Auch hier muss für das Thema Alphabetisierung geworben und die Wirtschaft als Partner einbezogen werden, um so entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen konzipieren und organisieren zu können; denn Unternehmen sind mit Sicherheit daran interessiert, dass ihre Angestellten lesen und schreiben können und vor allem auch in der Arbeitswelt Chancen haben - Chancen, die sie erreicht haben und dann auch in die Realität umsetzen können.
Betroffenen muss geholfen werden, da sonst ein Teufelskreis entstehen kann. Wenn Eltern ihren Kindern nicht vorlesen oder ihnen bei Hausaufgaben nicht helfen können, ist die Gefahr relativ hoch, dass ihre Kinder die gleichen Probleme bekommen werden.
Wir haben Ihnen, meine Damen und Herren, diesen Antrag aus dem besten Gewissen heraus vorgelegt, weil wir uns um dieses Thema kümmern wollen und weil wir erkennen, dass es ein gesellschaftliches Problem ist, das deutlich größer ist, als es bisher in der gesamten Republik - in jedem Bundesland, im Bund insgesamt - diskutiert wurde. Insofern bitten wir ausdrücklich um Zustimmung. - Vielen Dank.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 7,5 Millionen Analphabetinnen und Analphabeten in unserem Land - für ein modernes Deutschland eigentlich ein völlig unhaltbarer, unvorstellbarer Zustand und trotzdem Alltäglichkeit.
Die Wahrscheinlichkeit, dass wir alle einen Analphabeten bzw. eine Analphabetin kennen, ist statistisch gesehen relativ hoch. Genauso wahrscheinlich ist es, dass niemand von uns weiß, wer es ist; denn Analphabetismus findet in der Tat meist im Verborgenen statt. Ich würde sogar sagen: Dies ist eines der letzten Tabuthemen in unserer Gesellschaft.
Meist ist Analphabetismus aber auch nur ein Symptom, dass ganz grundlegende Fähigkeiten und Kenntnisse entweder nicht ausreichend erworben oder nicht genutzt werden und dadurch wieder verloren gegangen sind. Daher wird das Problem auch viel umfassender unter dem Stichwort „Grundbildung“ einge
reiht. Diese dient dem Erwerb grundlegender Kompetenzen für die eigenständige Gestaltung des Lebens, für Teilhabe und aktives Handeln in der Gesellschaft.
Ich bin der FDP dankbar, dass sie offenbar den vor uns liegenden Internationalen Alphabetisierungstag der UNESCO am 8. September dazu nutzt, dieses Thema wieder einmal ins Licht zu rücken.
Nicht dankbar bin ich allerdings für das, was Sie konkret aufgeschrieben haben. Sie tun so, als wäre Grundbildung ein völlig unentdecktes Land. Sie fordern zum Beispiel, die Kultusministerkonferenz möge für dieses Thema sensibilisiert werden. Das dürfte bei der Kultusministerkonferenz Kopfschütteln und Belustigung auslösen, denn sie hat bereits im Februar 2011 zusammen mit dem Bundesbildungsministerium und weiteren Akteuren - auch dem von Ihnen genannten Verband - eine nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener beschlossen. Und nicht nur die Strategie, auch das anschließende Förderprogramm für die Jahre 2012 bis 2015 widmet sich der von Ihnen zu Recht geforderten arbeitsplatzorientierten Alphabetisierung und Grundbildung.
Meine Redezeit reicht nicht, um alle diesbezüglichen Aktivitäten in Brandenburg zu nennen. Unsere Sprachförderung in den Kitas ist bekannt; danach muss man gleich den Volkshochschulverband mit seinen angeschlossen Volkshochschulen nennen und ihm danken: Allein in den Jahren 2011 und 2012 haben über 900 Menschen an den Grundbildungskursen der Volkshochschule teilgenommen. Am LISUM organisiert die zuständige Fachstelle „Alphabetisierung und Grundbildung für Erwachsene“ genau die geforderte wichtige Weiterbildung für Multiplikatoren, zum Beispiel Mitarbeiter in Jobcentern oder Lehrer. Sie entwickelt und vertreibt Materialien und Curricula zur Grundbildung, unterstützt Tagungen, Projekte und Vernetzung. Es gibt ein Online-Lernportal; auf dem Brandenburger Bildungsserver werden Sie viele Angebote zum Thema Grundbildung finden.
Herr Günther, ist Ihnen bewusst, dass wir durch mangelhafte Förderung von Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche weitere Analphabeten ausbilden?
Man kann immer alles mit allem verbinden und relativ leicht solche Thesen aufstellen. Für solche Zusammenhänge gibt es Annahmen, aber keine Belege. Die Frage ist: Tun wir genug für Grundbildung und Alphabetisierung? - Dazu habe ich ausgeführt und möchte es weiterhin tun.
Es gibt eine Öffentlichkeitskampagne des Bundes; sie wird hier unterstützt. Im Bildungsministerium gibt es zu diesem Thema eine Ausstellung mit Plakaten von Gymnasiasten aus Jüterbog. Wer sagt, dass das alles gut und wichtig ist, aber noch nicht reicht, dem möchte ich ausdrücklich zustimmen.
Abschließend möchte ich aus einer Pressemitteilung der FDPBundestagsfraktion vom Februar 2012 vortragen:
„Die Herausforderung Alphabetisierung lässt sich nur meistern, wenn die Kommunen, die Länder und der Bund gemeinsam dauerhaft und nachhaltig im Bildungsbereich zusammenwirken können. (…) Wir begrüßen deshalb die Forderung des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung e. V. nach einer Aufhebung des Kooperationsverbotes im Bildungsbereich.“
„Eine verlässliche Infrastruktur für die nationale Aufgabe Alphabetisierung zu schaffen und zu sichern ist aufgrund der ausschließlichen Möglichkeit der Projektförderung schwierig.“
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Analphabetismus wird oft nur am Rande behandelt; es steht nicht im Zentrum bildungspolitischer Debatten. Deshalb bin ich der FDP dankbar, dass sie das Thema hier angestoßen hat. Ich habe meine erste Erfahrung mit diesem Thema gemacht, als ich das Buch „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink gelesen habe. Es hat mich wegen des Analphabetismus, aber auch literarisch total in seinen Bann gezogen und mir damals ein Stück weit die Augen geöffnet.
Ich erinnere mich aber auch an viele Aufklärungsspots. In einem machte ein Mitarbeiter einen Fehler und sein Chef rastete aus - nicht, weil Unternehmer grundsätzlich böse wären, sondern weil er sich geärgert hat. Er wurde nachher vom sogenannten „Mitwisser“ darauf aufmerksam gemacht, warum der Fehler passierte: weil der Arbeitnehmer nicht lesen konnte und sich nicht traute, das zu sagen. Da liegt tatsächlich das Problem: Viele Betroffene trauen sich nicht, darüber zu sprechen. Deshalb liegt dieses Thema im Schatten.
Seit diesen Spots sind zehn oder mehr Jahre vergangen. Ich habe nachgeschaut, was in der Zwischenzeit passiert ist; einen Teil hat Herr Günther schon genannt: Während der Weltalphabetisierungsdekade liefen auch in Deutschland viele Projekte. Es gab neue Initiativen wie die „leo. - Level-One Studie“ zur Einschätzung und Beurteilung von Lernstufen, es gab lokale Netzwerke, Grundbildung in Betrieben und die Errichtung eines Masterstudiengangs zum Alphabetisierungs- und Grundbildungspädagogen.
In der Einschätzung dieser Dekade lobten Akteure das Bundesbildungsministerium immer wieder als aktiven und loyalen Partner. Kritik gab es allerdings an der KMK, die diese Dekade nur halbherzig unterstützte; daran änderte auch ihr Beschluss vom Dezember 2011 nur wenig. Aber es gab ihn und das zeigt, dass sich die KMK mit diesem Thema befasst hat und für das Thema sensibilisiert ist.
Ich danke der FDP, dass sie dieses Thema aufgerufen hat, um die Alphabetisierung in Brandenburg voranzubringen. Auf der anderen Seite muss ich meinem Kollegen Günther teilweise zustimmen: Ein bisschen habe ich den Eindruck, dass das ein Sammelsurium vieler Maßnahmen ist. Einige davon scheinen weit hergeholt, andere gibt es schon. Über die Diagnosefähigkeit von Lehrkräften haben wir schon x-mal geredet; das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Über die Förderung in der Kita streiten sich die Experten. In der Kita sind die meisten Kinder noch Analphabeten, da können wir also nicht viel machen. Man könnte höchstens noch früher ansetzen und eine pränatale Förderung einleiten. Ich finde diesen Ansatz ein bisschen weit hergeholt. Richtig ist: Wir brauchen eine intensive Sprachförderung - aber auch darüber haben wir hier schon x-mal geredet.
Mir würde es reichen, wenn die Schulen in Brandenburg auf einem Level wären, das sie befähigt, allen Kindern gerecht zu werden, dass die Kinder dort so lesen und schreiben lernen, dass sie es am Ende auch beherrschen. Wir sollten Sorge dafür tragen, nicht mit irgendwelchen ideologischen Methoden Experimente an unseren Kindern durchzuführen - zum Beispiel lautgetreues Schreiben -, wodurch sie ein Leben lang für den Ideologie-Wahnsinn ihrer Eltern bestraft werden. Am Ende sind es die Kinder, die darunter zu leiden haben.
Ich glaube, die Grundbildung muss in den Schulen erfolgen. Wenn wir diese vernünftig ausstatten, sind wir ein ganzes Stück weiter. Ich glaube, das Thema ist gut; der Antrag selbst allerdings erscheint mir - wie gesagt - wie ein Sammelsurium. Deshalb werden wir uns enthalten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Freude meines Kollegen, des Abgeordneten Hoffmann, zitiere ich aus dem Buch „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink:
„Ich las den Gruß und war erfüllt von Freude und Jubel. ‚Sie schreibt, sie schreibt!‘ Was immer ich in all den Jahren über Analphabetismus hatte finden können, hatte ich gelesen. Ich wusste von der Hilflosigkeit bei alltäglichen Lebensvollzügen, beim Finden eines Wegs und einer Adresse oder beim Wählen eines Gerichts im Restaurant, von der Ängstlichkeit, mit der der Analphabet vorgegebenen Mustern und bewährten Routinen folgt, von der Energie, die das Verbergen der Lese- und Schreibunfähigkeit erfordert und vom eigentlichen Leben abzieht. Analphabetismus ist Unmündigkeit. Indem Hanna den Mut gehabt hat, Lesen und Schreiben zu lernen, hatte sie den
Besser kann man es nicht beschreiben. Insofern schließe ich mich an: Danke für das Thema. Wir teilen das Anliegen und auch das Ziel, lieber Kollege Andreas Büttner.
Den Weg dahin können wir aus vielerlei Gründen, die heute schon genannt worden sind, nicht unterstützen. Die Antragsteller haben mit zehn Punkten gleich die ganz große Keule herausgeholt: Masterplan, Aufklärungskampagne usw. Das ist der Tenor Ihres Antrags.
Ich halte das für schwierig. Falls Ihre Partei einer künftigen Bundesregierung wieder angehört, sollten Sie mit uns gemeinsam für die Aufhebung des Kooperationsverbotes kämpfen. Ich hoffe darauf, dass Sie bei einer „Gemeinschaftsaufgabe Bildung“ mitmachen, die Sie bisher ausgebremst haben. Ein Bestandteil dessen wäre die Alphabetisierungskampagne.
Ich möchte nicht noch einmal zu allen Punkten etwas sagen. Aber was die Kitas angeht, so irren Sie sich. Wir haben zwar einen schlechten Schlüssel, aber in Sachen Sprachförderung in der Kita sind wir Vorreiter in der Bundesrepublik.
Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass wir in dieser Legislatur zusätzlich 3 Millionen Euro hineingegeben haben, um die kompensatorische Sprachförderung so zu ändern, dass wir noch bessere Ergebnisse erzielen. Richtig ist in jedem Fall, dass wir damit beginnen müssen.
Auch die Sprachstandsfeststellung kostet uns eine ganze Menge. Wir stellen schon beim Übergang in die Schule fest, inwieweit ein Kind gefördert werden muss. Das geschieht neben der Sprachstandsfeststellung auch durch die Schuleingangsuntersuchung, die der Kinderarzt vornimmt.
Wir haben zu klären, wo Kinder durch das Raster fallen. Ich teile übrigens nicht die Auffassung, dass in erster Linie LRSKinder zu Analphabeten werden, Frau Kollegin Blechinger. Einige Schülerinnen und Schüler schaffen den Abschluss nicht. Unter diesen 8 % werden auch solche sein, die möglicherweise durch das Netz fallen. Das ist ein Punkt, an dem wir aufpassen und sensibel hinschauen müssen.
Eine Zwischenbemerkung: Das Buch „Der Vorleser“ gehört zum Curriculum der weiterführenden Schulen. Die Sensibilisierung erfolgt also auch dort, auch bei den Lehrerinnen und Lehrern.
Letztlich ist das vor allem ein Problem der Erwachsenenbildung. In diesem Bereich beschäftigen sich unterschiedliche Netzwerke damit. Auf die Strategie ist mein Kollege Thomas Günther schon eingegangen. Für die Volkshochschulen haben wir in den Landeshaushalten zusätzlich 300 000 Euro pro Jahr bereitgestellt. Sylvia Lehmann, Präsidentin des Volkshochschulverbandes, hat sich sehr für die Stärkung des Grundbildungsbereichs eingesetzt.
Wir müssen die Menschen finden. Insofern teile ich den Ansatz, der auf Sensibilisierung für das Problem zielt. Kampagnen brauchen wir aber nicht.
Am Ende noch eine Buchempfehlung von meiner Seite. Das schöne Buch „Die hellen Tage“ von Zsuzsa Bánk beschäftigt sich mit dem Problem und beschreibt die gelingende Alphabetisierung einer Sinti-und-Roma-Frau. Liebe Männer in diesem Haus, schenken Sie das Buch Ihren Frauen und Sie machen sie glücklich.