Protokoll der Sitzung vom 15.11.2017

Was ist nach über der Hälfte der Legislaturperiode vom Rest der vollmundigen rot-roten Versprechen Ihres Koalitionsver trages geblieben? Ich zitiere daraus:

„Mit einer Investitionsoffensive wollen wir unsere Lan desstraßen sowie die Infrastruktur in unseren Kommunen verbessern.“

Was hören wir jetzt, wo wir sprichwörtlich keinen Meter weiter sind? Bei einem Investitionsstau von rund 600 Millionen Euro werden Sie Brandenburgs Infrastruktur 2018 gleich mit 20 Mil lionen Euro mehr zukunftsfest machen. 20 Millionen Euro - das sind 60 Tage BER, und das ist schon schöngerechnet, wenn man nur den Brandenburger Anteil berücksichtigt. Bei Durch schnittskosten von 11 300 Euro pro Meter Straße kommen Sie damit exakt 1 769 Meter weit - und das im Flächenland Bran denburg, von Fahrradwegen, maroden Brücken usw. ganz zu schweigen.

Gleichzeitig horten Sie seit Jahren Regionalisierungsmittel als sogenannte Ausgabenreste - nicht dass dieses Geld nicht drin gend Verwendung für den maroden Nahverkehr finden könn te -, weil Sie es schlicht nicht auf die Reihe bekommen, diese Mittel sachgerecht einzusetzen. Das ist exemplarisch für die Lichtjahre, die zwischen Ihrem Anspruch und der Realität in unserem Land liegen.

(Beifall AfD)

Weiter steht im rot-roten Koalitionsvertrag:

„Mit einer Sicherheitsoffensive werden wir energisch da rauf hinwirken, vor allem die organisierte Kriminalität in Brandenburg deutlich zurückzudrängen.“

Eine vermurkste Polizeireform weiter wissen wir: Die Gestal tungsalbträume dieser Regierung haben die Polizei bis an die Grenze der Handlungsunfähigkeit ausgelaugt. Allein der erste Evaluationsbericht zur Polizeireform vom März 2015 spricht Bände und ist auch der Lektüre wert, um sich der sachpoliti schen Inkompetenz dieses Vorhabens zu vergewissern. Alle späteren Erkenntnisse diesbezüglich waren auch nicht erfreuli cher, und an den Folgen doktern Sie bekanntermaßen mit mä ßigem Erfolg immer noch herum.

Gesteigert hat sich die Unsicherheit bzw. Verunsicherung der Menschen. Und wenn inzwischen Angst steter Begleiter vieler Menschen beim Gang durch den nächtlichen Cottbuser Haupt bahnhof ist, dann ist diese Angst weder geschürt noch einge bildet, sondern reales Produkt Ihrer realen Unsicherheitspoli tik.

(Beifall AfD)

Aber weiter geht’s im Sauseschritt Ihres blumigen Erfolgsrit tes, mit dem Sie uns hier Brandenburg als „die Schweiz des Ostens“ verkaufen wollen. Zitat aus Ihrem Koalitionsvertrag:

„Mit tausenden neuen Lehrkräften, Erzieherinnen und Er ziehern wollen wir die Qualität unserer Bildungseinrich tungen nachhaltig steigern und dabei zeigen, dass Leis tungsorientierung mit Chancengleichheit einhergeht.“

Auf die numerischen Taschenspielertricks der Landesregierung diesbezüglich ist ja schon hingewiesen worden.

(Frau Große [DIE LINKE]: Falsch!)

Anhaltende Inklusionsexperimente, Lehrer- und Erzieherman gel - später wissen wir: Auch das Bildungs- und Kinderbetreu ungswunderland Brandenburg ist ein Hirngespinst.

Den Lehrermangel, den manche Eltern - auch bei uns zu Hau se - zu dem bitteren Scherz „Kinder steht auf, die Ferien sind vorbei, der Unterrichtsausfall geht wieder los“ veranlasste, hat jede Mutter und jeder Vater als ihr bzw. sein Versäumnis am eigenen Leib verspürt, und den Rest spürt man dann spätestens bei der Fahrt über die Schlaglochpisten in der Brandenburger Fläche jenseits der Metropolregion des Speckgürtels.

(Frau Große [DIE LINKE]: In welchem Land leben Sie denn? - Frau Dannenberg [DIE LINKE]: Mann, Mann, Mann!)

Auch die Verbesserung des Kita-Betreuungsschlüssels auf eine Erzieherin für fünf Kleinstkinder in den Krippen und die Sen kung des Schlüssels auf 1:11 bis 2018 in den Kitas wurde von Ihnen als Quantensprung beschrieben. Im bundesweiten Ver gleich gehört Brandenburg damit immer noch zu den Schluss lichtern.

Das sind die Ergebnisse Ihrer Politik, und diese Leistungsbi lanz von Rot-Rot ließe sich beliebig fortsetzen. Sie können sich nicht darauf berufen, hier mit politischen Hypotheken Ih rer Vorgänger belastet zu sein, weil es die Politik der Branden burger SPD ist, die als einzige Partei durchgängig seit 1990 maßgeblicher Hauptverursacher des Rückstands in unserem Land ist.

(Beifall AfD)

Aber wer mit dem Mut zur Wahrheit die Traumwelten Ihrer Wunschbilanzen nicht teilt, der hetzt, der grenzt aus und scha det angeblich unserer Brandenburger Heimat. - Bei dieser Ge legenheit möchte ich sagen: Mir ist aufgefallen, wie inflationär inzwischen der Begriff Heimat hier benutzt wird. Ich freue mich, dass wir da auch einen Markstein setzen konnten.

(Beifall AfD - Domres [DIE LINKE]: Oh!)

Die Wahrheit ist eine ganz andere.

(Zuruf der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE])

Die Wahrheit, Herr Ministerpräsident, ist: Sie grenzen aus. Sie grenzen unter anderem die 20 % Brandenburger aus, die nach neuesten Zahlen mit der Alternative für Deutschland einen Hoffnungsschimmer sehen gegen das alternativlose Dilettieren Ihrer Regierung, die längst nur noch eine „Reagierung“ ist. Wenn Sie sich dann auch noch als Spitzenreiter des Breit bandausbaus in Brandenburg beweihräuchern, obwohl fast je des Reisfeld in Südkorea eine bessere Internetabdeckung hat als manche Landstriche in der Prignitz oder der Uckermark und es höchstens Netzlöcher in der Funkwüste gibt und nicht andersherum, ist das das Sahnehäubchen der Realitätsverwei gerung. Als bunte Garnitur auf dieses Sahnehäubchen Ihrer Schönfärberei bekommen die Brandenburger dann noch einen „Fluchhafen“ serviert, der bei Kosten von 1 Million Euro am Tag in der Landschaft herumsteht. Aber die Gefahr einer Inbe triebnahme wird ja nicht mehr in die Regierungsverantwortung dieser Legislaturperiode fallen. Das, meine Damen und Her ren, ist Schadensbegrenzung nach hinten und keine gestalteri sche Politik nach vorne.

Die Bilanz ist verheerend und das Fazit klar: Rot-Rot ist der Verantwortung für dieses Land nicht nachgekommen. Die Menschen sind enttäuscht, und das fehlende Vertrauen - das Sie sich hart erarbeitet haben -, wird sich auch mit dem unerwarte ten Geldsegen durch ihre gescheiterte Reform nicht erkaufen lassen. Wenn die nun freigesetzten Mittel von rund 400 Millio nen Euro dem Land zugutekommen, ist das gut, und es ist nö tig. Die Verhandlungen zum Nachtragshaushalt werden zeigen, was dabei spürbar bei den Menschen ankommt, die dieses Geld erarbeitet haben, und nicht nur in Flughafenruinen und rot-ro ten Fantastereien von Multikulti-Babylon-Brandenburg, wo ziel- und planlos ein Millionenregen undifferenziert über soge nannten Flüchtlingen ausgeschüttet wird, auch jenen, deren Motivation rein wirtschaftlich ist und die nicht auf der Suche nach Schutz sind,

(Beifall AfD - Zurufe von der Fraktion DIE LINKE: Das ist langweilig! Immer das Gleiche!)

während jedes fünfte Kind in Brandenburg von Armut bedroht ist, in Frankfurt (Oder) ist es jedes dritte Kind. - Ja, liebe Kol leginnen und Kollegen von den Linken, wenn Sie Kinderarmut langweilt, dann bedauere ich das sehr.

(Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

Das zeigt aber, wo Sie stehen und was Sie machen, nämlich nichts. Sonst hätten sich die Probleme ja gelöst.

Nein, Herr Ministerpräsident, wir reden nicht das Land und seine Menschen schlecht, die Ihre Politik zu erdulden haben. Es ist eine klare Bilanz, eine sachdienliche Kritik, die Sie aus halten müssen. Da nützen auch die Ausfälle Ihrer Kollegen nichts.

(Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Die Wahrheit ist: Rot-Rot hat fertig. Und wenn Sie den Weg nicht freimachen für eine Politik, die Brandenburg eine lebens werte Zukunft gibt, die auch in der Realität so aussieht, wie wir

es in Ihrer Märchenstunde gehört haben, dann werden es die Wähler tun. - Vielen Dank.

(Beifall AfD)

Wir setzen die Aussprache fort. Zu uns spricht der Abgeordnete Christoffers für die Fraktion DIE LINKE. - Er ist nicht da. Wenn alle einverstanden sind, tauschen wir und Herr Vogel be ginnt. Herr Vogel, Sie haben für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN die Gelegenheit. - Wer zu spät kommt, den be straft das Leben.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Das ist keine Strafe, wenn andere früher reden!)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Als die Anhörung zum Gesetz über die Kreisgebietsreform am Donnerstag, dem 19. Oktober um 9 Uhr begann, war ein Kern stück der Verwaltungsstrukturreform am Kippen. Als der erste Anhörungstag in der Nacht zum Freitag um 2.50 Uhr endete, war die Kreisgebietsreform bereits erledigt. Sie war unter der mit aller Wucht vorgetragenen Ablehnung des Vorhabens durch die Landräte, Oberbürgermeister, Vorsitzenden der Kreistage und Stadtverordnetenversammlungen - aus allen Parteien - zu sammengebrochen und damit politisch tot.

Unabhängig davon war die Kreisgebietsreform allein wegen gravierender Fehler im Gesetzgebungsverfahren formaljuris tisch erledigt und mausetot. Das Scheitern des Vorschaltgeset zes zur Kommunalreform in Thüringen hätte es eigentlich je dem zeigen müssen: Gesetzlich vorgeschriebene Anhörungen sind keine formale und lästige Pflichterfüllung, sondern ele mentarer Bestandteil eines demokratischen Verfahrens. Um zu verstehen, dass eine Anhörung, die zu nachtschlafender Zeit durchgeführt wird, gegen die einfachsten Grundsätze des zu gewährenden rechtlichen Gehörs verstößt, braucht man in der Tat kein Zweites Juristischen Staatsexamen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie der fraktionslosen Abgeord neten Schülzke)

Als Ministerpräsident Woidke zwei Wochen später seine im provisierte Pressekonferenz auf dem trostlosen Parkplatz in Meyenburg abhielt, konnte er deswegen das Ableben der Kreisgebietsreform nur noch notariell beglaubigen. Mut - den er sich in der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ selbst be scheinigte - zu diesem Rückzug brauchte es allerdings keinen mehr. Das Abblasen der Kreisgebietsreform war im wahrsten Sinne alternativlos geworden - alternativlos, wollte Rot-Rot verhindern, nicht nur seine eigene kommunalpolitische Basis zu verlieren, sondern auch die gesamte politische Basis im Land aufs Spiel zu setzen, und alternativlos, wollte Rot-Rot nicht Gefahr laufen, nach den bereits angekündigten Anfech tungsklagen gegen die nächtliche Anhörung vor dem Verfas sungsgericht vorgeführt zu werden.

Ein bitteres Ende für ein großes Vorhaben. Dabei war doch ein mal alles ganz anders geplant. Am Anfang stand die Überle gung, dass den Herausforderungen des demografischen Wan dels - Alterung der Gesellschaft, sinkende Einwohnerzahlen

und, nicht zu vergessen, schrumpfende Zahl der Erwerbstäti gen - und den mit dem Auslaufen des Solidarpakts verbunde nen absehbar verringerten Einnahmen nicht mehr mit einer Fortschreibung des Status quo begegnet werden kann. Am An fang stand die Idee, diese Entwicklung zugleich als Chance für eine Effizienzsteigerung der Verwaltungen, die Neuverteilung und Dezentralisierung von Aufgaben und für ein Mehr an kom munaler Demokratie zu begreifen. Hervorragende Ideen, zu denen sich auch meine Fraktion uneingeschränkt bekennt. Her vorragende Ideen, für deren Ausgestaltung wir Bündnisgrünen, allen voran Ursula Nonnemacher, in der Enquetekommission gestritten und dort genauso wie auf unseren Landesparteitagen Mehrheiten gewonnen haben.

Amtsgemeindemodell, Teilentschuldung der besonders ver schuldeten Städte - nicht nur der kreisfreien Städte -, Auswei tung der Mitbestimmungsrechte der Gemeindebürgerinnen und -bürger, Erleichterung von Bürgerbegehren und -entscheiden sind Elemente, die wir Grünen in den Enqueteprozess einge bracht haben und für die wir unverändert streiten.

(Beifall B90/GRÜNE)

Mit dem Scheitern der Kreisgebietsreform droht allerdings auch vieles von diesen Vorhaben zu scheitern.

Wenn der Ministerpräsident jetzt erklärt, eine Mitschuld an diesem Scheitern zu tragen, ohne in seiner Rede auch nur einen einzigen Fehler zu benennen, gleichzeitig aber die CDU als Hauptschuldige attackiert, hat das mit kritischer Selbstreflexion nichts zu tun.

(Beifall B90/GRÜNE, CDU und AfD - Zuruf von der CDU: So ist es!)

In aller Kürze deswegen folgende Hinweise: Ein Kardinalfeh ler war bereits, dass die SPD sich weigerte, das Thema Verwal tungsstrukturreform offensiv in den Landtagswahlkampf 2014 einzubringen. Mit dem Verzicht darauf, dieses Thema im Wahlkampf auch nur zu erörtern, hatte sie natürlich auch jedes Recht verwirkt, das Wahlergebnis als Auftrag für eine solche Reform zu deuten.

(Beifall B90/GRÜNE und CDU)

Umso verrückter, dass nach den Wahlen von der SPD die Hal tung zur Kreisneugliederung zum entscheidenden Kriterium für die Auswahl des Koalitionspartners erhoben wurde. Und statt die CDU, wenn nicht als Koalitionspartner, dann aber we nigstens als notwendigen Bündnispartner für dieses Vorhaben mit ins Boot zu holen, wurde sie von Herrn Ness mit dem Zi tieren aus internen Gesprächen als opportunistische Umfaller partei gebrandmarkt und bis zur Weißglut getrieben. Ich denke, das war ein entscheidender Fehler, der dazu führte, dass am Ende die Volksinitiative mit diesem Erfolg durchgeführt wer den konnte.