Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ness, wir sollten nachher in einem persönlichen Gespräch klären, warum Ihnen mein Wort weniger wichtig ist als das meines Fraktionsvorsitzenden.
Ich danke aber für das Stichwort „Ackerfurche“. Ich habe überlegt, wo ich dieses Wort schon einmal gehört oder gelesen habe. Mir ist das Märchen vom Hasen und dem Igel eingefallen. Da gab es einen eitlen, stolzen Hasen und einen kleinen, freundlichen Igel. Er hat sich beim Wettrennen immer in der Ackerfurche versteckt. Wer hat letztlich gewonnen? Der schlaue Igel.
Oder meinten Sie die Ackerfurche aus dem Klassiker „Die Kronenwächter“ von Achim von Arnim? Das Bild können Sie selbst zeichnen; dort heißt es nämlich:
„Aber nach Jahrhunderten der Zerstörung erkennen die einwandernden Anbauer des Walds mit Teilnahme die Unvergänglichkeit der Ackerfurchen und Grundmauern untergegangener Dörfer und achten sie als ein wiedergefundenes Eigentum ihres Geschlechts, das der Gaben dieser Erde nie genug zu haben meint.“
(Beifall CDU sowie der Abgeordneten Schülzke [BVB/FREIE WÄHLER Gruppe] - Zurufe von der Frak- tion DIE LINKE)
Meine Damen und Herren, das Land Brandenburg, seine Landkreise, Städte und Gemeinden sind heute wie in Zukunft mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. Wie gehen wir mit dem Bevölkerungsrückgang von 2,5 Millionen auf 2,2 Millionen im Jahr 2030 um? Wie organisieren wir das Zusammenleben und den Zusammenhalt in einem Land, in dem die eine Hälfte der Bevölkerung auf 15 % der Fläche rund um Berlin lebt und sich die andere auf die restlichen 85 % der Landesfläche verteilt? Wie können wir das Leben in Brandenburg trotz demografischen Wandels zukunftsfest und lebenswert gestalten?
Leider reagiert die Landesregierung auf alle Herausforderungen immer gleich: Zuerst werden sie lange ignoriert. Erst wenn sie glasklar zutage treten und beim besten Willen nicht mehr zu ignorieren sind, reagiert die Landesregierung - und zwar immer nach dem gleichen Motto: Reform oder Projekt. - Dann wird ein großer Wurf angekündigt. Die Landesregierung ist groß darin, Reformen und Projekte anzukündigen, aber sie erfolgreich umzusetzen, daran hapert es meistens.
Stattdessen verschlimmbessern Reformen und Projekte die Probleme der Menschen und verlaufen im Sande. Ich erinnere an die gescheiterte Polizeireform, die rückabgewickelte Schulamtsreform, die eingefrorene Inklusion, den Ausbau der Breitbandstruktur in kleinen Schritten oder den BER.
Wird auch die Verwaltungsstrukturreform 2019 so enden? Es sieht fast danach aus. Denn Sie, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, haben bereits viel dafür getan, dass es der Verwaltungsstrukturreform an der nötigen Akzeptanz vor Ort fehlt. In den Wahlprogrammen von SPD und Linken spielt die Zusammenlegung von Landkreisen, die Einkreisung von kreisfreien Städten und die Vergrößerung der Gemeindeverwaltung keine Rolle.
Ganz im Gegenteil: Es gibt Beispiele prominenter Politiker der SPD, die sich im letzten Jahr - sprich: vor den Landtagswahlen - deutlich positioniert haben:
„Ich bin optimistisch, dass die kreisfreien Städte im Land ihren Status erhalten, denn es geht ja darum, die Städte zu stärken.“
Dies sagte der ehemalige Innenminister Ralf Holzschuher am 13. August 2014 im Gespräch mit der „Märkischen Allgemeinen“.
Sie, Herr Innenminister Schröter, haben in Ihrer damaligen Funktion als Landrat sogar damit gedroht, gegen eine Fusion mit dem Nachbarkreis Ostprignitz-Ruppin zu klagen. Am 18. Februar des letzten Jahres hat der Ministerpräsident selbst klargestellt, dass eine Verringerung der Zahl der Landkreise nur in Betracht kommt, wenn es dafür funktional eine Notwendigkeit gäbe.
Wenn ich diese Aussage mit dem vorliegenden Leitbildentwurf vergleiche, stelle ich mir die Frage, wie das zusammenpassen soll. Wenn man vor der Wahl das eine sagt und nach der Wahl das andere tut, so ist das Wählertäuschung und Augenwischerei.
Ich muss Herrn Holzschuher zugutehalten, dass er sich heute bei der Demonstration vor dem Landtag für die Kreisfreiheit von Brandenburg an der Havel ausgesprochen hat. Ich bin gespannt, welche semantischen Klimmzüge er später bei der Abstimmung vollziehen wird.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung hat ihren Leitbildentwurf mit „Verwaltungsstrukturreform“ etikettiert. Das ist nichts anderes als ein Etikettenschwindel. Seien wir ehrlich: Der Schwerpunkt und das Ziel der vorliegenden Aktion ist die Reform der Kreis- und Gemeindegebiete.
Erstens ist es entlarvend, wenn wir den Parteitagsbeschluss der SPD aus dem Jahr 2012 betrachten: „Brandenburg 2030 - Wir gestalten die Zukunft“.
- Vor der Wahl, genau. Dort wird in verschiedenen Thesen ausgeführt, dass bis 2019 „fast alle Städte und Gemeinden ihre Selbstverwaltungskraft in Folge freiwilliger und vom Land geförderter oder gesetzlicher Fusionen gestärkt“ haben und kreisfreie Städte in Landkreise integriert sein können.
Zwar wird auch - das muss man zugeben - über einer Aufgabenübertragung auf die Landkreise gesprochen, aber eben nicht als Conditio sine qua non für eine Strukturreform, sondern allein aus dem einfachen Grund, die Aufgaben auf einer Ebene koordinierter und wirtschaftlicher erfüllen zu wollen. So reicht Ihnen, Herr Minister, in Ihrem Leitbildentwurf ein Funktionalreförmchen als Rechtfertigung für die angestrebte Gebietsreform.
Zweitens ist die Wortwahl entlarvend. Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrer Regierungserklärung letzten Jahres die For
mel „form follows function“ - man kann es auch auf Deutsch sagen: Form folgt Funktion - in die Diskussion gebracht. Dies ist nicht nur ein schöner englischer Spruch, wie Sie ihn in Ihrer Rede nannten, sondern das ist ein Gestaltungsleitsatz aus dem Bereich Design. Es ist augenscheinlich, dass Sie unser Land schlicht und einfach nach Ihren Wünschen designen möchten.
Meine Damen und Herren, auch wenn wir den Titel des Leitbildentwurfs ernst nehmen, stellen wir fest, dass er hinter dem Versprechen in seiner Überschrift weit zurückbleibt. Es fängt schon bei einer notwendigen Aufgabenkritik an, die schlichtweg fehlt. Eine vertiefte systematische Prüfung unter Einbeziehung der kommunalen Praxis wäre notwendig, wie sie bereits in dem Sonderausschuss zum Abbau von Normen und Standards gefordert wurde. Erst wenn wir die Arbeit der Verwaltung sinnvoll entbürokratisieren, können wir umfassende und folgerichtige Aufgabenverlagerungen planen.
In Ihrem Leitbild, Herr Minister, findet sich kein einziger Reformvorschlag zur Ministerial- und Landesverwaltung. Mit der Verwaltungseffizienz der Landesbehörde setzen Sie sich in Ihrem Leitbildentwurf erst gar nicht auseinander. Stattdessen greifen Sie die Landkreise, die Städte und Gemeinden an, weil sie angeblich zu viele Mitarbeiter haben. Wenn Sie bei den Kommunen Einsparungen fordern, dürfen Sie nicht vergessen, vor der eigenen Tür zu kehren.
Meine Damen und Herren, bleiben wir noch ein bisschen bei dem Funktionalreförmchen. Sie, Herr Minister, haben in einer Pressekonferenz gesagt:
„Nur vor dem Hintergrund einer möglichst umfassenden Aufgabenverlagerung auf die Kreisebene lässt sich eine flächendeckende Kreisgebietsreform im Land Brandenburg überhaupt rechtfertigen.“
Gut gebrüllt, Löwe! Aber was folgt daraus? Im Leitbildentwurf nennen Sie 22 Aufgaben des Landes mit ca. 1 700 Personalstellen, die auf die Landkreise und kreisfreien Städte übertragen werden sollen. Das klingt erst einmal nach viel. Aber wenn wir das genau anschauen, wird klar: Der große Wurf ist das nicht. 1 700 zu übertragende Personalstellen sind de facto 3,62 % des Personals in der Landesverwaltung. Bürgernähe kann ich nicht erkennen, da viele Aufgaben administrative Randbereiche der Kommune betreffen und eben keinen direkten Bezug zum Bürger haben.
Auch bei den zu übertragenden Aufgaben aus dem Landesbetrieb Forst mit ca. 900 Stellen kann ich keinen unmittelbaren Bürgerbezug erkennen. Soll der Landesbetrieb Forst darüber hinaus bei der Übertragung in seinen bisherigen Strukturen verbleiben, oder müssen die Kommunen Struktur- und Personalanpassungsmaßnahmen vornehmen? Was ist mit den entstehenden Folgekosten?
Auch die Funktionalreform II mit gerade mal neun von den Landkreisen auf die Gemeindeebene zu übertragenden Aufgaben fällt im Vergleich zu dem Vorschlag der Enquetekommission 5/2 sehr klein aus.
Ich sage es noch einmal: Mit diesen Funktionalreförmchen lassen sich die von Ihnen geplanten großflächigen Neuzuschnitte bei den Landkreisen und Gemeinden sowie die Einkreisung der kreisfreien Städte nicht rechtfertigen.
Fakt ist: SPD und Linke wollen die seit 1993 gewachsenen Kreisstrukturen in Brandenburg zerschlagen. Sie wollen übergroße Regionalkreise mit einer Fläche von bis zu 5 000 m2
sternförmig um Berlin schaffen, die im Regelfall mindestens 175 000 Einwohner in Bezug auf das Jahr 2030 haben sollen. Dabei sollen die drei kreisfreien Städte Brandenburg an der Havel, Frankfurt (Oder) und Cottbus als Oberzentren eingekreist werden. Argumentiert wird mit der Leistungsfähigkeit der Verwaltungsstrukturen.
Wir stimmen dem Innenminister durchaus zu, dass ein Zusammenhang zwischen Einwohnerzahl und Verwaltungseffizienz besteht. Es ist richtig, dass Brandenburger Landkreise mit weniger als 120 000 Einwohnern in der Regel eine höhere Mitarbeiterzahl pro 1 000 Einwohnerzahl haben als größere Kreise. Aber wo berücksichtigt der Innenminister die zweifellos auch bestehenden Effizienzvorteile der kreisfreien Städte? Die kreisfreien Städte kommen mit durchschnittlich 13,23 Personalstellen je 1 000 Einwohner aus. Bei den Landkreisen - inklusive Gemeinde und Ämter - sind es zusammengenommen 15,86 Personalstellen. Dabei bestehen laut Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage gegenwärtig bei der Aufgabenerfüllung der kreisfreien Städte keine Defizite. Diesen Fakt blendet die Landesregierung allerdings einfach aus, weil er nicht in ihr Konzept passt. Seriöse Politik sieht anders aus, meine Damen und Herren!
Ich suche noch immer nach Ihrer Rechtfertigung für die Bildung großer Regionalkreise. Finanzielle Gründe können es wohl nicht sein; denn selbst die Gutachten der Enquetekommission stellten fest, dass eine Reformrendite nicht ermittelbar sei. Wenn Sie auf die unterschiedlichen, strukturbedingten einnahme- und aufgabenbedingten Ausgabensituationen der Kreise und kreisfreien Städte verweisen, so werden diese durch eine Reform nicht um einen Cent verändert. Ein gerechter Finanzausgleich lässt sich auch auf anderen Wegen erreichen. Dafür müssen keine Strukturen zerschlagen werden.
Ein Blick nach Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass die drei größten Landkreise, Vorpommern-Greifswald, LudwigslustParchim und Mecklenburgische Seenplatte, mit Ausmaßen von bis zu 5 500 Quadratkilometern keine erheblichen Effizienzrenditen erzielen. Im Gegenteil: Deren Schuldenlasten sind sogar noch angestiegen.
Meine Damen und Herren, im Bundesvergleich haben die Brandenburger Landkreise derzeit den niedrigsten Schuldenstand bei der Kernverwaltung - ohne Fonds, Einrichtungen und Unternehmen. Hier liegt kein Strukturdefizit vor, sondern es sind insbesondere die unterfinanzierten Aufgaben, auch bei den Sozialleistungen, die erheblich zu den Schuldenständen der Landkreise und kreisfreien Städte beitragen.