Protokoll der Sitzung vom 30.04.2015

Das haben wir gestern von den Freien Wählern in Bezug auf den 10H-Antrag gehört.

Wir sind nicht die Einzigen, die kopieren. Es ist wohl auch üblich, gute Ideen immer wieder auf den Tisch zu bringen. Ich halte das durchaus für vernünftig und geboten. Wenn Sie zu dem stehen würden, was Sie gerade gesagt haben, und wenn

das alles Ihre Ideen und Intentionen wären, Herr Lakenmacher, dann hätten Sie es selbst eingebracht. Das haben Sie nicht getan. Was haben Sie gemacht? Sie haben ein Stück weitergedacht, vielen Dank dafür. Das ist sicherlich richtig. Aber den Grundgedanken hat die Alternative für Deutschland hier eingebracht.

(Lakenmacher [CDU]: Diesen Grundgedanken haben nicht Sie, sondern die CDU Hessen eingebracht!)

Wir haben es auf den Tisch gebracht. Insofern ist das alles völlig legitim und richtig, weil wir uns über die Sicherheit hier im Lande Gedanken machen. Das bitte ich zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall AfD)

Wenn Sie, Herr Lakenmacher, auf diese Kurzintervention reagieren möchten, hätten Sie jetzt die Gelegenheit dazu.

(Lakenmacher [CDU]: Nein, ich verzichte!)

Dann spricht jetzt die Abgeordnete Nonnemacher für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Mit ihrem Antrag möchte die AfD erreichen, dass wir die Landesregierung dazu auffordern, der hessischen Bundesratsinitiative zur Einführung eines Schutzparagraphen zuzustimmen. Gewalttätige Angriffe gegen Bedienstete der Polizei, der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes sind auch aus unserer Sicht in jeder Beziehung inakzeptabel, insbesondere wenn sie Leib und Leben gefährden.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie vereinzelt CDU und AfD)

Dennoch hat unsere bündnisgrüne Landtagsfraktion in Brandenburg erhebliche Bauchschmerzen mit der Einführung eines solchen Straftatbestandes im Strafgesetzbuch. Dies hat verschiedenste Gründe, die ich Ihnen gerne aufzählen möchte:

Erstens: Der neu einzuführende § 112 StGB setzt auf Tatbestandsseite einen tätlichen Angriff auf einen Polizeibeamten oder auf Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes voraus. Auf Rechtsfolgenseite ist eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren vorgesehen, in besonders schweren Fällen, zum Beispiel in Fällen von gemeinschaftlicher Begehung, sogar bis zu zehn Jahren.

Ich halte diesen Vorschlag daher für reine Symbolpolitik. Eine Lücke im Strafgesetzbuch gibt es nicht. Körperverletzung bzw. versuchte Körperverletzung sowie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sind bereits gemäß § 223 StGB und § 113 StGB strafbar. Selbst die hessische Landesregierung gesteht ein, dass die Handlungen, auf die der Paragraph anwendbar wäre, auch jetzt schon strafbar sind. So heißt es in der Gesetzesbegründung ausdrücklich, dass sich praktisch alle Fallgestaltungen zumindest unter die versuchte einfache Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 2 StGB subsumieren lassen.

Zweitens: Es ist damit zu rechnen, dass das Demonstrationsrecht gemäß Artikel 8 Grundgesetz ausgehöhlt wird - ein

Grundrecht von Verfassungsrang -, wenn Auseinandersetzungen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten und der Polizei für die Demonstrierenden mit einer Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten geahndet werden sollen.

(Zuruf von der AfD)

Ich sehe es als höchst problematisch an, dass Menschen, die ihr Versammlungsrecht ausüben wollen, das Risiko eingehen, sich weit im Vorfeld von tatsächlichen Gewaltanwendungen strafbar zu machen und festgenommen zu werden. Eine solche Regelung entfaltet Abschreckungswirkung für zukünftige Demonstrationen und schränkt demokratische Beteiligungsmöglichkeiten unangemessen ein.

Drittens: Die Einführung eines Schutzparagraphen ausschließlich für die Polizei, die Feuerwehr und den Katastrophenschutz bedeutete eine Besserstellung dieser Berufsgruppen gegenüber anderen Berufsgruppen, die nicht zu rechtfertigen ist. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jobcentern, Sozialämtern, Rettungsstellen und anderen Einrichtungen sind Übergriffen ausgesetzt, die jedoch nicht gesondert bestraft werden sollen. Das empfinde ich als eine Ungleichbehandlung.

Viertens: Das Strafmaß des sogenannten Schutzparagraphen ist unangemessen hoch angesetzt. Das besagt die ausschließliche Verhängung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten, obwohl ein tätlicher Angriff noch nicht einmal den Eintritt eines Verletzungserfolges voraussetzt. Die einfache Körperverletzung wird gemäß § 223 Absatz 1 StGB hingegen im Mindestmaß mit Geldstrafe bestraft, und das, obwohl es hier zu einer Verletzung kommt. Dieser Vergleich zeigt, dass der Schutzparagraph gegen einen weiteren Verfassungsgrundsatz verstößt, nämlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Meist entstehen Auseinandersetzungen mit der Polizei aus Konfliktsituationen. Die Einführung weitgefasster Strafbestände trägt da nicht zur Deeskalation, sondern vielmehr zur Eskalation bei. Wir Bündnisgrüne fordern stets Deeskalationsstrategien. Um Konflikte zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Polizei zu lösen und das Vertrauen in das Handeln der Polizei zu verstärken, setzen wir daher nicht auf eine Ausweitung des Strafrechts, sondern wir schaffen Stellen für Konfliktbereinigung, wie wir sie mit unserem Antrag zu einer Polizeibeschwerdestelle auch diesem Plenum noch vorlegen werden.

(Beifall B90/GRÜNE)

Die Einführung eines Schutzparagraphen 112, der eine eindeutige Eskalationsstrategie verfolgt, werden wir nicht zustimmen, auch wenn das Original der Idee von einer schwarz-grünen Landesregierung stammt. - Danke schön.

(Beifall B90/GRÜNE)

Danke. - Nun spricht Herr Minister Markov für die Landesregierung.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung ist sich einig, dass sowohl Polizeibeamte

als auch Einsatzkräfte von Hilfsorganisationen, die im Interesse eines jeden Einzelnen und der Allgemeinheit unter teilweise sehr schwierigen Bedingungen ihrer tagtäglichen Arbeit nachgehen, vorbehaltlos zu schützen sind. Gewalttätige Angriffe, wie erst kürzlich anlässlich der Demonstration gegen die Eröffnung des neuen Gebäudes der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main zu erleben war, sind indiskutabel und strafrechtlich zu verfolgen.

(Beifall DIE LINKE, CDU, B90/GRÜNE sowie AfD)

In einer Demokratie bzw. einem Rechtsstaat darf in der Sache heftig gestritten werden. Das passiert ja auch ausreichend oft hier im Landtag. Für den Angriff auf Polizeibeamte gibt es aber keinerlei Rechtfertigung.

(Beifall AfD)

Es ist daher völlig legitim, alle rechtsstaatlich möglichen Mittel einzusetzen, um derartige Vorkommnisse zu vermeiden. Die angesprochene hessische Gesetzesinitiative schlägt nunmehr, wohl als Reaktion auf die von mir vorhin genannten Ereignisse, die Einführung einer eigenen Strafvorschrift zum Schutz der Polizisten, Rettungssanitäter, Feuerwehrleute oder Hilfeleistenden des Katastrophenschutzes vor tätlichen Angriffen vor. Begründet wird dieser Antrag unter anderem damit, dass Täter deutlicher die Konsequenz ihres Tuns spüren sollen. Als Sanktionsmittel soll ausschließlich die Verhängung einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten zur Verfügung stehen. Damit wird natürlich zugleich der Weg zur Verhängung einer Geldstrafe versperrt.

Diese Forderungen sind nicht neu. Nach Ausschreitungen bei Demonstrationen oder auch Sportveranstaltungen werden immer strengere Gesetze gefordert. Es ist darauf hinzuweisen das haben Sie getan -, dass bereits nach der gegenwärtigen Rechtslage tätliche Angriffe auf Polizeibeamte bzw. Angehörige von Hilfsdiensten, wie im Übrigen bei jedem anderen Opfer auch, als Körperverletzung gelten und damit strafbar sind. Dieser strafrechtliche Schutz gilt für Polizeibeamte und Einsatzkräfte, unabhängig davon, ob eine Vollstreckungshandlung oder Hilfeleistung vorgenommen wird.

Vor diesem Hintergrund sehe ich keinerlei Gesetzeslücke, die mithilfe eines besonderen Straftatbestands geschlossen werden müsste. Durch die Schaffung eines spezifischen Sondertatbestands lässt sich meines Erachtens der Schutz von Beamten und Einsatzkräften nicht spürbar erhöhen. Ein potenzieller Täter wird sich von seinem kriminellen Tun grundsätzlich nicht abhalten lassen. Der Gesetzgeber hat - das ist hier schon gesagt worden - im Jahr 2011 mit einer Verschärfung des Strafrechts reagiert, um Polizeibeamte und Einsatzkräfte besser vor gewalttätigen Übergriffen zu schützen. Damals wurde bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte das mögliche Strafhöchstmaß von zwei auf drei Jahre angehoben. Für besonders schwere Fälle gelten höhere Strafen von bis zu fünf Jahren. Auch ist der Erhalt der Arbeitsmittel und Kraftfahrzeuge von Sicherheits- und Rettungskräften unter einen besonderen strafrechtlichen Schutz gestellt worden. Gleichwohl - das macht die hessische Initiative deutlich - ist der mit der Strafrahmenerhöhung beabsichtigte Erfolg nicht eingetreten.

Eine Gesetzesänderung im Sinne Hessens wird nicht dazu führen, dass wir künftig weniger Angriffe auf Polizeibeamte erle

ben werden. Das Problem der Zunahme gewalttätiger Übergriffe auf Polizeibeamte und Einsatzkräfte liegt meines Erachtens eher an einem erkennbaren Autoritätsverlust des Staates bei einem Teil der Bevölkerung. Dieses Phänomen dürfte sich auf Dauer - das hat sich in der Vergangenheit gezeigt - nicht mit einer Verschärfung des Strafrechts wirksam bekämpfen lassen. Erfolgversprechender erscheint mir, mit der Bevölkerung in einen gesamtgesellschaftlichen Dialog über die positive Tätigkeit von Ordnungshütern und Einsatzkräften von Hilfsorganisationen zu treten.

(Beifall DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Wir alle sind hier als Bürger des Staates und auch als Politiker gefordert. Gleichzeitig ist für die Zukunft sicherzustellen, dass Straftäter selbstverständlich mit allen zur Verfügung stehenden Sanktionsmöglichkeiten des geltenden Strafrechts effektiv und konsequent verfolgt werden. Der zunehmenden Gewaltbereitschaft wird eher durch Prävention und Bewusstseinsbildung als durch restriktive Maßnahmen entgegenzuwirken sein.

Nicht zuletzt - das hat Frau Nonnemacher kurz angesprochen möchte ich auf eine andere offene Frage hinweisen. Wie gehen wir mit Personen und Berufsgruppen um, die sich mit ihrer Tätigkeit ebenfalls in den Dienst des Einzelnen oder der Allgemeinheit stellen? Bestünde für diese im Fall einer gesetzgeberischen Umsetzung der hessischen Initiative nicht ebenfalls das Anrecht auf Gewährung eines besonderen strafrechtlichen Schutzes? Von Gewalt können alle im öffentlichen Dienst Beschäftigten, ob nun Lehrer, Justizvollzugsbeamte oder Richter und auch Angestellte in Arbeitsagenturen, betroffen sein. Können wir hier ernsthaft differenzieren? Sind Schiedsrichter nicht auch oft Attacken ausgesetzt? Ich glaube, man darf nicht eine Berufsgruppe andersstellen als andere. Deswegen sehen wir keinen Grund, Ihren Antrag anzunehmen. - Danke schön.

(Beifall DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Ich frage die AfD, ob sie von ihrer verbliebenen Redezeit Gebrauch machen möchte. - Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über unseren Antrag hat wieder einmal gezeigt: Der eine Teil dieser rot-roten Koalition kann nicht, weil der andere Teil nicht will. Der Schutz unserer Polizei, der Schutz unserer Einsatz-, Ordnungs- und Rettungskräfte ist aber wichtiger als das verantwortungslose Gezerre in diesem Regierungsbündnis.

Meine Damen und Herren in den Regierungsfraktionen, nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass im letzten Jahr bundesweit über 60 000 Angriffe gegen unsere Ordnungskräfte stattgefunden haben. Nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass selbst der Bremer SPD-Innensenator im letzten Jahr gefordert hat: Wer Polizisten angreift, muss am Ende mit Gefängnis bestraft werden.

(Beifall AfD)

Nehmen Sie doch zur Kenntnis, dass die Gewerkschaft der Polizei vehement fordert, dass es in der Verantwortung des Staa

tes liegt, dass Polizisten und Rettungskräfte eben nicht zu Prügelknaben der Nation werden.

Wenn in dieser Debatte, Frau Nonnemacher, verschiedentlich behauptet wird, die Initiative des Landes Hessen richte sich gegen das Demonstrationsrecht, so liegt dem doch ein entscheidender Irrtum zugrunde. Das Demonstrationsrecht ist doch kein Recht auf Gewaltanwendung oder Gewaltausübung.

(Beifall AfD)

Das Demonstrationsrecht ist kein Freibrief für ein gleichberechtigtes Kräftemessen zwischen Chaoten und Ordnungskräften.

In diesem Sinne plädiere ich dafür: Geben Sie sich einen Ruck, zeigen Sie einfach Größe gegenüber der Bremer SPD, dem dortigen Innensenator, zeigen Sie Größe auch gegenüber der CDU und den Grünen in Hessen und unterstützen Sie diesen Antrag von uns und der CDU! - Schönen Dank.

(Beifall AfD)

Wir sind am Ende der Aussprache und kommen zur Abstimmung. Die AfD-Fraktion hat namentliche Abstimmung beantragt. Es geht um den Antrag in Drucksache 6/1193. Ich bitte die Schriftführer, mit dem Namensaufruf zu beginnen.