Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

Deswegen, denke ich, greift das Fordern - was Sie angespro chen hatten, Frau Richstein - zu kurz. Es geht mir nicht darum, Dinge vorauszusetzen, sondern das Angebot zur Kultur ist ein niedrigschwelliges Angebot, gerade um auch traumatisierte Flüchtlinge, um auch Kinder und Jugendliche abzuholen, die sich hier noch gar nicht einbringen können.

(Frau Richstein [CDU]: Deswegen haben wir sie ja extra reingeschrieben!)

Es geht auch darum, dass sich diejenigen, die schon lange hier leben, und jene, die neu zu uns kommen, auch über ihre kultu rellen Traditionen austauschen. Das ist für beide Seiten ein großer Gewinn. Ich wünschte, meine Damen und Herren von der AfD, auch Sie würden das einmal wahrnehmen.

Es gibt das Projekt „Über meine Heimat, die ich verließ“ von der Kunst- und Kulturinitiative Schöneiche. Es gibt das Fest der Kulturen in Eberswalde in Trägerschaft des AWO-Kreis verbandes. Auch das von Frau Große erwähnte Beispiel oder das, was Frau Liedtke in Rheinsberg macht, sind Beleg dafür, wie beide Seiten unglaublich davon profitieren und auch eine Erweiterung ihrer Sichtweise und persönlichen Erfahrungs schätze erfahren, die dann niemand mehr missen möchte.

Selbstverständlich können Angebote aus dem Bereich der Kul tur kein Ersatz für Sprachkurse sein, wollen es auch nicht sein. Aber im Rahmen der geförderten Projekte gibt es Elemente der Sprachvermittlung. Auch Musik und Kultur haben eine eigene Sprache, die universell ist, die leichter verstehbar ist als die Grammatik des jeweiligen Landes. Daher sind Integrationspro jekte eine Flankierung der Arbeit in den Sprachkursen.

Der Aspekt der Sprachvermittlung kann noch an Bedeutung gewinnen, vor allen Dingen, wenn der Spracherwerb bereits weiter fortgeschritten ist. Auch dann bietet die kulturelle Betä tigung einen entsprechenden Zugang. Der Zugang zu weiteren Kulturbereichen öffnet sich noch stärker, wenn man die deutschsprachige Literatur oder das Sprechtheater einbindet.

Es ist sehr erfreulich, dass wir uns weitgehend einig sind, dass die Integration geflüchteter Menschen in die brandenburgische Gesellschaft und ihre Partizipation daran eine langfristige Auf gabe ist, die sich auch für alle Zeiten lohnt.

Natürlich - Frau Richstein - müssen wir ein Augenmerk auf Frauen und Kinder haben; das ist vollkommen berechtigt. Wir werden auch bei den Kulturprojekten darauf achten, dass Frau en und Kinder besonders berücksichtigt werden. Trotzdem denke ich, dass die Wertevermittlung gerade über Kultur, über das Vermitteln unserer kulturellen Wurzeln sehr gut gelingt, vielleicht besser gelingt, als wenn wir hier Integrationskurse durchführen und den Menschen sagen, was hier üblich ist, das also nur verbal zu vermitteln versuchen.

Wir sollten Kultur nicht unterschätzen. Kultur ist unsere Wur zel, ohne Kultur wäre unser Leben sehr arm und letzten Endes nicht lebenswert. Insofern ist das, was wir vermitteln, was wir anbieten, etwas Essentielles. Wir bekommen es von den ge flüchteten Menschen zurück, und gemeinsam entsteht, was wir uns vielleicht wünschen: eine Gemeinschaft und ein Zusam menleben in Frieden. Deswegen sind diese kulturellen Aktivi täten nicht hoch genug zu schätzen, und ich bin sehr froh, dass ich auch Ihren Rückhalt habe, um in dieser Richtung weiterzu arbeiten. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE und der Abgeordneten von Ha lem [B90/GRÜNE])

Vielen Dank. - Die SPD-Fraktion verzichtet auf eine weitere Rede. Dann kann ich die Aussprache schließen, und wir kom men zur Abstimmung.

Ich rufe den Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion DIE LINKE „Dialog der Kulturen gestalten und erleben“ auf Drucksache 6/4296 zur Abstimmung auf. Wer möchte diesem Antrag zustimmen? - Gibt es Gegenstimmen? - Gibt es Enthal tungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen ist dieser Antrag mehrheitlich angenommen.

Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU „För dern von Integration durch kulturellen Dialog - Frauen und un begleitete minderjährige Flüchtlinge besonders fördern“ auf Drucksache 6/4341 zur Abstimmung auf. Wer möchte diesem Entschließungsantrag zustimmen? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall. - Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt.

(Frau Richstein [CDU]: Eine Enthaltung gab es!)

- Wo? - Frau Mächtig hatte sich enthalten?

(Zuruf von der Fraktion DIE LINKE: Ja!)

Ich schließe Tagesordnungspunkt 15 und rufe Tagesordnungs punkt 16 auf:

Bericht zu aktuellen Daten, Fakten und Entwicklun gen zu Migration und Integration im Land Branden burg 2016 (gemäß Beschluss des Landtages vom 18.11.2015 - Drs. 6/3004[ND]-B)

Bericht der Landesregierung

Drucksache 6/4064

Die Aussprache wird von Frau Ministerin Golze eröffnet.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kaum ein Thema hat uns in den vergangenen Monaten so beschäftigt wie der Umgang mit den Menschen, die nach der Flucht aus ihren Heimatländern bei uns im Land Branden burg angekommen sind. Wie kaum ein anderes Thema ist es zu einem Bestandteil unseres Alltagslebens geworden. Es fand ei ne wie selten zuvor zugespitzte Polarisierung in unserer Bevöl kerung statt. Das Schicksal der Menschen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und anderen Kriegsgebieten wurde Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen - darüber, wer kommen darf, wie viele Menschen wir aufnehmen können, und auch darüber, wer bleiben darf.

Bürgerinnen und Bürger, die ehrenamtlich ihre Unterstützung anboten und die Ankommenden besonders in den ersten Wo chen und Monaten unter ihre Fittiche nahmen, sahen sich lei der oft Anfeindungen und auch Drohungen ausgesetzt. Nicht selten waren Vermutungen, Gerüchte und leider auch bewusste Falschmeldungen ein nahrhafter Boden für gewaltsame Über griffe, für Proteste gegen geplante Unterkünfte, für Gewalt ge gen die zu uns Kommenden.

Vielleicht geht es Ihnen, sehr geehrte Abgeordnete, wie mir, dass Ihnen auch heute noch in Gesprächen Aussagen begegnen wie, zwei Millionen Flüchtlinge seien nach Brandenburg ge kommen, oder behauptet wird: Da kommen doch nur Män ner! - Gegen solche Vorurteile, gegen die Unkenntnis der wah ren Verhältnisse helfen Fakten. Tatsachen sprechen eben für sich. Der nun vorliegende Bericht bietet dafür Gelegenheit und ist zugleich eine Grundlage für die kontinuierliche Weiterent wicklung der Integrationspolitik im Land Brandenburg. Uns ist es trotz der schwierigen Datenlage und einer auch nicht immer einheitlichen Begriffsdefinition letztlich gelungen, einen Lü ckenschluss, einen Überblick über Fakten zum Thema Zuwan derung und Asyl herzustellen. Ich hoffe, dass wir damit auch den haupt- und ehrenamtlichen Akteuren vor Ort eine gute Handreichung für ihre Arbeit zur Verfügung stellen.

Der Bericht versucht die Unterschiede zwischen der Bevölke rung mit Migrationshintergrund, der ausländischen Bevölke rung, den Flüchtlingen und geduldeten Personen sowie den Asylsuchenden aufzuzeigen. Zusätzlich haben wir für die Inte gration unterschiedliche Indikatoren, beispielsweise die Zahl der Kinder und Jugendlichen in Kita und Schule, soweit es die verfügbaren Zahlen zuließen, dargestellt. Es finden sich in dem Bericht aber auch Aussagen zum Qualifizierungs- und Bil dungsstand, zur Arbeitsmarktbeteiligung, zu Unterbringung und Einbürgerung. Sofern es möglich war, wurden die Daten auch regional aufbereitet.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin sehr froh, dass wir vor ein paar Wochen mit dem neuen Landesaufnahmegesetz ei ne wichtige Grundlage dafür geschaffen haben, dass Geflüch tete in Brandenburg gut aufgenommen werden können. Nun müssen wir gemeinsam den nächsten Schritt gehen. Wir müs sen ihnen die Möglichkeit geben, ihren Platz in unserer Ge meinschaft zu finden. Das freilich kann der vorliegende Be richt nicht leisten. Die Daten sind viel mehr eine Orientierung für das, was wir an Maßnahmen ergreifen und an Infrastruktur

aufbauen müssen. Darüber hinaus habe ich die Hoffnung, dass der Bericht einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten kann. - Herzlichen Dank.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Lehmann.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Liebe Kolleginnen und Kol legen! Sehr verehrte Gäste! Integrationspolitik braucht verläss liche differenzierte Daten, Fakten und Informationen. Sie ge ben der Politik Auskunft darüber, ob und in welcher Weise sich die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund voll zieht und in welchen Bereichen es Defizite und Handlungsbe darf gibt. Zahlen, Daten, Fakten können zudem mehr Transpa renz in die Debatte bringen und somit helfen, die Diskussion um und über Flüchtlinge zu versachlichen. Deshalb, liebe Kol leginnen und Kollegen, war es richtig, bereits 2014 im Integra tionskonzept darauf abzustellen und die Landesregierung zu bitten, uns jährlich eine Zusammenstellung der Daten und Fak ten zu Migration und Integration im Land Brandenburg bereit zustellen.

Vor dem Hintergrund der angespannten Flüchtlingssituation hat der Landtag im November 2015 die Landesregierung mit einem Entschließungsantrag aufgefordert, diesen Bericht im Jahre 2016 so früh wie möglich dem Landtag zuzuleiten. Heute nun liegt er uns vor; es ist ein mit vielen Informationen ge spicktes Material. Er gibt uns Auskunft, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund in Brandenburg leben, stellt dabei auf ausländische Bevölkerung, Flüchtlinge und Asylsuchende ab.

Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund in Kitas und Schulen sind ein weiteres Kapitel dieses Berichts. Er lie fert Informationen zum Qualifizierungs- und Bildungsstand und geht in einem weiteren Schwerpunkt auf die Arbeitsmarkt situation ein. Aber auch die Situation in puncto Unterbringung wird beleuchtet. Wie sieht es konkret in Gemeinschaftsunter künften, in Wohnungsverbünden und Notunterkünften aus? All diese Informationen sind kreisscharf ermittelt und auch auf die kreisfreien Städte heruntergebrochen.

In Brandenburg lebten im Jahr 2015 88 000 Ausländerinnen und Ausländer. Damit beträgt ihr Anteil an der Gesamtbevölke rung 3 %. Insgesamt leben rund 130 000 Menschen mit Migra tionshintergrund in Brandenburg. Das sind 5 % der Bevölke rung. 5 %, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer hier von Überfremdung spricht bzw. behauptet, die Altparteien schaff ten Deutschland ab, ist entweder von allen guten Geistern ver lassen oder beherrscht die Prozentrechnung nicht und ignoriert gesellschaftliche Zusammenhänge.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Oder aber er schürt bewusst Ängste und benutzt Menschen, um politisch zu profitieren. Letzteres ist besonders fies. Aber echt perfide wird es dann, wenn Politiker den Flüchtlingsstrom und

das Angstgefühl der Menschen als Glücksfall bezeichnen. Rich tig ist vielmehr, dass das Land Brandenburg wie die gesamte Bundesrepublik 2015 einen Flüchtlingszustrom von histori schem Ausmaß erlebte, der uns alle vor große Herausforderun gen stellte und nach wie vor stellt. Allein das Land Branden burg hat im vergangenen Jahr 28 000 Asylsuchende aufgenom men, viermal mehr als im Jahr 2014. Das ändert aber nichts an der Feststellung, dass nur 5 % der Gesamtbevölkerung einen Migrationshintergrund haben.

Der vorliegende Bericht zeigt aber auch: Unser Ansatz der In tegration ist richtig, und sie ist leistbar. Das System ist keines wegs überfordert.

(Zuruf von der AfD: Doch!)

Im Kita-Bereich liegt der Anteil der Migrationskinder bei knapp 6 % und im Schulbereich bei nur 4 %.

Die Daten und Fakten zeigen aber auch, dass es sinnvoll ist, den Flüchtlingszustrom mit der Fachkräftesicherung und der Integration in den Arbeitsmarkt zu verbinden. Es kommen un ter anderem junge und arbeitswillige Menschen zu uns. Die Hälfte der Flüchtlinge und Asylsuchenden ist unter 35 Jahre alt. 39 % aller Flüchtlinge kommen aus nicht sicheren Her kunftsländern und haben damit eine gute Bleibeperspektive.

Natürlich wäre die Diskussion an dieser Stelle entkrampfter und verständlicher, könnten wir die Fachkräftesicherung über ein Einwanderungsgesetz steuern. Dieser Diskussion haben sich die Konservativen in Deutschland jahrelang verweigert. Heute macht es uns die Diskussion sehr viel schwerer.

Der Bericht zeigt aber auch auf, wo wir verstärkt ansetzen müssen. Die Integration in Wohnungen bleibt prioritär, und vor allen Dingen, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir ver stärkt die Frauen aus den Nischen holen; da verharren sie der zeit noch. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Richstein.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Sie, Frau Ministerin Golze, zu Beginn Ihrer Ausführungen noch einmal auf die Stimmungslage im letzten Jahr eingegan gen sind, möchte ich das auch kurz tun. Ich bin sehr froh, dass die Hysterie, die wir teilweise im letzten Jahr hatten, nicht an gehalten hat. Im Gegenteil, man ist zu einer neuen Sachlichkeit gelangt.

Ich möchte an dieser Stelle jedoch einen aktuellen Anlass an sprechen. In der letzten Woche - am 02.06. - ist einer von drei mutmaßlichen IS-Terroristen in der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in Bliesdorf festgenommen worden.

(Beifall CDU - Königer [AfD]: Wie ist der denn nach Brandenburg gekommen?)

Wir möchten den Einsatzkräften für ihr weitsichtiges und ge zieltes Handeln den größten Respekt aussprechen. Gleichzeitig schließen wir uns dem Standpunkt des Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft an, der eindeutig vor pauschalen Vorver urteilungen von Flüchtlingen warnt. Das sollte an der Stelle auch in diesem Haus gesagt werden.

Meine Damen und Herren! Flüchtlingen menschenwürdig be gegnen, das Asylrecht konsequent anwenden, die Kommunen auskömmlich unterstützen, die Integration nachhaltig einfor dern - das sind unsere Leitprinzipien. Für die CDU war seit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise klar: Diese Aufgabe lässt sich nicht allein national effektiv und dauerhaft lösen. Nur gemeinsam mit den Partnern der Europäischen Union und in enger Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern der Flüchtlingsbewegung können die Flüchtlingssituation be wältigt und die Zahl der Flüchtlinge nachhaltig und dauerhaft reduziert werden. Daran arbeitet die CDU auf außenpolitischer Ebene.

Innenpolitisch müssen wir nun nachdrücklich daran arbeiten, dass diejenigen, die in Deutschland Schutz suchen, lernen, un sere freiheitliche Grundordnung mit allen Rechten und Pflich ten mitzutragen, unser Grundgesetz, also die in Deutschland geltenden Regeln, zu achten und einzuhalten. Die CDU hat da her bereits im letzten Jahr ein Integrationsgesetz für Branden burg gefordert, das zum Gelingen der Integration beitragen soll. Dabei besteht Integration für uns aus Fördern und For dern.

Ich danke der Landesregierung für den vorgelegten Bericht, den wir diskutieren. Er bietet uns wertvolle Erkenntnisse. Nicht überraschend ist natürlich, dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung gestiegen ist. Allerdings ist auch ein Anstieg der brandenburgischen Bevölkerung zu verzeichnen, und zwar - was mich freut - nicht nur im Berliner Umland, sondern auch im weiteren Metropolenraum. Das führt mich zu einem Leitgedan ken unserer Integrationspolitik: Es muss Chancengerechtigkeit geben - sowohl für die Flüchtlinge als auch für die einheimische Bevölkerung. Diese muss unbedingt gefördert werden. Förder maßnahmen wie beispielsweise im Wohnungsbau, in der Kin der- und Ganztagsbetreuung und im Bereich schulische Bildung müssen wie bisher beiden Gruppen zugutekommen und natür lich dem steigenden Bedarf angepasst werden.