Protokoll der Sitzung vom 18.11.2015

Vielen Dank. - Wir setzen die Debatte fort. Zu uns spricht der Abgeordnete Christoffers für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die zu uns kommenden Flüchtlinge dem Terrorismusverdacht aussetzt, ei nen Generalverdacht ausspricht, der will, glaube ich, die Ge sellschaft verändern: weg von einer offenen, demokratischen Gesellschaft. Damit hätte der Terrorismus sein Ziel erreicht. Ich finde es unverantwortlich, was in diesem Punkt in den letz ten Tagen und Wochen in Deutschland unter anderem von der AfD diskutiert wurde.

(Beifall DIE LINKE, SPD, B90/GRÜNE und CDU)

Meine Damen und Herren, wir sind eine offene und demokra tische Gesellschaft. Eine offene und demokratische Gesell schaft ist nicht wehrlos, sondern wehrhaft, schon allein aus ih rem Selbstverständnis heraus, das darauf beruht, dass Individu alität und Freiheit gegenüber berechtigten Sicherheitsinteres sen abgewogen werden müssen, ohne dass Individualität und Freiheit eingeschränkt werden. Das ist ein sehr komplizierter Prozess. Wir erleben das jedes Mal, wenn wir darüber diskutie ren, was an Sicherheit notwendig bzw. machbar ist und wo es Grenzen gibt. Das ist auch ein politisch schwieriger Prozess. Aber in einer freien und demokratischen Gesellschaft gelingt es, eine Balance zu finden. Wenn diese Balance aufgegeben wird, sind die politischen Zielstellungen des Terrorismus er reicht, und wir haben uns selbst aufgegeben.

(Beifall DIE LINKE, SPD, B90/GRÜNE und der Abge ordneten Richstein [CDU])

Insofern kann die Antwort auf die Anschläge von Paris, Beirut und anderswo nicht lauten, nach zusätzlichen Sicherheitsmaß nahmen zu rufen, sondern wir müssen uns als Erstes fragen: Wie schaffen wir es, eine offene, demokratische und freie Ge sellschaft zu erhalten? Dabei ist selbstverständlich auch zu überlegen, welche Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen sind.

Von Norwegen ist schon die Rede gewesen. Meine Damen und Herren, ich fand es bemerkenswert, dass der französische Prä sident nicht den NATO-Bündnispartner, sondern die EU ange sprochen hat. Die EU-Verträge bieten ein viel breiteres Spek trum, was an Leistungen und gemeinsamer Arbeit innerhalb Europas zur Unterstützung Frankreichs geleistet werden kann. Ich kann an dieser Stelle nur appellieren: Bevor man über Mili tärschläge nachdenkt, sollte man die Erfahrungen und Konse quenzen aus den Konflikten im Irak und in Afghanistan ver stärkt berücksichtigen. Ohne ein politisches Konzept zum Um gang mit den Regionen, in denen Bürgerkrieg herrscht, werden wir keine Lösung erhalten.

(Beifall DIE LINKE sowie vereinzelt SPD und B90/ GRÜNE)

Das, meine Damen und Herren, wird auch uns selbst vor große Herausforderungen stellen. Nicht jeder Gesprächspartner, den wir dabei ansprechen müssen, ist uns politisch nahe oder in ir gendeiner Form sympathisch. Ich denke da an Syriens Macht haber Assad, ich denke auch an Russland und an arabische Staaten, auch die Vereinigten Arabischen Emirate, die endlich ihre Eigenverantwortung wahrnehmen müssen, das umzuset zen, was auf dem G20-Gipfel beschlossen wurde, nämlich Fi nanzströme zur Unterstützung des IS auszutrocknen.

(Beifall DIE LINKE und SPD sowie der Abgeordneten Nonnemacher [B90/GRÜNE])

Meine Damen und Herren, wenn wir es nicht schaffen, uns in Europa auf das gemeinsame Wertesystem zu besinnen, eine ge meinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu betreiben und zu nächst mit politischen und anderen Mitteln versuchen, darauf Einfluss zu nehmen, dass soziale Ausgrenzung, soziales Elend, Diktaturen überwunden werden, dann, glaube ich, stehen die europäische Wertegemeinschaft und Europa auf dem Spiel. Bei der Finanzkrise geht es um Geld, um die Stabilisierung eines Finanzmarktes. Hier geht es um die Grundlagen der europä ischen Zusammenarbeit.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE und SPD sowie der Abge ordneten Nonnemacher und Vogel [B90/GRÜNE])

Wenn sich Staaten darauf nicht mehr einigen können, dann ge ben sie die Gemeinsamkeiten auf, mit denen sie in Europa agieren. Deswegen hoffe ich sehr, dass die Ereignisse dazu führen, dass man sich wieder auf diese gemeinsamen Werte verständigt und auch gemeinsam handelt.

Ich habe mit Besorgnis zur Kenntnis genommen, dass pol nische Spitzenpolitiker nach der Wahl Vorschläge unterbrei teten, Syrer hier in Europa militärisch auszubilden und in den Kampf gegen den IS zu schicken. Meine Damen und Herren, das kann doch keine ernsthafte politische Lösung sein! Inso fern gibt es auch für Deutschland, gerade durch die zentrale Stellung, die Deutschland in Europa hat, sehr viel zu tun. Ich kann nur alle demokratischen Parteien und Kräfte dazu auffor

dern, trotz aller politischen Differenzen gemeinsam daran zu arbeiten.

(Beifall DIE LINKE sowie der Abgeordneten Nonnema cher und Vogel [B90/GRÜNE] und Müller [SPD])

Zweitens: Meine Damen und Herren, es wäre nicht nachvoll ziehbar, wenn sich nach den Anschlägen von Paris und anders wo nicht jeder von uns fragen würde: Wie gehe ich selbst damit um? Wie gehe ich mit der Befürchtung um, dass eine freie und demokratische Gesellschaft solche Anschläge nicht ausschlie ßen kann? Es gibt keine Sicherheit bis zum letzten Moment, meine Damen und Herren. Natürlich ist das auch in meinem Familien- und Bekanntenkreis ein Thema. Aber die Schlussfol gerung aus der eigenen Unsicherheit bzw. der Unsicherheit, die in der Öffentlichkeit zu spüren ist, heißt nicht, dass Abschot tung in einer freien und offenen Gesellschaft zu mehr Sicher heit führt. Auch geschlossene Grenzen verhindern Anschläge nicht. Deswegen werden wir uns politisch die Karten legen müssen, in welchem Kontext wir auch in der gegenwärtigen Situation Freiheit, Demokratie und Sicherheit miteinander ver binden. Ich glaube, das wird uns auch gelingen.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Meine Damen und Herren, natürlich leisten wir heute nur den ersten Schritt: Wir bringen Menschen unter. Die Integration ist die eigentliche Herausforderung. Integration wird sich auf mehreren Säulen abspielen müssen. Die erste Säule ist für mich die Sprache - das ist schon angesprochen worden -, die zweite ist die Integration in Arbeit, die dritte Säule ist die Bil dung und die vierte der Respekt voreinander. Respekt vorei nander heißt, dass unser Wertesystem so, wie es im Grundge setz definiert ist, Gleichberechtigung der Geschlechter, Demo kratie, Trennung von Kirche und Staat, nicht infrage steht. Das heißt umgekehrt aber auch, Respekt davor zu haben, dass ande re Kulturen anders leben. Wir werden gemeinsam einen Weg finden und all das, was uns zwingen soll, unsere Grundwerte, nach denen wir leben, das politische Selbstverständnis aufzu geben, zurückweisen müssen. Genauso werden wir lernen, re spektvoll mit anderen umzugehen.

Meine Damen und Herren, wir sind mit einer Situation kon frontiert, die es nie zuvor in diesem Umfang gab. Weil das so ist, sind wir alle gefragt. Das Landesaufnahmegesetz ist ange sprochen worden. Meine Damen und Herren, was erwarten Sie denn? Denken Sie, dass wir Vorschläge aus Diskussionen mit Akteuren und der Gesellschaft über die beste Form von Auf nahme nicht aufgreifen? Natürlich nehmen wir Vorschläge auf. Wir werden das Gesetz so konfigurieren, dass es Kommunen nicht überfordert, zugleich aber den Grundsatz der Integration deutlich macht. Insofern werden wir auch in der Perspektive eine öffentliche Diskussion über die besten Wege, Instrumente und Mittel zur Integration führen.

Herr Senftleben, ich darf Ihnen eines versichern: In der Koali tion gibt es keine verschiedenen Meinungen darüber, dass Inte gration die zentrale Herausforderung ist. Insofern fordere ich Sie - sicherlich auch im Namen unseres Koalitionspartners - dazu auf, das umsetzen zu helfen, was Sie in Ihrer Rede gesagt haben: Wir müssen gemeinsam den gesellschaftlichen Hinter grund organisieren, unterstützen und voranbringen und deut lich machen: Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus ha ben bei uns keine Chance, und die Integration steht für uns ge

meinsam im Mittelpunkt zukünftiger Bemühungen.

(Beifall DIE LINKE und SPD sowie des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜNE])

Insofern, meine Damen und Herren, bin ich froh, dass heute die Aktuelle Stunde zu dieser Thematik stattfindet. Auch ich war zu Anfang skeptisch. Aber es zeigte sich: Es war richtig. Wir werden sicherlich - auch in der Perspektive - zu diesem Thema noch sehr oft in verschiedenen parlamentarischen De battenformen miteinander diskutieren. - Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag des Abgeordneten Dr. Gauland für die AfD-Fraktion fort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Ness, in der Beurteilung des IS sind wir uns einig, sonst leider in nichts, aber das wird Sie nicht wundern.

Ich will nur eine Frage stellen: Woher wissen wir eigentlich, dass alle Flüchtlinge Opfer und nicht auch Täter darunter sind?

(Oh! bei SPD und DIE LINKE)

Woher wissen wir das, da 300 000 Menschen unregistriert in diesem Lande leben und wir auch gar keine Agenda haben, wie wir diese 300 000 Menschen registrieren wollen.

(Zuruf von der SPD)

Seien Sie mir nicht böse - das gilt jetzt für alle, CDU, SPD, Grüne und Linke -: Sie werden die Debatte nicht trennen kön nen. Sie werden an dem Versuch scheitern, die Flüchtlingszu wanderungspolitik in der bisherigen Art vom Terrorismus zu trennen. Das können Sie nicht, weil es bis jetzt eben keine kon trollierte, ordentliche Zuwanderung war, sondern eine unkon trollierte, bei der wir niemals wissen konnten, wer in dieses Land gekommen ist.

(Beifall AfD - Zuruf von der CDU: Sie glauben doch nicht, dass die Terroristen im Schlauchboot kommen!)

Versuchen Sie also nicht, die Debatte künstlich auseinanderzu halten. Sie werden es nicht schaffen. Die Menschen auf der Straße reden schon genau so.

Denn auch in Brandenburg, meine Damen und Herren, ver schwinden Menschen einfach so aus Erstaufnahmeeinrich tungen. Keiner weiß, wohin sie gehen oder was sie vorhaben. Die Kommunen sind mit ihren Mitteln am Ende und die zuge gebenermaßen bewundernswerten freiwilligen Helfer werden immer mehr zu - Entschuldigung - nützlichen Idioten einer ver antwortungslosen Utopie …

Herr Abgeordneter …

… herabgewürdigt.

(Beifall AfD - Zuruf von der SPD: Waren Sie schon mal dort? - Unmut bei SPD, DIE LINKE sowie B90/GRÜNE)

… ich darf Sie darum bitten, in diesem Zusammenhang auf dieses Vokabular zu verzichten …

Mehr noch …

... und erteile Ihnen hiermit einen Ordnungsruf.

(Beifall bei SPD, CDU, DIE LINKE sowie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mehr noch: Die überfüllten Flüchtlingsunterkünfte werden zu Brutstätten der Gewalt,

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE)

und in den hastig errichteten Zeltstädten frieren sich die Men schen in den Winter. Doch anstatt - jetzt wende ich mich an SPD, Grüne und Linke - sich dem Wahnsinn Merkels in den Weg zu stellen und einen Aufnahmestopp zu verlangen, wird hier ein Antrag voller Integrations- und Willkommensphrasen eingereicht.

(Bischoff [SPD]: Sie haben nichts verstanden!)

Wie heißt es darin so schön? Mithilfe einer erfolgreichen Inte gration wollen Sie aus den zu uns kommenden Menschen Freunde, Kollegen, Nachbarn und gute Mitbürger unseres Lan des machen.

(Zurufe von der SPD: Ja, genau! Richtig!)

Liebe Kollegen, das klingt fast schon zynisch angesichts der bisherigen Regierungsleistung von SPD und Linken. Die Kin derarmut liegt in diesem Lande bei über 30 %; in der Ucker mark ist jeder Sechste arbeitslos; in der Prignitz brechen 12 % die Schule nach der 7. Klasse ab, sie haben nicht einmal einen Hauptschulabschluss.

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Sie haben keine Ahnung!)

Nun kommen aufgrund der von Merkel propagierten bedin gungslosen Grenzenlosigkeit Millionen Menschen nach Deutschland. Der übergroße Teil davon sind junge männliche Muslime aus einem Kulturkreis, der Allahs Willen über die freie und demokratische Gesellschaft stellt, und die - da be rufe ich mich auf Frau Nahles - nur zu einem verschwindend geringen Teil mit nennenswerten schulischen und beruflichen