Protokoll der Sitzung vom 17.12.2015

Fortschreiben. Verbessern. Fördern. Die Umsetzung neuer Leitlinien der Seniorenpolitik.

Antrag

der Fraktion der SPD

der Fraktion DIE LINKE

Drucksache 6/3158

Wir beginnen die Aussprache mit der Abgeordneten Lehmann. Sie spricht für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ver ehrte Gäste! Wir diskutieren heute zum ersten Mal in dieser Wahlperiode über Seniorenpolitik und insofern nehme ich mir heraus, Sie alle von Frau Prof. Dr. Heppener zu grüßen. Viele von Ihnen kennen sie: Sie war zwei Wahlperioden Landtagsab geordnete und eine leidenschaftliche Kämpferin für die Senio renpolitik. Ich habe mich sehr gefreut, dass sie in diesem Jahr den „Veltener Teller“ erhalten hat. Bislang sind insgesamt 215 Seniorinnen und Senioren damit ausgezeichnet worden. Ich freue mich sehr und möchte mich bei der Ministerin bedan ken, dass sie diese Tradition aus dem Jahre 1995 - von der da maligen Ministerin Regine Hildebrandt ins Leben gerufen - weiterführt, weil das ein ganz wichtiger Teil der Anerken nungskultur für Senioren hier im Land Brandenburg ist. Vielen herzlichen Dank dafür, Frau Golze!

(Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE und B90/ GRÜNE)

Mit den Seniorenpolitischen Leitlinien aus dem Jahr 2007 und dem Seniorenpolitischen Maßnahmenpaket aus dem Jahr 2011 hat sich die Landesregierung klar zu einer Politik des aktiven Alterns bekannt. Soziale Einbindung und das Gebrauchtwer den geben dem neuen Lebensabschnitt Sinn und Erfüllung. Ge rade die Älteren sorgen mit ihrem Engagement für Vielfalt und Stabilität. Sie beteiligen sich am sozialen und kulturellen Le ben und stärken so das Miteinander. In Brandenburg sind 23 % der Gesamtbevölkerung derzeit älter als 65 Jahre. Im Jahr 2030 wird der Anteil der über 65-Jährigen bereits bei 34 % liegen.

Selbst die Zahl der hochbetagten Personen ab 80 Jahre wird unter anderem aufgrund der steigenden Lebenserwartung um etwa 160 000 Personen steigen. Das ist eine Verdoppelung ge genüber dem heutigen Stand. Bis zum Jahr 2040 wird das Durchschnittsalter der Bevölkerung weiter steigen. Liegt der zeit das Durchschnittsalter der Brandenburger bei 45 Jahren und das der Brandenburgerinnen bei 48 Jahren, so wird im Jahr 2040 die männliche Bevölkerung im Land durchschnittlich 51 Jahre und die weibliche 53 Jahre alt sein. Das alles hat Aus wirkungen auf die Seniorenpolitik des Landes.

Für die Vergangenheit können wir sagen: Das Instrument der Seniorenpolitischen Leitlinien hat sich bewährt. 2010 fand hierzu eine Befragung statt. Es ging um Bekanntheit, Einfluss und Wirkung der Seniorenpolitischen Leitlinien. An der Befra gung haben sich 44 Gemeinden - das sind 20 % - und 107 Seni orenbeiräte - 60 % - beteiligt. In fast 95 % aller befragten Kommunen und Seniorenbeiräte sind die Leitlinien bekannt. Fast 80 % aller Befragten sehen in den Leitlinien Anregungen für die eigene Arbeit, und mehr als 60 % arbeiten mit den Seni orenpolitischen Leitlinien. Unter anderem deshalb möchten wir an diesem Instrument festhalten, und wir empfehlen mit unserem heutigen Antrag die Fortschreibung der Seniorenpoli tischen Leitlinien.

Hierbei ist die Politik des aktiven Alterns verstärkt fortzuset zen. Die aktive Teilhabe von Seniorinnen und Senioren am so zialen, wirtschaftlichen, kulturellen und bürgerschaftlichen Le ben ist weiter zu fördern. Eine selbstbestimmte Lebensführung bis ins hohe Alter, auch unter Lebensumständen mit bestehen dem oder drohendem Hilfe- und Pflegebedarf, muss Leitbild unserer Seniorenpolitik sein.

Bei der Befragung 2010 wurden die Kommunen und die Senio renbeiräte auch nach den Handlungsfeldern in der Seniorenar beit befragt und danach, welche Bedeutung bzw. Priorität diese vor Ort haben. Im Ranking ganz oben liegen Pflege und Woh nen im Alter, gefolgt von Mobilität und Gesundheitsversor gung. Bei 80 % aller Befragten ist das bürgerschaftliche Enga gement gleichfalls sehr wichtig, gibt es ihnen doch Erfüllung, Bestätigung und Anerkennung.

Diese und weitere Schwerpunkte finden sich in unserem An trag wieder. Wohnen im Alter ist zum Beispiel ein zentrales Thema für viele Seniorinnen und Senioren. Ältere Menschen wollen so lange wie möglich in ihrer Häuslichkeit und sozialen Gemeinschaft leben. Auch Menschen, die auf Hilfe angewie sen sind, haben Ansprüche an eine selbstständige Lebensfüh rung im privaten Haushalt. Denn Wohnqualität ist Lebensqua lität. Die Wohnung wird immer mehr zum Lebensmittelpunkt. Sie muss bezahlbar, sicher und bequem sein und die Kommu nikation und den Einsatz technischer Hilfsmittel ermöglichen.

Dieser Antrag richtet sich an die Landesregierung und ist res sortübergreifend zu bearbeiten. Der Seniorenrat des Landes ist bei der Bearbeitung des Antrages eng einzubinden. Gleichzei tig sind die Erfahrungen und Berichte der Bundesarbeitsge meinschaft der Senioren-Organisationen und der Bundesar beitsgemeinschaft der Landesseniorenvertretungen zu berück sichtigen.

In diesem Jahr fand die 22. Brandenburgische Seniorenwoche statt. Obwohl im Vergleich zum Vorjahr mehr Veranstaltungen stattfanden, ist eine insgesamt rückläufige Tendenz der Teil nehmerzahlen festzustellen. Der Rückgang der Teilnehmerzah len ist unter Umständen auf zwei Aspekte zurückzuführen:

Einerseits werden die Menschen älter, die bisher an den Veran staltungen der Seniorenwoche teilgenommen haben. Sie sind weniger mobil und können nicht mehr all das wahrnehmen, was sie bisher interessierte.

Andererseits ist es möglicherweise nicht gelungen, die neue Seniorengeneration zu erreichen. Menschen „60plus“ fühlen sich in der Regel noch nicht als Senioren und wollen auch noch nicht als solche angesprochen werden.

Für die Durchführung der Brandenburgischen Seniorenwoche in den nächsten Jahren müssen die demografischen Verände rungen innerhalb der älteren Generation berücksichtigt wer den, um der Vielfalt eben dieser Generation gerecht zu werden. Eine stärkere Differenzierung der vielfältigen Angebote, mit der eine breitere Palette von Interessen abgedeckt werden kann, ist zu überlegen. Mit unserem Antrag möchten wir das etwas genauer prüfen.

Wichtig war uns auch, mit dem vorliegenden Antrag die Ein gliederung älterer Flüchtlinge in den Blick zu nehmen, denn die Senioren und ihre Beiräte sorgen sich um das Flüchtlings- und Asylproblem und arbeiten in den Initiativen vor Ort mit. Senioren wissen oft noch aus eigener Erfahrung, was Flücht linge berührt und was sie benötigen. Sie wollen sich an der Brandenburger Willkommenskultur beteiligen, sehen aber auch Beratungs- und Handlungsbedarf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „Fortschreiben. Verbessern. Fördern. Die Umsetzung neuer Leitlinien der Seniorenpolitik“ -

wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Zu uns spricht nun die Abgeordnete Schier für die CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, ob Sie diese Werbung kennen: Das Bild ist zweigeteilt, ein älterer Herr in einer Pflegeeinrichtung setzt sich die Insu linspritze, ein anderer Herr zieht sich die Laufschuhe an. Bei de sind gleich alt. - Ich fand diese Werbung gut. Ich weiß nicht mehr, wo ich sie gesehen habe, vielleicht einmal im Ki no. Für jeden dieser Herren brauchen wir eine Lösung, wenn wir darüber reden, dass das Leben im Alter lebenswert blei ben soll.

Es ist schon erstaunlich, wie wir uns in einer dynamischen Ge sellschaft verändern. Wir achten auf unsere Ernährung, wir treiben Sport, interessieren uns für dieses und jenes, und wenn wir dann in Rente gehen, strotzen wir geradezu vor Energie.

(Heiterkeit und Beifall CDU und SPD)

Ich habe das jedenfalls vor.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, seit 2007 gibt es die Seniorenpolitischen Leitlinien für Brandenburg. Es han delt sich um neun Handlungsfelder, die unterschiedliche Le bensbereiche betreffen. Die Handlungsfelder sollten Leitlinien für eine ressortübergreifende Seniorenpolitik sein. Untersetzt wurden die Leitlinien durch ein Seniorenpolitisches Maßnah menpaket, über dessen Umsetzung 2014 - Kollegin Lehmann hat es gerade gesagt - letztmalig beraten wurde. Bereits 2014 waren nämlich 19 der 40 Maßnahmen abgeschlossen. Daher kann man sich einmal die Frage stellen: Warum kommen wir erst jetzt aus dem Mustopf und reden erst jetzt über neue Maß nahmen? Aber ich will mich gern an dieser Diskussion beteili gen und möchte drei oder vier Punkte aus dem Antrag heraus greifen, den die Regierungskoalition gestellt hat:

Altersgerechte Anforderungen an den ÖPNV - sehr richtig. Im Moment gibt es noch eine Generation, in der nicht alle Frauen einen Führerschein haben und Auto fahren können. Sie sind auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, um einzukaufen, um zum Arzt zu fahren oder ihre Kinder zu besuchen. Es ist deshalb vollkommen unverständlich, dass wir in den länd lichen Regionen, nämlich zurzeit in Raddusch, Kunersdorf und Kolkwitz, die Haltepunkte der Bahn AG gegen Schienen ersatzverkehr austauschen. Da hätte man etwas machen kön nen.

(Beifall CDU)

Zweitens, die stärkere Einbindung der Pflegepolitik: Die Bun desregierung hat mit den Pflegestärkungsgesetzen I und II rich tige Entscheidungen getroffen. Wir werden Pflegegrade und eine bessere Versorgung von Demenzkranken haben. Den Pfle geschlüssel besser zu verhandeln und dafür zu sorgen, dass die

Pflegekräfte eine Lobby bekommen, zum Beispiel durch eine Pflegekammer, ist Sache des Landes.

(Zuruf der Abgeordneten Lehmann [SPD])

Drittens - dieser Punkt fehlt uns, und darüber lassen Sie uns heute bitte noch einmal reden -: pflegebedürftige Menschen mit Behinderung. Dieses Problem haben wir schon einige Male an dieser Stelle diskutiert. Es muss nach dem Ausscheiden aus der geschützten Werkstatt eine sinnvolle Lösung für diese Menschen gefunden werden.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Ich glaube, dies sollten wir in das Maßnahmenpaket aufneh men. Weiter geht es um die Gewährleistung einer umfassenden gesundheitlichen Versorgung. Laut Kassenärztlicher Vereini gung beträgt das Durchschnittsalter aller brandenburgischen Vertragsärzte 53,3 Jahre. Bei den Hausärzten sind 27,2 % älter als 60 Jahre. Fachärzte sind auf dem flachen Land kaum zu fin den. Die Landesregierung ist hier in der Pflicht, gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung neue Wege zu beschrei ten, um Ärzte in die Region zu holen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, die Leitlinien kann man überarbeiten. Sie sind aber vor allem mit neuen Maßnahmen zu untersetzen, und zwar mit ganz konkreten Aufgaben, die alle Ministerien betreffen. Das wäre sogar in kürzerer Zeit möglich gewesen, denn die neuen Leitlinien sollen, wenn ich Sie richtig verstehe, erst in einem Jahr vorgestellt werden, und dann auch erst im Ausschuss. Man muss also sehen, wie man damit um geht. Ich freue mich jedenfalls auf diese Diskussion. Wir wer den diesem Antrag zustimmen.

(Beifall CDU sowie vereinzelt SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Zu uns spricht nun der Abgeordnete Wilke für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu nächst, Frau Schier, freuen wir uns, dass Sie diesem Antrag zu stimmen werden, und wünschen Ihnen ganz viel Glück und Erfolg dabei, eine rüstige Rentnerin zu werden.

(Dr. Redmann [CDU]: So ein Flegel! - Zurufe von der SPD)

Ganz ohne Frage haben Sie noch sehr, sehr viel Zeit.

Wir diskutieren heute über die Seniorenpolitischen Leitlinien. Frau Lehmann hat in ihren einführenden Bemerkungen den Ansatz des Antrags schon deutlich gemacht.

Ich glaube, ich bin hier mit 31 Jahren der mit Abstand jüngste Seniorenpolitische Sprecher. Aber - wenn ich das so sagen darf - wenn man sich in jungen Jahren schon in einer Partei politisch engagiert, erwirbt man ohnehin seniorenpolitische Kompetenz; das bleibt dann einfach nicht aus.

(Vereinzelt Heiterkeit DIE LINKE und SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in den ver gangenen Jahren - bei der Evaluation der Seniorenpolitischen Maßnahmen ist das deutlich geworden - sehr gute Erfahrungen mit der Umsetzung dieser Leitlinien gemacht. Es geht vor allem darum, dass wir ein realistisches Altersbild entwickeln, dass wir den Herausforderungen des demografischen Wandels gerecht werden, dass wir die Potenziale Älterer erkennen und sie fördern. Aktives Altern, aber auch Solidarität zwischen den Generationen sind hier die Stichworte.

Was in den letzten beiden Redebeiträgen schon deutlich ge worden ist, möchte ich gern ins Zentrum der Debatte stellen. Es ist etwas, was wir seit Längerem versuchen, was aber aus meiner Sicht noch nie so gut gelungen ist wie mit diesem An trag: Wir versuchen, Seniorenpolitik immer mehr zu einem Querschnittsthema zu entwickeln. Wir wissen natürlich, dass alle anderen Themen immer auch etwas mit Seniorenpolitik zu tun haben. Früher wurde die Seniorenpolitik oft als abgegrenz tes, für sich stehendes Politikfeld betrachtet. Das wollen wir ändern und gehen mit diesem Antrag, glaube ich, gute Wege in diese Richtung.

Wenn wir beispielsweise über lebenslanges Lernen sprechen, dann geht es darum, dass wir hier eine Querverbindung zum Bildungsthema schaffen. Wenn wir über Gesundheitspolitik, Pflegepolitik, Wohnungspolitik, aber auch über Verkehrspolitik sprechen - Frau Schier hat es angedeutet -, dann hat das alles auch Querverbindungen zu den anderen Politikfeldern, mit de nen wir hier zu tun haben. Wir können Seniorenpolitik schon lange nicht mehr als abgegrenztes Feld betrachten. Das ist uns sehr wichtig zu betonen. Bei der Erarbeitung des Antrags hat das eine wichtige Rolle gespielt.

Bei der Pflegeoffensive, die wir hier im Landtag beschlossen haben, haben wir dafür gesorgt, dass ein Schwerpunkt ist, län geres Leben im gewohnten Umfeld zu gewährleisten, weil wir zur Kenntnis nehmen, dass Menschen - Gott sei Dank - länger in ihrem Wohnumfeld verbleiben wollen. Dafür wollen wir die nötigen Rahmenbedingungen schaffen.

Positiv hervorheben möchten wir insbesondere die Arbeit des Seniorenrates. Frau Lehmann hat auch Frau Heppener erwähnt. Ich glaube, man muss wirklich sagen, dass der Seniorenrat des Landes Brandenburg, aber auch die Seniorenbeiräte in den Kommunen einen ganz wichtigen Beitrag leisten. Sie sind vor Ort, in den Landkreisen und kreisfreien Städten, wichtige Im pulsgeber der Kommunalpolitik. Wir können nur allen Kommu nen empfehlen, Seniorenbeiräte zu stärken und zu unterstützen und, wenn es sie noch nicht gibt, ihre Gründung zu fördern.