt es bei den Fraktionen noch Redebedarf? - Das ist nicht der Fall. Damit sind wir am Ende der Debatte angelangt und kommen zur Schlussabstimmung.

Erstens liegt Ihnen der Änderungsantrag der CDU-Fraktion vor, Drucksache 5/7198. Beantragt werden die Anfügung eines Satzes an § 40 Abs. 2, die Streichung eines Wortes in § 55 Abs. 2 Satz 1, die Änderung von § 60 Abs. 1, die Streichung von § 62 Abs. 1 Satz 3, die Änderung von § 74 und die Streichung zweier Wörter in § 75 Abs. 1. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen? - Stimmenthaltungen sehe ich nicht. Dieser Änderungsantrag ist mit deutlicher Mehrheit abgelehnt worden.

Wir kommen nun zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum Brandenburgischen Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz, Drucksache 5/7135. Wer dieser Beschlussempfehlung Folge leisten möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Stimmenthaltungen? - Stimmenthaltungen sehe ich nicht. Das Gesetz ist mit deutlicher Mehrheit verabschiedet worden.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Damit schließe ich Tagesordnungspunkt 3 und rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Zweites Gesetz zur Änderung der Wahlkreiseinteilung für die Wahl zum Landtag Brandenburg (2.Wahlkreis- änderungsgesetz - 2.WKÄndG)

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD der Fraktion DIE LINKE der Fraktion der CDU der Fraktion der FDP der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/6992

2. Lesung

Beschlussempfehlung und Bericht des Hauptausschusses

Drucksache 5/7178

Es wurde vereinbart, hierzu keine Debatte zu führen. Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses, Drucksache 5/7178, Folge leisten möchte, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit wurde der Beschlussempfehlung einstimmig gefolgt, und das Gesetz ist verabschiedet.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 4 und rufe Tagesordnungspunkt 5 auf:

Politik von Rot-Rot erschwert wirtschaftliche Entwicklung im Land Brandenburg - Die Märkische Wirtschaft darf nicht für die verfehlte Politik der Landesregierung in Haftung genommen werden!

Antrag der Fraktion der FDP

Drucksache 5/7168

Die Aussprache wird mit dem Beitrag der einbringenden Fraktion, der Fraktion der FDP, eröffnet. Frau Abgeordnete Vogdt hat das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Kammern im Land Brandenburg haben bereits im vergangenen Jahr auf diesen nicht tolerierbaren Missstand hingewiesen. Meine Kleine Anfrage hat letztlich die wahren Dimensionen zutage gefördert: Das Land Brandenburg, die rot-rote Landesregierung verzichtet in hohem Maße auf Finanzmittel des Bundes. Sie lässt die Unternehmen und damit all die Mittelständler im Regen stehen, die in Brandenburg investieren wollen und damit einen Beitrag für Arbeitsplätze und Wachstum in Brandenburg leisten wollen. Und das in einer Situation, in der - Sie wissen es alle, das ist absehbar - ohnehin die Mittel im Land immer weniger werden. Hierbei wird der Verzicht auf Bundesmittel seitens der Regierungskoalition folgendermaßen begründet:

„Die Landesregierung sieht es für die Zukunft des Landes als unverzichtbar an, sowohl die Haushaltskonsolidierung als auch die bislang erfolgreiche Wirtschafts- und Sozialpolitik fortzuführen.“