Protokoll der Sitzung vom 02.04.2014

Die anfangs benannte Unverwechselbarkeit unseres Landes und des Brandenburger Weges finden wir auch an verschiedenen Stellen des Abschlussberichts der Enquetekommission wieder. Aber zum Brandenburger Weg darf ich noch eines sagen, was häufig vergessen wird: Letztlich haben über den Weg dieses Landes, nämlich den Brandenburger Weg, nicht Abgeordnete oder irgendwelche Politiker in Hinterzimmern entschieden, sondern die Brandenburgerinnen und Brandenburger, die in Wahlen dieses Parlament gewählt und damit den Weg bestimmt haben, den dieses Land geht. Das gehört auch zur Wahrheit. Und sie haben - im Unterschied zu anderen Bundesländern 1990 beispielsweise so gewählt, dass wir ein Parlament mit fünf demokratischen Parteien hatten. Das hatten andere ostdeutsche Bundesländer in dieser Art und Weise nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute können wir sagen, dass sich unsere parlamentarische Demokratie über 25 Jahre entwickelt und gefestigt hat. Dabei sind wir, glaube ich, alle, wie wir hier im Raum versammelt sind, sehr froh darüber, dass die Anwesenheit Rechtsextremer in diesem Parlament nur eine Episode war und - das füge ich hinzu - hoffentlich auch bleibt.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Sie hat diesem Land nicht nur nichts genützt, sie hat diesem Land in der Außendarstellung geschadet.

Noch etwas kommt hinzu: Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben mit überwältigender Mehrheit eine Landesverfassung angenommen, die etwas ganz Besonderes darstellt. Hier darf ich aus dem Abschlussbericht Seite 133 zitieren:

„Im Ergebnis entstand, so die Einschätzung der Gutachter, die ‚eigenwilligste Landesverfassung‘ der neuen Länder mit dem stärksten Bezug auf das Erbe des Runden Tisches und die verfassungspolitischen Ziele der friedlichen Revolution.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, darauf können wir und die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes nach wie vor sehr stolz sein.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE sowie des Ab- geordneten Vogel B90/GRÜNE)

Ebenfalls unverwechselbar und ebenfalls in dieser Landesverfassung für Brandenburg festgeschrieben ist unser Verhältnis zu unseren polnischen Nachbarinnen und Nachbarn. Das sage ich jetzt als Ministerpräsident, aber natürlich genauso als Beauftragter der Bundesregierung. Die Grenze zwischen Brandenburg und Polen haben wir, Polen und Deutsche, zu einer wirklichen Friedensgrenze gemacht, gerade auch wir Brandenburger. Was an der deutsch-französischen Grenze schon gelungen ist, gelingt nun auch an der deutschen Ostgrenze. Daran, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat Brandenburg ganz entscheidenden Anteil, und darauf können wir stolz sein. Das ist besonders, das ist unverwechselbar, und das ist typisch brandenburgisch.

Noch etwas, was im Bericht der Enquetekommission eher zwischen den Zeilen auftaucht, was aber dennoch gesagt werden muss, ist, dass die Lebensleistung der Brandenburgerinnen und Brandenburger im zurückliegenden - fast - Vierteljahrhundert bemerkenswert und unverwechselbar ist. Wenn Sie sich vor Augen führen, dass 80 % aller Arbeitnehmer seit dem Jahre 1989 mindestens einen neuen Beruf, viele zwei oder drei neue Berufe ergreifen mussten, dann können Sie sich an dieser Zahl schon vorstellen, wie umfassend dieser strukturelle Wandel war und wie groß auch die Belastungen für die Einzelnen - für den einzelnen Arbeitnehmer, aber auch für Familien, Freunde und Anverwandte - und unser gesamtes soziales System waren. Deswegen hier noch einmal einen riesengroßen Respekt vor den Menschen, die dieses geleistet haben.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Ich freue mich aber genauso, dass es mittlerweile seit fast 25 Jahren normal ist, dass Menschen aus anderen Bundesländern in unserem Bundesland wohnen. Ich freue mich, dass Herr Ness hier wohnt - das werden Sie alle nachvollziehen können.

(Heiterkeit)

Ich freue mich aber genauso, Frau Teuteberg, dass Herr Beyer hier wohnt. Ich freue mich auch, dass Herr Büttner hier wohnt und dass Herr Vogel hier wohnt. Herzlich willkommen! Wir freuen uns nach wie vor, dass Sie alle da sind.

(Zurufe)

Ich sage hier noch mal: Diese Unterscheidung bringt uns alle nicht weiter, und diese Gräben zu ziehen ist falsch.

(Beifall SPD und des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜNE])

Heute sind Sie alle Brandenburgerinnen und Brandenburger, ohne Wenn und Aber. Sie haben Ihren Beitrag für unser Gemeinwesen geleistet, und wir werden gemeinsam weiterhin dieses Gemeinwesen gestalten. Ich denke, auch darauf können wir stolz sein, und das funktioniert gut.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Enquetekommission hat uns aber nicht nur vor Augen geführt, was in unserem Land seit 1990 gut gelaufen ist; sie hat uns auch noch einmal ins Stammbuch geschrieben, was versäumt worden ist - und das ist richtig so. Ich halte es für unverzichtbar, dass wir diese Versäumnisse weiterhin so gut, aber auch so schnell wie möglich aufarbeiten. Ich warne aber auch davor, die Arbeit der Enquetekommission, ihren Abschlussbericht, die Handlungsempfehlungen, letztlich die Aufarbeitung von Geschichte nur als Aufarbeitung von Fehlern, Versäumnissen oder Leerstellen zu verstehen oder zu interpretieren. Das wird der Arbeit der Kommission nicht gerecht, und erst recht wird es den Brandenburgerinnen und Brandenburgern nicht gerecht.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Ich weigere mich, unsere Landesgeschichte der zurückliegenden 25 Jahre auf Defizite und kollektives Schweigen zu reduzieren.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE und des Abge- ordneten Vogel [B90/GRÜNE])

Kritik ist berechtigt - das ist wahr -, aber unser Leben besteht nicht allein und in erster Linie aus der Aufarbeitung von Zeitgeschichte, und schon gar nicht allein aus der Aufarbeitung von Aktivitäten der Staatssicherheit und der SED auf Brandenburger Boden. Wir waren und sind ein Land, in dem die Zeit nicht stehengeblieben ist. Parlament, Landesregierung, Justiz, Kommunalpolitik und öffentlicher Dienst sind der Demokratie und dem Rechtsstaat verpflichtet - ohne Wenn und Aber. Die Enquetekommission hat intensiv gearbeitet, der Abschlussbericht liegt auf dem Tisch des Hohen Hauses, und die Frage an uns alle lautet nun: Wie gehen wir mit den Ergebnissen um?

Wir finden im Abschlussbericht einen umfangreichen Teil mit Handlungsempfehlungen. Damit hat sich die Landesregierung bereits beschäftigt und wird es weiter tun. Ich denke dabei insbesondere an ein besonders wichtiges Themenfeld, und das firmiert im Bericht unter Themenfeld II: Wiedergutmachung und nachhaltige Würdigung der Opfer des SED-Regimes. Das ist deshalb von so großer Bedeutung und es besteht deshalb ein so großer Handlungsdruck, weil die Betroffenen überwiegend lebensältere Menschen sind. Die Zeit drängt, zum Beispiel in Bezug auf die geforderte Einrichtung eines Härtefallfonds für ehemals politisch Verfolgte und bezüglich der empfohlenen Förderung von Opferverbänden. Wir haben in diesem Bereich Defizite, wir können mit dem Bundesrecht nicht jedes geschehene Unrecht wiedergutmachen, aber wir müssen versuchen, besser zu werden - das ist der gemeinsame Konsens, den ich auch aus dem Abschlussbericht lesen kann.

Für mich persönlich ist es als damaliger Innenminister eine schwere Belastung gewesen, 80-jährigen Menschen gegenüberzusitzen und von ihnen zu fordern, diese und jene Unterlagen aus dem alten Betrieb aus dem Jahr 1958 oder 1959 beizubringen, weil wir sonst keine rechtliche Grundlage haben, das geschehene Unrecht in Form einer Opferrente zumindest zum Teil wiedergutzumachen. Von einer Wiedergutmachung kann man eigentlich gar nicht reden. Diese Regelung brauchen wir äußerst dringend, denn die Betroffenen warten darauf.

Wir werden natürlich auch die Handlungsempfehlungen in anderen Themenfeldern prüfen. Manches wurde schon in die Tat umgesetzt. Wir werden uns in Summe damit auseinandersetzen und weitere Schlussfolgerungen für die künftige Politik der Landesregierung ziehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Arbeit der Enquetekommission hat in den Medien, in der Politik und nicht zuletzt in der Brandenburger Bevölkerung große Beachtung gefunden. Das Thema hat in unserem Land offenbar einen Nerv getroffen. Die Auseinandersetzung in dieser Form war richtig und wichtig für unser Land. Wir alle können und sollten daraus lernen, und zwar unabhängig davon, ob wir die Entscheidungen der frühen 90er-Jahre heute wieder so treffen würden oder ob wir ihnen aus heutiger Sicht kritisch gegenüberstehen.

Wer die Arbeit der Kommission verfolgt hat, dem bleibt auch die Erkenntnis, dass gerade in der ersten Legislaturperiode in den frühen 90er-Jahren in Brandenburg der politische Handlungs- und Entscheidungsdruck außerordentlich hoch war - höher, als wir es uns heute wahrscheinlich vorstellen können. Der Transformationsprozess war in vollem Gange. Die Menschen hatten Angst um ihre soziale Stellung, und es gab viele weitere Faktoren, die auf die Brandenburgerinnen und Brandenburger

eingewirkt haben, die nicht direkt vom Land beeinflusst werden konnten. Dennoch waren die damaligen Erwartungen gerade an dieses neu gewählte Landesparlament immens hoch. Wenn wir dann sehen, dass sich unser Land seither sehr gut entwickelt hat und die Brandenburgerinnen und Brandenburger mehrheitlich zu diesem unserem Land stehen, dass sie gern hier leben, dass sie sich für Brandenburg aussprechen und einsetzen, bleibt festzustellen: Es wurde in Brandenburg wie in ganz Ostdeutschland damals vieles, wenn nicht sogar das meiste richtig gemacht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Enquetekommission 5/1 hat für unser Land eine wichtige Arbeit geleistet. Dafür noch einmal herzlichen Dank von meiner Seite an alle Beteiligten. - Danke schön.

(Beifall SPD)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Dr. Woidke. Es gibt die Anmeldung einer Kurzintervention. Herr Abgeordneter Dombrowski, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Sorge, ich bleibe genauso friedlich wie vorhin, ich möchte Ihnen, Herr Ministerpräsident, aber sagen: Ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich während der Arbeit der Enquetekommission einmal unterstützend eingelassen hätten. Jetzt nehmen Sie zu Recht - wie ich finde - für uns alle in Anspruch, dass wir ein gemeinsames Werk vorgelegt haben. Aber Ihre Worte muteten in meinen Augen doch ein bisschen befremdlich an. Natürlich war nicht alles schlecht, was wir in den letzten 20 Jahren in Brandenburg gemeinsam zu verantworten hatten. Aber Fakt ist eben auch - das steht in dem Bericht, es ist das Ergebnis und Grundlage für die Handlungsempfehlungen -, dass wir doch erhebliche Defizite hatten. Nun kann man dies als Brandenburger Weg oder was auch immer bezeichnen, aber Versäumnisse bleiben Versäumnisse.

(Beifall CDU)

Dass wir sie erkannt haben und es in allen Fraktionen die Bereitschaft gab, darüber zu befinden und nicht mit dem Blick zurück, sondern mit dem Blick nach vorn die hoffentlich richtigen Empfehlungen zu geben - ich sagte vorhin schon, ich habe keine Zweifel, dass sie umgesetzt werden -, soll keine Entschuldigung dafür sein, dass wir Menschen, die auf Unterstützung gewartet haben, diese doch in weiten Teilen nicht gewährt haben. Ich habe es vorhin ausgeführt.

Herr Ministerpräsident, Ihnen nehme ich es ab, dass Sie Ihren Teil tun werden, diese Empfehlungen zu befördern und umzusetzen, aber ich habe ein ungutes Gefühl, wenn wir so tun, als hätten wir hier in 20 Jahren fast alles richtig gemacht. Dann hätte es dieser Enquetekommission nicht bedurft. Sie war notwendig, um den Menschen Aufmerksamkeit zu geben, die in den 20 Jahren unseres gemeinsamen Tuns in Brandenburg zu wenig Aufmerksamkeit bekamen.

Das zu sagen war mir wichtig. Ich habe ja gesagt, ich bleibe genauso friedlich, wie ich es vorhin war, aber ich möchte daran

appellieren, nicht zu viel zu philosophieren, sondern an die Arbeit zu gehen und uns den Menschen zuzuwenden, die heute auf der Besuchertribüne unsere besonderen Gäste sind. - Danke schön.

(Beifall CDU und B90/GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Dombrowski. Herr Ministerpräsident hat signalisiert, dass er darauf nicht reagieren möchte. Er hat 1,16 Minuten länger gesprochen. Gibt es aufseiten der Fraktionen das Bedürfnis, diese Redezeit zu nutzen? - Damit sind wir am Ende der Aussprache angelangt. Der Abschlussbericht der Enquetekommission 5/1 ist hiermit zur Kenntnis genommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/8815, ohne Titel. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Bei einer Enthaltung ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 3 und rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:

Zehntes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes

Gesetzentwurf der Landesregierung

Drucksache 5/8015

2. Lesung

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres

Drucksache 5/8772

Bevor ich die Aussprache eröffne, begrüße ich ganz herzlich Seniorinnen und Senioren aus den Gemeinden Lindenau, Frauendorf und Schwarzbach. Wir haben das Gefühl, das liegt in der Lausitz. Seien Sie herzlich willkommen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der SPD-Fraktion. Frau Abgeordnete Stark, Sie haben das Wort.