Ebenfalls ein herzliches Willkommen den Schülerinnen und Schülern der Jean-Clermont-Oberschule Oranienburg.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste der kommunalen Familien! Die Fregatte hat uns inzwischen leider verlassen. Der demografische Wandel und die sich ändernde Bevölkerungsstruktur im Land beschäftigen nicht nur unsere staatliche Ebene, sondern auch viele Organisationen in Brandenburg. Ich war in den letzten Monaten viel im Land unterwegs, insbesondere um mit der Basis meiner Partei über diese Probleme zu diskutieren. Vor welchen Herausforderungen stehen wir, wenn zum Beispiel der Anteil junger Menschen unter 15 Jahren bis 2030 gegenüber 2010 um weitere 25 % abnimmt und die Anzahl der über 65-Jährigen um 50 % wächst? Welche Folgen hat es, wenn zahlreiche Gemein
den damit zu rechnen haben, dass ihre Einwohnerzahl um bis zu einem Drittel in nur 20 Jahren sinken wird, während nur wenige Städte und Gemeinden im Umland von Berlin mit Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich rechnen können? Wie schaffen wir es vor diesem Hintergrund, im ganzen Land gleichwertige Lebensverhältnisse zu erhalten, wenn zu erwarten ist, dass sich nach dem Auslaufen des Solidarpaktes die finanzielle Ausstattung unseres Landes sicherlich nicht verbessern wird, sondern wir mit weniger Transfermitteln vom Bund und aus dem Länderfinanzausgleich rechnen müssen?
Diese konkreten Fragen stellen sich nicht nur Abgeordnete, Landräte und Bürgermeister, sondern auch viele Institutionen, Vereine und Verbände. Die Folgen dieses Wandels spüren die Menschen schon jetzt konkret in ihrem Lebensumfeld, und sie gestalten ihn mit, nicht indem sie jammern und mehr Geld vom Land fordern, sondern indem sie die Strukturen ihrer Organisationen an die Lebensrealitäten anpassen.
Bei meiner Tour haben wir unter anderem über Fußball gesprochen, denn auch am Sport geht der demografische Wandel nicht vorbei. Zum 1. Juli 2014 hat der Brandenburgische Fußballverband nach intensiven Diskussionen seine Verbands- und Spielklassenreform in Kraft gesetzt. Es waren aufgrund der demografischen Entwicklung nämlich schlicht und ergreifend nicht mehr genug Mannschaften vorhanden, um einen regulären Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Aus vorher 17 Fußballkreisen wurden nunmehr 8. Das Ergebnis ist offensichtlich kein Zusammenbruch des Fußballs in Brandenburg, sondern im Gegenteil: Beobachter bezeichnen die Umstrukturierung als vollen Erfolg. Sebastian Morgner schrieb in der „MAZ“ vom 29. Juni:
„Die Fusion hat sich gelohnt. Man lernt neue Spieler und Trainer kennen. Neue Sportplätze, neue Schiedsrichter. Das Niveau der Liga wurde gehörig durcheinandergewirbelt. Oft ging die Formkurve dabei nach oben.“
Auch in der evangelischen Kirche gab es in den letzten Jahren zahlreiche Neustrukturierungen von Kirchengemeinden und Kirchenkreisen, die im Wesentlichen Fusionen waren. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger sind in ihrer Erkenntnis oftmals schon viel weiter, als wir es glauben wollen.
Die Brandenburgerinnen und Brandenburger sind bereit, althergebrachte Strukturen immer wieder darauf zu überprüfen, ob sie zeitgemäß und sinnvoll sind. Sie sind bereit, Reformen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern auch mitzugestalten, wenn die Richtung stimmt.
Legislaturperiode auch in der Enquetekommission „Kommunal- und Landesverwaltung - bürgernah, effektiv und zukunftsfest - Brandenburg 2020“ die meiste Zeit fraktionsübergreifend verbunden. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich viele Empfehlungen des Abschlussberichts im Leitbildentwurf der Landesregierung wiederfinden.
Obwohl also bei der Analyse der Probleme in unserem Land durchaus Einvernehmen besteht, obwohl die Menschen sich sinnvollen Anpassungen überhaupt nicht verweigern und obwohl andere Länder - wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen - ihre Verwaltungsstrukturen längst verändert haben, muss der Auftakt des Reformvorhabens zu Beginn dieser Wahlperiode als missglückt betrachtet werden.
Der Schwung der Enquetekommission 5/2 mit ihren landesweit beachteten Vorschlägen wurde durch die Bundestagswahl 2013 und insbesondere die Landtagswahl 2014 jäh unterbrochen, das Thema als Wahlkampfkiller geräuscharm beerdigt.
Umso überrumpelter fühlten sich viele, als nach den Koalitionsverhandlungen auf einmal eine Verwaltungsstrukturreform das große Reformthema der rot-roten Landesregierung war - und dann auch noch das einzige. Durch diese Überrumpelungsstrategie fühlen sich viele Bürgerinnen und Bürger vor den Kopf gestoßen. Auch in den eigenen Reihen hat man auf geradezu fahrlässige Art und Weise versäumt, Überzeugungsarbeit zu leisten, wie die vielen kommunalen Resolutionen zeigen.
Wer die Menschen im Land mitnehmen und überzeugen will, muss doch die eigenen Anhänger von der Notwendigkeit und der Stoßrichtung des Vorhabens überzeugt haben. Dass die Koalitionsfraktionen den Umfang und die Tragweite der im Leitbildentwurf enthaltenen Vorschläge noch immer nicht richtig einschätzen, hat die Diskussion im Ausschuss für Inneres und Kommunales letzte Woche gezeigt. Wer die Begleitung des Diskussionsprozesses zum Leitbild im zuständigen Fachausschuss auf das Thema Funktionalreform begrenzen will, wird Schiffbruch erleiden; wer das Vorhaben allein aus der Funktionalreform heraus begründen will, auch.
Die im Land hochkontrovers diskutierten Themen wie Einkreisung, Kreisneugliederung und zunehmend auch Gemeindegebietsreform dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden. Gerade weil die Enquetekommission die Frage der Einkreisung kreisfreier Städte nicht abschließend klären konnte, gehört eine vertiefte und zielgerichtete Prüfung dieser Frage an die erste Stelle der Tagesordnung des Ausschusses. Das gilt auch für Teilaspekte - wie Kriterien für eine Kreisgebietsreform und Stärkung der bürgerschaftlichen Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene - sowie ganz besonders für die finanziellen Folgen und Erfordernisse der Umsetzung der Verwaltungsstrukturreform.
Liebe rot-rote Koalitionäre, wenn Sie diese Reform ernst nehmen, dann verhindern Sie nicht eine Diskussion zu den wirklich wichtigen Fragen! Eine solche Strategie kann nur nach hinten losgehen und wird zu nichts führen.
Wer im Sommer 2016 ein endgültiges Leitbild verabschieden will, ohne sich diesen Diskussionen auf allen Ebenen gestellt zu haben,
Meine Damen und Herren! Ein Vorteil dieses Leitbildentwurfs ist die Tatsache, dass er sehr schlank geraten ist und man versucht hat, sich einer verständlichen Sprache zu bedienen. Darin liegt aber nach meinen bisherigen Eindrücken aus den Diskussionen im Land auch eine Schwachstelle. Die Regierung versucht einen Spagat: einerseits zu beschreiben, dass Brandenburg ein großartiges Land ist, das sich in den letzten 25 Jahren prima entwickelt hat, und andererseits darzustellen, dass jetzt aber der Zeitpunkt für Strukturreformen gekommen ist. Das zu vermitteln kann auf dreieinhalb Seiten nicht in nachvollziehbarer Weise funktionieren. Wenn dann unvermittelt und ohne Erklärung von Front- und Backoffice-Lösungen sowie von einem Mehrbelastungsausgleich oder einem Standardanpassungszuschuss die Rede ist, ist es mit der gewollten Verständlichkeit schnell vorbei.
(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Unsere Bürger sind manch- mal klüger, als Sie glauben! Die wissen, was damit ge- meint ist!)
Auch die Liste der Aufgaben des Landes, die in Zukunft auf die kommunale Ebene übertragen werden sollen, ist erklärungsbedürftig. Weder werden die Folgen benannt, noch wird deutlich, welcher personelle und finanzielle Aufwand hinter diesen Aufgaben steht.
Aber auch inhaltlich haben wir einige Kritikpunkte. Bei der Funktionalreform besteht gerade bei kleinteiligen Aufgaben die Kunst darin, das Gleichgewicht zwischen Fachlichkeit und Dezentralität zu wahren; das hat Herr Prof. Bogumil in seinem Gutachten für die Enquetekommission sehr deutlich herausgearbeitet. Die Landesregierung hat in ihrem Leitbildentwurf in der Anlage 2 im Wesentlichen alle Vorschläge der Enquetekommission zur Kommunalisierung übernommen und darüber hinaus einige Bereiche hinzugefügt, bei denen die Kommission noch den Bedarf einer vertieften Prüfung sah. - Das muss erklärt werden. Aus Gründen der Fachlichkeit und wegen der Gefahr der wachsenden Beeinflussbarkeit sollten der Naturund Umweltschutz sowie der Denkmalschutz und spezialisierte Teile der Sozialverwaltung nicht vollständig auf die Kreise übertragen werden, sondern auch Landesaufgabe bleiben - so wie es unter anderem der Gutachter Prof. Bogumil empfohlen hat. Denn gerade dort besteht bei Entscheidungsprozessen die Gefahr eines Übergewichts von Wirtschaftsinteressen gegenüber den schutzwürdigen Belangen. Insbesondere bei der Genehmigung von Tierhaltungsanlagen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, melde ich größte Bedenken gegen eine Kommunalisierung an.
Wer übrigens 1 700 Vollzeiteinheiten bei der Funktionalreform als Peanuts bezeichnet, muss sich fragen lassen, Frau Kollegin Richstein, ob er auch Lehrer und Polizei kommunalisieren möchte.
Wir unterstützen den Grundsatz der Subsidiarität bei der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und waren sehr froh, dass die Enquetekommission bei der Kommunalisierung von Landesaufgaben den Grundsatz einer echten Kommunalisierung aufgestellt hat, Aufgaben also vorzugsweise als Selbstverwaltungsaufgaben definiert werden sollen. Dies kann die kommunale Ebene und die lokale Demokratie nachhaltig stärken. Die Formulierung im Leitbildentwurf ist da wesentlich restriktiver und lässt meine Befürchtungen wachsen, dass die Landesregierung demokratische Beteiligung bei der Erfüllung von Aufgaben am liebsten vermeiden und die Landrätinnen und Landräte sowie die Oberbürgermeisterinnern und Oberbürgermeister als untere Landesbehörde stärken will. So würde eine Beteiligung von Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen verhindert. Wir Grünen stehen zwar einer Verwaltungsstrukturreform aufgeschlossen gegenüber; das Ergebnis darf aber keine Landräterepublik sein.
Meine Fraktion sieht den Bedarf, auf Ebene der Landkreise zu Änderungen zu kommen. Wir halten eine Mindesteinwohnerzahl von 150 000 bei einer Flächenobergrenze von 4 500 km2
für sinnvoll. Bei den kreisfreien Städten Brandenburg, Cottbus und Frankfurt (Oder) sehen wir die größte Herausforderung darin, deren Funktion als Oberzentren für ihre Region zu gewährleisten und die finanzielle Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Im Falle einer Einkreisung sollten ihnen deshalb einige kreisliche Aufgaben wie Jugendhilfe, Verkehr, Bau und Kultur erhalten bleiben und sie müssen Hauptsitz der Kreisverwaltungen werden. In diesem Zusammenhang muss es auch zu tragfähigen Lösungen bei den Kommunalfinanzen kommen insbesondere beim Thema Teilentschuldung. Eine Teilentschuldung aus der Verbundmasse halten wir für kontraproduktiv.
Kommen wir zuletzt zu einem Aspekt, der erwartungsgemäß im Leitbildentwurf fast vollständig ausgeblendet wurde: die Stärkung der demokratischen Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeiten. Man kann schon fast eine Phobie der Landesregierung vor mehr direkter Demokratie feststellen. Aber gerade die Stärkung von Beteiligungsrechten muss eine Verwaltungsstrukturreform flankieren und verhilft ihr zu mehr Akzeptanz.
Von unserer Fraktion kann es keine Zustimmung zu einer Verwaltungsstrukturreform geben, wenn es nicht zu Verbesserungen der Mitwirkungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene kommt.
Meine Damen und Herren, das nächste Jahr, bis zum Beschluss über das Leitbild, wird ein außergewöhnlich spannendes Jahr werden. Die Debatte über die zukünftige Struktur des Landes wird kontrovers geführt werden. Die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird sich kritisch, aber konstruktiv in diese Debatte einbringen. Ich appelliere an alle, ebenso zu verfahren. Durchwinken ist keine Option - Totalverweigerung aber erst recht nicht. - Ich danke Ihnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Werte Bürger aus den kreisfreien Städten und Landkreisen unseres Landes! BVB/FREIE WÄHLER hat hier im Juni in der letzten Sitzung des Landtages beantragt, dass es im Juli eine intensive Debatte zu den Planungen der Verwaltungsstrukturreform geben, dass der Minister hierzu Informationen geben soll. Das wurde damals vehement abgelehnt. Ich freue mich darüber, dass wir jetzt die Debatte haben. Es gibt da also auch eine positive Entwicklung.
Ich würde gern, auch mit Erlaubnis der Präsidentin, im Gegensatz zu den parteipolitischen Sprüchen der Koalitionsredner zur Sache reden wollen und das Papier, was uns vorliegt, vielleicht intensiver betrachten:
Meine Damen und Herren, der Leitbildentwurf spricht gleich am Anfang von der nötigen lebendigen Zivilgesellschaft und der erforderlichen bürgerschaftlichen Legitimation, die eine derartige Strukturreform brauche. Das klingt sehr schön. Aber wenn wir dann hier den Wunsch nach direkter Entscheidung äußern, den Antrag stellen wie in der letzten Sitzung, dass Bürgerentscheide vor Ort durchgeführt werden, oder beispielsweise eine Volksbefragung wie von der CDU vorgeschlagen, wird das höhnisch abgetan. Im Papier ist auch die Rede von einem nötigen Meinungsbildungsprozess in der Bürgerschaft. Wenn aber die Bürgerschaft, die Kreistage, die Gemeindevertretung und die Bürgermeister ihre Meinung äußern, nämlich durch die zunehmende Zahl von Resolutionen, die sich gegen die Gebietsreform aussprechen, dann werden diese einfach abgetan nach dem Motto: Ja zum Meinungsbildungsprozess aber nur die Meinungen, die mir in den Kram passen.
Auf Seite 9 des Leitbildentwurfs lesen wir dann, dass die Gemeinden sich freiwillig zusammenschließen können sollen. Bei Kreisen soll diese Freiwilligkeit aber nicht gelten, denn, so heißt es dort, wenn den Kreisen die Freiwilligkeit überlassen werde, führt dies zu Unübersichtlichkeit. Diese Feststellung wird ohne jegliche Analyse in ein, zwei Sätzen abgehandelt. Es wird einfach behauptet: Wenn Gemeinden sich freiwillig zusammenschließen, ist das in Ordnung; wenn Kreise das tun würden, wäre das unübersichtlich. Diese Behauptung - ohne jegliche Begründung, ohne jegliche Analyse - wird dann zur Sachgrundlage der gesamten Betrachtung gemacht.
Meine Damen und Herren, einer derartigen Argumentation steht die Parteipolitik auf die Stirn geschrieben. Auch bei den Gemeinden können wir doch nicht ernsthaft von Freiwilligkeit reden; denn in dem Papier steht: Eine Aufgabenübertragung auf die Gemeinden soll es nur geben, wenn sie mindestens 10 000 Einwohner erreichen. Ämterbildung soll zukünftig nicht mehr erfolgen. Die Einheitsgemeinde wird bevorzugt. Ganz am Ende, Seite 23, kommt dann der Knackpunkt: Teilentschuldung für die Gemeinden gibt es nur, wenn sie eine Größe von mindestens 10 000 Einwohnern haben. Das bedeutet einen faktischen Zwang zur Gemeindegebietsreform - mit Freiwilligkeit hat das praktisch nichts zu tun.
Deswegen gibt es auch massive Kritik des Deutschen Städteund Gemeindebundes, der in seiner jüngsten Stellungnahme gravierende Mängel an diesem Konzept herausarbeitet hat, auf die bis heute hier gar nicht eingegangen wurde. Der Entwurf berücksichtigt nicht das Bild der kommunalen Selbstverwaltung des Grundgesetzes, weil die Kommunen in der Darstellung auf öffentliche Aufgabenträger reduziert werden. So sagt der Deutsche Städte- und Gemeindebund wörtlich: