Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte, anders als Kollege Folgart, den Grünen zunächst ein mal ausdrücklich dafür danken, dass sie diese Große Anfrage zur Situation und Zukunft unserer Dörfer gestellt haben. Ich glaube, es gibt Themen, die weniger Relevanz und Bedeutung für die Brandenburgerinnen und Brandenburger haben und mehr Kräfte in Regierung und Parlament bündeln als diese Große Anfrage zur Zukunft der Dörfer.
In den Dörfern leben verdammt viele Menschen. Deutschland weit lebt die Hälfte der Bevölkerung in Dörfern, kleinen Orten und Gemeinden. Auch in Brandenburg ist der Anteil der Lan desbevölkerung, der in den Dörfern lebt, ein relevanter und sehr hoher. Man muss auf der anderen Seite aber auch feststel len, dass es im ländlichen Raum unseres Landes und vor allem in den Dörfern nach 1990 einen gewaltigen Umbruch gegeben hat, der - im Vergleich zu DDR-Zeiten - vor allem mit der Landwirtschaft und den Veränderungen in der Landwirtschaft
zu tun hatte. Aber - so ehrlich muss man sein -: Die Landespo litik hat sich auch in den Jahren seit der Neugründung des Lan des Brandenburg zu wenig um die Dörfer gekümmert; sie sind zum Teil vernachlässigt worden. Bisher gab es nur Antworten, die sich darauf bezogen, dass sich das Land mit seinen Behör den, der Polizei, den Gerichten, den Schulen und vielen ande ren Dingen aus der Fläche zurückgezogen und mit Zentralisie rung auf die Probleme im ländlichen Raum reagiert hat. Wir merken heute an vielen Stellen, dass es die falschen Reaktio nen waren, weil es den Trend zurück aufs Land schon seit Jah ren in Brandenburg gibt, die Einwohnerzahlen entgegen den Prognosen, die uns immer wieder vom Statistischen Landes amt vorgetragen wurden, vielerorts sogar wieder steigen. Auch meine Heimatstadt verzeichnet jetzt schon das zweite Jahr in Folge Einwohnerzuwachs, obwohl etwas ganz anderes vorher gesagt wurde. So ist es in vielen Dörfern. Deshalb ist es wich tig, dass wir hier auch einmal über die Zukunft und die Situati on der Dörfer reden. Ich kann mich erinnern - ich bin seit 2009 im Landtag -: Wir hatten hier noch keine richtige Debatte über die Frage, wie es in den Dörfern unseres Landes eigentlich aus sieht. Wir reden über vieles, über die Dörfer aber definitiv zu wenig.
Ich kann nur in Erinnerung rufen: Herr Speer hat für viele Re gionen vorausgesagt, dass sie irgendwann entvölkert, entleert sein werden, dass wir wüste Dörfer, Dörfer, in denen keiner mehr lebt, haben werden. Ich kann das in meinem Wahlkreis nicht feststellen. In meinem Wahlkreis gibt es fünf Städte, ein Amt und 172 Dörfer. Ich war in all diesen Dörfern, bin regel mäßig dort unterwegs und kann von Entvölkerung und Entlee rung nichts feststellen. Feststellen kann ich hingegen, dass sich die Politik zu wenig um diese Orte kümmert. Wenn ich mir ein mal den Koalitionsvertrag von Rot-Rot ansehe, Herr Folgart - ich habe einmal nachgeschaut, was darin zum ländlichen Raum steht -, stelle ich fest: Zum Thema Dorf wird nicht ein Wort verloren.
„In den vergangenen 25 Jahren fand überall ein dramati scher Umbruch statt: Verlust von Arbeitsplätzen in der klassischen Landwirtschaft, Abwanderung und demogra fischer Wandel, Energiewende und Strukturwandel in der Landwirtschaft.“
Jetzt möchte ich einmal ausführen, wie Sie ihn gestalten, wie es jedenfalls viele Bürger auf dem Lande erleben, und was in den ländlichen Regionen bisher passiert ist. Wir erleben - ich habe es angesprochen - einen Rückzug aus der Fläche und Zen tralisierung in allen Bereichen. Wenn im Bereich ÖPNV ge kürzt wird, muss als Erstes die Busverbindung in den kleinen Orten und Dörfern dran glauben, weil dort ja so wenig Men schen leben. Für jedes einzelne Dorf stimmt das auch, aber in der Summe eben nicht. Im Grünen Netz - viele Straßen in mei
nem Wahlkreis sind Teil davon - haben wir die Situation, dass schon seit vielen Jahren kein Cent mehr in die Landesstraßen, die sich in den ländlichen Regionen befinden, investiert wird, aber die Menschen dort trotzdem jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit fahren und pendeln müssen.
Herr Wichmann, ist Ihnen bekannt, dass der Begriff „Dorf“ im Zusammenhang mit der auch von Ihrer Fraktion vehement be triebenen Gemeindegebietsreform 2003 aus den Geschichtsbü chern dieses Landes gestrichen wurde?
Kollege Benjamin Raschke hat ja schon einiges zu den Risiken und Nebenwirkungen dieser Gemeindegebietsreform gesagt. Wir haben uns in der Enquetekommission der 5. Wahlperiode auch ausführlich mit der Frage beschäftigt, welche Nebenwir kungen, Risiken und Folgen diese Gemeindegebietsreform hat te. Da sind auf der Habenseite - Benjamin Raschke hat es ge sagt - natürlich effizientere Verwaltungsstrukturen entstanden, weil viele sehr kleine Gemeinden vorher gar nicht über eine eigene leistungsfähige Verwaltung verfügten. Aber es ist eben auch verdammt viel an Eigenständigkeit, ehrenamtlichem En gagement und Entscheidungsmöglichkeiten in den kleinen Or ten verloren gegangen. Ich kann mich nur dem anschließen, was Kollege Raschke schon gesagt hat und was wir in der En quetekommission der letzten Wahlperiode auch für den Zwi schen- und Endbericht - auch untersetzt mit wissenschaftlicher Analyse - festgestellt haben: dass das dazu geführt hat, dass es in den Orten keine Eigenverantwortlichkeiten mehr gibt, wenn sie nur noch Ortsteile sind.
Die Stadt Templin in meinem Wahlkreis hat 15 Ortsteile. Sie haben kein Geld, nicht einen Euro, über den sie selbst entschei den können. Sie haben einen Ortsvorsteher, der nichts zu sagen hat, und können eigentlich nur den Ärger der Bürger aufneh men, aber nichts gestalten.
Deshalb müssen wir endlich gemeinsam dazu kommen, ernst haft über diese Nebenwirkungen zu reden und uns Gedanken zu machen, wie wir es in Zukunft besser machen können, Frau Mächtig.
Zunächst freue ich mich, Herr Abgeordneter Wichmann, über Ihr Engagement und die Aussage, die Fläche mehr zu fördern. Ich erinnere mich aber gut an Auseinandersetzungen mit dem Kollegen Homeyer im Wirtschaftsausschuss, als es darum ging, Stärken zu stärken, Regionale Wachstumskerne zu för dern. Wir haben immer wieder unsere durchaus gegenteilige Position verdeutlicht, indem wir gesagt haben: Wir sollten ein bisschen mehr in die Fläche schauen und dort fördern, wo es Sinn macht, wo die Initiativen sind. - Mich würde interessie ren, inwiefern diese Position auch mit Ihrer Fraktion abge stimmt ist, gerade im Hinblick auf Ihre wirtschaftspolitischen Ansichten bezüglich des ländlichen Raums und der Fläche.
Vielen Dank, Herr Kollege Jungclaus. Ich denke, die Frage ist einerseits, wie wir uns in der Wirtschaftsförderung aufstellen. Da sind sich alle Experten einig, dass die Fokussierung auf die Wachstums- und Branchenkerne eine gute Entscheidung war,
dass Wirtschaftsminister Junghanns da wirklich etwas für Bran denburg geleistet hat, was Nachhall hat und in unserem Land heute noch positive Wirkung entfaltet.
Auf der anderen Seite ist die Frage zu klären, wie wir im Be reich der Raumordnung, aber auch in Bezug auf die Kommu nalverfassung mit dem ländlichen Raum umgehen. Frau Lange ist hier; wir haben schon eine erste Diskussion im Landtag da zu geführt, wie es in Zukunft mit den Rechten der Ortsteile weitergehen soll, und ich hatte ja bereits ausgeführt, dass die Ortsteile heute so gut wie keine Rechte mehr haben. Sie kön nen nichts selbst entscheiden, sie haben kein eigenes Geld; aber dort leben in der Summe verdammt viele Menschen, und über deren Köpfe hinweg wird vieles in den größeren Struktu ren entschieden.
Eines kann man sagen - das haben auch die Große Anfrage und die Antwort der Landesregierung deutlich gemacht -: Der Landtag und die Landesregierung und übrigens auch die Kreis verwaltungen und Kreistage haben die Ebene des Dorfes nicht auf dem Radar, weil es die „eigentlich“ gar nicht gibt. Wir ha ben nicht einmal statistische Daten darüber, wie sich die Ein wohnersituation in den einzelnen Dörfern entwickelt. Wir wollten das im Rahmen der Enquetekommission gern einmal genauer analysiert haben, und die Antwort vom Amt für Statis tik war: Wir können Ihnen das auf Gemeindeebene sagen, aber zu den einzelnen Orten und Dörfern haben wir keine Anga ben. - Es kann doch nicht richtig sein, dass wir die Dörfer über haupt nicht auf dem Schirm haben.
Lieber Kollege Udo Folgart, wir arbeiten ja wirklich gut zu sammen, und ich teile auch Ihre Einschätzung, dass wir in der Enquetekommission sehr gut miteinander arbeiten, weil wir
alle Kollegen sind, die den ländlichen Raum wirklich im Blick haben. Aber eines muss man trotzdem sagen: Die Enquetekom mission kann doch nicht dazu führen, dass wir während der ge samten Zeit der Arbeit der Enquetekommission hier im Plenum überhaupt keine Debatten mehr zum Thema ländlicher Raum führen können und der Landesregierung in der Zwischenzeit keine Arbeits- und Prüfaufträge mehr erteilen können, um zu schauen, wie es im ländlichen Raum Brandenburgs aussieht und was dort passieren muss, um Abhilfe zu schaffen.
Lieber Henryk Wichmann, die Frage bezieht sich auf den In halt des Antrags, den Sie und die Grünen hier vorgelegt haben. Damit wollen wir uns in der Enquetekommission ja auseinan dersetzen. Kleinteilig wird in den verschiedenen Arbeitsgrup pen von Wertschöpfung über Jugend im ländlichen Raum bis hin zu Mobilität und Daseinsvorsorge zu sprechen sein.
Sind Sie nicht auch der Meinung, dass Ihr Antrag in der En quetekommission gut platziert wäre, um in dem Zwischenbe richt, der in diesem Jahr kommen wird, die erste Antwort dar auf zu geben, die erste Anforderung seitens der Enquetekom mission zu formulieren und wir das Thema der Dörfer - da bin ich wirklich bei Ihnen - hochhalten können?
Lieber Herr Kollege Folgart, die Situation ist ja so, dass wir im Plenum keine Anträge an die Enquetekommission überweisen können, weil diese kein regulärer Ausschuss ist. Auf der ande ren Seite können wir uns zwar in den Arbeitsgruppen der En quetekommission mit all diesen Dingen beschäftigen, und wir können auch weiter an dem Zwischenbericht arbeiten, jedoch können wir als Enquetekommission der Landesregierung auch keine Arbeitsaufträge erteilen. Dafür ist das Plenum des Land tags Brandenburg zuständig.
Deshalb ist es richtig, dass wir heute diese Debatte haben und einmal über Prüfaufträge diskutieren - diesbezüglich sind wir uns in der Enquetekommission, denke ich, fraktionsübergrei fend einig - zum Beispiel darüber - ich sage auch noch einmal, was in dem Antrag steht; das betrifft Punkt 1 -, die Dörfer wie der in den Blick nehmen, endlich einmal prüfen, was man tun kann, damit Dörfer auch in ihrer Einwohnerentwicklung statis tisch erfasst werden. Dagegen spricht nichts, und ich verstehe nicht, warum SPD und Linke diesem kleinen Prüfauftrag nicht schon heute zustimmen können, sondern warten wollen, bis wir 2019 oder irgendwann den Abschlussbericht der Enquete kommission vorlegen.
In Punkt 2 heißt es: Mehr Rechte für die Dörfer schaffen. - Der Landtag hat bereits erkannt, dass hierfür Gesetzesänderungen notwendig sind. Die Vorschläge insbesondere zu den Rechten der Ortsteilvorsteherinnen und -vorsteher sowie zu Ortsteil budgets sollten rasch umgesetzt werden. Auch da - so denke ich - sind wir uns fraktionsübergreifend einig und müssen jetzt nicht abwarten, bis der Zwischen- oder Abschlussbericht der Enquetekommission vorliegt.
In Punkt 3 geht es dann darum, die Dorfentwicklungsprogram me, die es gibt, weiterzuführen und auch ein neues Landesför derprogramm für die Dorfentwicklungskonzepte in der soge nannten zweiten Generation einzuführen. Auch da weiß ich von Jörg Vogelsänger, dass er dafür offen ist.
Ich muss an der Stelle auch einmal sagen, dass unser Ministeri um für Ländliche Entwicklung von allen Ministerien das Mi nisterium ist, das die Dörfer und den ländlichen Raum noch am besten im Blick hat. Bei manch anderen Ministerien, die wir im Rahmen der Arbeit der Enquetekommission angehört haben, habe ich immer wieder den Eindruck gewonnen, dass sie die Probleme der ländlichen Regionen sehr wohl kennen und ei gentlich wissen, wie es da aussieht, aber an differenzierten Lö sungsvorschlägen und -ansätzen bisher verdammt wenig vor liegt, was uns in der Enquetekommission hätte geboten werden können.
Deshalb ist es wichtig, dass wir als Landtag auch einmal solche Prüfaufträge auslösen. Ansonsten reden wir hier und in der En quetekommission, kommen aber eigentlich zu keinen echten Ergebnissen.
Zum Punkt 4, das „Parlament der Dörfer“ zu unterstützen. Ich war am vorletzten Samstag mit der Kollegin Liedtke, dem Kol legen Raschke und der Kollegin Schwarzenberg in Himmel pfort beim Tag der Dörfer. Die Dörfer haben sich dort zum neunten Mal getroffen. Sie hatten dort auch den Chef der Euro päischen Dorfbewegung zu Gast, der in Stockholm sein Büro hat, aus den Niederlanden kommt und in Potsdam-Babelsberg eine Zweitwohnung hat. Er setzt sich wirklich sehr dafür ein, dass wir auch in Brandenburg dieses „Parlament der Dörfer“ bekommen.