Protokoll der Sitzung vom 28.06.2017

Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Scharfenberg, Sie sagten, wir dürften keinen Schnellschuss machen. Ich erinnere daran, dass anderthalb Jahre vergangen sind, seit das Bundesverfas sungsgericht entschieden hat - ich finde nicht, dass das ein Schnellschuss ist. Und ich möchte eines richtigstellen: Sie sprachen davon, wir könnten hier nicht eingreifen, da noch ein Musterprozess komme. Es ist ein Musterprozess zwischen Ver band und Land vorgesehen. Hier geht es in erster Linie selbst verständlich darum, eine Rückerstattung an die Bürger zu er möglichen. Der Musterprozess, der zwischen dem Königs

Wusterhausener Verband und dem Land vorgesehen ist, hat mit dem Verhältnis Bürger - Verband - darauf zielt unser Antrag hauptsächlich - nichts zu tun.

Um eins auch juristisch klarzustellen: Das Versäumnisurteil, das im Landgericht Frankfurt in Bezug auf den Storkower Ver band ergangen ist, wurde bestätigt. Es gab einen Einspruch, dann wurde es bestätigt - durch einen Einzelrichter, das ist richtig. Aber dass an Landgerichten Einzelrichter solche Ent scheidungen fällen, ist gang und gäbe. Die anderen erfolgrei chen Klagen vor dem Landgericht Frankfurt wurden von ande ren Einzelrichtern entschieden. Das heißt, da gibt es mittler weile vier Präzedenzfälle von unterschiedlichen Richtern, die allesamt in diese Richtung entscheiden. Das ist also durchaus signifikant.

In einem Punkt danke ich Ihnen: dass Sie gesagt haben, dass für die nicht bestandskräftigen Bescheide eine Rückzahlung er folgen muss. - Aber genau darauf zielt ein Punkt unseres Antra ges, dass die Verbände trotz nicht bestandskräftiger Bescheide, also widerspruchsbefangener Bescheide, sagen: Die Neuein gliederung eures Ortsteils in unser Verbandsgebiet - also quasi eine neue Plakette auf das Rohr legen - führt zu einer neuen Vorteilslage, und damit gilt der Vertrauensschutz für euch nicht. - Ich bitte Sie, wenn Sie das ehrlich verfechten, dass we nigstens die ihr Geld zurückbekommen, im Rahmen Ihrer poli tischen Arbeit und Forderungen auch darauf hinzuwirken, dass diese Ausreden der Verbände nicht gelten. Das wurde in Schö now in Bernau auch versucht, jetzt rudern sie zurück. Das ver sucht man in Beelitz und in Cottbus. Ich bitte Sie - das ist kein Vorwurf -, wenn Sie das ernst meinen, wenigstens darauf hin zuwirken, dass diese Tricksereien mit Verbandsneu- oder -um gründungen nicht als Möglichkeit akzeptiert werden, die Wir kung des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses zu umgehen.

Herr Abgeordneter Dr. Scharfenberg, möchten Sie darauf re agieren? - Das ist nicht der Fall. Dann spricht nun für die AfDFraktion der Abgeordnete Jung.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Die Debatte zeigt uns symptomatisch, wo die Probleme der rot-roten Landesregierung liegen. Wir haben mit bekommen, was die in den letzten 15 Jahren erfolgten Geset zesreparaturen bedeuteten. Wir haben mitbekommen, wie das Bundesverfassungsgericht Ende 2015 entschieden hat. Für manche war das konsequent; sehr viele waren überrascht - ich auch. Insofern habe ich dem Innenminister auch zugebilligt, dass er sich Zeit nimmt, um dieses Urteil, diese Entscheidung zu prüfen und die Konsequenzen zu ziehen.

Was ist dabei herausgekommen? Wir erinnern uns, dass die Verwaltungsgerichte in den letzten Jahren mit der Altanschlie ßerproblematik völlig überlastet waren - ich erinnere nur an Cottbus. Ich erinnere auch daran, dass die betroffenen Bürger in Brandenburg mit der ganzen Situation sehr unzufrieden wa ren. In den 90er-Jahren gab es sehr viele Leute, für die das na türlich eine existenzielle Sache war, so einen Prozess zu füh ren, bzw. die erst gar keinen Prozess geführt haben. Für sie war das eine Stange Geld, bei der man sich überlegt, ob man gegen

die Sache vorgeht. Eigentlich haben die Leute auf den Rechts staat vertraut. Bei den Verfahren, die gelaufen sind, hat man in der ersten Instanz die entsprechenden Anwaltskanzleien aufsei ten der Abwasserzweckverbände gesehen. Da muss man sich natürlich fragen: Ist das nötig? Wenn eine Verwaltung ein Ver fahren vor dem Verwaltungsgericht führt, muss sie dann eine Anwaltskanzlei einschalten? Also ich erwarte von einer Ver waltung, dass sie in der ersten Instanz ihre Verfahren selbst führt.

Aber davon abgesehen: Was ist passiert? 2015 ist diese Ent scheidung ergangen, dann hat die Landesregierung sie geprüft - natürlich immer mit dem schönen Bemerken: Wir sind ja ei gentlich nicht zuständig, Artikel 28 Grundgesetz; es ist die kommunale Familie, die das zu verantworten hat. - Sicher, aber indirekt ist die Landesregierung natürlich betroffen. Das ist auch nicht wegzuwischen.

Fakt ist: Wir haben es nunmehr mit einem sogenannten DreiKlassen-System zu tun. Es gibt die erste Klasse, das sind dieje nigen, die geklagt haben bzw. keine bestandskräftigen Beschei de haben. Sie bekommen Recht und Geld. - Dann gibt es dieje nigen, die dagegen vorgehen und nach Staatshaftung ihre An sprüche anmelden. Bei denen sieht es so aus: Sie haben sehr gute Chancen, diese Sache letztendlich zu gewinnen. - Gleich zeitig gibt es die Leute, die bestandskräftige Bescheide hatten, die nicht geklagt haben und von den Abwasserzweckverbänden ihr Geld zurückbekommen haben. Das ist in prosperierenden Gemeinden der Fall, wo man diese Verfassungsgerichtsent scheidung zum Anlass nimmt, die Sachen klarzustellen und ei ne Befriedung innerhalb der Bevölkerung herbeizuführen; das ist klar. Das mag in anderen Landesteilen, wo es keinen ent sprechenden Zuzug und keine Bautätigkeit gibt, anders sein. - Dann gibt es die dritte Gruppe: Das sind diejenigen, die auf den Rechtsstaat vertraut haben, die nichts unternommen bzw. die Verfahren nicht fortgeführt haben. Die werden jetzt außen vor gelassen.

Fakt ist, dass über diesen ganzen Prozess ein Drei-KlassenSystem geschaffen wurde. Die Lösungsansätze der Landesre gierung können das verlorene Vertrauen der Bevölkerung - das sind ja Tausende von Leuten - in den Rechtsstaat nicht auffan gen. Das mache ich der rot-roten Landesregierung zum Vor wurf, dass sie gerade in der jetzigen Zinssituation da einfach keine Lösungen anbietet, indem sie zum Beispiel mit einem runden Tisch - oder wie auch immer - oder mit dem, was Herr Vida gefordert hat, eine gute Lösung herbeiführt, um zu versu chen, bei den Leuten eine Befriedung zu erreichen. Es ist eine Befriedung der Situation erforderlich, indem man darunter ei nen Schlussstrich zieht, das Jahr 1999 entsprechend ansetzt und alles, was davor ist, gleich bewertet.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Das würde auch den Leuten helfen. Denn die haben ihr Ver trauen in den Rechtsstaat verloren. Und das trifft die SPD-Re gierung, die das alles verursacht hat. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Ab geordnete Nonnemacher.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Jung, was hatten Sie noch einmal studiert? - Ich blicke manchmal überhaupt nicht mehr durch, ob wir noch beim sel ben Tagesordnungspunkt sind,

(Beifall DIE LINKE)

wenn ich versuche, Ihren Ausführungen zu lauschen.

An die Kollegen von BVB/FREIE WÄHLER gerichtet muss ich sagen: An einer Stelle stimmen wir zu 100 % überein, wenn Sie nämlich in Ihrem Antrag feststellen:

„Der Flickenteppich an Rückzahlungsmethoden im ge samten Land hat zu einem erheblichen Akzeptanzverlust gegenüber der Kommunalabgabenstruktur Brandenburgs geführt.“

Hierin kann ich Ihnen nur beipflichten.

Dass Ihr Antrag zu einer Beruhigung der Situation im Sinne einer höheren Akzeptanz von Verwaltungsentscheidungen füh ren würde, kann ich dagegen nicht erkennen. Im Gegenteil, ich bezweifle stark, dass Ihre Vorschläge zu einer Beruhigung der Situation beitragen.

Leider ist es nicht so, dass die Rückzahlungen aller rechtswid rig erhobenen Kanalanschlussbeiträge einen Beitrag zur Her stellung von Gebühren- und Beitragsgerechtigkeit darstellen würden. Dazu ist die Rechtslage zu kompliziert. So sind davon laut Rechtsprechung nicht nur alle öffentlichen juristischen Personen ausgenommen, sondern auch alle privaten Personen, wenn diese entweder mehrheitlich der öffentlichen Hand gehö ren, von ihr beherrscht werden oder aber öffentliche Aufgaben wahrnehmen.

Zudem hat das Oberverwaltungsgericht schon entschieden, dass das Gesamtanlagenprinzip weiterhin Bestand hat, also auch bei Neubildung eines Aufgabenträgers greift.

Vor diesem Hintergrund die Landesregierung aufzufordern, ei nen offiziellen Hinweis an die kommunalen Aufgabenträger herauszugeben, dass Zweckverbandszusammenschlüsse, Zweck verbandsbeitritte, Zweckverbandserweiterungen und Ähnliches dabei keinen neuen Zeitpunkt bei der Bemessung des Beginns der Festsetzungsverjährung darstellen, scheint mir schon aus gesprochen abenteuerlich zu sein.

Überhaupt finde ich Ihren Ansatz merkwürdig, dass Sie for dern, durch ministeriale Hinweise in die kommunale Selbstver waltung einzugreifen. Es ist doch überhaupt nicht absehbar, dass Entscheidungen der Zweckverbände, die sich auf Hinwei se des Ministeriums des Innern und für Kommunales stützen, vor den Gerichten Bestand haben.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, mache ich nicht.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Tragik bei diesem Thema liegt doch darin, dass die Ausgangsbedingungen in den einzel nen Zweckverbänden so unterschiedlich sind, dass für das gan ze Land umfassende Generalisierungen kaum mehr möglich sind. Hinzu kommt, dass sich die Auseinandersetzungen um die Anschlussbeiträge mittlerweile auch auf die Gebühren und die Gebührenzuschläge ausweiten.

Aktuell gibt es vermehrt Klagen zu den Gebühren, wenn dieje nigen, die keine oder weniger Beiträge zahlen mussten, jetzt zu einer höheren Gebühr herangezogen werden müssen. Selbst bei Zweckverbänden, die vollständig zurückgezahlt haben, ex plodieren diese Gebührenklagen regelrecht. Nehmen Sie nur den TAVOB in Bad Freienwalde. Letzten Dienstag sind an ei nem Tag 200 Klagen eingegangen.

Zudem hat das OVG in diesem Jahr auch mit mehreren Ent scheidungen klargestellt, dass es kein Vollstreckungsverbot für bestandskräftige echte Altanschließerbeiträge gibt. Deshalb müssen jetzt auch wieder teilweise Vollstreckungen in die Grundstücke erfolgen, damit die Verbände Rangverluste und Forderungsausfälle vermeiden.

Hierzu hatten wir schon vor zwei Jahren den Entwurf eines Ge setzes zur Vereinfachung der kommunalen Abgabenerhebung eingebracht, der immer noch im Ausschuss für Inneres und Kommunales liegt und endlich abschließend behandelt werden sollte. Er enthält wichtige Regelungsvorschläge, die gerade in der aktuellen Situation für wirkliche Verbesserungen sorgen würden - bei den Kalkulationsperioden oder auch bei Proble men mit Zwangsvollstreckungen.

Den vorliegenden Antrag lehnen wir ab, denn wir sehen nicht, dass er für nachhaltige Verbesserungen für Beitragszahler und Gebührenzahler oder für die Aufgabenträger sorgen würde. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall B90/GRÜNE und SPD)

Vielen Dank. - Der Herr Abgeordnete Vida hat eine Kurzinter vention angezeigt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Nonnemacher, Sie haben hier ausgeführt, dass Sie die Auffassung der Verbän de, dass Neugründungen und Beitritte eine neue Verjährungs frist beginnen lassen, durchaus akzeptieren können und bereit sind, das in diesem Bereich zu akzeptieren, also zu akzeptie ren, dass die auch bei den nicht bestandskräftigen Dingen ihr Geld nicht zurückbekommen.

Das heißt nichts anderes, als dass sich die Grünen - dies im Widerspruch zu dem, was Herr Scharfenberg gesagt hat, der ja noch genickt hat, als ich gesagt habe, dass man diese Trickserei nicht zulassen soll - auf den Standpunkt stellen, dass der Bei tritt eines Ortsteils zu einem Verband - obwohl der Anschluss aus den Siebzigern kommt - durchaus eine neue Verjährungs frist beginnen lässt. Die Erhebung bliebe dann rechtmäßig. Das finde ich abenteuerlich.

Nun haben Sie unseren Antrag als abenteuerlich bezeichnet. Schauen Sie, unser Antrag ist die Position, die im August 2016 das Verwaltungsgericht Frankfurt und das Verwaltungsgericht Potsdam erklärt haben, dass nämlich diese Tricksereien der Verbände nicht rechtmäßig sind. Wir erwarten lediglich, dass nicht weiter geklagt werden muss, um diese Tricksereien zu stoppen, sondern das Land den Verbänden klar mitteilt, dass das im Lichte der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte so nicht funktioniert. Die Verwaltungsgerichte haben das nämlich so ausgeführt. Das Mindeste, was man erwarten kann, ist, dass nicht bestandskräftige Bescheide zurückgezahlt werden und nicht dadurch aus dem Anwendungsbereich des Urteils des Verwaltungsgerichts herausfallen, weil irgendein Ortsteil bei getreten ist.

Des Weiteren möchte ich eines richtigstellen: Sie sagen, es gibt hier Klagen aufgrund der Gebühren. Die Klagen der Bürger er folgen doch nicht aufgrund der Gebührenerhöhung, weil sie sagen: Jetzt kriegen die Altanschließer ihre Gebühren zurück, und wir klagen einmal dagegen. - Nein, das sind betroffene Al tanschließer, die gegen die Gebührenkalkulation, gegen die Jahresrechnung der Gebühren klagen, weil sie sagen, ihr lasst in die Gebührenkalkulation Dinge einfließen - nämlich die Rückzahlung an uns -, die dort nicht hineingehören. Es sind die Leute der Bürgerinitiativen, die jetzt klagen, weil die Gebüh renkalkulation falsch ist. Das sind nicht die Mieter, die klagen, weil sie sagen: Jetzt kriegen die ihr Geld zurück. - Nein, es sind die Leute, die die Klagen geführt haben, die jetzt auch gegen die Gebührenkalkulation vorgehen.

Zum Schluss zu dem Argument: Es ist zu kompliziert, als dass wir das jetzt alles zurückzahlen könnten. - Ich weiß, dass das kompliziert ist. Aber der Landtag, das Land hat es den Bürgern doch eingebrockt, die mussten zahlen. Die Bürger konnten auch nicht sagen: Es ist uns zu kompliziert, wir können jetzt nicht bezahlen.

Und - Entschuldigung - wir können uns doch jetzt nicht ernst haft auf den Standpunkt stellen: Weil es zu kompliziert ist, zah len wir die Gebühren an die Hälfte der Bürger nicht zurück. - Das Land hat es verschuldet. Bei allem Respekt vor Kompli ziertheit: So viel Arbeit müssen wir uns da schon machen …

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

… den Bürgern das zurückzuzahlen.

Frau Nonnemacher, möchten Sie reagieren? - Bitte schön.

Herr Kollege Vida, ich habe als Parlamentarische Geschäfts führerin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Klau en das Instrument der Kurzintervention verteidigt und mich für die alte Regelung in der Geschäftsordnung eingesetzt. Ich wer de diese Haltung dringend überdenken müssen.

(Frau Lieske [SPD]: Ja!)

Ich finde es nicht mehr hinnehmbar.

(Vereinzelt Beifall SPD)

Ihnen steht als Antragsteller die doppelte Redezeit zur Verfü gung. Es ist guter Usus in diesem Haus, dass der Antragsteller am Ende der Debatte auf die einzelnen Argumente der Fraktio nen eingehen kann. Dass Sie sich hier das Recht nehmen, jeden einzelnen Redebeitrag jeder einzelnen Fraktion mit einer Kurz intervention zu kommentieren, halte ich persönlich für eine Unverschämtheit. - Danke schön.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, DIE LINKE sowie verein zelt CDU)