Protokoll der Sitzung vom 18.05.2017

Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht die Abgeordnete von Halem für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle gen! Sehr geehrter Herr Prof. Morsch! Auch wir gehören zu denen - das wird Sie nicht wundern -, die die Erhöhung der Förderung für die Gedenkstättenstiftung im letzten Doppel haushalt begrüßen. Wir begrüßen auch, dass Brandenburg im Großen und Ganzen mit der Vielfalt an authentischen Gedenk stätten sehr verantwortungsbewusst umgeht.

Es ist erfreulich, dass die Gedenkstätten erweitert und erneuert werden, dass wir die Euthanasiegedenkstätte haben und in Sachsenhausen hoffentlich bald ein neues Empfangsgebäude errichtet wird. Als Enkelin eines Mannes, der in Görden hinge richtet worden ist, freut es mich auch, dass diese Gedenkstätte, dieser authentische Ort demnächst neu zugänglich sein wird.

Trotzdem ist der von der Koalition vorgelegte Antrag eher ent täuschend, erstens - das ist hier schon mehrfach erwähnt wor den -, weil er die Gedenkorte der SED-Diktatur völlig unter schlägt, und zweitens, weil er zwar wohlmeinend, aber ober flächlich und belanglos ist. Kurz gefasst beschränkt er sich auf: Wir sind gut und machen weiter so.

(Vereinzelt Beifall CDU)

Das ist wahrscheinlich genau das, was Frau Prof. Liedtke mit dem „Bekenntnisantrag“ meinte. Fortschreiben, weiter verbes sern, unterstützen, anregen - das sind die wohlbekannten Flos keln aus den Koalitionsanträgen. Weder werden konkrete Maß nahmen formuliert noch Ziele gesteckt. Damit wird keine ein zige zusätzliche Jugendbildungsreferentin, kein einziger zu sätzlicher Gedenkstättenpädagoge, keine bessere Unterstüt zung der vielen lokalen Aufarbeitungsinitiativen versprochen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Und noch schlimmer: Wenn die Voraussetzungen dafür ge schaffen werden sollen, „dass jeder Brandenburger Schüler im Laufe seiner Schulzeit wenigstens einmal sowohl einen Ge denkort der Opfer des Nationalsozialismus als auch der SEDDiktatur besucht“, heißt das doch im Klartext, dass es diese Möglichkeiten immer noch nicht gibt. Und wie viele Jahre re den wir darüber schon? - Nein, offensichtlich ging es bei die sem Antrag vor allem um eine Wohlfühlhülle anlässlich des 8. Mai.

(Schröder [AfD]: Genau!)

Das Einzige, was konkret gefordert wird, ist eine Evaluierung des Gedenkstättenkonzepts. Hier heißt es tiefgründig, die Eva luierung solle „mit dem Ziel der Überarbeitung und der Priori sierung“ erfolgen. - Welch klare und dezidierte Ansage!

(Heiterkeit des Abgeordneten Dr. Redmann [CDU])

Auf die Diskussion der Evaluierung freue ich mich schon - al lerdings auch ein Grund, dem Antrag zuzustimmen; denn es steht ja auch nichts Falsches darin.

Dem Antrag der CDU werden wir auch zustimmen, auch wenn wir nicht wirklich sehen, warum er gehaltvoller ist als der Antrag der Koalition. Den Entschließungsantrag der AfD lehnen wir wegen des neuen Fokus auf das Vertreibungsun recht ab.

Wenn wir allerdings Ende des Jahres über Erinnerungskultur re den, dann sollten wir unseren Blick vielleicht auch mal etwas weiten. Beim Blick auf die Vergangenheit ist Erinnerungskultur immer eine Schwerpunktsetzung. Die Auseinandersetzung da mit hat immer das Ziel, Gegenwart und Zukunft aus neuen Per spektiven, aus der Perspektive der Vergangenheit zu reflektie ren. Mit dem Fokus, den wir auf unsere Erinnerung richten, schaffen wir Identität. Wir schaffen sie im individuellen wie im kollektiven, nationalen Sinne. Wir erinnern an Nationalsozialis mus und SED-Diktatur und modellieren damit unser Selbstbild.

Aber unsere Welt ist größer geworden. - Nein, sie war schon immer groß. Rassismus und Antisemitismus während des Drit ten Reiches waren von der Kolonialgeschichte geprägt, und diese fand auch in Brandenburg statt. Ich erinnere nur an die Kolonie Groß Friedrichsburg, von wo aus Tausende von Skla ven in die Karibik verschifft wurden. Dieser authentische Ort ist weit weg, hat aber auch mit Brandenburg zu tun. Selbst vom sogenannten Halbmondlager in Wünsdorf, wo im Ersten Welt krieg ca. 4 000 überwiegend muslimische Gefangene aus den Kolonien Englands und Frankreichs interniert waren und die erste zur Religionsausübung gedachte Moschee Deutschlands stand, gibt es nichts Nennenswertes mehr zu sehen.

In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war ein Großteil der Welt unter europäischer Herrschaft. Die rassistischen Denk muster des Nationalsozialismus hatten und haben tiefe Wurzeln. Hat Dekolonisation vielleicht auch etwas mit Brandenburg zu tun? Wer hier dazugehören will, muss den Holocaust anerken nen - das sind die bekannten Rahmenbedingungen. Gilt das auch in der Migrationsgesellschaft? Müssen wir nicht diejeni gen, die zu uns kommen, fragen, welche Geschichten und Erin nerungen sie mitbringen, um eine Diskussion auf Augenhöhe möglich zu machen? Wo ist der Resonanzboden für das Geden ken der anderen? Brauchen wir den nicht, um Gegenwart und Zukunft anhand der unterschiedlichen Geschichte gemeinsam zu modellieren? Und Gegenwart und Zukunft anhand der Ge schichte zu modellieren - das ist es, worum es bei der Erinne rungskultur geht. - Zu all diesen Punkten sagt der Antrag nichts, aber reden müssen wir darüber trotzdem.

(Beifall B90/GRÜNE)

Vielen Dank. - Das Wort erhält nun Ministerin Dr. Münch. Sie spricht für die Landesregierung.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin froh, dass wir heute die Gelegenheit haben, über das The ma Erinnerungskultur zu sprechen. Ich bin doch etwas er staunt - es scheint notwendig zu sein, das anzusprechen -, in welcher Art und Weise hier das Erinnern an die Opfer von Na tionalsozialismus und der anschließenden Diktatur genutzt wird, um politische und letzten Endes auch schmutzige Wä sche zu waschen.

(Beifall der Abgeordneten Bischoff [SPD] und Domres [DIE LINKE] - Zuruf des Abgeordneten Schröder [AfD])

Denn es kann ja überhaupt nicht darum gehen, verschiedene Opfer zu instrumentalisieren oder zu sagen: Wenn diese Opfer

nicht erwähnt sind, möchte ich auch die anderen nicht erwähnt haben - oder was auch immer hier beabsichtigt war, um das Ganze hier unter einen politischen Impetus zu stellen.

(Königer [AfD]: Dann müssen Sie uns halt zustimmen, Frau Ministerin!)

Ich bin froh, dass Prof. Morsch heute hier ist und diese Debatte auch miterleben kann.

Wenn Sie wissen, wie schwierig die tägliche Arbeit ist, die Or te der Erinnerungskultur weiterzuentwickeln, die vielen Besu cher, die seit vielen Jahren in vermehrter Anzahl kommen, zu betreuen, mit den Schülern zu arbeiten, die Gedenkstätten zu erhalten, die verfallenden Orte zu revitalisieren, neue Gedenk orte, wie gerade in Brandenburg an der Havel, zu schaffen, der weiß, wie essenziell wichtig ein solcher scheinbar leiser Antrag ist. Und ich kann überhaupt nicht erkennen, weshalb man die sem Antrag nicht zustimmen sollte. Es geht darum, die erhöhte Förderung zu verstetigen, es geht darum, Rahmenbedingungen zu verbessern, ja es geht auch darum, den Bund darum zu bit ten, hier einen Beitrag zu leisten. Und wenn Sie wissen, wie hart der Kampf ist, um nur zwei zusätzliche Stellen zu bekom men, dann wissen Sie, dass dieser Antrag absolut das trifft, was unsere Gedenkstätten brauchen.

Im Übrigen, liebe Frau Heinrich, steht in dem Konzept „Ge schichte vor Ort: Erinnerungskultur im Land Brandenburg für die Zeit von 1933 bis 1990“. Das umfasst natürlich beide Dik taturen. Und weil die AfD ein Gedenkstättenkonzept fordert: Ein solches Konzept gibt es bereits seit 2009. Es geht darum, dass dieses Gedenkstättenkonzept natürlich nachgeschärft und angepasst wird, Frau von Halem. Ich kann auch daran nichts Falsches erkennen.

Ich bin froh, dass der Landtag sich mit diesem Thema beschäf tigt. Wir tun eine ganze Menge, um dem Anliegen dieses Antrags nachzukommen: Wir sind mit dem Bund im Gespräch, damit er im Haushalt 2018 die entsprechenden Stellen einsetzt. Wir för dern kontinuierlich auch weitere Gedenkstätten: die Gedenkstät te Zuchthaus Cottbus, die Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße, die Stiftung Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße und das Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR. Das heißt, es ist eine sehr breit gefächerte Gedenkkultur, die natürlich wei ter unterstützt werden muss. Wir achten selbstverständlich auch darauf, dass das Land keine Opfergruppe marginalisiert oder ausblendet; wir achten darauf, nicht einmal diesen Eindruck zu erwecken. Deswegen ist es auch so wichtig, hier zu differenzie ren und nicht die Opfer auf einen Nenner zu bringen oder zu meinen, dass es irgendeine Art von Opferhierarchie gäbe. Darü ber haben wir sehr intensive Auseinandersetzungen geführt.

Es geht auch darum - gerade weil die Zeitzeugen immer älter werden und weniger zur Verfügung stehen -, Gedenkkultur für junge Menschen weiter erlebbar zu machen. Es findet ein in tensiver Diskurs darüber statt, wie wir, wenn die Zeitzeugen nicht mehr leben, trotzdem das Erinnern ermöglichen. Gerade der gedenkstätten- und museumspädagogischen Arbeit kommt eine ganz wichtige Aufgabe zu. Ich bin froh, dass es zwei zu sätzliche Stellen für die Gedenkstättenpädagogik geben wird. Im Schulunterricht muss ein solcher Besuch natürlich gut vor bereitet werden. Im Rahmenlehrplan ist die Auseinanderset zung mit den Diktaturen verbindlich festgelegt, und die Ver mittlung von Zeitzeugen sowie die jeweilige Aufwandsent schädigung laufen übrigens problemlos. Die Schulen können

jederzeit die Unterstützung und Vermittlung der Stiftung Bran denburgische Gedenkstätten in Anspruch nehmen. Einen direk ten Zugriff brauchen wir dazu nicht.

Aber natürlich kann ich Gedenken nicht von oben anordnen. Es geht deshalb auch darum, dass wir lokale und regionale Initiati ven unterstützen; denn sie leisten einen unschätzbaren Dienst. Wenn Sie sich die Mühe machen, zu den verschiedenen Gedenk veranstaltungen - gerade in den kleineren Orten - zu gehen, wis sen Sie, wie viele Menschen sich mit großer Ernsthaftigkeit die sem Anliegen widmen. Die sollten wir unterstützen. Deshalb ist es wichtig, unser Konzept zu evaluieren und nachzuschärfen.

Ich denke, wir brauchen hier eine größere Ernsthaftigkeit und vor allem einen Verzicht auf Polemik seitens der Opposition. Denn es geht um etwas, das wir miteinander teilen: Wir haben die Aufgabe, die Erinnerungskultur wachzuhalten und sie an die junge Generation weiterzugeben - und zwar in angemesse ner und ernsthafter Form sowie auf die jeweiligen Opfergrup pen bezogen. Ich bin sehr froh über diesen Antrag, denn er be stärkt die Arbeit von Prof. Morsch und seinen Mitarbeitern, und genau das ist es, was wir brauchen. - Danke.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Das Wort erhält nun noch einmal die Abgeord nete Liedtke für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erinnerungskul tur ist die Auseinandersetzung mit Geschichte, das sind viele verschiedene Blickwinkel, aus denen man Geschichte beob achtet. Und es kann auch sein, dass man Geschichte annimmt. Aber sich mit der deutschen Geschichte zu versöhnen, Herr Gauland, das kann man nicht erwarten. Mir wird das ehrlich gesagt weder mit den Dingen gelingen, die ich im Geschichts buch gelesen habe,

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE)

noch mit ganz persönlichen Erlebnissen aus der DDR-Diktatur. Versöhnung geht zu weit.

(Beifall SPD, DIE LINKE und B90/GRÜNE)

Wir reden von der Weiterentwicklung eines Konzeptes. Und auch wenn wir hier Gedanken entwickeln und Ideen dazu ha ben, gehe ich doch davon aus, dass dieses Konzept das Wissen, das Fachwissen der Experten einbeziehen wird - ein Fachwis sen von Experten der Erinnerungskultur, das wir alle hier im Saal aufgrund unserer wissenschaftlichen Expertise gar nicht haben können. Danach reden wir über konkrete Aufgaben, da nach reden wir über räumliche, personelle und finanzielle Aus stattungen. Bitte lassen Sie uns den ersten Schritt tun und da nach den zweiten.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Vielen Dank. - Wir sind am Ende der Aussprache angelangt und kommen zur Abstimmung.

Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktionen von SPD und DIE LINKE auf Drucksache 6/6388, „Gedenkstätten als wichtige Orte in der Auseinandersetzung mit Geschichte besser fördern“, ab. Wer diesem Antrag folgt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dieser Antrag mehrheitlich beschlossen worden.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der CDU-Fraktion auf Drucksache 6/6620, „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbei tung verstärken, Gedenken vertiefen - Brandenburger Gedenk stätten als Orte des individuellen wie öffentlichen Gedenkens und als Lernorte erhalten und fördern“. Wer diesem Entschlie ßungsantrag folgt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegen stimmen? - Enthaltungen? - Damit ist diesem Entschließungs antrag mehrheitlich nicht gefolgt worden.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der AfD-Fraktion auf Drucksache 6/6626. Wer diesem Entschließungsantrag folgt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthal tungen? - Damit ist diesem Entschließungsantrag mehrheitlich nicht gefolgt worden.

Ich schließe Tagesordnungspunkt 14 und rufe Tagesordnungs punkt 15 auf:

Ergänzung der Ausstattung des Untersuchungsaus schusses 6/1 (Drucksache 6/3993-B)

Antrag der Präsidentin des Landtages

Drucksache 6/6581

Es ist vereinbart worden, hierzu keine Debatte zu führen. Wir kommen daher zur Abstimmung. Wir stimmen über den Antrag der Präsidentin auf Drucksache 6/6581 ab. Wer diesem Antrag folgt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist dem einstimmig gefolgt worden.

(Vereinzelt Beifall SPD)

Ich schließe Tagesordnungspunkt 15 und rufe Tagesordnungs punkt 16 auf:

Ersatzwahl eines nichtständigen Mitgliedes für die Sozialgerichtsbarkeit im Richterwahlausschuss