Protokoll der Sitzung vom 01.03.2017

(Beifall des Abgeordneten Jung [AfD])

Wenn gesetzgeberische Maßnahmen zu einem Gewinn an Si cherheit führen können, werden wir dem nicht im Wege stehen; das ist völlig klar.

Meine Damen und Herren, Sie wissen sehr gut, dass wir bereits auf dem Weg sind, ohne dass es dazu jetzt einer eigenen Initia tive der CDU bedurfte. Denn unser Haus arbeitet derzeit inten siv an einem größeren Änderungsgesetz zum Brandenburgi schen Polizeigesetz. Es wird selbstverständlich auch den Land tagsbeschluss vom 18. Januar 2017 berücksichtigen. Diese De batte wird nicht allein bei uns geführt, sondern in ganz Deutschland. Und wir halten es für ratsam, die Debatte in Bund und Ländern, wo immer möglich und sinnvoll, zu berücksichti gen und nicht am Ende einen Flickenteppich kleinlicher lan despolitischer Spezialregelungen zu produzieren.

(Vereinzelt Beifall SPD - Zurufe von der CDU)

So lautet auch die Verabredung der Innenminister. Im Auftrag des im Rahmen der Innenministerkonferenz für die innere Si cherheit zuständigen Arbeitskreises der Polizeiabteilungsleiter arbeitet derzeit eine Arbeitsgruppe an konkreten einheitlichen Formulierungen insbesondere zur Regelung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung von Gefährdern.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Redmann [CDU])

Dort werden aber auch mögliche gesetzliche Regelungen zu entsprechenden Aufenthalts- und Kontaktverboten, zu länger

fristigen polizeilichen Meldeauflagen, zur Observation, zur Vi deo- und Telekommunikationsüberwachung und zu ähnlichen erfolgversprechenden polizeilichen Präventivmaßnahmen ge prüft. Ich halte es für sachgerecht, diese Abstimmung zwischen den Experten der Länder abzuwarten und ihre Ergebnisse in unsere weiteren Beratungen einzubeziehen; denn viele Berei che erfordern länderübergreifend zwingend vergleichbare Ge setzesregelungen, um Extremismus, Islamismus und Terroris mus wirksam entgegentreten zu können und keine unnötigen Schlupflöcher zu öffnen. Ich denke, das leuchtet unmittelbar ein, jedenfalls allen, die keinen provinziellen Blick auf die La ge haben.

Meine Damen und Herren, der Innenminister und ich beabsich tigen, Ihnen schnellstmöglich einen derartigen Gesetzentwurf vorzulegen - an ihm wird derzeit intensiv gearbeitet, der allen dargestellten Anforderungen gerecht wird und die Beratungen in Bund und Ländern sinnvollerweise umfassend berücksich tigt. Ich meine, dies ist der richtige Weg. - Vielen Dank.

(Beifall SPD sowie der Abgeordneten Schwarzenberg [DIE LINKE])

Vielen Dank. - Wir sind damit am Ende der Aussprache und kommen zu den Abstimmungen.

Die CDU-Fraktion beantragt die Überweisung ihres Gesetzent wurfes, Drucksache 6/6021, Zwölftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes, an den Ausschuss für In neres und Kommunales. Ich darf Sie fragen: Wer stimmt die sem Überweisungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltungen? - Das ist nicht der Fall, damit ist der Überwei sungsantrag abgelehnt.

Ich rufe zur Abstimmung über den Gesetzentwurf, Drucksa che 6/6021, Zwölftes Gesetz zur Änderung des Brandenburgi schen Polizeigesetzes, 1. Lesung, auf. Wer möchte diesem An trag zustimmen? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltun gen? - Es gibt eine Enthaltung, der Gesetzentwurf ist abge lehnt.

Ich rufe den Entschließungsantrag der AfD-Fraktion, Drucksa che 6/6129, Titel: „Mehr Überwachung der öffentlichen Plät ze“, auf. Ich darf Sie fragen: Wer stimmt diesem Entschlie ßungsantrag zu? - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Enthaltun gen? - Bei zwei Enthaltungen ist der Entschließungsantrag ab gelehnt.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 7 und rufe Tagesordnungs punkt 8 auf:

Zukunft der Dörfer in Brandenburg

Große Anfrage 18 der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Drucksache 6/5196

Antwort der Landesregierung

Drucksache 6/5886

Des Weiteren liegt ein Entschließungsantrag der CDU-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksa che 6/6078, Neudruck, vor.

Die Aussprache wird von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vom Abgeordneten Raschke, eröffnet. Bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Gäste! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ausgangsfrage zu dieser Großen Anfrage war: Haben Dörfer in Brandenburg eine Zukunft? Hat diese Sied lungsform im 21. Jahrhundert in Brandenburg noch eine Zu kunft? Diese Frage ist in den letzten fast schon zehn Jahren ziemlich oft an mich herangetragen worden, manchmal direkt, aber in der Regel eher indirekt, zum Beispiel mit dem Vorwurf: Die da oben wollen doch, dass wir hier alles dicht machen. - Oder trotzig - wie ein Mann aus unserem Nachbardorf, der sag te: Die müssen mich hier wegtragen, vorher gehe ich nicht. - Manchmal auch als Scherz nach dem Motto: Bald ziehen wir sowieso alle in die große Stadt. Oder auch als Abstimmung mit den Füßen, ganz praktisch, wenn aus dem Freundes- und Be kanntenkreis wirklich viele in die große Stadt gezogen sind, nach Berlin und damit den Lebensentwurf auf dem Dorf ganz praktisch infrage gestellt haben.

Diese Frage ist also ziemlich oft gestellt bzw. an mich herange tragen worden - so oft, dass ich mich schon selbst gefragt habe: Lohnt es sich überhaupt noch, in das Leben auf dem Dorf zu investieren, da Kraft und Zeit hineinzustecken? Ich habe das für mich selbst zum Glück bejahen können. Die Enquetekom mission war gerade bei mir; ich glaube, alle fanden, dass das ein sehr schönes, lebenswertes Dorf ist. Es trägt ja auch den offiziellen Titel „Unser Dorf hat Zukunft“ - an dieser Stelle schöne Grüße! - Aber das ist natürlich keine Lösung für das Land. Deshalb dachte ich, ich frage einmal jemanden, der es wissen muss, der wissen könnte, wie es um die Zukunft der Dörfer steht: Haben die Dörfer in Brandenburg eine Zukunft? Ich habe bzw. unsere Fraktion hat also eine Große Anfrage an die Landesregierung gerichtet.

Vielleicht haben Sie die Antwort gelesen. Sie ist schon ziem lich ernüchternd. Die Landesregierung hat - so ist mein Fazit - die Dörfer überhaupt nicht richtig im Blick. Sie hat, wie sie freimütig zugibt, gar keine Definition, sie weiß gar nicht, was Dörfer überhaupt sind. Sie hat keine Daten und erfasst über haupt nicht, wie sich Dörfer in Brandenburg entwickeln. Dem entsprechend fühlt sie sich auch gar nicht für die Entwicklung der Dörfer zuständig.

In ihrer Not hat die Landesregierung dann gesagt: Na gut, Herr Raschke, wenn Sie eine Definition haben wollen: Dörfer sind Gemeinden im ländlichen Raum. - Das ist natürlich schon auf den ersten Blick falsch. Erstens gibt es auch Dörfer im Speck gürtel, außerhalb des ländlichen Raums. Zweitens ist ja das Be sondere, dass in Brandenburg viele Dörfer zu Gemeinden zu sammengeschlossen wurden. Das heißt, es ist nicht generell so, dass eine Gemeinde einem Dorf entspricht; das ist die absolute Ausnahme. Die Landesregierung hat also die Besonderheit von Dörfern,

(Wichmann [CDU]: … nicht auf dem Schirm!)

die Besonderheit dieser jahrhundertealten Kulturform, die wir in Brandenburg haben - es gibt in Brandenburg Dörfer, die seit

über 700 Jahren ihr Dorffest feiern -, überhaupt nicht im Blick. Damit hat sie auch die Alltagswirklichkeit vieler Menschen nicht im Blick. Die leben nämlich nicht in ihrer großen Ge meinde, zu der sie zufällig gehören, sondern das Leben und das Denken finden oft praktisch weiterhin im Dorf statt.

(Beifall B90/GRÜNE, BVB/FREIE WÄHLER Gruppe sowie vereinzelt CDU)

Ich war also sehr ernüchtert, muss aber sagen: Ausnahmsweise ist daran nicht Minister Vogelsänger schuld.

(Heiterkeit B90/GRÜNE und SPD - Beifall des Abgeord neten Lüttmann [SPD])

- Wirklich! Wenn man sieht, wie Minister Vogelsänger den Sie gern des Wettbewerbs „Unser Dorf hat Zukunft“ gratuliert, stellt man fest: Das ist ernsthafte, echte Freude. Er ist richtig stolz auf das, was in den Dörfern passiert. Das stellt jede Über gabe eines Fördermittelbescheids in den Schatten, wenn der Minister das macht.

(Vereinzelt Heiterkeit CDU und SPD - Vereinzelt Beifall SPD)

Auch der Ministerpräsident, der gerade nicht da ist, hat nicht nur etwas für die Dörfer übrig - in der Szene heißt es sogar, der Mann habe ein Herz für Dörfer.

(Vereinzelt Beifall SPD - Frau Mächtig [DIE LINKE]: Genau!)

Halten wir das einmal fest. Es ist also nicht so, dass der Minis ter schuld ist - ganz im Gegenteil: Ihnen und Ihrem Haus vielen Dank für die Bearbeitung der Anfrage, ich weiß, dass das im mer viel Arbeit ist. Dank auch den Kollegen aus der Enquete kommission für die Vordiskussion, das hat alles dazu beigetra gen.

Wenn es aber so ist, dass der Ministerpräsident und der zustän dige Minister ein Herz für die Dörfer bzw. etwas für die Dörfer übrig haben, woran liegt es dann? Was läuft dann schief in die sem Land?

(Zuruf der Abgeordneten Lieske [SPD])

Was läuft schief, dass sich so viele Menschen diese Frage stel len?

(Wichmann [CDU] in Richtung der Abgeordneten Lieske [SPD]: Gar nichts, alles super!)

Was läuft schief, wenn bei der Bürgersprechstunde der En quetekommission Ortsvorsteher in Tränen ausbrechen, weil sie weder ein noch aus wissen. Was läuft schief, wenn sich bei Kommunalwahlen Ortsvorsteher von Dörfern zu Listen zusammenschließen, um im Gemeindeparlament die Mehrheit zu bekommen, damit ihre Stadt sie nicht dominiert? - Da läuft et was schief. Und beim Tag der Dörfer - einige Kolleginnen und Kollegen waren gerade da -, wo sich die Dorfbewegung in Brandenburg trifft, ist jedes Jahr mehr Zulauf zu verzeichnen. Es stellen sich immer mehr Leute diese Frage.

Was ist also schiefgelaufen, wenn das so ist und wir uns diese Frage stellen müssen? Ich glaube, wir haben in der Enquete

kommission schon ein paar Dinge herausgearbeitet. Es ist nicht mehr so, dass Dörfer verstaubte Provinz sind und keiner dahin will. Sehen Sie sich die Verkaufszahlen der „Landlust“ an: Die explodieren, gehen durch die Decke. Es liegt also nicht daran. Es liegt daran - das haben wir bisher, glaube ich, herausgear beitet -, dass die Gemeindegebietsreform von 2003 ein paar unerwünschte Nebenwirkungen hatte.

(Wichmann [CDU]: Das stimmt!)

Sie erinnern sich vielleicht: Im Rahmen der Gemeindegebiets reform 2003 wurden viele Dörfer zu Gemeinden zusammenge schlossen.

(Wichmann [CDU]: Hunderte!)

Das hatte viel Gutes. Dadurch entstanden im ganzen Land handlungsfähige Gemeinden mit einer guten Verwaltung. Das hat in der Regel zu großer Zufriedenheit geführt. Aber wir ha ben damit auch Nebenwirkungen eingekauft, die sich jetzt - viele Jahre danach - sehr deutlich bemerkbar machen.

Erstens: Wir haben die Landesregierung damit entmachtet, die Dörfer überhaupt begleiten und unterstützen zu können. Sie er fasst sie gar nicht mehr, denn dafür sind jetzt nur noch die Kommunen zuständig. Sie hat keine Definition, keine Daten, fühlt sich nicht zuständig.

Zweitens: Wir haben ein gutes Stück den Kontakt verloren. Wir hatten gestern in der Enquetekommission ein Fachge spräch. Prof. Franzke - er ist Ihnen vielleicht bekannt - hat uns vorgerechnet: Vor der Gemeindegebietsreform waren in Bran denburg ungefähr 12 000 Menschen in Gemeinderäten ehren amtlich aktiv. Nach der Gemeindegebietsreform waren es nur noch 6 000. Das heißt nicht nur, dass da 6 000 Menschen nicht mehr ehrenamtlich aktiv sind und ihr Dorf politisch wachhal ten, das heißt auch, dass 6 000 Menschen ihrem lokalen Abge ordneten nicht auf die Füße treten, wenn etwas schiefläuft, und sagen: Liebe Landesregierung, du musst mal etwas tun!