Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

Drucksache 6/2573

Die Aussprache wird vom Abgeordneten Prof. Dr. Schierack von der CDU-Fraktion eröffnet. - Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Sehr geehrte Gäste! Ich weiß nicht, ob es ein Zufall ist, dass wir im Jahr der 25-Jahr-Feier des Landes Brandenburg davon hören müssen, dass der einzige Lehrstuhl für regionale Geschichte des Landes Brandenburg auslaufen soll. Ich habe davon im Sommer über die Medien erfahren und mich damit etwas näher beschäftigt, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass dieser Geschichtslehr stuhl abgeschafft wird.

Was sind die Fakten? Im Herbst 2016 wird der Inhaber des Lehrstuhls für Landesgeschichte mit dem Schwerpunkt Bran denburg-Preußen an der Universität Potsdam, Herr Prof. Hahn, emeritiert, und dieser Lehrstuhl wird nicht mehr weiter besetzt. Die Themen, die dieser Lehrstuhl bisher bearbeitet hat, sollen fortan von anderen Lehrstühlen an der Universität Potsdam im Querschnitt bearbeitet werden - so jedenfalls der Plan der Uni in Potsdam.

Ich habe in der weiteren Diskussion erfahren, dass ein Wegfall des landesweit einmaligen Lehrstuhls durch keine derzeit existierende Institution in Brandenburg vollständig - ich sage: voll ständig - aufgefangen werden kann. Was meine ich damit? Nur ein explizit auf Landesgeschichte ausgerichteter Lehrstuhl er möglicht insbesondere die Vernetzung zu den außeruniversi tären Einrichtungen, wie Archiven, Bibliotheken, Museen und Instituten und gewährleistet weitaus besser, die landesge schichtliche Forschung und Lehre auf einem hohen Niveau langfristig und vor allem nachhaltig zu ermöglichen. Ein eige ner Lehrstuhl ist eben nicht auf den guten Willen der Profes soren angewiesen, sondern er ist ein eigener Lehrstuhl mit ei ner eigenen Institution.

(Beifall CDU sowie vereinzelt AfD)

Heute hat der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung auf 25 Jahre Brandenburg zurückgeblickt; aber die Geschichte Brandenburgs ist länger als 25 Jahre, und vor allem ist sie wechselvoller. Sich mit ihr auseinanderzusetzen, geschicht liche Linien zu ziehen, die bis heute das Handeln der Branden burger erklären, regionale Geschichte zu deuten, sie erlebbar

zu machen und in den Kontext auch der europäischen Ge schichte zu stellen, das sind meines Erachtens Humusböden unserer Brandenburger, die ein Recht auf ihren Stolz haben und möglicherweise erklären, was Brandenburg so besonders und einzigartig macht - in Deutschland und meinetwegen auch in Europa.

Ich sehe mit Bedauern, welches Signal von dieser Entschei dung ausgeht. Was bedeutet uns unsere eigene Geschichte? Was ist uns unsere eigene Geschichte wert? Was sagen wir unseren Kindern über die Geschichte der Märker, der Lausit zer, der Prignitzer, der Wenden und Sorben, die doch so ver schieden in unserem Land sind? Ist diese unsere Geschichte in uns, in Brandenburg so verankert wie beispielsweise die Landesgeschichte der Thüringer in Thüringen, die baye rische Landesgeschichte in Bayern oder die sächsische in Sachsen?

Ich sehe mit Schrecken, dass diese Entscheidung einem Trend in anderen Bundesländern folgt: dass Landesgeschichte eben nicht mehr diese Purität hat. Man stellt sich dann lieber die Fragen der großen europäischen Geschichte, widmet deshalb Lehrstühle um oder stampft sie ein und verliert so den regio nalen Bezug. Aber ich meine, das ist ein Trugschluss. So wie Europa aus den Regionen lebt, so muss Geschichte auch expli zit aus seiner eigenen Regionalität leben.

(Beifall CDU)

Nur so bilden sich überhaupt Identitäten, die mit ihrer Region eng verwurzelt sind.

Laut Definition betreibt die Landesgeschichte als historische Disziplin Geschichtswissenschaft in einer besonders ausge prägten landeskundlichen Perspektive. Im Mittelpunkt des In teresses stehen neben politischer und Ereignisgeschichte unter anderem Siedlungsgeschichte sowie Wirtschafts- und Sozial geschichte von historischen Landschaften.

Meine Damen und Herren! Landesgeschichte macht also die Menschen mit der Geschichte der Region, in der sie leben, be kannt und fördert damit das Bewusstsein und die Historizität, also die Geschichtskenntnis des eigenen Lebensraumes. Ja, die Beschäftigung mit der Geschichte vor Ort und der Region kann besonders motivieren und Initiativen wecken, um historischen Phänomenen vor Ort auf den Grund zu gehen. Nicht zuletzt für die Motivation von Schülern und Studenten hat Landesge schichte eine besondere Relevanz.

Jetzt komme ich zum Thema der heutigen Aktuellen Stunde zurück. Landesgeschichte ist unter Berücksichtigung der Fak toren Migration und Europäisierung aktuell von großer Bedeu tung. Insbesondere Menschen, die zu uns kommen und hier ei ne neue Heimat finden, haben die Chance, sich landesge schichtlich zu engagieren und sich damit zu identifizieren. Denn - das ist klar - auch in einer Globalität nehmen wir für unsere eigene Identität immer wieder auf kleinere und über schaubare räumliche Einheiten wie Land und Region Bezug und nicht nur auf die Welt. Deswegen spielt Landesgeschichte nicht nur bei der individuellen Selbstfindung und der touristi schen Vermarktung eine Rolle, sondern dient auch der persön lichen Selbstvergewisserung. Das ist in Europa besonders zu beobachten - und eben auch hier in Brandenburg.

Wilhelm von Humboldt hat einmal gesagt:

„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“.

Die schwierige Frage, woher wir kommen und wohin wir ge hen, ist eben nicht nur eine philosophische, eine religiöse oder eine politische Frage, sondern vor allem eine Frage unserer ei genen Geschichte in Brandenburg. Mit dem Verlust des Lehr stuhls für brandenburgisch-preußische Landesgeschichte ver lieren wir in Berlin und Brandenburg den einzigen ordentlichen Lehrstuhl. Die bestehende Stiftungsprofessur an der Hum boldt-Universität wird bald auslaufen, andere wissenschaft liche, sehr ehrliche Bemühungen für dieses Thema werden eine systematische Forschung in dieser Art nicht mehr ermöglichen. Während südliche Bundesländer an jeder Universität einen sol chen Lehrstuhl haben - in Sachsen gibt es sogar ein Institut für Landesgeschichte, in Bayern muss jeder Lehramtsstudent eine Prüfung zur Landesgeschichte bestehen, sonst wird er nicht als Lehrer zugelassen -, sind wir in Brandenburg mit dem Auslau fen des Lehrstuhls einverstanden, und über den neuen schu lischen Rahmenlehrplan wird der Geschichtsunterricht an un seren Schulen gekürzt. Dies wird nicht nur von den Geschichts lehrern und Wissenschaftlern, sondern auch von den Branden burgern beklagt - ich meine zu Recht. Ein Lehrstuhl wird ein gespart, der Geschichtsunterricht gekürzt. Wie ein Muster zieht sich die zunehmende Geschichtslosigkeit durch diese Legisla turperiode im Jahr 25 der Deutschen Einheit.

(Beifall CDU und AfD)

Um die kulturelle Vielfalt und wechselvolle Geschichte Bran denburg-Preußens angemessen und kritisch zu würdigen, um auf der Höhe der Zeit zu bleiben und eben nicht den Briten und Australiern die brandenburgisch-preußische Forschung, die in der Brandenburgforschung sogar internationale Bedeutung er langen, zu überlassen, brauchen wir eine eigene institutionelle Förderung und Forschung. Wir brauchen diese Forschung nicht nur, um vergangenes Leben in unseren Dörfern und Städten zu analysieren, sondern wir brauchen die Geschichte als Impuls geber für die Schüler und Studenten, für die Archive, Museen und Vereine. Die landesgeschichtliche Forschung und Lehre vermittelt Verständnis vom historischen Gewordensein unseres Landes. Deshalb hat sie Bedeutung für unsere gesamte Gesell schaft im 25. Jahr der Deutschen Einheit. Deshalb werbe ich so engagiert für diesen Antrag. Dies ist nicht nur die Aufgabe ei ner Universität - das sage ich explizit -, sondern eine gesell schaftliche Aufgabe. Die Landesregierung muss die Ressour cen dafür bereitstellen. - Herzlichen Dank.

(Beifall CDU und AfD)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag sein, dass Geschichte nicht weise macht für immer, vielleicht nicht einmal klug für ein andermal, wie es sinngemäß der große Schweizer Historiker Jacob Burkhardt gesagt hat. Dass sie Menschen unter uns nicht klüger gemacht hat, das haben wir heute Morgen vor

den Türen des Landtages erfahren. Dennoch kommt keine Zeit bzw. keine Generation ohne das Nachdenken über Geschichte und Geschichtlichkeit aus. Wir wurden, was wir sind, und wer mehr über sein Werden weiß, weiß mehr über sich.

Für uns bedeutet das: Wer die Identität des Landes Branden burg, wer die Menschen in unserem Land und deren Situation verstehen will, benötigt Kenntnisse über Brandenburg bzw. preußische Landesgeschichte. Das ist keine Frage. Aber muss es deshalb einen Lehrstuhl geben? Wird es keine brandenbur gisch-preußische Geschichte mehr geben, wenn dieser Lehr stuhl wegbricht? Ich meine nein. Es kann nicht von einem Lehrstuhl bzw. einer Person abhängig gemacht werden. Die Universität Potsdam wird ein Forschungszentrum gründen, das sich querschnittsmäßig mit der Landesgeschichte und den Fra gen, die sich für die Zukunft aus dieser Forschung kristallisie ren, beschäftigt. Das klingt nicht so, als würden die Wissen schaftler den Staub von alten Büchern kehren. Im Gegenteil, es klingt spannend, und es kann gelingen, das Interesse junger Menschen, junger Studierender an der Geschichte zu wecken. Es ist die Kernaufgabe der Geschichtswissenschaften, junge Menschen beim Aufbau historischen Bewusstseins zu helfen, sie erkennen zu lassen: Wer die Gegenwart verstehen will, muss die Vergangenheit kennen. Und Zukunft braucht Her kunft. Das zu vermitteln - davon bin ich überzeugt - wird den überaus kompetenten Professorinnen und Professoren der Lehrstühle Geschichte des Mittelalters und Geschichte der Frü hen Neuzeit in Potsdam gelingen.

Wir haben den Etat der Hochschulen in diesem Jahr um 10 Mil lionen Euro erhöht. Über die Verteilung der Mittel wird hart gerungen. Es gibt Hochschulentwicklungspläne und Hoch schulverträge mit der Landesregierung. Wir, das Parlament, sollten uns nicht in die Hochschulautonomie einmischen, weil wir einen Lehrstuhl wünschen, der das Etikett „brandenbur gisch-preußisch“ trägt.

Die Brandenburger Identität bildet sich übrigens nicht an einem Lehrstuhl ab. Erst vor wenigen Tagen feierten zum Bei spiel die Gemeinden Ruhlsdorf, Lanke und Biesenthal ihre 700-jährige Geschichte mit einem historischen Festumzug, Musik und allem Drum und Dran, wie man so schön sagt.

(Wichmann [CDU]: Na, dann ist ja alles in Ordnung! Mit einem Festumzug ersetzen wir den Lehrstuhl!)

Das belegt: Die Brandenburger Landesgeschichte wird nicht vergessen. Im Gegenteil, sie wird gelebt, und darauf, meine ich, kommt es an.

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)

Danke schön. - Für die AfD-Fraktion erhält der Abgeordnete Kalbitz das Wort.

Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr ge ehrte Damen und Herren! Nächstes Jahr werden wir an der Universität Potsdam keinen Lehrstuhl für Landesgeschichte mehr haben. Der derzeitige Lehrstuhlinhaber wird in den Ru hestand gehen, und der Lehrstuhl wird nicht nachbesetzt - so

weit die Planung. Es wird in Brandenburg dann niemanden mehr geben, der sich in dieser Form wissenschaftlich mit der Landesgeschichte befasst. Das, liebe Kollegin Müller, ist etwas anderes, als einen Umzug zu veranstalten. Der ist schön bunt, hat aber nichts mit wissenschaftlicher Arbeit zu tun.

(Beifall AfD)

Da schaut es in anderen Bundesländern ganz anders aus. Die Sachsen leisten sich einen Lehrstuhl für Sächsische Landesge schichte, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stehen Sachsen in nichts nach. In Bayern - das überrascht uns nicht - hat sogar jede Universität einen Lehrstuhl für Landesgeschichte.

Der aktuelle Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Peter-Michael Hahn sagte laut „Märkischer Allgemeiner Zeitung“:

„Die Vergangenheit des Landes hat die Politik hier nicht interessiert.“

Da scheint er leider Recht zu haben. Auch die Universität wür de den Lehrstuhl lieber behalten, aber dafür hat die Landesre gierung kein Geld übrig. Jetzt soll es die Universität mit einer Notlösung probieren. Die Aufgaben des bisherigen Lehrstuhls werden auf einen Lehrstuhl, eine Professur und eine außerplan mäßige Professur verteilt. Das wird so nicht funktionieren. Man kann nicht mal so nebenbei in der Landesgeschichte for schen. Mit einer außerplanmäßigen Professur wird man zudem keine größeren Forschungsvorhaben verwirklichen können.

Da braucht die Landesregierung nicht zu verkünden, dass die Landesgeschichte angemessen an Universitäten vertreten ist. Sich hinter der Hochschulautonomie zu verstecken und mit dem Finger auf die Universität Potsdam zu zeigen bringt auch nichts - die Universität bekommt ihr Geld schließlich vom Land.

Wem sagen heute die Namen Sueben, Heveller oder Askanier etwas? Wer kann die Begriffe Altmark, Nordmark, Kurmark und Neumark noch richtig einordnen? Wer kennt die bewegte Geschichte der Lausitz? Wahrscheinlich wird man über den Köpfen der meisten Menschen ein Fragezeichen sehen. Wieso ist das so? Die Landesregierung - wir haben es heute Morgen erlebt - schwadroniert zwar über die Brandenburger Identität, verordnet uns aber, wie wir auch an der Abschaffung dieses Lehrstuhls sehen, eine Geschichts- und Identitätslosigkeit. Das fängt bei den Schulen an und setzt sich an den Universitäten fort. Geschichte fängt bei der Landesregierung anscheinend erst um 1900 an.

Aber nicht nur im Bildungsbereich ist das Leitbild der Landes regierung Geschichtslosigkeit. Ein kleiner Exkurs nach Schmölln in der Uckermark: Dort hat die Landesregierung eine frühzeitliche Kultstätte teilweise in einer Kiesgrube entsorgen lassen; den anderen Teil hat man zuerst gar nicht untersucht. Und dies, weil man ein Regenwasser-Rückhaltebecken bauen wollte! Wissenschaftler nannten die Kultstätte in Schmölln ein zigartig. Selbst die Landesregierung misst ihr landesgeschicht liche Bedeutung bei. Sie haben die Stätte trotzdem abräumen lassen, weil Ihnen die Landesgeschichte offensichtlich egal ist. Die Forderung von Bürgern aus Schmölln, die Kultstätte in Form eines Museums zu erhalten, interessiert Sie auch nicht.

Wir fordern: Geben Sie unserer Brandenburger Geschichte ei

nen angemessenen Platz in der Öffentlichkeit - sei es in Schmölln oder auch an den Universitäten des Landes! Deswe gen unterstützen wir den vorliegenden Antrag der CDU. - Vie len Dank.

(Beifall AfD)

Vielen Dank. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abge ordnete Vandre. Bitte schön.

Herr Vizepräsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Herr Schierack, ich zitiere aus Ihrem Landtagswahlpro gramm:

„Einen Eingriff in die Hochschulautonomie wie bei der BTU Cottbus und Fachhochschule Senftenberg wird es mit der CDU Brandenburg nicht geben.“

(Frau von Halem [B90/GRÜNE]: Bravo! - Beifall des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

In der 2. Lesung zum Hochschulzulassungsgesetz am 12. Juni sagten Sie:

„Trotz der rechtssicheren Regelung, die wir mit diesem Gesetz gestalten wollen, wollen wir als Union die Auto nomie, die Lehrfreiheit der Hochschulen erhalten.“

(Beifall und Zuspruch von der Fraktion DIE LINKE - Beifall der Abgeordneten Müller [SPD])