Was sich nämlich seit März verändert hat, ist, dass es Frau Merkel nicht gelingt, für die Einstufung von Marokko, Tunesi en und Algerien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eine Mehrheit im Bundesrat zu finden.
Und dafür gibt es gute Gründe, die im März stimmten und auch heute noch stimmen. Ich könnte es mir nun leicht machen und einfach auf das Protokoll der März-Sitzung verweisen. Ich be fürchte nur, dass Sie sich nicht die Mühe machen würden, nachzulesen.
Deshalb werde ich im Folgenden meine Ausführungen vom März wiederholen. Wiederholung brennt sich bekanntlich ins Gedächtnis ein.
Meine Damen und Herren, es bleibt dabei: Kein Land wird da durch sicher, dass Bundestag und Bundesrat das beschließen. Das gilt auch für die nun in Rede stehenden Staaten. Ein paar Tatsachen dazu:
Marokko: Friedliche Demonstrationen gewaltsam aufgelöst; Folter in der Haft; unter Folter gemachte Geständnisse sind vor Gericht zugelassen; kein Schutz von Frauen vor sexueller Ge walt; Haftstrafen für Homosexuelle.
Algerien: Einschränkte Meinungs- und Versammlungsfreiheit; politisch motivierte Justiz; gesetzliche Diskriminierung von Frauen und kein Schutz vor sexueller Gewalt; Folter, willkürli che Festnahmen und Misshandlungen durch die Sicherheitsor gane.
Tunesien: Mehrfache Ausgangssperren und Ausnahmezustand; IS-Milizen und von diesen verübte terroristische Anschläge. Auch hier drohen willkürliche Haft und Folter.
Diese Länder wollen Sie als sicher einstufen? Sie können sich gern selbst belügen, aber dort ist nichts sicher!
Sie wollen Handlungsfähigkeit beweisen in dem Wissen, dass weitere sogenannte sichere Herkunftsstaaten kein einziges Pro blem lösen. Es ist das Prinzip Hoffnung - Hoffnung darauf, dass aus diesen Ländern weniger Menschen zu uns kommen, wenn man ihr individuelles Recht auf Asyl beschneidet. Denn nichts anderes ist es
(Vereinzelt Beifall DIE LINKE - Frau Richstein [CDU]: Das tun wir doch gar nicht; das ist eine Lüge!)
- hören Sie doch zu, Frau Richstein -, wenn man Schnellver fahren durchführt, die den Entscheidern nicht die Chance ge ben, individuell und gut recherchiert zu entscheiden. Nichts anderes ist es, wenn man die Beweislast umkehrt und die Schutzsuchenden gegen die politische Doktrin, dass diese Län der sicher seien, ankämpfen lässt.
Das Prinzip lautet: Im Zweifel gegen den Geflüchteten. - Sie nehmen in Kauf, dass Menschen aus diesen Ländern kein fai res Asylverfahren bekommen. Sie nehmen auch in Kauf, dass Fehlentscheidungen getroffen werden.
Und wir sollten uns bewusst machen: Fehlentscheidungen im Asylrecht können Haft, Folter und auch den Tod nach sich zie hen.
Hierzu wird es von den Linken keine Zustimmung geben. Wenn Sie sichere Herkunftsstaaten wollen, dann tun Sie end lich etwas dafür. Hören Sie auf, Flüchtlinge zu bekämpfen und ihre Flucht immer gefährlicher zu machen, und fangen Sie end lich an, die Ursachen der Flucht zu bekämpfen.
Die Menschen werden sich neue, immer gefährlichere Routen su chen, aber sich nicht von der Flucht abhalten lassen, solange ih nen Folter und Krieg, Verfolgung und Diskriminierung, Elend und Not, sexuelle Gewalt und staatliche Diskriminierung drohen.
Deshalb würde es Ihnen gut stehen, dagegen etwas zu tun, an statt denen, die hier Asyl beantragen, das Recht auf ein faires Verfahren zu nehmen.
Es bleibt dabei: Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren. - Wir lehnen Ihren Antrag ab.
Danke schön. - Wir setzen die Aussprache mit dem Beitrag der Abgeordneten Nonnemacher fort. Sie spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Zum wiederholten Male beantragt die CDU, die Landes regierung möge im Bundesrat der Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten zustim men. Dass dieses Ansinnen im Bundesrat keine Mehrheit fin det, liegt maßgeblich daran, dass es zehn grün-mitregierte Bun desländer gibt, und das wissen Sie auch ganz genau.
(Beifall des Abgeordneten Raschke [B90/GRÜNE] - Frau Richstein [CDU]: Herr Kretschmann hat da eine andere Auffassung!)
Die von der CDU erneut angestoßene Debatte über sichere Herkunftsländer sorgt dafür, dass in der Öffentlichkeit der Ein druck entsteht, Hauptproblem sei der Zuzug von Flüchtlingen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern, denen dann von AfD, Pegida und Co. der massenhafte Asylmissbrauch unter stellt wird. Tatsächlich betrug der Anteil Asylsuchender aus den drei Maghreb-Staaten im Jahr 2015 deutschlandweit 1,1 %,
bezogen auf die Gesamtzahl der Antragsteller. Das Land Bran denburg war für die Bearbeitung von Asylanträgen von Men schen aus diesen Ländern bisher überhaupt nicht zuständig. Die erneute Debatte ist ein falsches Signal, das letztlich vor al lem zur Stigmatisierung von Flüchtlingen beiträgt.
Erst im Oktober 2015 hat der Bundesgesetzgeber nunmehr sechs Westbalkanstaaten als sicher erklärt. Ghana und Senegal sind es schon seit Längerem; jetzt sollen Tunesien, Algerien und Marokko dazukommen. Ich frage mich: Welches Land ist als nächstes dran? Plant die CDU im Sinne der Domino-Theo rie, die ganze Welt als sicher einzustufen, um das individuelle Grundrecht auf Asyl auszuhebeln?
Schon heute fragen engagierte Helferinnen und Helfer mit Be sorgnis: Ist Afghanistan jetzt ein sicheres Herkunftsland?
Die Frage ist schockierend. Denn lässt man Dublin-Verfahren und andere Verfahrenserledigungen außer Acht, lag die Schutz quote von afghanischen Flüchtlingen im Jahr 2015 bei mehr als 75 %. Die Frage verwundert aber nicht. Im Februar 2016 erleb ten wir die „Abschiebe-Show“ des Bundesinnenministers de Maizière, wie „Der Spiegel“ titelte. Er wollte sein hartes Durchgreifen unter Beweis stellen und noch im Februar einen Abschiebeflug nach Afghanistan organisieren. Prompt sank die erwähnte Schutzquote für Menschen aus Afghanistan im Mai 2016 auf 56 %. Wie aussagekräftig ist eine Schutzquote, mit der auch die CDU-Fraktion in ihrem Antrag zu den MaghrebStaaten argumentiert, dann eigentlich noch? Oder dient die heutige Debatte vielleicht dazu, sie erneut zu senken? Dieser Effekt des Rufs nach sicheren Herkunftsländern ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen.
Abgesehen von den Auswirkungen, die die von der CDU er wirkte Debatte hat, lehnen wir den Antrag aus inhaltlichen Gründen ab: Das Konzept der scheinbar sicheren Herkunfts staaten ist weder ein geeignetes Instrument, um die Zuwande rung aus den Maghreb-Staaten zu regulieren, noch um die Rückführung der abgelehnten Asylbewerber zu beschleunigen. Es werden mit geringem Zeitgewinn Ablehnungen produziert; die Betroffenen können deswegen jedoch nicht schneller zu rückgeführt werden. Durch die Regelvermutung, dass der Asylantrag offensichtlich unbegründet ist, garantiert das Inst rument überdies kein faires Verfahren und erschwert die Durchsetzung der Schutzansprüche für die Einzelfälle von Op positionellen, Bloggern, LSBTI und Journalisten.
Wir fordern stattdessen den Abbau des Überhangs an laufenden Verfahren durch Erlass einer Altfallregelung zur Entlastung des BAMF, eine Beschleunigung durch Priorisierung der Verfahren und Gewährung einer unabhängigen, kostenlosen Rechtsbera tung, Informationskampagnen in den Herkunftsländern, einen Ausbau der individuellen Rückkehrhilfen bei freiwilliger Aus reise und eine Wiederaufnahme der Verhandlungen über Rück nahmeabkommen mit den Herkunftsländern im Maghreb. An reiz für die Zustimmung der Herkunftsländer könnte die Ge währung bisher verweigerter Visaerleichterungen darstellen. - Ich danke Ihnen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Ab geordneten! In der Tat sind nur vier Monate vergangen, seit wir