Protokoll der Sitzung vom 14.06.2019

Warum ist uns der Aktionsplan - und noch mehr dessen gute Umsetzung - so wichtig? Laut der vom MASGF durchgeführ ten Befragung ist fast jede zweite queere Person unter 30 Jah ren nicht geoutet, während es bei den über 45-Jährigen 85 % sind. Dieses Ergebnis macht deutlich, wie wichtig es ist, in den Schulen und Jugendeinrichtungen, aber auch in Ausbildungs betrieben und Universitäten ein Klima zu schaffen, in dem Ju gendliche und junge Erwachsene ermutigt werden, zu ihrer se xuellen und geschlechtlichen Identität zu stehen. Deswegen freuen wir uns, dass - auch dank unserer Initiative - das Projekt „Schule unterm Regenbogen“ weiterfinanziert wird. Der Peerto-Peer-Ansatz von „Schule unterm Regenbogen“ ist geeignet, Jugendliche authentisch und direkt anzusprechen. Gleichzeitig bietet das Projekt aber auch ein Beratungsangebot für Lehr kräfte. An dieser Stelle möchte ich eindringlich an die zustän digen Ressorts appellieren: Dieses Projekt muss langfristig weiterfinanziert werden! Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts sollen sich zukünftig durch eine Bestandssiche rung ganz auf ihre so wichtige fachliche Arbeit konzentrieren können.

Mit der Vielzahl an Neuanstellungen in den Schulen ist auch eine Chance der Bewusstseinsbildung verbunden. Dafür müs sen allerdings an den Hochschulen Themen wie Diversität, se xuelle und geschlechtliche Vielfalt fester Bestandteil der Curri cula werden. Wir freuen uns, wenn queere Hochschulgruppen Veranstaltungen zum Thema organisieren, und rufen die Hoch schulen dazu auf, sie dabei zu unterstützen. Die Universitäten dürfen aber nicht nur auf die Selbstorganisation setzen. Gerade im pädagogischen Bereich müssen die Lehrpläne entsprechend angepasst werden. Erfreulich ist, dass dies in der Polizeiausbil dung bereits geschehen ist. Denn die Anzeigebereitschaft nach Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen steigt, wenn die Betroffenen sicher sein können, dass sie in den Polizeiwachen auf vorurteilsfreie und über queere Belange informierte Poli zeikräfte treffen.

(Beifall des Abgeordneten Vogel [B90/GRÜNE])

Unabhängig von unserem grundsätzlichen Lob für den Akti onsplan gab und gibt es an dessen Umsetzung einige Kritik - seitens der Verbände, aber auch von uns. Vieles, was wir Bünd nisgrüne bereits vor anderthalb Jahren kritisiert haben, ist im mer noch nicht gelöst. Dazu gehört die Frage der Landesregie rung, ob eine Handreichung für den öffentlichen Dienst erstellt werden soll. Für uns ist klar: Natürlich soll sie das! Die Hand reichung ist ein absolutes Muss, vor allem, solange es in die sem Land noch kein Antidiskriminierungsgesetz gibt.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Bernig [DIE LINKE])

Deutlich zeigt der Bericht auch die vielen Aspekte des Aktions plans, mit deren Umsetzung noch gar nicht begonnen wurde. Das ist an vielen Stellen enttäuschend und mag auch der kur zen Zeit geschuldet sein. Eines aber macht uns das klar: Der Abstand der Berichterstattung ist für ein derartiges Quer schnittsthema zu groß. Wir wünschen uns in der nächsten Wahlperiode eine häufigere Berichterstattung - nicht zwingend

immer im Plenum, aber ganz sicher im zuständigen Ausschuss. Passend dazu finden wir die heutige Redezeit viel zu knapp für dieses umfassende Thema, das alle Bereiche der Gesellschaft betrifft.

Am Ende möchte ich einen weiteren wichtigen Kritikpunkt an sprechen: Ein besonderes Problembewusstsein für Intersektio nalität atmet der Aktionsplan noch nicht. Aspekte wie die Mehrfachdiskriminierung queerer Menschen mit Behinderun gen werden nur angesprochen, und der Tatsache, dass sich der Gender Pay Gap auch in der queeren Community abbildet, wird nicht substanziell begegnet.

Wir haben in diesem Bereich in den nächsten Jahren noch viel zu tun! - Danke.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, CDU sowie DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort erhält nun der frakti onslose Abgeordnete Königer.

(Zuruf des Abgeordneten Jungclaus [B90/GRÜNE])

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Ab geordnetenkollegen! Liebe Besucher - auch aus der Communi ty! Vor drei Jahren, beim Startschuss für diesen Aktionsplan, dachte ich, dass ich ein Stück weit neben dem Thema liege. Heute wurde ich eines Besseren belehrt: Ich lag genau richtig. Ich wollte Ihnen damals etwas demonstrieren - Sie erinnern sich: ich zählte die Geschlechter auf -, und ich hätte nie ge dacht, wie genau ich damit den Zeitgeist treffe, und das welt weit mit über 30 Millionen Klicks und Übersetzungen in zehn Sprachen. Meine Brandenburger kenne ich genau, und deshalb war mir damals klar, dass solch überzeichnete Politik für Min derheiten, wie wir sie hier wieder sehen, die Mehrheit eher ver grätzt. Das wollte ich Ihnen anhand einer maximalen Überspit zung demonstrieren, und es wundert mich bis heute, dass das nicht alle nachvollziehen können - da frage ich mich, wie dicht Sie am Bürger sind.

Damit Sie mir nicht wieder etwas anhängen, stelle ich hier noch einmal klar: Ich verurteile jede Form von Diskriminie rung von Menschen, die eine andere sexuelle Ausrichtung ha ben - Punkt. Genauso billige ich es aber jedem Bürger zu, für LSBTTIQ nur höfliches Desinteresse oder sogar innere Ableh nung zu empfinden. Was ich verurteile, sind die Dauerbeschal lung mit dem Thema und der Versuch einer ideologischen Um erziehung - das verwandelt Desinteresse in Widerwillen und Ablehnung in Abscheu.

(Zuruf von der SPD: Nein!)

Gerade dadurch, dass sich einige Parteien die Sakralisierung dieser sexuellen Minderheiten auf ihre Fahne schreiben, wer den eigentlich vernünftige und halbwegs tolerante Bürger in die Arme von Bauernfängern getrieben. Ich habe die Entwick lung kommen sehen, aber Warnungen, dass das Volk mitge nommen werden muss, verhallten. Wann war der Moment, als die alten Parteien vergessen haben, dass Gesetze die Akzeptanz der übergroßen Mehrheit der Bürger benötigen? Da wird eine

Ehe für alle durchgeprügelt, anstatt sich erst einmal mit einer rechtlichen Gleichstellung zu bescheiden. Gendersprache wird in öffentlichen Schreiben angewendet, und prompt wird mehr über gendergerechte Schreibweisen und weniger über Inhalte diskutiert. Und mit der Einführung eines dritten Geschlechts steigt nicht etwa die Akzeptanz von sexueller Vielfalt, sondern die Ablehnung. Solange es bei Witzen bleibt, welche die Anga be „m/w/d“ als „männlich/weiß/deutsch“ interpretieren, mag das noch angehen. Problematisch wird es, wenn gewisse Grup pen dieses Unbehagen aufnehmen und verstärken.

Ich weiß nicht, ob der Alte Fritz mit der eigenen Fasson, nach der jeder selig werden soll, auch die sexuelle Ausrichtung ge meint hat.

(Frau Hackenschmidt [SPD]: Der war selbst betroffen!)

Gleichwohl wird es unbelehrbare Homophobe und Rassisten wohl leider immer geben. Kluge Politik sorgt aber dafür, dass die in vielen von uns schlummernden Ressentiments nicht ge sellschaftsfähig werden. Ich hoffe, Sie berücksichtigen das in der nächsten Legislaturperiode. - Vielen Dank.

Ich beende damit die Aussprache und stelle fest, dass der Be richt der Landesregierung zur Kenntnis genommen wurde. Ich schließe Tagesordnungspunkt 24 und entlasse Sie in die Mit tagspause. Wir setzen die Sitzung um 13.15 Uhr fort.

(Unterbrechung der Sitzung: 12.44 Uhr)

(Fortsetzung der Sitzung: 13.16 Uhr)

Der letzte Sitzungsnachmittag ist angebrochen, und ich hoffe, es kommen noch ein paar Kolleginnen und Kollegen. Wir sind jedoch beschlussfähig und können mit der Sitzung fortfahren.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf:

Umsetzung des Handlungskonzepts „Tolerantes Bran denburg“ der Landesregierung - 9. Bericht der Landes regierung gemäß Beschluss des Landtages vom 12. Juni 2015 „Toleranz und Weltoffenheit erhalten - Rechts extremismus bekämpfen“ (Drucksache 6/1601-B)

Bericht der Landesregierung

Drucksache 6/11465

in Verbindung damit:

Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ aufge ben - Extremismus wirksam bekämpfen

Antrag der Fraktion der AfD

Drucksache 6/11490

Zum Bericht der Landesregierung liegt ein Entschließungsan

trag der Fraktionen von SPD, CDU, DIE LINKE und BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/11583 vor.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Landesregierung spricht der Chef der Staatskanzlei Staatssekretär Gorholt.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kalbitz, ich weiß nicht, ob Sie Noël Martin kennen: Noël Mar tin wurde am 23. Juli 1959 in Jamaika geboren; er feiert in we nigen Tagen seinen 60. Geburtstag. Als Bauunternehmer aus Birmingham war er Anfang der 1990er-Jahre in Brandenburg tätig. Am 16. Juni 1996 wurde er Opfer eines rassistischen An schlags in Mahlow: Er und zwei seiner Kollegen wurden am Bahnhof von zwei deutschen Jugendlichen beschimpft. Als sie im Auto davonfahren wollten, wurden sie von den Jugendli chen in einem gestohlenen Auto verfolgt. Dabei warfen diese einen Stein in die hintere Seitenscheibe seines Autos. Noël Martin verlor die Kontrolle über den Wagen, der sich über schlug und gegen einen Baum prallte. Seitdem ist Noël Martin vom Kopf abwärts gelähmt.

Diese rassistische Gewalt, solche fremdenfeindlichen Anschlä ge waren der Grund, dass die Landesregierung - damals unter Stolpe - 1998 das Handlungskonzept „Tolerantes Branden burg“ beschloss: ein Beschluss, der sich bis heute und für die Zukunft als richtig erweist.

(Beifall SPD, CDU, DIE LINKE sowie B90/GRÜNE)

Am 14. April 1992 beschloss ein frei gewähltes Parlament, der Landtag Brandenburg, die brandenburgische Landesverfas sung, die am 14. Juni 1992 - vor genau 27 Jahren - durch einen Volksentscheid angenommen wurde. Die friedliche Revolution war eine bewusste Entscheidung für eine offene, tolerante Ge sellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt sind, in der jeder Mensch Grund- und Freiheitsrechte hat. Mit der Verfas sung unseres Landes haben wir diese bewusste Entscheidung manifestiert, und wir haben sie mit der Einführung der AntiRassismus-Klausel in der letzten Legislaturperiode noch ein mal bekräftigen müssen, um der Zivilgesellschaft den Rücken gegen demokratiefeindliche Angriffe und Ausländerfeindlich keit zu stärken. Wir haben Brandenburg auf dem Boden unse rer freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufgebaut, de mokratische Verhältnisse etabliert, den wirtschaftlichen Struk turwandel bewältigt, Vielfalt in allen Lebensbereichen unter stützt. Wir haben die Demokratie schätzen gelernt, da sie uns Freiräume und Gestaltungsspielraum auf sicherem Grund bie tet. Wir haben verstanden, dass Vielfalt ein Wert ist und Tole ranz eine Tugend.

(Beifall SPD, DIE LINKE sowie B90/GRÜNE)

Demokratie muss immer wieder neu hergestellt, neu erlebt und nicht zuletzt immer wieder aufs Neue gestärkt und verteidigt werden. Wir haben verstanden, dass Demokratie sehr verletz lich ist. Mit dem Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ stärken und verteidigen wir die Demokratie in unserem Land und machen sie damit wehrhaft.

Ich darf daran erinnern, dass vor zwei Jahrzehnten der Schul terschluss aller demokratischen Kräfte in Brandenburg zwin gend notwendig war, um fremdenfeindliches Gedankengut,

Gewalt und Terror zu bekämpfen bzw. am besten von vornher ein zu verhindern. Gegen Hass, gegen Gewalt, gegen Rassis mus hilft keine Toleranz, kein gutes Zureden, keine Geduld, kein „Das meinen sie doch nicht so!“ oder „Das wird schon wieder!“ Im Schulterschluss von Staat, Politik und Gesell schaft konnten wir die Gefährdung der Demokratie in unserem Land eindämmen und unser demokratisches System wehrhaft machen - das war und ist auch weiterhin erforderlich.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Das „Tolerante Brandenburg“ hat sich auch bewährt, als ab 2015 verstärkt Geflüchtete in Brandenburg aufgenommen wur den. Ja, es gibt in diesem Zusammenhang Befürchtungen, Vor behalte und Ängste in der Bevölkerung. Das beste Mittel dage gen sind persönliche Begegnungen. Es ist gelungen, gemein sam mit dem „Bündnis für Brandenburg“ und vielen Ehren amtlern solche Begegnungen zu schaffen und ein Miteinander zu ermöglichen. Dazu tragen auch tolle Projekte bei wie etwa „Reflect - Freiheit beginnt im Kopf“, bei dem der Präventions experte Ahmad Mansour jungen Geflüchteten in Schulen de mokratische Werte vermittelt. Denn es gilt auch: Die Men schen, die zu uns kommen, müssen sich an unsere Regeln, vor allem unser Grundgesetz und unsere Landesverfassung halten.

Weitere neue Aufgaben für das „Tolerante Brandenburg“ sind hinzugekommen und haben zu einer Ausweitung des bisheri gen Tätigkeitsfeldes geführt. So wurden im Hinblick auf wach senden Antisemitismus und die zunehmende Muslimfeindlich keit, gleichzeitig aber auch zu den Gefahren des Islamismus die Fachstellen für Antisemitismus beim Moses Mendelssohn Zentrum und zum Islam in der Trägerschaft der RAA einge richtet. Damit ist die Koordinierungsstelle „Tolerantes Bran denburg/Bündnis für Brandenburg“ mehr denn je inhaltlich breit aufgestellt.

Wer solche wesentlichen Aufgabenerweiterungen vornimmt, muss seine Arbeit auch ständig überprüfen. So gibt es eine ak tuelle externe Expertise zum Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“, die Ihnen als Anhang zum Bericht der Landes regierung vorliegt. Außerdem fanden in der Legislaturperiode 18 Zukunftsdialoge zum Handlungskonzept, die wissenschaft lich begleitet wurden, statt.

Regionalisierung ausbauen, regionale Netzwerke stärken, in terne Kommunikation intensivieren, Demokratie vor Ort för dern, politische und historische Bildung ausbauen - das sind die Empfehlungen, an denen wir unsere Arbeit ausrichten. Wir haben uns richtig entschieden: Demokratie und Toleranz gehö ren zusammen und bringen uns voran.

(Beifall SPD und DIE LINKE)

Sie sind die Stärken unseres Landes. Wir sind stolz auf das „Tolerante Brandenburg“ und seine vielfältigen Partner. Auf dieser Grundlage wollen wir gemeinsam die Zukunft gestalten. Das sind wir auch den Opfern - wie Noël Martin - schuldig. Ich bitte deshalb um Zustimmung zum interfraktionellen Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall SPD, DIE LINKE sowie B90/GRÜNE)