Protokoll der Sitzung vom 27.02.2013

(Genilke [CDU]: Was? Wie unsozial!)

Ich schließe Tagesordnungspunkt 6, und bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt eröffne, begrüße ich ganz herzlich Vertreterinnen des Seniorenbeirates Bernau bei uns. Seien Sie willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Das war wohl eine falsche Ansage. Die sind uns angekündigt, aber Sie sind es nicht. Sie sind uns aber auch herzlich willkommen.

(Vereinzelt Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Kommunale Handlungsfähigkeit sichern - dauerhafte Entschuldung von Kommunen jetzt beginnen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 5/9234

Ich eröffne die Aussprache mit dem Beitrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Abgeordnete Nonnemacher hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher - woher auch immer! Zum Ende dieser Legislaturperiode müssen wir hier ein Thema aufrufen, bei dem die Landesregierung geschlafen hat: Der Entwicklung der Verschuldung unserer Kommunen, insbesondere einiger hochverschuldeter Städte. Vor dem Hintergrund der finanzpolitischen Herausforderungen, der Schuldenbremse, der demografischen Entwicklung dieser Städte und der Empfehlungen der Enquetekommission 5/2 darf dieses Problem nicht länger auf die lange Bank geschoben werden.

(Beifall B90/GRÜNE)

Worum geht es? Während die Verschuldung des Landes in den letzten Jahren quasi konstant gehalten werden konnte, sind die Kassenkredite auf kommunaler Ebene weiter gestiegen. Ende 2012 waren über 80 % der Kommunen verschuldet. Die Gesamthöhe der kommunalen Schulden beträgt über 2 Milliarden Euro. Besonders besorgniserregend ist dabei, dass die Schere zwischen finanziell gut aufgestellten Städten und Gemeinden und hochverschuldeten Städten, die weiter wachsende Kassenkreditbestände aufweisen, sich immer weiter öffnet.

Eigentlich sind diese Tatsachen hinlänglich bekannt. So hat die Enquetekommission Reform der „Kommunal- und Landesverwaltung - bürgernah, effektiv und zukunftsfest - Brandenburg 2020“ im vergangenen Jahr zahlreiche Empfehlungen beschlossen. Innerhalb des der Enquetekommission zur Verfügung stehenden Zeitraums war allerdings der Finanzteil nicht mehr entscheidungsreif bearbeitbar. Der Finanzteil besteht so im Wesentlichen aus einer kurzen Bestandsaufnahme mit einer Zusammenstellung der Finanzlage des Landes und der Kommunen und drei schlagwortartigen Empfehlungen: Teilentschuldung, auskömmliche Anschubfinanzierung im Rahmen einer Gebietsreform für den reformbedingten Mehraufwand und die Sicherung einer aufgabenadäquaten Finanzausstattung.

In einem Minderheitenvotum haben wir, die Bündnisgrünen, zusammen mit unserer externen Sachverständigen, Frau Prof. Gisela Färber, unter anderem auf die Dringlichkeit der Frage des Umgangs mit wachsenden Kassenkrediten hingewiesen. Wegen der Schuldenbremse entwickeln sich diese auch zu einem Problem der Landesebene. Insbesondere haben wir angemahnt, mit Konzepten zur Entschuldung unabhängig von einer Verwaltungs- oder Gebietsreform bzw. deren konkreter Ausgestaltung unverzüglich, also noch in dieser Wahlperiode zu beginnen.

Impulse oder Vorschläge der Landesregierung zu diesen drängenden Themen liegen immer noch nicht vor. Die Landesregierung hat die Arbeitsaufträge der Enquetekommission 5/2 nicht umgesetzt, im Gegenteil: Mit dem Herannahen des Wahlkamp

fes gewinnt man den Eindruck, dass die Landesregierung und die SPD sowie die Linke, aber auch die CDU in diesen Fragen abgetaucht sind und Diskussionen über komplizierte Probleme lieber aus dem Weg gehen wollten.

Wir tauchen nicht ab und haben deshalb unabhängige Fachleute beauftragt, die Situation in Brandenburg auch im Vergleich mit anderen Bundesländern zu analysieren und Wege aus den Kommunalschulden aufzuzeigen. Prof. Holtkamp von der Fernuniversität Hagen und seine Mitarbeiter sind zu bemerkenswerten Ergebnissen und Empfehlungen gekommen, denen sich nicht nur meine Fraktion in großen Teilen anschließen konnte, sondern die auch Grundlage für die weitere Diskussion und weiteres politisches Handeln werden könnten und sollten.

(Beifall B90/GRÜNE)

So hat sich die Gesamtentwicklung der kommunalen Schulden in Brandenburg im Vergleich zu den Vorjahren etwas verbessert. Auch liegen beispielsweise die Kassenkredite in Brandenburg noch unter dem Bundesdurchschnitt. Dennoch ist die Lage sehr ernst. Im Vergleich zum Beispiel zu Sachsen ist die durchschnittliche kommunale Verschuldung in Brandenburg deutlich höher. Besonders eng ist es bei den drei kreisfreien Städten Cottbus, Brandenburg und Frankfurt (Oder) sowie den Städten Eisenhüttenstadt und Forst. Hier konstatieren die Gutachter, dass diese mit Kassenkrediten von über 1 500 Euro pro Einwohner den Haushaltsausgleich aus eigener Kraft nicht mehr schaffen können. Ihnen droht die Vergeblichkeitsfalle. Zudem sehen sie die Gefahr, dass sich die Kassenkreditproblematik auf viele weitere Kommunen in Brandenburg ausdehnen kann. Die Tatsache, dass die am stärksten verschuldeten Städte noch nicht die Spitzenwerte der Problemkommunen in NRW oder Rheinland-Pfalz erreichen, muss als Chance gesehen werden, dass die Kassenkredite mit vertretbarem Aufwand des Landes erfolgreich abgebaut werden können.

Um Eskalationen zu verhindern, die einzelnen Kommunen keinen Weg mehr aus der Schuldenspirale lassen, muss das Land zusammen mit der gesamten kommunalen Familie schnell handeln und sich auch selbst finanziell stärker engagieren, denn wir brauchen starke und finanziell leistungs- und handlungsfähige Kommunen in allen Teilen unseres Landes.

Lassen Sie uns deshalb jetzt handeln. Stimmen Sie unserem Antrag zu, in dem wir als Landtag die Landesregierung auffordern, in Verhandlungen mit den kommunalen Spitzenverbänden Vorschläge für eine Lösung der kommunalen Haushaltsprobleme sowie Vorschläge für eine nachhaltigere Strukturierung des Kommunalfinanzsystems zu entwickeln und dem nächsten Landtag vorzulegen.

Die notwendigen Vorschläge liegen auf dem Tisch: Anschubfinanzierung für eine Verwaltungsstrukturreform, Entschuldungsfonds für hochverschuldete Kommunen, Etablierung eines Frühwarnsystems, Effektivierung der Haushaltsaufsicht und die Unterstützung von Bürgerhaushalten.

Die größte finanzielle Belastung für das Land stellt sicherlich der vorgeschlagene Entschuldungsfonds dar. Hierfür veranschlagt Prof. Holtkamp 120 Millionen Euro pro Jahr aus dem Landeshalt über vier Jahre, also insgesamt 480 Millionen Euro.

Wir halten es für zulässig, einen Entschuldungsfonds aus den Steuermehreinnahmen und Rücklagen des Landes zu bedienen, wenn auch die betroffenen Kommunen einen hinreichenden Konsolidierungsbeitrag leisten. Dieser wird von Prof. Holtkamp auf ca. 70 Euro pro Einwohner pro Jahr geschätzt. Damit tritt keine Überforderung ein und das hat sich in anderen Ländern als praktikabel erwiesen. Zwar handelt es sich um kommunale Schulden, aber die hier eingesetzten Mittel würden unmittelbar zur Schuldentilgung verwandt.

Eine Maßnahme, die nichts kostet, aber sicherlich große Wirkung entfalten würde, ist ein öffentliches Frühwarnsystem zur Bewertung der kommunalen Haushaltslage. Das ermöglicht einen transparenten Vergleich von Haushaltsdaten und damit auch eine Bewertung der kommunalen Haushaltslage für Kommunalpolitikerinnen und -politiker wie auch für die Landesebene. Darauf aufbauend muss auch die Haushaltsaufsicht bessere Eingriffsmöglichkeiten bekommen, wenn sich abzeichnet, dass ein kommunaler Haushalt ins Defizitäre abrutscht. Und wir halten es für sehr wichtig und für die Akzeptanz der zu treffenden Maßnahmen für unerlässlich, die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen. Die Übertragung des Modells des Bürgerhaushalts auf Fragen der Haushaltskonsolidierung halte ich hierbei für einen besonders innovativen Ansatz, den die Landesebene unbedingt unterstützen sollte.

Meine Damen und Herren! Wir Bündnisgrüne flüchten uns auch in Wahlkampfzeiten nicht in Schönwetterthemen. Wir reden nicht nur, sondern legen konkrete Vorschläge und Konzepte auf den Tisch. Im Interesse unseres Landes und seiner Kommunen bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall B90/GRÜNE)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Nonnemacher. - Wir setzen mit dem Beitrag der SPD-Fraktion fort. Herr Abgeordneter Schippel wird sprechen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Ursula Nonnemacher, ich schätze dich als eine der fleißigsten und sachlichsten Abgeordneten in diesem Haus, und das nicht nur wegen der Vielzahl deiner Anträge, sondern auch wegen des Wissens, das dahintersteckt.

(Beifall B90/GRÜNE)

Und angesichts dieses Wissen auch bezüglich der Folgen - ich unterstelle, dass du das hast - konntest du nicht ernsthaft annehmen, dass dieser Antrag von uns angenommen wird, weil: Wir haben zusammen in dieser Enquetekommission gesessen. Du hast zu Recht darauf hingewiesen, dass manches dort noch nicht abgeschlossen ist. Ich denke nur an die Prüfung der Kreisfreiheit der von dir mit genannten am meisten verschuldeten Kommunen. Das hat doch alles Auswirkungen. Wenn ich jetzt mit einem Programm dort anfange, dann wecke ich eventuell Erwartungen, die sich nachher nicht erfüllen lassen, oder ich gebe Träumen Raum, die dann nicht ausgeträumt werden können. Insofern bitte ich dort um Verständnis.

Wir haben mit dieser Enquetekommission im Übrigen ein bemerkenswertes Ergebnis erzielt: Dass vier von den fünf im Landtag vertretenen Fraktionen das Gesamtwerk im Grundsatz mittragen, halte ich für ein beachtenswertes Ergebnis. Ich glaube, wir haben die Weichen richtig gestellt, um in der kommenden Legislaturperiode dem neuen Landtag möglichst schnell eine Vorgabe zu machen, wie er mit den Problemen an der Stelle umgehen sollte.

Und ja, Kollege Büttner - er ist jetzt nicht im Saal -, ich gebe Ihnen Recht: Manchmal muss man auch Koalitionen zum Jagen tragen. Der Einsetzungsbeschluss für diese Enquetekommission kam von der Opposition; ich finde ihn nach wie vor richtig. Was mich aber sehr enttäuscht hat, war der Rückzug einer der großen Fraktionen dieses Hauses aus dem erarbeiteten Ergebnis dieser Enquetekommission.

(Vogel [B90/GRÜNE]: Name!)

- Ich rede da von der CDU. Ich erinnere mich an die Zeit des Wahlkampfes 1999 und der Gemeindegebietsreform 2003 und sehe heute noch die Kollegen von der CDU mit den Schildern „Rettet die kleinen Gemeinden!“ Und dann bin ich anschließend mit dem von mir sehr geschätzten Innenminister Schönbohm und dem Kollegen Petke durchs Land gefahren und musste mir oft anhören - zum Leidwesen von Herrn Schönbohm -, wie ihm Wahlbetrug vorgeworfen wurde.

Ich hoffe, es ergeht Ihnen nicht wieder so. Man kann in der Politik Fehler machen. Aber aus Fehlern sollte man lernen. Wer aus Fehlern nicht lernt, ist entweder nicht auf der Höhe der Zeit oder betrügt bewusst. Wenn ich höre, wie Kollege Wichmann vorgestern wieder angedeutet hat, wir würden eine Zwangsgemeindegebietsreform umsetzen wollen, wovon im Bericht der Enquetekommission überhaupt keine Rede ist, dann muss man sich die Frage gefallen lassen, ob hier nicht wieder bewusst getäuscht wird.

(Beifall DIE LINKE)

Insofern meine herzliche Bitte an die Kollegen der CDU: Begehen Sie den Fehler nicht zweimal, den Leuten zu sagen: Wir haben eigentlich keinen großen Änderungsbedarf, alles soll so bleiben, wie es ist.

Meine Damen und Herren! Es gab in den letzten Tagen schon viele Abschiedsreden. Es ist auch meine letzte Rede nach 20 Jahren. Ich möchte mich bedanken, zunächst einmal bei allen, die hinter den Kulissen und von der Öffentlichkeit unbemerkt diesen Parlamentsbetrieb gewährleisten,

(Allgemeiner Beifall)

sprich bei der Landtagsverwaltung und den Fraktionsmitarbeitern, ohne die wir als Abgeordnete oft aufgeschmissen wären.

Ich möchte mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die sachliche, nicht immer reibungsfreie Zusammenarbeit bedanken. Wenn mal die Pferde mit mir durchgegangen sind, dann möge man mir das bitte verzeihen. Schon in einem meiner Schulzeugnisse stand, dass ich zu impulsiv sei. Ich wünsche Ihnen allen sowie Ihren Familien persönliches Wohlergehen und Gesundheit. Sehen Sie es mir nach, wenn ich Ihnen nicht

den politischen Erfolg wünsche; den wünsche ich meiner SPDFraktion, der ich 20 Jahre angehört habe. Ich glaube, wir haben nicht alles, aber doch das meiste im Sinne Brandenburgs richtig gemacht. In diesem Sinne Ihnen alles Gute!

(Beifall SPD, DIE LINKE, CDU und B90/GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schippel. - Wir kommen zum Beitrag der CDU-Fraktion. Herr Abgeordneter Burkardt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Schippel, das war wenigstens ein etwas differenzierter Rückblick. Wenn wir alle dies beherzigen würden, würden wir wahrscheinlich öfter zu gemeinsamen Lösungen kommen. Was die kommunale Gebietsreform anbelangt - warten wir es ab. Wahrscheinlich wird es ohne gesetzgeberische Maßnahmen nicht abgehen, aber auch nicht, ohne dass wir das Schuldenproblem anpacken und einer Lösung zuführen.

Es ist natürlich kühn, am letzten Tag der parlamentarischen Arbeit in dieser Wahlperiode eine Resolution vorzulegen, deren erweiterter Titel lautet: „dauerhafte Entschuldung von Kommunen jetzt beginnen“. Ich sehe vor meinem geistigen Auge, wie in zwei Stunden, nach Ende dieser Plenardebatte, die Geldboten durchs Land fahren und den Gemeinden die Gelder, mit denen sie ihre Schulden abtragen können, zur Verfügung stellen.

(Dr. Scharfenberg [DIE LINKE]: Ja, ich auch!)

Es steckt ein wenig intellektuelle Hochstapelei dahinter, wenn man mit einer tatendurstigen Resolution am Ende der Wahlperiode beginnt.

Wenn man sich die Anträge im Verlauf des heutigen Nachmittags anschaut, könnte man meinen, der Landtag wäre am Ende noch einmal richtig fleißig geworden. Das haben wir doch eigentlich gar nicht nötig. Ich denke, wir haben in dieser Legislaturperiode eine ganze Menge geschafft, und vieles von dem, was wir heute Nachmittag ansprechen, kann überhaupt nicht mehr umgesetzt werden; dazu braucht es die neue Periode. Das ändert aber nichts daran, dass es richtig ist, das Thema aufgegriffen zu haben. Auch das von Ihnen eigenholte Gutachten ist wichtig. Auch wenn viele Erkenntnisse daraus nicht neu sind, so sind sie zumindest mit Zahlen unterlegt worden.