Protokoll der Sitzung vom 15.07.2016

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat deutlich gemacht, dass zwar eine Vollstreckung aus bestandskräftigen Bescheiden nicht mehr möglich ist, dass jedoch keinesfalls die Rechtspflicht besteht, alle bestandskräftigen Bescheide aufzu heben.

Auch das jüngste Gutachten unterstreicht, dass eine Rückge währ grundsätzlich nicht verlangt werden könne, wenn Bei tragsbescheide bestandskräftig wurden und auf diese hin ge zahlt wurde. Die rechtliche Einschätzung ist damit klar.

Obwohl wir mit dem zuvor zitierten Landtagsbeschluss die Aufgabenträger gebeten hatten, vor Auswertung des Gutach tens keine vorschnellen Entscheidungen zu freiwilligen Rück zahlungen aus bestandskräftigen Bescheiden zu treffen, wollen die Antragstellerinnen nun genau das Gegenteil: Sie wollen, dass wir die Aufgabenträger zwingen, alle erhobenen Beiträge in allen Fällen zurückzuzahlen,

(Beifall BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)

und sie wollen, dass das Land diese Kosten trägt.

Damit erzeugen Sie aber keine größere Gebührengerechtigkeit im Land. Sie erwecken nur den Eindruck, dies zu tun. Denn Beiträge und Gebühren bilden eine Finanzierungseinheit, und Beiträge wirken gebührensenkend. Davon, von den geringeren Gebühren, haben diejenigen profitiert, die diese Beiträge ge zahlt haben - das ist ja logisch -, und wenn wir jetzt grundsätz lich alle - auch die bestandskräftigen - Bescheide aufheben, setzen wir eine gigantische Umverteilung in Gang: Wir näh men Steuergeld des Landes, um Bescheide aufzuheben, die be standskräftig sind - mit mehr als 400 Millionen Euro und dem Effekt, dass wir neue Ungerechtigkeiten im Land schaffen.

(Beifall SPD)

Wir hätten dann Verbände, von denen nie Beiträge erhoben worden sind und wo folglich die Gebühren schon immer höher waren, und wir hätten Verbände mit seit Jahren geringeren Ge bühren - weil ja Beiträge erhoben worden sind -, wo jetzt alle Beiträge mit Steuergeld zurückgezahlt werden.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Ziel, eine möglichst gro ße Beitrags- und Gebührengerechtigkeit im Land zu haben, eint uns vermutlich.

Teil 1 des vorliegenden Gutachtens hat deutlich gemacht, wie komplex die Materie ist und welche Vielzahl von Fallgestal tungen es gibt. Die heute vorgelegten Anträge suggerieren eine einfache Lösung: Alles zurückzahlen, für alles haftet das Land. - Das ist weder finanzierbar noch gerecht.

Ich erwarte von Teil 2 des Gutachtens Vorschläge für Lösun gen, die wirklich zu mehr Gerechtigkeit beitragen und auch finanzierbar sind, Lösungen, die der Komplexität der Materie gerecht werden und nicht neue Ungerechtigkeiten schaffen.

Die vorliegenden Anträge lehnen wir ab. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und des Abgeordneten Christoffers [DIE LINKE])

Vielen Dank. - Zu einer Kurzintervention erhält der Abgeord nete Schulze das Wort.

Frau Präsidentin! Herr Kurth, ich finde es hervorragend, dass Sie Ihre Meinung hier derartig zu Protokoll gegeben haben. Wir werden uns große Mühe geben, es den Brandenburgern zur Kenntnis zu geben.

(Beifall SPD und AfD)

Was Ihre Rede hier deutlich gemacht hat, ist, dass Sie weiter versuchen zu tricksen, zu täuschen, zu manipulieren und die Leute einzuseifen. Wie ist es denn zu den bestandskräftigen Bescheiden gekommen? - Viele - unter anderem ich - haben die Bürgerinnen und Bürger seit 2013 immer wieder aufgefordert - das können Sie im Internet alles nachlesen -: Legt Widerspruch ein, lasst euch das nicht gefallen! - Das insbesondere nach der 25-jährigen Verjährungsfrist, die hier im Haus mit Ihrer Mehr heit kreiert worden ist, und sozusagen schon danach schreit, verfassungswidrig zu sein.

Sie haben es letztlich zu verantworten, dass viele Bürgerinnen und Bürger gesagt haben: Na ja, wenn die Regierung das sagt, wenn mein Abgeordneter das sagt, dann werde ich mal nicht klagen. - Viele Leute sind auch von Richtern dazu angehalten worden: Nehmen Sie Ihre Klage zurück, das hat doch keine Aussicht auf Erfolg!

(Lüttmann [SPD]: Das ist Richterschelte!)

Diese Leute sind jetzt diejenigen, die dafür die Zeche zahlen sollen, weil sie gesagt haben: Na ja, wenn die Politiker, wenn die Verantwortlichen sagen, es ist alles schon rechtens, werde ich denen mal vertrauen.

(Beifall AfD)

Insofern ist das eine rasende Ungerechtigkeit, die Sie hier pro duzieren.

Das Zweite ist: Das, was Sie hier suggeriert haben, ist Recht nach Kassenlage. Weil es 400 Millionen Euro kosten soll - möglicherweise; das weiß ja keiner so genau -, soll es nicht gemacht werden. Entschuldigung, Recht kennt keinen Haus haltsvorbehalt

(Beifall BVB/FREIE WÄHLER Gruppe und AfD)

und das Bundesverfassungsgerichtsurteil erst recht nicht.

Drittens sagten Sie, das würde keine Gebührengerechtigkeit er zeugen. Wissen Sie, Herr Kurth, ich würde Ihnen einfach mal raten: Fahren Sie ins Land, machen Sie sich sachkundig, ehe Sie hier solche Dinge erzählen!

Die Stadt Lübben hat, als die Sache sozusagen eskalierte, be reits 2014 für sich entschieden: Wir wollen diesen Streit nicht weiter. Die Stadt Lübben hat auf Betreiben einer Bürgerinitiati ve, die dann einen Bürgerentscheid herbeigeführt hat, entschie den: Alle - alle! - Beitragsbescheide werden rückabgewickelt, alles wird zurückgezahlt. Und wenn Sie die Stadt Lübben und den Städtischen Versorgungsbetrieb heute fragen, werden diese Ihnen sagen: Nie ging es uns so gut. Wir haben Geld. Wir kön nen investieren. Die Abwasser- und Trinkwasserbeiträge...

Herr Schulze, Sie müssen jetzt einen Schlusssatz formulieren. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

... sind nur unwesentlich gestiegen. - Sie haben ein hohes Maß an Zufriedenheit.

Wenn Sie hier also behaupten, das würde neue Ungerechtigkeit schaffen, dann sagen Sie schlicht und einfach die Unwahrheit, denn in den Bereichen, in denen es passiert ist, herrscht hohe Zufriedenheit.

(Beifall BVB/FREIE WÄHLER Gruppe und AfD)

Herr Abgeordneter Kurth, möchten Sie auf diese Kurzinterven tion reagieren? - Nein.

Dann kommen wir zum nächsten Redner. Der Abgeordnete Schröder spricht für die AfD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Her ren! Liebe Gäste! Vor dem Hintergrund der erschütternden Er eignisse von Nizza muten unsere Probleme ja fast banal an.

Und dennoch: Die sogenannte Altanschließerproblematik be schäftigt in Brandenburg seit geraumer Zeit Bürger, Politik und Gerichte und ist für ca. 200 000 Bürger Brandenburgs schwer wiegend. Unlängst hat das Bundesverfassungsgericht - da er zähle ich Ihnen nichts Neues - entschieden, dass eine Vielzahl von Beitragszahlern Rückzahlungsansprüche geltend machen kann. Nach einem von der Landesregierung in Auftrag gegebe nen Gutachten sind nun die Abwasserzweckverbände in der Pflicht, die gezahlten Beiträge zurückzuzahlen.

Durch diesen Schachzug versucht sich die Regierung aus der Verantwortung zu stehlen. Doch dies, meine Damen und Her ren, darf nicht gelingen. So clever dieser Versuch in den Augen der Regierung auch sein mag - er ist durchschaubar. Die Ab wasserzweckverbände können und dürfen mit dieser enormen Verantwortung nicht alleingelassen werden. Denn nicht nur sie haben zu der jetzigen Situation beigetragen. Nein, auch das Land trägt aufgrund seiner Gesetzesformulierung eine Mit schuld an der jetzigen Misere. Die betroffenen Bürger dürfen nicht die Versäumnisse der Verantwortlichen ausbaden müssen, insbesondere nicht diejenigen, die auf Recht und Gesetz ver trauend widerspruchslos gezahlt haben.

(Beifall AfD)

Die in den vorliegenden Anträgen geforderten Handlungsemp fehlungen hinsichtlich der Rückerstattung von Anschlussbei trägen aus bestandskräftigen Forderungen werden dringend benötigt. Sie sind umgehend von der Landesregierung zu erar beiten. Ja, Beiträge aus bestandskräftigen Forderungen sind nicht zwingend zurückzuzahlen, das ist richtig. Aber, meine Damen und Herren, hier sollte, um den Rechtsfrieden zu wah ren, dringend eine Lösung für alle Betroffenen geschaffen wer den.

(Beifall AfD)

Sollte eine freiwillige Rückzahlung von Beiträgen aus bestands kräftigen Forderungen durch die Zweckverbände angedacht werden, benötigen wir einheitliche Maßstäbe. An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Freiwilligkeit eingehen: Die Betroffe nen von bestandskräftigen Forderungen mögen keinen rechtli chen Anspruch auf die Rückzahlung haben; aber die Landesre gierung und die Zweckverbände haben die moralische Pflicht, auch hier eine annehmbare Lösung für die Betroffenen zu fin den - das nur am Rande.

Zum anderen - insbesondere deshalb werden wir den Anträgen zustimmen - sind Vorsorgemaßnahmen zu treffen, um eine Überschuldung der Zweckverbände und der Kommunen zu verhindern. Ich betone allerdings, dass es uns dabei nicht nur um die Zweckverbände geht: Es geht uns in erster Linie um die Menschen, die ganz offensichtlich rechtswidrig zur Kasse ge beten worden sind. Denn wenn die Zweckverbände nicht mehr in der Lage sind, die Kosten zu stemmen, wird eine Umlage auf die Bevölkerung bzw. die Verbraucher erfolgen. Und, mei ne Damen und Herren, hier irrt die CDU: Die Kostenunterde ckung kann sehr wohl durch eine erhöhte Gebühr ausgeglichen werden.

(Zuruf des Abgeordneten Kurth [SPD])

Diese wird dann einfach zu einem späteren Zeitpunkt erhoben. Das dürfte die wohl denkbar schlechteste Lösung sein.

Die Bereitstellung von Mitteln aus dem Landeshaushalt ist da her unumgänglich. Die betroffenen Bürger haben nicht darum gebeten, rechtswidrige Bescheide zu erhalten. Sie haben auch nicht darum gebeten, monate- oder gar jahrelang in dieser rechtlichen Unsicherheit zu leben - nicht wissend, welche fi nanziellen Belastungen noch auf sie zukommen. Es darf nicht vergessen werden, dass sich hinter den sogenannten Altan schließern Menschen verbergen - Menschen, die nicht zum Spielball der Landesregierung und der Zweckverbände werden dürfen,

(Beifall AfD)

Menschen, für die sich die jetzige Situation als unglaublich un befriedigend und verunsichernd darstellt. Wie will die Landes regierung den Betroffenen erklären, dass die Beiträge, die sie nie hätten zahlen müssen, an anderer Stelle wieder durch Um lagen von ihnen gezahlt werden müssen? Das wird sie nicht können, meine Damen und Herren. Die Landesregierung hat endgültig Gerechtigkeit und Rechtssicherheit für alle Betroffe nen zu schaffen.

Stimmen Sie bitte den Anträgen von CDU, Freien Wählern und AfD zu - oder, falls Ihnen das eine oder andere schwerfällt, zu

mindest einem der drei Anträge. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall AfD)

Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag des Abgeordneten Dr. Scharfenberg fort. Er spricht für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es war zu erwar ten, dass die CDU-Fraktion das Thema Altanschließer vor der Sommerpause noch einmal aufruft.