Protokoll der Sitzung vom 18.11.2015

Einige Abgeordnete stellen sogar grundsätzlich unser Recht auf parlamentarische Mitbestimmung in Abrede. Im vorliegen Fall wird wieder einmal behauptet, dass wir kein Gesprächs partner seien und darum gar nicht erst gefragt werden müssten, um dann zu behaupten, wir lehnten das Grundrecht auf Asyl ab. Das nenne ich Heuchelei.

(Beifall AfD)

Ein paar Zitate der letzten Wochen; Frau Gossmann-Reetz:

„Für uns kann es angesichts solcher Demagogie keine Zusammenarbeit mit der AfD geben.“

(Domres [DIE LINKE]: Reden Sie zum Thema!)

Für die SPD ist das schlichte Nennen von Tatsachen also De magogie. Frau Abgeordnete Gossmann-Reetz, die Wirklichkeit hat Sie doch längst eingeholt. Aber es ist Ihnen noch immer unmöglich, sie als solche zu akzeptieren.

Die Volksvertreterin Johlige von den Linken sagte:

„Ich sehe nicht, dass die AfD in der Frage der Integration von Flüchtlingen ein Partner für uns sein kann.“

Warum nicht, Frau Johlige? Gerade von Ihnen ist doch immer etwas von gesamtgesellschaftlicher Aufgabe zu vernehmen. Sind wir und unsere Wähler, die es ja zahlreicher gibt, als es Ihnen lieb ist, also kein Teil der Gesellschaft?

Meine Damen und Herren, begreifen Sie endlich: Sie werden mit der AfD-Fraktion in den nächsten Jahren zusammen in die

sem Parlament sitzen. Ob Sie unsere Positionen teilen oder nicht, ändert nichts an der Tatsache, dass Ihre Wähler Ihnen und unsere Wähler uns einen Arbeitsauftrag gegeben haben, und nur das darf der Maßstab sein.

Der Antrag wird an den Ausschuss überwiesen, und zumindest dort ist es Ihnen nicht möglich, uns von einer sachlichen De batte auszuschließen. Wir verweigern uns jedenfalls nicht. - Vielen Dank.

(Beifall AfD - Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Re den Sie doch einmal zur Sache!)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Kol legin von Halem.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Herr Königer, wir wollen Ihnen das Grundrecht auf abweichende Meinungsäußerung über haupt nicht absprechen - weder Ihnen noch Ihrer Fraktion.

(Zuruf von der AfD: Doch!)

Ich kann Ihnen aber deutlich sagen, dass der Auftrag, den mir meine Wählerinnen und Wähler gegeben haben, nicht bedeutet, bei einem so heiklen Thema wie den unbegleiteten minderjäh rigen Flüchtlingen darüber zu diskutieren, wer als Erstes abge schoben werden soll und was das Süppchen dieser oder jener Person mit dieser oder jener Religionszugehörigkeit den bran denburgischen Staat eigentlich kostet.

(Beifall B90/GRÜNE und DIE LINKE - Königer [AfD]: Sie haben doch nur halb so viele Wähler wie wir!)

- Entschuldigen Sie: Ja, das mag schon sein. Aber deshalb ist mir deren Auftrag ja nicht weniger wichtig. Er ist mir vielleicht sogar doppelt so wichtig.

(Königer [AfD]: In vier Jahren werden Sie noch weniger sein!)

Die gute Nachricht in Bezug auf diesen Tagesordnungspunkt ist: Wir setzen das im Oktober beschlossene Bundesgesetz schnell um. Vier Fraktionen - immerhin vier Fraktionen! - die ses Landtags setzen es um. Die schlechte Nachricht ist, dass wir, SPD, DIE LINKE und Bündnisgrüne, zu diesem Thema im April schon einmal einen Landtagsbeschluss gefasst haben. Wir hatten damit gerechnet, dass ausgehend von den 80 unbe gleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die wir in der Zeit davor zählten, ein Zuwachs auf ungefähr 400 zu erwarten sei. Aus diesen damals erwarteten 400 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen sind mittlerweile 1 500 unbegleitete minderjäh rige Flüchtlinge geworden.

Die Vorbereitung der Jugendämter ist offensichtlich unzurei chend, wenn auch deutlich geworden ist, dass die Jugendämter mehrheitlich - so ist zumindest mein Eindruck - wirklich guten Willens sind. Seit April, seit der Verabschiedung des Antrages, der ziemlich genau die Rahmenbedingungen dafür festgelegt hat, welche Schritte die Landesregierung gehen soll, ist so gut wie nichts geschehen.

Wir brauchen für diese Jugendlichen dringend eine gute medi zinische und soziale Betreuung sowie therapeutische Ange bote. Sie brauchen die Anbindung an einen adäquaten Sozial raum, Zugang zu Bildung sowie Ausbildungsperspektiven. Es muss einheitliche Clearingverfahren geben. Herr Baaske hat immer wieder gesagt, das sei nicht möglich, denn wir hätten noch keine Erfahrung. Das ist so nicht ganz richtig, denn wir haben ALREJU und das Jugendamt in Oder-Spree mit ihren sehr guten Erfahrungen. Wir tun sehr gut daran, gemeinsam mit den beiden Institutionen und dem „Bundesfachverband unbe gleitete minderjährige Flüchtlinge“ zügig Standards zu entwi ckeln.

Darüber hinaus brauchen wir qualifiziertes Personal und Perso nal für die Jugendämter. Auch das wissen wir. Vor dieser Auf gabe stehen wir, sie ist bisher ungelöst. Wir wissen auch, dass die heutige Gesetzesänderung nur eine erste Grundsteinlegung sein kann. Wir brauchen ein flexibles Verständnis von Geset zesnormierung und Verwaltungshandeln, Fehlerfreundlichkeit. Wir brauchen eine Kultur des positiven Feedbacks in diesem Bereich und eine niedrige Hemmschwelle, Gesetze, auch neue, wenn nötig, schnell wieder zu ändern. Drittens brauchen wir etwas mehr Tempo, als es die Landesregierung bis jetzt an den Tag gelegt hat.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE)

Vielen Dank. - Für die Gruppe BVB/FREIE WÄHLER spricht der Abgeordnete Vida. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete! In der vorletzten Landtagsdebatte hat die Gruppe BVB/FREIE WÄH LER auf die besonderen pädagogischen und psychologischen Bedürfnisse minderjähriger Flüchtlinge hingewiesen. Denn diese haben ein besonderes Potenzial, was die Ausbildungsbe reitschaft und die Ausbildungsfähigkeit betrifft, aber natürlich auch eine besondere Schutzbedürftigkeit.

Deswegen hätte es meines Erachtens den Einreichern des Ge setzentwurfs gut zu Gesicht gestanden, auch unsere Ideen auf zugreifen und in den Einbringungsprozess einzubinden. Wir können zwar nicht in den betreffenden Ausschüssen Mitglied sein, dennoch können wir uns hierzu eine fundierte Meinung bilden.

Richtig ist, dass sich die Qualität der Flüchtlingshilfe dadurch zeigt, dass auf die unterschiedlichen Gruppen bzw. auf die Be dürfnisse der Gruppen mit passenden und angepassten Instru menten reagiert wird. Deswegen ist es auch gut, dass mit dem Gesetzentwurf Klarheit geschaffen wird, dass die medizinische Erstuntersuchung auch für unbegleitete minderjährige Flücht linge gilt. Das sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Manchmal aber braucht es die Wiedergabe von Selbstverständ lichkeiten, damit sie gängige Praxis werden.

Ebenfalls begrüßenswert ist, dass auf die Erstattungsfristen für die örtlichen Träger der Jugendhilfe verzichtet wird. Dies trägt der Belastung und möglichen Überlastung der Kommunen bzw. Träger vor Ort Rechnung. Sie sollen nicht auf den Kosten sitzen bleiben, nur weil der gestiegene Verwaltungsaufwand zur Verzögerung bei den Erstattungsanträgen führt. Dadurch

wird es auch leichter, sich auf die akuten Maßnahmen zu kon zentrieren.

Etwas irritiert war ich allerdings angesichts der Begründung zu § 24b Abs. 3 des Gesetzentwurfs. Dort ist die Rede von den Umständen für die besondere Schutzbedürftigkeit. In der Be gründung wird als ein Beispiel für besondere Schutzbedürftig keit „drohende Schwangerschaft“ genannt. Ich bitte, in der Ausschussdiskussion festzustellen, ob das wirklich die richtige Formulierung ist. Wie stellt man eine drohende Schwanger schaft fest? Ist eine Schwangerschaft etwas Bedrohliches? Ist das die richtige Erklärung in dem Punkt? Das ist im Ausschuss vielleicht zu klären. Ich bitte um einen klarstellenden Hinweis bei einer solch wichtigen Sache.

Interessant ist auch die Bildung von Schwerpunktjugendämtern. Ein Entwurf sieht vor, die Landesregierung zu ermächtigen, die se zu bestimmen. Nun ist das vom Ablauf her in der Rechtset zung sicherlich normal. Allerdings knüpft sich daran auch eine inhaltliche, fachliche Frage: In welchem Zeitraum und mit wel chen bisherigen Erfahrungswerten wird die Landesregierung die Bestimmung dieser Schwerpunktjugendämter vornehmen? Wichtig ist, dass diese Regelung in absehbarer Zeit mit Leben gefüllt wird. Dass die Bestellung vorzunehmen an die Landesre gierung abgegeben wird, ist völlig okay. Ich möchte aber zu einem frühen Zeitpunkt wissen: Nach welchen Kriterien bzw. aufgrund welcher Kenntnisse wird diese Bestimmung erfolgen? Gibt es hierzu sogar schon ein gefestigtes Meinungsbild?

Meine Damen und Herren, das ist eine bedeutende Angelegen heit, die den menschlichen Anspruch unseres Bundeslandes verdeutlicht. Deswegen ist die öffentliche Darstellung auch au ßerhalb des Ausschusses an gehobener Stelle - das heißt also hier im Plenum - erforderlich und eine Diskussion richtig und wichtig. Deswegen verbinde ich das mit der Bitte um konkrete Antworten spätestens im Ausschuss zu den hier aufgeworfenen Fragen. - Vielen Dank.

(Beifall der Abgeordneten Schülzke [BVB/FREIE WÄH LER Gruppe])

Vielen Dank.- Für die Landesregierung spricht Minister Baas ke.

Herr Vizepräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sind unter den Flüchtlingen, die zu uns kommen, sehr spezielle Fälle. Sie ha ben mitunter eine wahre Odyssee hinter sich, haben ihre Fami lien, wenn es sie überhaupt noch gibt, hinter sich gelassen. Manche haben gar keine Familie mehr. Frau Augustin - jetzt ist sie nicht da -, mir haben Jungs Bilder von den Gräbern ihrer Eltern gezeigt. Also wenn einen das nicht anfasst, dann weiß ich auch nicht mehr. Das berührt wirklich sehr tief. Da sagt man: Man muss alles dafür tun, dass die Jungs hier Fuß fassen können und dass es ihnen gelingt, hier eine Existenz aufzubau en. Sie sind mit ihren 15, 16 oder 17 Jahren in einem Alter, in dem sie eine Familie brauchen und in dem der Rückhalt und die Zuwendung einer Familie notwendig sind. Die haben sie jetzt aber nicht. Darum müssen wir alles daran setzen, ihnen Wärme und Rückhalt zu geben.

Das Bundesgesetz ist gerade 18 Tage alt und kam auf Be schluss des Antrags vom 5. September, Frau von Halem, we sentlich schneller als gedacht. Wir haben damit gerechnet, dass das Gesetz frühestens zum 1. Februar nächsten Jahres in Kraft tritt. Die Jugendämter haben auch damit gerechnet. Das waren noch etwas andere Bedingungen. Insofern wirkt alles, was in den Jugendämtern passiert, relativ improvisiert.

Es ist vorstellbar, dass die Idee mit den Schwerpunktjugend ämtern funktioniert - Herr Vida ist nicht anwesend -, wenn man die Zahl von 600, die Frau von Halem zuerst angesprochen hat, auf Brandenburg herunterrechnet. Dann hätte man mit vier Schwerpunktjugendämtern und jeweils 150 solcher Jugendhil fefälle im Jahr durchaus richtig gehandelt. Momentan ist über haupt nicht daran zu denken, Schwerpunktjugendämter zu schaffen, weil wir jetzt - ich habe die aktuellen Zahlen mitge bracht - inzwischen auf 821 Jugendliche gekommen sind. Wir hatten sonst über das Jahr hinweg immer 100, höchstens 150 Jugendhilfefälle bei ALREJU in Fürstenwalde. Das ist jetzt eine ganze andere, vollkommen neue Dimension.

Es ist selbst für die von den Landkreisen geschaffenen Clea ringstellen unmöglich, das zu wuppen. An ein ordentliches und reguläres Clearing ist da gar nicht mehr zu denken. Ich gestehe, dass ich den Hut davor ziehe, was die Landkreise und Jugend ämter derzeit in dieser schwierigen Situation leisten. Es ist schwer, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen zu bekommen, die sich darum kümmern: Werden die Jugendlichen aufgenom men? Nicht überall. Es gibt nach wie vor eine Häufung im zu ständigen Landkreis Oder-Spree. Er hat 342 von den 821 Ju gendlichen, die derzeit in Brandenburg registriert sind, aufge nommen.

Das macht deutlich, dass wir hier zügig handeln bzw. dazu er mächtigt werden müssen, handeln zu dürfen. Dazu brauchen wir schlicht und ergreifend dieses Gesetz. Ich möchte den Fraktionen ausdrücklich dafür danken, dass sie den Gesetzent wurf gemeinsam einbringen, denn das spart eine Menge Zeit. Oder-Spree ist in Not. Uns muss die Kompetenz und die Zu ständigkeit übertragen werden, die minderjährigen geflüchte ten Jugendlichen auf die Jugendämter im Land zum Clearing verfahren zu verteilen. Nochmals ein großes Dankeschön da für, dass das auf diesem Weg passieren kann.

Ich möchte noch zwei Zahlen nennen: Die meisten Jugend lichen, die hierher kommen, nämlich 41 %, kommen aus Af ghanistan, 30 % aus Syrien, und der nächste große Block kommt aus Eritrea. Jeder weiß, warum die jungen Leute hier sind. Und jeder, denke ich, hat auch Verständnis dafür, dass wir alles dafür tun müssen, sie hier gut behütet aufwachsen zu las sen. - Danke schön.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Das Präsidium empfiehlt die Überweisung des Gesetzentwurfes in Drucksache 6/2920 an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport. Wer möchte dieser Überweisung zustimmen? - Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Überweisung zugestimmt wor den.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 10 und rufe Tagesordnungs punkt 11 auf:

Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Berufs qualifikationsfeststellungsgesetzes und zur Änderung weiterer Gesetze

Gesetzentwurf

der Landesregierung

Drucksache 6/2923

1. Lesung