Protokoll der Sitzung vom 01.03.2017

Da wird nicht viel Federlesens gemacht. So sollen unter ande rem polizeiliche Videoüberwachungsmaßnahmen nahezu un begrenzt im ganzen Land möglich sein, Speicherfristen von jetzt 48 Stunden auf vier Wochen verlängert werden.

(Dr. Redmann [CDU]: Ja!)

Meine Damen und Herren, das sehen wir ganz anders. Wir leh nen diesen Gesetzentwurf ab. Wir beteiligen uns nicht an dem Aktionismus zur Einführung neuer sicherheitspolitischer Maß nahmen, der gegenwärtig Blüten treibt.

(Beifall DIE LINKE, SPD sowie vereinzelt B90/GRÜNE)

Es ist doch offensichtlich, dass es hierbei nicht um einen realen Zuwachs an Sicherheit geht, sondern den Menschen lediglich das Gefühl gegeben werden soll, dass etwas getan wird. Wie man sehen kann, ist es der CDU auch egal, ob und wie solche Maßnahmen finanziert werden und welche Eingriffe damit ver bunden sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen eine Sicherheits politik, die mit Augenmaß und wirkungsorientiert angelegt ist. Deshalb haben wir unseren Ansatz darauf ausgerichtet - und darauf hat Kollege Kurth aufmerksam gemacht -, mehr Polizis ten auszubilden und zum Einsatz zu bringen. Das ist nach un serer Auffassung deutlich mehr wert als zusätzliche Kameras.

Selbstverständlich muss es darum gehen, Eingriffe in persönli che Rechte auf das zwingend notwendige Maß zu beschränken. Deshalb haben wir im Januar einen exzessiven Katalog von Si cherheitsmaßnahmen der CDU abgelehnt. Deshalb haben wir die Landesregierung in einer Entschließung beauftragt, die Si cherheitslage zu bewerten und zu prüfen, ob gesetzliche Ände rungen erforderlich sind und wie diese aussehen können. Des halb haben die Koalitionsfraktionen vergangene Woche im In

nenausschuss beantragt, ein Fachgespräch zu polizeilichen Be fugnissen beim Einsatz von Videotechnik durchzuführen. Da bei geht es um Fragen erweiterter Einsatzmöglichkeiten, um die Speicherfristen und den Einsatz von Bodycams für Polizei beamte, die ausgehend von einer gründlichen Abwägung zwi schen den Freiheitsrechten der Bürger und den Eingriffsrechten besprochen werden sollen. Die Form des Fachgesprächs bietet die Möglichkeit für ein überlegtes ausgewogenes Vorgehen bei diesem umstrittenen Thema.

(Dr. Redmann [CDU]: Dann machen wir doch eine Anhö rung!)

Dabei werden wir die Frage zu beantworten haben, was im Rahmen der gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen bereits möglich ist.

(Jung [AfD]: Das gibt’s doch gar nicht!)

- Das ist Ihnen ja völlig egal, das brauchen Sie ja nicht.

So sind im Polizeigesetz ziemlich weitgehende Bestimmungen zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum enthalten. Auf dieser Grundlage findet an vier Standorten im Land - unter an derem am Potsdamer Hauptbahnhof - kontinuierlich eine Vi deoüberwachung im öffentlichen Raum statt. Bei Bedarf könn ten die Standorte verändert oder erweitert werden.

Außerdem besteht die Möglichkeit, eine polizeiliche Video überwachung an oder in besonders gefährdeten Orten durchzu führen.

Von solchen Maßnahmen nach § 31 Abs. 2 Satz 1 in Verbin dung mit § 12 Abs. 1 Nr. 3 Polizeigesetz ist 2015 - im letzten Berichtsjahr - kein Gebrauch gemacht worden.

Im Polizeigesetz ist vorgeschrieben, dass Bildaufnahmen nach 48 Stunden zu löschen sind. Diese Speicherfrist gilt allerdings nicht, wenn die Bildaufnahmen zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten benötigt werden. Eigentlich ist al so davon auszugehen, dass bei einer Straftat oder Ordnungs widrigkeit in einem videoüberwachten Bereich die für eine Verfolgung notwendigen Aufnahmen zeitnah gesichert werden können. Aber ich will dem Fachgespräch nicht vorgreifen. Es soll dazu beitragen - und da können wir uns alle beteiligen, auch die CDU; sie hat ja dem Fachgespräch zugestimmt -, zu einer möglichst realistischen Bewertung der rechtlichen Situa tion zu kommen und über eventuell notwendige Veränderun gen zu diskutieren.

(Dr. Redmann [CDU]: Stimmen Sie denn der Anhörung zu?)

Unter dieser Voraussetzung lehnen wir den Gesetzentwurf der CDU ab. - Danke.

(Beifall DIE LINKE und SPD - Dr. Redmann [CDU]: Und die Anhörung?)

Vielen Dank. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Nonnemacher.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kolle gen! Liebe Gäste!

„Wer wesentliche Freiheiten opfert, um vorübergehend ein kleines Maß an Sicherheit zu gewinnen, verdient we der das eine noch das andere und wird am Ende beides verlieren.“

(Beifall DIE LINKE)

Dieses Zitat stammt von Benjamin Franklin, einem der Grün dungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika.

Sicherheit und Freiheit bedingen einander. Sie müssen sich im Gleichgewicht befinden, um dauerhaft bestehen zu können. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Sie zieht sich spätestens seit der Antike durch unsere Geschichte und ist heute Grundlage unse rer Verfassung und unseres Rechtsverständnisses.

Sicherheit und Sicherheitsbedürfnis müssen der Wahrung der Grundrechte und der Entfaltung der Bürgerinnen und Bürger im Staat dienen und dürfen diese nicht gefährden. Hierfür steht die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und dies gilt auch in Zeiten terroristischer Bedrohung und außenpolitischer Un wägbarkeiten.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE)

Lese ich nun aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Ihren Gesetzentwurf zur Änderung des Brandenburgi schen Polizeigesetzes, könnte man meinen, Sie hätten von dieser Balance zwischen Freiheit und Sicherheit noch nicht allzu viel gehört. Die Ausweitung der sogenannten Schleier fahndung und der Videoüberwachung steht in keinem Ver hältnis zu ihrem Nutzen. Sie begründen diese Grundrechts eingriffe mit einer Zunahme der Kriminalität und terroristi schen Bedrohung. Dabei sind die von Ihnen genannten Aus weitungen weder zielgerichtet noch zur tatsächlichen Gefah renabwehr geeignet.

Erstens: Sie schlagen etwa vor, Videoüberwachung auch im Falle einer konkreten Gefahr zuzulassen. Bereits jetzt ist eine Überwachung zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfer tigen, dass an bestimmten Orten oder zu bestimmten Anlässen vermehrt Straftaten drohen. Das steht in § 31 des Brandenbur gischen Polizeigesetzes.

Bereits in unserer Debatte im Januar habe ich mich dahin ge hend geäußert, dass ein solch gezielter Einsatz von Videoüber wachung punktuell zur Aufklärung von Straftaten beitragen und sinnvoll sein kann. Gerade aber bei konkreten Gefahren ist Videoüberwachung zur Gefahrenabwehr völlig ungeeignet. Droht sich eine Gefahr zu konkretisieren, hilft nur das konkrete Abwehren der Gefahr, beispielsweise durch das Eingreifen von Sicherheitskräften. Die Aufzeichnung einer Straftat verhindert diese nicht und nützt allenfalls der Strafverfolgung, was in den Kompetenzbereich des Bundesgesetzgebers fällt.

Zweitens: Des Weiteren fordern Sie eine automatische Zusam menführung und Auswertung des gewonnenen Bild- und Ton materials durch Algorithmen, soweit dies nicht gesetzlich aus geschlossen ist.

Insbesondere die automatisierte Auswertung stellt einen tief greifenden Grundrechtseingriff dar, dessen Reichweite Sie in Ihrem Gesetzentwurf nicht gerecht werden. Auch hier er schließt sich nicht, inwieweit dieses Vorgehen noch für die Ge fahrenabwehr geeignet sein soll oder ob bereits der Bereich der Strafverfolgung und damit die Kompetenz des Bundesgesetz gebers betroffen ist.

Bei der zunehmenden Präzision neuer Aufnahmegeräte, die nicht nur das Aussehen, sondern auch den gesundheitlichen Zustand einer Person und mehr erkennen können, dürfte zu dem eine Verlängerung der Löschfrist von 48 Stunden auf ei nen Monat nicht mehr verhältnismäßig sein. Diese Form der massenweisen Datensammlung und -speicherung lehnen wir Bündnisgrünen ab.

(Beifall B90/GRÜNE)

Drittens: Schließlich fordern Sie Personenkontrollen ohne kon kreten Anlass. Ich darf daran erinnern, dass die Identitätsfest stellung bereits jetzt in einer Vielzahl von Fällen, insbesondere zur Abwehr einer Gefahr und bei der vorbeugenden Bekämp fung der grenzüberschreitenden Kriminalität, möglich ist - §§ 11 und 12 des Brandenburgischen Polizeigesetzes. Auf die Frage, warum nun gerade Ihr Ausweitungsvorschlag geeignet sein soll, die Kriminalität einzudämmen, bleiben Sie uns die Antwort schuldig. Klar ist nur, dass er verfassungsrechtlich mindestens bedenklich ist. Ich verweise auf das Urteil des Ver fassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern. Die Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht jederzeit befürchten müssen, von der Polizei kontrolliert zu werden, ohne dass ein konkreter Ver dacht besteht.

Ihren Antrag lehnen wir ab; denn denken Sie daran: Wer zu viel Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird am Ende beides ver lieren.

Da ich gern diskutiere, können wir einer Überweisung zustim men. Den Antrag als solchen lehnen wir selbstverständlich auf das Entschiedenste ab.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE und SPD)

Vielen Dank. - Für die Landesregierung spricht Frau Staatssekretärin Lange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Es ist richtig, dass sich die Sicherheitsbehörden in Deutschland auf neue Herausforderungen einstellen müssen. Daraus kann sich auch Handlungsbedarf in Bezug auf die Poli zeigesetze von Bund und Ländern ergeben; das ist gar nicht zu bestreiten. Falsch ist es dagegen, diese notwendige Debatte mit dem ganz kleinen parteipolitischen Karo zu bestreiten. Ich zi tiere dazu den ersten Satz der Begründung des Gesetzentwur fes der CDU:

„In den vergangenen Jahren hat sich die Sicherheitslage im Land Brandenburg weiter verschärft.“

Jeder weiß, dass die in der Tat neuen Herausforderungen durch Extremisten, Islamisten und Terroristen wenig mit der exklusi ven Lage in Brandenburg und sehr viel mit der veränderten La ge in der Welt, in Europa und in Deutschland zu tun haben.

(Dr. Redmann [CDU]: Es geht hier aber um Brandenburg!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, Sie tun sich mit solchem Provinzialismus wirklich keinen Gefallen.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE sowie Beifall B90/GRÜNE)

Das ist der ernsten Sache einfach unangemessen.

In der Sache selbst will ich durchaus anerkennen, dass Ihr Ge setzentwurf diskutable Ansätze und Vorschläge enthält. Ihnen ist das auch bekannt; denn wir diskutieren seit geraumer Zeit

(Dr. Redmann [CDU]: Ja!)

auch in Brandenburg über genau diese Vorschläge. Dabei sind wir oft gar nicht so weit auseinander. Hierzu gehören zum Bei spiel die Einführung von Bodycams für Polizeibeamte oder auch das Feld der polizeilichen Videoüberwachung. Ich bin hier allen Vorschlägen gegenüber offen, die unserer Polizei helfen und dazu beitragen, die Sicherheit und das Sicherheits gefühl in unserem Land zu erhöhen.

In der Tat braucht es die erforderlichen gesetzlichen Grundla gen, die es der Polizei ermöglichen, auf die aktuelle Sicher heitslage nicht nur zu reagieren, sondern sie selbst positiv ge stalten zu können.

(Beifall des Abgeordneten Jung [AfD])