Protokoll der Sitzung vom 18.05.2017

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Es ist eine Kurzintervention angemeldet wor den. Frau Abgeordnete Bessin hat das Wort.

Frau Liedtke, schade, dass Sie jetzt hinter mir sitzen, da kann ich Sie nicht so richtig angucken. Es ist sehr interessant, dass Sie sich speziell darüber Gedanken machen, wie die AfD abzu stimmen hat, oder was wir Ihrer Meinung nach tun sollten. Sie

versteifen sich mit ihren zukünftigen Anträgen hoffentlich nicht darauf, diese extra zu stellen, um erfassen zu können, wie die AfD sich zu Ihrem Antrag stellt, um uns das vielleicht vor schreiben zu wollen.

(Zurufe von der Fraktion DIE LINKE)

Ich denke, es bleibt zukünftig uns selbst überlassen, wie wir abstimmen. Und wie es am Ende aussieht, das werden Sie dann sehen.

(Beifall AfD - Wilke [DIE LINKE]: Das war krass!)

Frau Abgeordnete Liedtke, möchten Sie darauf reagieren?

(Frau Prof. Dr. Liedtke [SPD]: Nein, danke!)

Dann kommen wir zur nächsten Rednerin. Die Abgeordnete Heinrich spricht für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Prof. Morsch! Verehrte Damen und Herren! Lese ich die Überschrift des Antrags, kann ich ihm uneingeschränkt Folge leisten. Schaue ich in den Text des Antrags, sehe ich, dass man ihm zustimmen kann, aber man sucht vergeblich nach Vollständig keit - mit dem Blick auf unsere gemeinsame Geschichte, die es doch besser und mit weitreichenderen Fördermodalitäten und Konzepten zu vermitteln gilt.

Es wird in der Betrachtung geschichtlicher Ereignisse immer Diskussionen, Kontroversen und Leidenschaft geben, aber im mer sollte es Denken geben, eigenständig, unvoreingenommen und die Tatsachen nicht leugnend. Es wird leider auch immer möglich sein, Menschen mit alten Versprechen erneut zu ver führen. Nur kluges menschliches Kommunizieren, Austau schen, Zuhören, Erlebbarmachen, schlichtweg Bilden - nicht das Vorgeben von Meinungen - werden verhindern, überhaupt verführbar zu sein und jenen alten Versprechen oder men schenverachtenden Ideologien aus den vergangenen Diktaturen von 1933 bis 1990 erneut zu verfallen.

Ich behaupte, verehrte Damen und Herren, dass es nie eine Ge neration vor der unsrigen gab, die besser in der Lage und Ver fassung gewesen wäre, Geschichte aufzuarbeiten und daraus zu lernen, wie es uns heute möglich ist.

(Beifall CDU)

Ich bin froh und dankbar dafür, dass wir auch in Brandenburg, nicht zuletzt durch die Gedenkstättenstiftung, eine lebendige Erinnerungs- und Gedenkstättenkultur pflegen: Orte wie Ra vensbrück, Sachsenhausen, Below, das ehemalige Zuchthaus Brandenburg, um nur einige zu nennen. Wo aber in Ihrem An trag finde ich die Leidenschaft für die Aufarbeitung des Un rechts durch die DDR-Diktatur?

(Beifall CDU, AfD sowie der Abgeordneten von Halem [B90/GRÜNE])

Die Gedenkstätte Leistikowstraße, das Menschenrechtszentrum, die Gedenkstätte Lindenstraße - wo finde ich jene Leidenschaft

in Ihrem Antrag, die den zahlreichen Menschen gerecht wird, die der kommunistischen Diktatur im Wege standen? Selbst die Ber liner Gedenkstätte im ehemaligen Stasigefängnis Berlin-Hohen schönhausen möchte durch kluge pädagogische Konzepte dazu anregen, sich nicht nur mit der SED-Diktatur, sondern auch mit aktuellen Formen des gewaltbereiten Linksextremismus ausein anderzusetzen. Dem wird Ihr Antrag nicht gerecht.

(Beifall AfD)

Neben einer unerlässlichen wissenschaftlichen Arbeit, die längst nicht abgeschlossen oder vollendet ist, weil immer wieder neue Erkenntnisse unserer Aufmerksamkeit bedürfen, ist aus meiner Sicht der pädagogische Ansatz das Wichtigste, was unsere Generation in den Gedenkstätten leisten muss. Ohne ausreichende finanzielle Mittel, ohne ausreichendes und professionelles Personal bleibt gerade jungen Menschen in vielen Belangen in unseren Gedenkstätten vieles verbor gen.

Gern möchte ich meine Redezeit dafür nutzen, einmal ein paar ganz persönliche Erfahrungen zu schildern: Gemeinsam mit drei Sozialarbeitern - einer davon ich selbst - fuhren wir für fünf Tage mit 20 Schülern im Alter von 14 bis 20 Jahren aus Gymnasium, Oberschulen und Berufsschulen nach Oświęcim, nach Auschwitz. Dass ich Abgeordnete war, sollte keine Rolle spielen. Dass mancher damals auch mit Springerstiefeln in den Bus stieg, ebenso wenig. In diesen Tagen ließen wir den Ju gendlichen Raum und Möglichkeiten, Fragen auf ihre Neugier zu finden. Es gab keine Verhaltensregeln, keine Vorschriften, sondern nur uns als Betreuer, Menschen und auch Freunde, um Dinge selbst zu erfahren, Zweifel zuzulassen, das Gesehene hinterfragen zu dürfen, nicht belehrt, nicht zu politischer Kor rektheit ermahnt zu werden.

Keiner der noch so auf Rebellion bedachten Jugendlichen ver hielt sich an den Gedenkorten respektlos, nahm in der Gedenk stätte Handy oder Zigarette zur Hand. Verweigerte mancher den Besuch der Synagoge - was wir für legitim hielten -, so wollte er später alles darüber wissen. Noch nachts arbeiteten alle an den unterschiedlichsten Themen, suchten in Bibliothe ken nach Antworten. Wer es nicht aufschreiben mochte oder konnte, gab sein Wissen in Eindrücken, in bemerkenswerten Kunstwerken wieder.

Die Zeit war kurzweilig und wir voller Spannung, wie das Re sümee wohl ausfallen würde. So manch einer, von dem ich nicht erwartet hätte, dass er sich auf die Suche begibt, um für sich Antworten zu finden, sagte, es sei die größte Erfahrung gewesen, die er in seiner Schulzeit gesammelt habe. Auf die Frage „Warum? antwortete er, dass sich noch nie zuvor jemand so viel Zeit für ihn genommen habe, um das Vergangene in ei ner Gedenkstätte - mitten in einer Gedenkstätte - verstehen zu können.

Verstehen Sie mich nicht falsch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, nicht jedem Schüler kann ein so umfangreiches Pro jekt zuteilwerden. Darum sollten wir alles dafür tun, dass je dem Jugendlichen in unserem Land Zeit und Einfühlungsver mögen entgegengebracht werden, um vor Ort - ich sage es noch einmal: vor Ort - in den Gedenkstätten menschenverach tender Diktaturen zu lernen, zu verstehen und über seine Zu kunft klug abwägen zu können. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, AfD, B90/GRÜNE sowie vereinzelt SPD)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht die Abgeordnete Große für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Morsch! Verehrte Kolle ginnen und Kollegen Abgeordnete! Wir hatten hier am 9. Mai eine bewegende, auch schmerzhafte Feierstunde anlässlich des Tags der Befreiung, bei der das Dokumentar-Theaterprojekt „Zur Endlösung der Zigeunerfrage“ vom Historikerlabor unter Leitung von Petra Rosenberg aufgeführt wurde. Wir haben mit diesem Stück versucht, das Historische zu verstehen und kom plexe Zusammenhänge zu erkennen und zu vergegenwärtigen im besten Sinne des Wortes, sie in die Gegenwart zu holen.

Die Befreiung der Konzentrationslager Ravensbrück und Sach senhausen jährte sich im April zum 72. Mal, das war auch der Anlass für den Zeitraum dieses Antrages. Es war ein würdiges Gedenken mit wenigen Zeitzeugen, die dazugekommen sind.

Ich habe mir einmal überlegt, was Roger Bordage, der von mir sehr verehrte Vorsitzende des Internationalen SachsenhausenKomitees, gedacht hätte, verehrte Kollegin Anja Heinrich - ich würde doch bitten, Herr Redmann, dass Sie sie jetzt einmal zu hören lassen -, wenn er gehört hätte, mit welch lockerer Hand hier von der Diktatur von 1933 bis 1990 gesprochen wird. Herrn Roger Bordage hätte das den Atem stocken lassen.

Und dennoch: Es werden mit jedem Gedenken weniger Zeit zeugen sein. Die Worte von Roger Bordage sind fest in mir ein gebrannt. Weil es weniger Zeitzeugen werden, bekommen die authentischen Orte einen Bedeutungszuwachs. Erinnern und Aufnehmen in unser kulturelles Gedächtnis ist notwendig, um uns urteils- und bewertungssicher zu machen für das Hier und Heute. Dieses Erinnern an die Schoah als eine Schande zu be zeichnen ist die Schande an sich. Sehr verehrter Herr Gauland, Sie haben heute die Gelegenheit, sich davon zu distanzieren, was Sie bisher nicht getan haben.

(Beifall DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Zum Glück sprechen die Besucherzahlen in Sachsenhausen be zogen auf das Erinnern und auf das Gedächtnis an genau diese Zeit eine andere Sprache. Allein in Sachsenhausen haben sie sich seit 1992 vervierfacht. Mein Wahlkreisbüro in der Bernau er Straße in Oranienburg liegt auf dem Weg der Menschen, die mit der Bahn nach Oranienburg kommen, um Sachsenhausen zu besuchen. Es sind Tausende, die dort an meinem Büro vorbeige hen, in der Regel vor allem spanische, italienische, portugiesi sche, niederländische und belgische Schülerinnen und Schüler, nicht so sehr viele aus unserem Land. Das ist zu sehen, denn sie kommen auch oft in unsere Geschäftsstelle. Leider klappt es ja auch immer noch nicht mit der Oberhavel Verkehrsgesellschaft und der Stadt und dem Bus, aber daran werden wir noch arbei ten. Das wäre alles nicht so, wenn nicht an diesem Gedenkort, der zur Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten gehört, 25 Jahre lang eine herausragende Arbeit geleistet worden wäre.

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Frage zu?

Nein, ich lasse jetzt keine Frage zu.

Ich möchte Herrn Prof. Morsch an dieser Stelle maßgeblich für seine Forschung, für sein unerbittliches, hartnäckiges, energi sches und leidenschaftliches Engagement danken.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Warum nun der Antrag? Wir könnten uns ja zurücklehnen. Wir haben versucht, die Gedenkstätten nach unseren Möglichkeiten gut auszustatten. Wir haben die Finanzierung mit dem letzten Doppelhaushalt auch noch einmal aufgestockt. An allen au thentischen Orten sind in unterschiedlicher Zahl auch Gedenk stättenpädagogen vorhanden, auch an den Orten, verehrte Kol legen von der CDU, der stalinistischen Verbrechen und auch an denen mit einer doppelten Vergangenheit. Es ist dort überzeu gende Ausstellungsarbeit geleistet worden und weder werden NS-Verbrechen relativiert noch werden die des Stalinismus ba gatellisiert. Insofern braucht es Ihres Antrages nicht. Das ist Teil des Antrages, den wir in der Koalition gestellt haben. Und es ist eine ausdrückliche Forderung des Koalitionsvertrages, dass Schülerinnen und Schüler wenigstens einmal in ihrer Schulbiografie eine solche Gedenkstätte besuchen. Der neue Rahmenlehrplan gibt dazu gute Möglichkeiten, auch dafür, das nicht erst in der 10. Klasse zu tun. Wir haben uns die Fortent wicklung der gedenkstättenpädagogischen Arbeit vorgenom men. Das wollen wir mit diesem Antrag verfestigen. Und wir möchten gerne, dass die vorhandene Gedenkstättenkonzeption evaluiert und überarbeitet wird. Im Herbst werden wir uns da zu weiter verständigen. Ich werbe hier für die Zustimmung zu diesem Antrag.

Der Entschließungsantrag der AfD ist ein typischer Schafspelz antrag.

(Schröder [AfD]: Ach du liebe Zeit!)

Das ist einfach so. Sie haben mit kleinen marginalen Änderun gen, die sehr für sich sprechen,

(Zuruf von der AfD: Haben Sie ihn überhaupt gelesen?)

noch einmal das aufgeschrieben, was wir auch aufgeschrieben haben. Den kann man natürlich nur ablehnen.

Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall DIE LINKE, SPD und B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht der Abgeordnete Dr. Gauland für die AfD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gehört zu uns und ist ein wichtiger Teil unserer Erinnerungskultur,

(Zuruf: Aber!)

auch deshalb, weil unter den Opfern viele Deutsche sind, deut sche Juden, politisch Missliebige, Oppositionelle,

(Frau Große [DIE LINKE]: Auch russische, polnische und andere!)

Widerständler und Andersdenkende, die in die Mühlen des Ter rors gerieten. Und so, wie die Verbrechen des Nationalsozialis mus zu unserer Geschichte gehören, muss das ehrliche und un verklemmte Bekenntnis zu dieser monströsen historischen Schande Teil des geschichtspolitischen Selbstbildes unserer Nation bleiben.

Und, liebe Frau Große, bei allem Respekt, Björn Höcke hat dieses Denkmal als Denkmal unserer Schande bezeichnet,