Protokoll der Sitzung vom 20.01.2021

Gestern ergänzte er in der „Fuldaer Zeitung“ - ich zitiere ihn -:

„Derzeit wissen wir […] nicht, wer sich wo und wie überhaupt ansteckt, warum es überhaupt noch Infektionen gibt, wir tappen einfach im Dunkeln.“

Streeck plädiert dafür, systematische, repräsentative Stichproben zu erheben, um - Zitat - „zu verstehen, wie das Infektionsgeschehen wirklich aussieht.“

Und das, sehr geehrte Damen und Herren - Sie erinnern sich -, ist genau die Forderung, die die Epidemiologen Angela Spelsberg und Ulrich Keil am 10. August in der „taz“ erhoben haben und die ich bereits dreimal von diesem Podium aus zitierte.

Und das ist genau die Forderung, die wir hier im Landtag am 1. April, am 15. April, am 13. Mai, am 9. Juni und am 3. November 2020 erhoben haben - fünfmal - und der Sie bis heute nicht nachgekommen sind. Überlegen Sie sich schon einmal eine gute Begründung dafür, wenn wir Sie im Untersuchungsausschuss „Corona“ danach fragen werden.

(Zuruf)

Sehr geehrte Damen und Herren, ich betone diesen Punkt nicht, weil ich den Landtag mit einer Assistentenbesprechung verwechsele; aus der Rolle zu fallen überlasse ich anderen. Ich betone ihn, weil er deutlich macht, worin das Regierungsversagen in der Corona-Politik besteht. Der Ministerialbeamte Stephan Kohn benennt es in seinem Memorandum an die Bundes- und Landesregierungen vom 8. Mai 2020 wie folgt - Zitat -:

„[…] die geltenden Rahmenvorgaben zum Handeln des Krisenstabs und des Krisenmanagement in einer Pandemie [enthalten] keine geeigneten Detektionsinstrumente […], die automatisch einen Alarm auslösen und den sofortigen Abbruch von Maßnahmen einleiten würden, sobald sich entweder eine Pandemiewarnung als Fehlalarm herausstellt oder abzusehen ist, dass die Kollateralschäden [...] größer zu werden drohen, als das gesundheitliche und insbesondere das tödliche Potential der betrachteten Erkrankung ausmacht.“

Sie in der Landesregierung kennen dieses Memorandum seit einem Dreivierteljahr. Dennoch haben Sie nichts unternommen, um zu kontrollieren, ob die Ihrem Corona-Diktat zugrundeliegenden Annahmen tatsächlich zutreffen.

Dieses Unterlassen ist auch ein Hauptpunkt der im Dezember vom Juristen Pieter Schleiter eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen das Infektionsschutzgesetz und die Eindämmungsverordnungen in Berlin und Brandenburg. Mit seinen Worten - ich zitiere ihn -:

„Die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative ist oftmals überschritten, da die unklare Tatsachengrundlage im Laufe des Jahres 2020 einem erheblichen Zugewinn an wissenschaftlichen Erkenntnissen gewichen ist, was ein differenzierteres Vorgehen ermöglichen würde. Dieses bietet einerseits hinreichend Schutz, wo er benötigt wird, und belässt andererseits in erheblichem Umfang Freiheiten.“

Aber die Regierungen im Bund und im Land ignorieren seit Monaten wissenschaftliche Erkenntnisse, zum Beispiel die begründeten Zweifel am Sinn des Lockdowns, die ihnen ein differenziertes Vorgehen ermöglichen würden. Sie arbeiten mit bestellten Beratern, wie „Der Spiegel“ sagt, und unentwegter Panikmache. Und nachdem sich die Schadensprognosen von Neil Ferguson und Christian Drosten vom März 2020 als völlig falsch erwiesen haben, müssen nun Coronamutationen die abermalige Lockdown-Konkretisierung begründen - Zitat -:

„Ähnlich wie damals zu Beginn der Pandemie hinsichtlich des Virus gibt es jetzt hinsichtlich der neuen Mutation noch keine eindeutige Gewissheit bezüglich deren Eigenschaften. Da die Mutation B.1.1.7 bereits in Deutschland nachgewiesen wurde, sind Bund und Länder gemeinsam der Auffassung, dass der jetzige Erkenntnisstand zwingend ein vorsorgendes Handeln erfordert, weil die Folgen einer Verbreitung einer Virusmutation mit höherem Ansteckungspotenzial eine schwerwiegende Verschärfung der pandemischen Lage bedeuten würde“

- so heißt es im Beschluss von gestern. Es gibt also keine eindeutige Gewissheit außer der, vorsorglich den Lockdown zu konkretisieren.

Und was ist mit der Gewissheit, dass die Brexit-Mutation - Frau Nonnemacher sagte es - seit Monaten bekannt ist, dass die Fallzahlen - so problematisch ihre Definition ist - in Großbritannien vom 8. Januar 2021 bis heute von rund 70 000 auf rund 30 000 gesunken sind?

Mutationen von Coronaviren sind nicht ungewöhnlich; es sind mehr als 4 000 bekannt. Einer, der es wissen muss, nämlich Hendrik Streeck, sagt: Die britische Variante ist nicht dramatisch stärker infektiös; es gibt keinen Grund, in Panik zu geraten. - Ähnlich hatte sich zuletzt auch die Virologin Sandra Ciesek im NDR Info Podcast Coronavirus-Update geäußert. Und heute schreibt selbst Christian Drosten, nachdem er die in GarmischPartenkirchen gefundene Mutante sequenziert hat - das war nicht die britische Mutation -, auf Twitter: „kein Grund zur Sorge“!

Während die Landesregierung also kein Interesse an repräsentativen Studien für eine realistische Beschreibung der Coronalage zeigt, strebt sie an, dass Mutationen nun auch in Brandenburg bald nachweisbar gemacht werden können. Wofür? Wofür wollen Sie weiter Angst machen? Wir haben die Angstmache satt. Die Bürger haben die Angstmache satt. Schaffen Sie doch zuerst und endlich einmal ein realistisches Lagebild, und hören Sie auf, Angst zu machen!

Das Kabinett von Ministerpräsidenten und Kanzlerin spricht davon, die personellen Kapazitäten der Gesundheitsämter jetzt so zu verstärken, dass eine Kontaktnachverfolgung mindestens bis zu einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner flächendeckend gewährleistet werden kann. Aber wie denn, wenn die aktuellen Zahlen der Neuinfektionen ein

falsches Bild vermitteln und daher nicht dem Zweck politischer Entscheidungen dienen sollten, wie Hendrik Streeck sagt? Also hören Sie doch endlich auf mit diesem nichtfaktenbasierten Kontrollwahn!

Verstärken Sie die personellen Kapazitäten da, wo sie gebraucht werden: in den Pflegeheimen. Schicken Sie das Personal da hin, um zu helfen, zu waschen, zu putzen, zu lüften, Hände zu halten, Gespräche zu führen, ein menschliches Leben und ein menschliches Sterben zu ermöglichen! Und geben Sie jedem, der dort oder auf den Intensivstationen der Krankenhäuser hilft und arbeitet, eine Zulage von monatlich 500 Euro! Dafür wären die im Haushalt eingestellten Coronamittel wirklich mal sinnvoll verwendet.

Beenden Sie endlich alle unsinnigen und unmenschlichen Kontaktverbote! Die frühere Pflegedirektorin der Charité Hedwig Francois-Kettner antwortete der Tageszeitung „Die Welt“ in einem Interview auf die Frage, was schlimmer sei, in oder an Einsamkeit zu sterben oder durch Covid-19, schlicht: an Einsamkeit. Hören Sie endlich damit auf!

Wir fordern die Landesregierung auf, die Beschlüsse des Seuchenkabinetts von gestern nicht zu übernehmen. Der Antrag der Linken ist viertelherzig, und die Antragsbegründung ist inakzeptabel. Deshalb wiederholen wir besser unsere Forderung aus unserem eingangs zitierten Antrag vom 15. April 2020: Die Landesregierung legt unverzüglich einen Zeit- und Maßnahmenplan zur Beendigung des sogenannten „Lockdowns“ vor, der den Schutz besonderer Risikogruppen beinhalten sollte.

Sehr geehrte Damen und Herren, befreien wir uns endlich von einem Lockdown-Irrsinn, der die Gesunden verwundet und die Verwundbaren in Einsamkeit sterben lässt! Befreien wir uns endlich davon! - Vielen Dank.

Es wurde eine Kurzintervention von Herrn Abgeordneten Bommert angemeldet. Bitte schön.

Herr Dr. Berndt, ein kurzer Hinweis: Die Kammern hier anzuführen und ein bisschen zu instrumentalisieren - Sie haben sich vorhin auf eine Kammer berufen -: Die Kammern insgesamt, glaube ich, stehen nicht so hinter dem, was Sie da gesagt haben. - Sie müssen mich nicht so ungläubig angucken, ich sage ja nur, was Sie gesagt haben. - Die Kammern stehen bei der Sache zum Lockdown. Es wird einzelne Schwierigkeiten geben, das ist ganz richtig, aber wir stehen - ob es der Wirtschaftsminister oder ob es die Ministerpräsidenten sind - mit den Kammern in Verbindung.

Wenn man sich anguckt, was jetzt an Hilfen gezahlt wird, kann man genau feststellen, dass bei vielen schon die Hilfen angekommen sind - vielleicht noch nicht bei allen, aber es wird feste daran gearbeitet. Und die Kammern, das kann ich Ihnen sagen, ob es die IHKs, die Handwerkskammern oder andere sind, wollen weder von Ihnen noch von irgendeiner anderen Partei hier benutzt oder instrumentalisiert werden. Das sollten wir an dieser Stelle auch lassen, denn sie wollen nicht in irgendein Fahrwasser geraten. - Vielen Dank.

Der Herr Abgeordnete Dr. Berndt möchte gerne darauf reagieren. Bitte sehr.

Herr Kollege Bommert, ich glaube nicht, dass das Zitieren einer Forderung oder eines Schreibens ein Instrumentalisieren ist. Ich habe dieses Schreiben nicht deshalb

(Zuruf)

zitiert, weil ich sage, das sind jetzt AfD-Wähler - noch nicht, vielleicht erst zur nächsten Wahl -, ich habe es gesagt, weil dieses Schreiben, das mit allerlei Verbeugungen und Einschränkungen formuliert wurde, ein deutliches Indiz dafür ist, dass diese erneute Coronaverschärfung, „Konkretisierung“, jetzt vor dem Hintergrund fallender Zahlen zunehmend auf Unverständnis stößt. Die Stimmung kippt.

Das Wort geht jetzt an den Abgeordneten Stohn für die SPDFraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger! Es ist schon recht eigenartig: Die Zahlen sinken leicht, aber sie sinken, und auf den Intensivstationen entspannt sich die Lage - Gott sei Dank! Weihnachten und Silvester haben uns nicht zurückgeworfen. Dennoch reden wir heute über Maßnahmenverlängerung, Konkretisierung, zum Teil auch Verschärfung. Warum? Weil neue Mutationen, neue Virusvarianten auch neue Bedrohungen darstellen.

Mutierte Viren können aggressiv sein, unser Wille, die Pandemie zu überstehen, ist aber stärker. Wir müssen anerkennen, dass wir seit Januar eine neue Lage haben: Weltweit haben sich Mutationen des Virus ausgebreitet. Eines ist jetzt schon klar: Sie sind deutlich ansteckender und verbreiten sich schneller.

Frau Nonnemacher hat es gesagt: Die britische Mutation breitet sich laut Prof. Apweiler von der Universität Heidelberg sechs- bis achtmal schneller im Monat aus als die bisher bekannten Viren. Vermutlich sind die neuen Mutationen weniger tödlich, aber wir wissen es noch nicht genau. Herr Prof. Drosten - auch von Ihnen zitiert, Herr Berndt - hat gesagt, es werde noch zwei bis drei Wochen dauern, bis wir verlässliche Erkenntnisse darüber haben. Weil das so ist, handeln wir jetzt, handeln wir heute!

Unsere Schlussfolgerung kann daher doch nur sein, jetzt noch vorsichtiger, noch konsequenter im täglichen Verhalten zu sein. Die Maßnahmenverstärkungen folgen dem Vorsorgeprinzip, und jeder weiß: Vorsorge ist besser als Nachsorge.

Niemand will Situationen, wie wir sie in England sehen, wo Notfallpatienten stundenlang vor den Krankenhäusern warten müssen, bis sie behandelt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, breitet sich die Mutation weiter aus, rücken 50er-Inzidenz und Nachverfolgbarkeit in weite Ferne, was Lockerungen in noch weitere Ferne rückt.

Wir müssen das Infektionsgeschehen unter Kontrolle bringen, Rückverfolgbarkeit muss garantiert sein - bis dahin können wir keine Öffnungsversprechungen machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Krankenhäuser erfüllen einen Versorgungsauftrag, Politik erfüllt einen Verantwortungsauftrag. Und glauben Sie mir: Uns Politikern fällt es nicht leicht, Woche für Woche über Verlängerungen, Verschärfungen und Konkretisierungen zu diskutieren und sie zu beschließen. Aber die gegenwärtige Lage lässt keine andere verantwortungsvolle Option zu.

Auch heute haben die Sterbezahlen eine dramatische Höhe erreicht: Allein an einem Tag sind 1 734 Menschen in Deutschland mit oder an Corona gestorben, in Brandenburg sind es 83. Verlängerungen und Verschärfungen bedeuten also jetzt Lebensschutz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor zwei Wochen übertrafen laut Statistischem Bundesamt die Sterbefallzahlen den Vorjahresdurchschnitt um 25 % - 25 %! Damit ist also auch ein einzelner Redner hier im Parlament widerlegt, der die Übersterblichkeit immer wieder kleingeredet hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte Lockerungen, aber dazu müssen wir erst die 50er-Inzidenz erreichen. Wer jetzt lockern will, bekommt nichts anderes als einen Jo-Jo-Effekt: Die jetzt sinkenden Zahlen würden wieder in die Höhe schnellen, und die Kontrolle über das Virus könnte uns entgleiten. Einen solchen Jo-Jo-Effekt können wir uns weder sozial noch mit Blick auf die gesundheitlichen Belange oder wirtschaftlich leisten.

Ich weiß: Die Ungeduld mit dieser Pandemie steigt. Aber die Regeln helfen beim Eindämmen, bevor wir mit dem Impfen das Virus besiegen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Kontaktreduzierung im Privaten gilt, muss sie auch im beruflichen Alltag gelten - ohne Ausnahmen! Das muss selbstverständlich sein. Dazu müssen wir die Arbeit im Homeoffice stärken - der Ministerpräsident hat es erwähnt; SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil schafft die Voraussetzungen.

Zweitens: Masken sind notwendige Arbeitsschutzbekleidung - jeden Tag!

Drittens braucht es eine Flexibilisierung von Arbeitszeiten, damit es eben nicht mehr zu Stoßzeiten im Berufsverkehr kommt.

Mir ist bewusst: All das ist auch eine soziale Frage, und es braucht Anreize. Deshalb begrüße ich die steuerliche Entlastung beim Kauf von Digitalgeräten für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer.

Dankbar bin ich für Verbesserungen bei der Überbrückungshilfe für den Einzelhandel, für Soloselbstständige und Kulturschaffende.

Ich freue mich: Gut 42 Millionen Euro Novemberhilfe sind in Brandenburg ausgezahlt, das hat Minister Steinbach heute im Wirtschaftsausschuss mitgeteilt.

Wir lernen den Umgang mit dieser Pandemie, wir passen uns jeden Tag an, wir reagieren darauf: Die Kitabeiträge werden wir für diejenigen, die ihre Kinder gerade nicht dorthin bringen, erstatten. Die Zahl der Kinderkrankentage wird erhöht, und wenn

wir Lockerungen einführen, haben die Grundschulen die höchste Priorität, denn hier, auf den Kleinen, liegt unser größtes Augenmerk.