Protokoll der Sitzung vom 08.07.2015

Wir danken Ihnen. - Wir kommen damit zum nächsten Redner. Für die AfD-Fraktion spricht der Abgeordnete Königer.

Bevor ich beginne, möchte ich Frau Präsidentin Stark danken: Unsere Zuschauerplätze sind ja begrenzt, und wir haben heute sehr viele Besucher, die von weither angereist sind und hier kaum Platz gefunden hätten. So habe ich Frau Stark vorher gebeten, diesen Gästen die Sitzungsräume der AfD-Fraktion zur Verfügung zu stellen. Sie hat diesen Vorschlag aufgenommen und die anderen Fraktionen dazugeholt. So funktioniert Demokratie, wenn wir den Bürger ins Zentrum stellen und nicht vor verschlossenen Toren stehenlassen. Dafür ein herzliches ehrliches Danke, Frau Stark.

(Beifall AfD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Gäste! Ich habe heute die Ehre, als kommunalpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und waschechter Brandenburger, Herr Christoffers, den Standpunkt der AfD-Fraktion zum vorliegenden Leitbild zu vertreten.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Was ist das jetzt?)

- Herr Ness ist ja leider nicht mehr da.

Nun liegt also der Entwurf der rot-roten Koalition zu der Frage, wie unser Bundesland in einigen Jahren aussehen soll, vor. Wird Brandenburg damit zukunftsfähig zu machen sein? Lassen Sie mich mit dem am stärksten emotional besetzten Punkt beginnen, der im Leitbild unter 5.2 diskutierten Einkreisung. Die vollen Besucherränge beweisen, dass bei dem einen oder anderen Bürger unseres Bundeslandes ein starkes Interesse daran besteht. Deshalb auch von mir ein herzliches Willkommen an die Cottbuser, Frankfurter und Brandenburg-Haveler.

(Beifall AfD)

Im Punkt 5 des Leitbildes wird einführend die Bevölkerungsentwicklung der kreisfreien Städte bis zum Jahr 2030 beleuchtet; der Innenminister guckt in die Glaskugel und treibt das noch zehn Jahre weiter: Mit Ausnahme der Landeshauptstadt Potsdam wird mit einem erheblichen Rückgang der Einwohnerzahlen in den kreisfreien Städten gerechnet. So verliert beispielsweise die Stadt Brandenburg an der Havel im Zeitraum von 2010 bis 2030 11,5 % ihrer Bevölkerung, Cottbus und Frankfurt (Oder) sind nur wenig besser dran. Andererseits wachsen Städte im sogenannten Speckgürtel rasant. Für die Boomtown Falkensee wird prognostiziert, dass sie bis zum Jahr 2030 mit einer Einwohnerzahl von dann 54 000 fast mit Frankfurt (Oder) gleichgezogen hat.

Wenn ich mich recht entsinne, gab es vor geraumer Zeit Bestrebungen, eine Handvoll großer Gemeinden am nördlichen Berliner Stadtrand zu einer Stadt mit fast 100 000 Einwohnern zu vereinigen. Da liegt es geradezu auf der Hand, die Kreisfreiheit neu zu verhandeln, dachte sich Rot-Rot und ließ eine Enquetekommission in der letzten Legislaturperiode auf mehreren Hundert Seiten Ergebnisse zusammentragen und auf ein bestimmtes Ziel hin zurechtevaluieren.

Die Landesregierung hat 175 000 Einwohner als Zielgröße für die Regelmindesteinwohnerzahl der Landkreise im Jahr 2030 vorgesehen. Sie hätte auch 200 000 nehmen können, dann wären auch die beiden Landkreise Potsdam-Mittelmark und Oberhavel betroffen. Aber auch Potsdam würde dann die Latte reißen. Denn das ist ganz geschickt gemacht: Eine Zahl wird in Punkt 2 des Leitbildes ja nicht genannt, da steht nur „soll für die Entscheidung, ob die Stadt kreisfrei bleibt, die Regelmindesteinwohnerzahl der Landkreise gelten“.

Auf gut Deutsch: Bis auf Potsdam werden alle kreisfreien Städte eingekreist. Ist das denn so furchtbar? Das kommt auf die Betrachtungsweise an. Das Leitbild verfolgt den Ansatz, dass die eingekreisten Städte als Oberzentren zu stärken sind, um zum Beispiel als überregionales kulturelles Zentrum bestandsicher zu bleiben. Eventueller Finanzierungsbedarf wird innerhalb eines neuen Finanzausgleichssystems geregelt. Das klingt erst einmal nicht schlecht, heißt aber nach meinem Verständnis, dass die Verfügungshoheit über die Mittel auf Kreis- und Landesebene übergeht. Wir alle wissen, was das bedeutet.

Weiterhin steht da, dass die eingekreisten Städte die neu gebildeten Landkreise nicht dominieren sollen. Diese Gefahr sehe ich tatsächlich nicht. Vielmehr besteht die Besorgnis, dass die eingekreisten Städte von den Landkreisen dominiert werden. Das kann ein interessantes Experiment werden: Einerseits sollen die eingekreisten Städte weiterhin kreisliche Aufgaben übernehmen und als Oberzentrum Erbringer von Leistungen

für das Umland sein, andererseits verliert die Stadt einen Teil ihrer Budgethoheit. Da sind Reibungsverluste vorprogrammiert.

Vielleicht sollte man gedanklich das Leitbild, das uns ein künftiges Brandenburg mit nur einer kreisfreien Landeshauptstadt zeichnet, neben die Karte des heutigen Brandenburgs hängen. Dann würde offenkundig, was die drei kreisfreien Städte Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel eint und sie als kreisfreie Städte unverzichtbar macht: Sie sind Städte, die im Gegensatz zu Oranienburg, Falkensee, Bernau, Kleinmachnow und Königs Wusterhausen nicht von der direkten Nachbarschaft einer Metropole profitieren. Cottbus ist für die südliche Region, Brandenburg an der Havel ist für die westliche Region und Frankfurt (Oder) ist für die östliche Region eine Minimetropole. Das ist vielleicht nur ein kleiner Leuchtturm, aber doch immerhin ein Ort, der den Menschen im Umland das Gefühl geben kann, nicht vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein, sich ein klein wenig Großstadtflair aufs Land zu holen. Dieses Gefühl kennen alle Potsdamer, die mit Berlin eine Weltstadt direkt vor der Nase haben, denen es in Berlin aber ein Stück weit zu wuselig ist - um nicht auf die ewigen Sticheleien mit dem B-Kennzeichen abzuheben.

Man kann gerade hier, in unserer Landeshauptstadt Potsdam, diesen psychologischen Aspekt des Status einer kreisfreien Stadt belächeln. Weglächeln lässt er sich nicht. Auch ich muss ganz unpolitisch und emotional gestehen: Mein Herz schlägt kreisfrei!

(Beifall AfD)

Die Landesregierung bekennt sich auch im Leitbild zu dem Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse im Land Brandenburg anzustreben. Dann sollte sie den politischen Willen haben, die Strahlkraft, die von den kreisfreien Städten ausgeht, zu erhalten und wenn nötig finanziell zu untermauern. Denkbar wäre, weitere Landesbehörden von Potsdam in die kreisfreien Städte zu verlegen, das würde auch dem Bevölkerungsschwund entgegenwirken. Eine kreisfreie Stadt, die kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen - auch für das Umland - in möglichst großer Zahl vorhält, eine Verwaltung vor Ort unterhält und als wirtschaftlicher Kern einer Region fungiert, wird mit Sicherheit positive Effekte für die Bevölkerungsentwicklung generieren.

Beim Thema Kreisgebietsreform im Punkt 5.1 des Leitbildes versucht die Landesregierung, den Spagat zwischen der demografischen Entwicklung und dem Zuschnitt der gegenwärtigen Kreise hinzubekommen. Als Mittel hierfür hat sie die uninspirierte Form der Verschmelzung zu Großkreisen gewählt. Wir sagen dazu ganz offen: Ja, es besteht Handlungsbedarf, um Brandenburg fit für die Zukunft zu machen. Aber müssen es die Methoden der Vergangenheit sein?

Denn fest steht, dass eine Kreisgebietsreform weder in den Kreistagen noch im Volk Mehrheiten besitzt - das haben wir übrigens eher angesprochen als Sie, liebe Frau Richstein, nämlich bereits im November. Vielmehr erreichen uns - und Sie, liebe Kollegen, sicherlich auch - Erklärungen von Kreisen und Gemeinden, die sich für den Erhalt der gegenwärtigen Strukturen aussprechen. Viele Bürger haben bis heute die Kreisgebietsreform von 1993 nicht vergessen. Vor 22 Jahren hat sich die Landesregierung über die Voten der Kreistage hinweggesetzt. Glauben Sie im Ernst, dass die Kreistage denselben Fehler noch einmal machen werden?

Bisher gibt es auch keine belastbaren Zahlen über Einsparpotenziale oder Synergieeffekte aufgrund strafferer Verwaltungsstrukturen. Das im Leitbild beispielhaft herangezogene Reformvorbild Mecklenburg-Vorpommern entpuppt sich bei näherer Betrachtung als völliger Rohrkrepierer. Hier sind Kreise von der doppelten Größe des Saarlandes entstanden. In Deutschland liegen die flächenmäßig fünf größten Landkreise samt und sonders - Sie können dreimal raten - in MecklenburgVorpommern. Wer da noch von bürgernahen Strukturen spricht, hat wohl eindeutig zu lange in Sibirien gelebt.

(Beifall AfD - Unmut bei der Fraktion DIE LINKE - Frau Mächtig [DIE LINKE]: Da war sie wieder, die Schub- lade!)

- Ja, dass Sie da gewesen sind, kann ich mir vorstellen, Frau Mächtig.

(Beifall und Heiterkeit bei der AfD)

Zwar hat ein mathematischer Kreis mit einer Fläche von 5 000 km2 - wie Sie leicht ausrechnen können - einen Radius von 40 km. Eine im geometrischen Mittelpunkt liegende Kreisstadt wäre also leicht erreichbar. Bedauerlich ist nur, dass sich die Brandenburger Landkreise nicht an das mathematische Optimum halten. So liegen zum Beispiel im Landkreis DahmeSpreewald mit seinen rund 2 400 km2 die Orte Schönefeld und Lieberose 97,5 km auseinander. Das Sektoralkreisprinzip, nach dem die Brandenburger Landkreise möglichst eine Grenze mit Berlin haben sollen, wirkt wie eine geografische Streckbank. Wie soll sich der Bürger mit einem Landkreis identifizieren, dessen Durchquerung mit dem Auto länger dauert als der Flug nach Mallorca?

(Beifall und Heiterkeit bei der AfD - Frau Mächtig [DIE LINKE]: Solche Landkreise haben wir nicht!)

- Noch nicht, Frau Mächtig, die bekommen wir ja noch.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Das ist nicht wahr!)

Ehe wir also Kreise in der Hoffnung auf positive Effekte zusammenklatschen, lassen Sie uns doch gemeinsam nach unorthodoxen Lösungen suchen. Auf- und Ausbau der elektronischen Verwaltung haben Sie ja selbst ins Leitbild geschrieben. Wie wäre es mit einem Landratsamt auf Rädern, Kreisgemeindevernetzungen, Kooperationen von Regionen, Aufgabenteilung zwischen Landratsämtern kooperierender Kreise? Seien wir kreativ, flexibel und offen für Neues, und überlassen wir es den Kreistagen und Bürgern selbst, ob sie ihren Kreiszuschnitt behalten oder verändern möchten.

(Beifall AfD - Unruhe bei der Fraktion DIE LINKE)

Zum Punkt 6, Weiterentwicklung der gemeindlichen Ebene: In Anbetracht meiner knappen Redezeit beschränke ich mich exemplarisch auf zwei Anmerkungen: Ich finde es zum einen bedenklich, dass einerseits Neustrukturierungen auf Gemeindeebene freiwillig erfolgen sollen, andererseits aber Teilentschuldungen von einer Gemeindegröße von 10 000 Einwohnern abhängig sein sollen. Glauben Sie denn, unsere Gemeindevertreter sind lauter Koofmichs? Zum anderen sollen die Gemeinden zukunftsfit gemacht werden. Seien wir ehrlich, das bedeutet auch Einschnitte finanzieller Art. Das konterkarieren Sie durch hauptamtliche Ortsvorsteher bei Ortsteilen von mehr

als 3 000 Einwohnern. Ich frage mich: Woher soll denn das Geld für diese Ortsbürgermeister kommen?

Wir behandeln ja auch noch die Veränderung der Altersbegrenzung für hauptamtliche Bürgermeister. Wollen Sie den Alterskorridor deshalb öffnen, weil ausscheidende Landtagsabgeordnete dann hauptamtliche Ortsbürgermeister werden können? Minister Schröter bemerkte es im Innenausschuss des Landtages vom 2. Juli: „Form folgt Funktion.“ Lassen Sie es uns gemeinsam im Hinblick auf die Funktionalreform I und II ersetzen durch: Die Mittel folgen den Aufgaben.

Zusammenfassend erkläre ich für die AfD-Fraktion: Wir finden, eine Kreisgebietsreform mit Einkreisung, Neuziehung der Kreisgrenzen und gemeindlicher Weiterentwicklung ist so überflüssig wie ein Kropf.

(Beifall AfD)

Hier sollen par ordre du Mufti Strukturen geschaffen werden, die zu räumlicher wie emotionaler Entfremdung der Bürger führen. Soll das unser Leitbild sein? Effektive Verwaltung auf Kosten demokratischer Gestaltung? Das ist ein Konzept aus dem letzten Jahrhundert. Ich hoffe doch, dass die Ewiggestrigen hier im Landtag keine Mehrheit haben.

(Dr. Schöneburg [DIE LINKE]: Zum Glück nicht!)

Zur Funktionalreform: Wenn man sich die Anlage 2 zum Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsreform 2019 anschaut, lässt sich Folgendes feststellen: Die Übertragung der Aufgaben der Landesverwaltung auf die kommunale Ebene und die Übertragung der Aufgaben der Landkreise auf die gemeindliche Ebene betreffen im Wesentlichen administrative Randbereiche. Man hat das Gefühl, dass das Land nicht wirklich große Aufgabenblöcke auf die Kommunen übertragen möchte, sondern an vielen Stellen immer noch für allerhand mit oder sogar allein zuständig bleiben will.

Meine Damen und Herren! Leicht wird es nicht, dieses Leitbild auch nur im Ansatz in die Tat umzusetzen. Schon jetzt laufen Bürger dagegen Sturm. Das scheint Ihnen noch nicht so wichtig zu sein. Bei der satten Mehrheit von Rot-Rot schert sich da niemand drum, könnte man meinen. Aus den Landkreisen hört man etwas anderes. Von Grünen und Linken in diesem Haus einmal abgesehen bekommen Abgeordnetenkollegen mit Recht Feuer von ihrer Basis. Sie, Frau Abgeordnete Nonnemacher, haben auf der Veranstaltung zur Erhaltung der Kreisfreiheit der einstigen Kur- und Hauptstadt Brandenburg Ihre Begeisterung zur Kreisgebietsreform und zur Einkreisung kundgetan, weil das vermute ich - sich Ihnen bei dem Begriff Heimat alle Nackenhaare aufstellen.

(Kopfschütteln bei B90/GRÜNE und DIE LINKE - Bei- fall AfD)

Dies haben Sie sinngemäß auf der Veranstaltung, auf der wir gemeinsam mit Frau Richstein gewesen sind, gesagt. Es hat 20 Jahre gebraucht, um die Landkreise beim Bürger zu verankern und ankommen zu lassen, eine Identifikation als „Oberhävler“ oder als „Uckermärker“ zu erreichen. Das macht RotDunkelgrün, nein Rot-Dunkelrot-Grün - dunkelgrün ist aber auch eine sehr schöne Beschreibung - damit nun kaputt. Auch der Kollege Senftleben wird alle Hände voll zu tun haben, seine

Fraktion auf Linie zu bringen, wie wir im November durch die kleine Indiskretion von Herrn Kollegen Ness erfahren durften.

(Dr. Redmann [CDU]: Ach komm, mach Schluss!)

- Das hätten Sie gerne.

Meine Damen und Herren! Das Leitbild sollte die Entwicklung des Landes Brandenburg in den nächsten Jahrzehnten prägen. Wir führen heute im Plenum die erste Debatte zum Leitbild, das uns von der Landesregierung vorgelegt wurde, vor großem Publikum mit großer Verantwortung. Der Minister des Innern, der federführend zeichnet, wirbt für diese Vorlage in allen Fraktionen und stellt sich damit einer breiten, die Opposition hoffentlich auch uns - einschließenden Diskussion. Das begrüßt die AfD-Fraktion ausdrücklich, soll doch damit ein überparteiliches Nachdenken zur Zukunft unseres Landes ermöglicht werden. Allerdings lehnen wir die Arbeitsvorlagen als zweifelhafte Wette auf die Zukunft ab. Wir lehnen die Einkreisung von Brandenburg, Cottbus und Frankfurt gegen den Willen ihrer Einwohner ab, und wir lehnen auch eine Funktionalreform ab, die in Teilen so wirkt, als sei sie in der Kaffeepause von ministerialen Referenten entstanden.

(Beifall AfD)

Ein Leitbild in der vorliegenden Fassung - blutleer und technokratisch - lehnen wir in toto ab und votieren für die Überweisung an die Ausschüsse. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Danke schön. - Bevor ich die nächste Rednerin an das Pult bitte, möchte ich zwei Besuchergruppen willkommen heißen. Zum einen begrüße ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Amtsverwaltung Falkenberg-Höhe. Herzlich willkommen!

(Allgemeiner Beifall)

Ebenfalls ein herzliches Willkommen den Schülerinnen und Schülern der Jean-Clermont-Oberschule Oranienburg.