Protokoll der Sitzung vom 08.06.2000

[Frau Matuschek (PDS): Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur gesagt: Berlin hatte eine Rolle dabei!]

Nein, Sie haben gesagt: Die Bahn wollte das ja gar nicht! – Das haben Sie so gesagt. – Jetzt lese ich Ihnen einmal aus einer Broschüre der Bahn vor, was sie dazu sagt:

In dem Vergleich der beiden Konzepte konnten Gutachter und beauftragte Stellen der Deutschen Reichsbahn nachweisen, dass das Achsenkreuzmodell

was dann zum Pilzkonzept geworden ist –

Vorteile gegenüber dem Ringmodell insbesondere in den Fragen Kosten und Mittelbedarf, Betriebsplanung und Betriebsführung aufweist. Die Deutsche Reichsbahn und der Senat von Berlin entschieden sich daher für das Achsenkreuzmodell in einer modifizierten Form, das Pilzkonzept.

So viel dazu, was die arme Bahn, deren Jeanne d’Arc Sie ja offensichtlich werden wollen, dort immer zu leiden hatte! Die Bahn hat sich das selber ausgesucht, und zwar aus guten Gründen, die der Senat auch unterstützt hat. Wir erwarten jetzt nicht mehr und nicht weniger, als dass das auch so umgesetzt wird.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Zur Dresdner Bahn: Man mag sehr viel über bestimmte Wahlkreisabgeordnete reden, aber in einem sollten wir uns als Vertreter der Berliner Bevölkerung doch einig sein, nämlich dass wir darauf achten müssen, dass bei den Baumaßnahmen der Bahn, die hier in der Stadt stattfinden, auch das Umfeld und die Bevölkerung im Umfeld berücksichtigt werden und dass man nicht so tut, als ob dort nichts passiert wäre in den letzten 50 Jahren.

[Beifall bei der SPD]

Ich glaube, diesen Anspruch können alle haben. Den können alle haben, unabhängig davon, ob sie in Lichtenrade, Lankwitz, Lichterfelde oder Köpenick wohnen. Deshalb setzen wir uns auch dafür ein, dass die Lärmsanierung an den bestehenden Strecken vorangetrieben wird.

[Zuruf der Frau Abg. Merkel (SPD)]

Aber nun zu sagen, der Senat sei selbst Schuld an der Verzögerung, weil er zwei Jahre lang versucht hat, der Bahn beizubringen, dass man nicht einfach durch ein dicht bebautes Wohnviertel hindurch eine vierspurige Trasse bauen könne, ohne entsprechende Lärmschutzvorkehrungen zu treffen! Das ist etwas, was die Bevölkerung von uns erwarten kann und was ich von Ihnen, gerade als Grünen-Fraktion auch erwartet hätte.

[Beifall bei der SPD – Frau Merkel (SPD): Genau!]

Jetzt zu den Fahrzeitverlängerungen: Es wird so getan, als sei es egal, ob man 18, 23 oder 25 Minuten fährt.

[Cramer (Grüne): Genau!]

Ja, warten Sie einmal ab, Herr Cramer! Haben Sie sich einmal mit betriebswirtschaftlichen Aspekten des Bahnverkehrs beschäftigt? – Dann müsste Ihnen eigentlich klar sein, wenn Sie einen Zug 13 Minuten fahren lassen, dass dies weniger Kosten verursacht als bei einer Fahrzeit von 18, 23 oder 28 Minuten. Daraus folgt messerscharf, dass Sie erheblich höhere Betriebskosten haben, wenn die Züge fünf, zehn oder noch mehr Minuten länger fahren. Einmal ganz abgesehen davon, dass die Fahrgäste auch sagen, eigentlich hätten sie noch anderes zu tun, als im Zug zu sitzen, selbst wenn es sich dabei um die neuen Regionalexpress-Züge handelt. Sie fänden es besser, wenn sie zehn Minuten weniger zum Ziel brauchten. – Das, was Sie machen, ist kurz gedacht und ist im Übrigen auch von der Bahn kurz gedacht, weil sie das, was sie jetzt an den Baukosten vermeintlich einspart, nachher jedes Jahr bei den Betriebskosten draufzahlt. Das muss man hier deutlich machen!

[Beifall bei der SPD]

Zum Ostkreuz: Frau Matuschek, Sie sind auf einer ganz gefährlichen Schiene, im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn Sie sagen, am Ostkreuz könne man auf den Richtungsverkehr verzichten und macht einfach so weiter wie bisher, dann möchte ich einmal wissen, wie Sie die Umbaumaßnahmen dort eintakten wollen. Zum anderen ist es doch geradezu unzumutbar, dass am Ostkreuz die Fahrgäste oben auf dem Ringbahnsteig stehen und gucken müssen: „Woher kommt der Zug, von Lichtenberg oder Köpenick?“, und dann hinunterrennen auf den Bahnsteig, auf dem der Zug dann einfährt. Halten Sie das für einen Zustand, den wir weiter konservieren sollen? – Wenn ja, dann haben wir in dieser Frage unterschiedliche Auffassungen. Ich dachte immer, sie setzen sich für die Belange der Fahrgäste ein, im Moment scheinen sie sich eher für die Belange des Bahnmanagements einzusetzen. [Beifall bei der SPD – Frau Merkel (SPD): Das ist ja grotesk! – Zuruf der Frau Abg. Matuschek (PDS)]

Am Ostkreuz kann man noch eines deutlich machen: Wenn die Deutsche Bahn AG 2 Milliarden DM in S-Bahnzüge investiert, die wie von uns gewünscht Niederflureinstiege und Klima

technik besitzen, behindertenfreundlich sind und weiteres, ist es natürlich dramatisch, wenn diese Züge an einem Bahnhof halten, der weder behindertengerecht oder auch nur ansatzweise behindertenfreundlich ist. Dann haben sie gar nichts davon, dass diese Züge eingesetzt werden. Deshalb hat es Vorrang, die Zustände so zu schaffen, dass die Dinge, in die man an anderen Stellen investiert, hier auch wirksam werden können. Es wäre schön, wenn wir uns dafür gemeinsam einsetzten und uns nicht auseinander dividieren lassen auf Grund vermeintlicher politischer Vorteile, die man daraus ziehen kann.

Als Letztes zu Herrn Kaczmarek. Es ist immer besonders schön, jahrelang einen Bereich herunter zu wirtschaften, den Bundesverkehrswegeplan um 80 Milliarden DM unter zu decken, indem man allen alles verspricht, dann abgewählt zu werden und anschließend sofort über die Unterfinanzierung durch die Bundesregierung zu meckern. Das ist relativ einfach, aber es ist auch sehr platt, und ich hätte von Ihnen an dieser Stelle eigentlich mehr erwartet.

[Beifall bei der SPD – Kaczmarek (CDU): Ich hätte von Ihrer Bundesregierung auch viel mehr erwartet!]

Das glaube ich Ihnen nicht, dass Sie von unserer Bundesregierung mehr erwarten. Sie wollen ja vermutlich verhindern, dass sie 2002 wieder gewählt wird. Ich gehe zwar davon aus, dass Sie das nicht schaffen werden, aber das können wir an anderer Stelle diskutieren.

Ich habe gerade Ihrem Redebeitrag entnommen, dass Sie auch endlich einen Umschwung in der Frage streckenabhängige Straßenbenutzungsgebühren vollzogen haben. Das ist das Instrument, mit dem wir jetzt endlich Straße und Schiene in ihrem Wettbewerb angleichen wollen, indem die Straße, gerade auch der Lkw-Verkehr, einen Teil zur Finanzierung dieser Infrastruktur beiträgt. Insofern wäre es ein schönes Ergebnis dieser Debatte, wenn wir einen breiten Konsens herstellen und sich auch die CDU diesem wichtigen Vorhaben anschließt.

Ich glaube, es wäre uns viel gedient, wenn wir im Sinne von Senator Strieder sagen, man muss sich zusammensetzen und schauen, was geht und was nicht. Eines ist aber klar: Es darf nicht auf dem Rücken der Berliner Bevölkerung das ausgetragen werden, was über Jahre durch Missmanagement verursacht worden ist. [Beifall bei der SPD]

Danke schön, Herr Kollege! – Für die Fraktion der PDS hat nunmehr der Kollege Over das Wort! Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Gaebler! Die Niederflurtechnik, das war dann doch bei der Straßenbahn. Die S-Bahn hält bereits seit über 50 Jahren bahnsteigkantig. Wenn Sie sie wieder einmal benutzen, nicht hineinspringen.

Ich möchte meinen Redebeitrag mit zwei Zitaten beginnen, wenn Herr Präsident erlaubt:

Als Kunde kann man nicht wirklich zufrieden sein mit der Bahn.

sagte Ulrich Wickert gestern Abend in der Anmoderation der „Tagesthemen“, denn:

Nicht die rasante Fahrzeit von Punkt A nach Punkt B ist entscheidend, sondern die für den Kunden entscheidende Fahrzeit von Haustür zu Haustür. Hier wird die Vernetzung mit dem Regionalverkehr, mit dem ÖPNV, aber auch mit dem Auto, zum Beispiel bei Carsharing, stärker zu beachten sein.

Ich weiß nicht, ob jemand das Zitat erkennt, es war vom Kollegen Strieder. [Heiterkeit bei den Grünen]

Ich hatte schon befürchtet, dass er den Artikel nicht selbst geschrieben hat, denn es sind ansonsten einige gute Gedanken darin enthalten, gerade zum Thema Vernetzung. Das Zitat stammt aus der „Trafic Tech“ Nr. 4/2000.

Die eigentlich Probleme, wenn wir über Berlin auf dem Abstellgleis reden, sind aus meiner Sicht die vorhandenen Vernetzungsprobleme, die Einschränkungen im Regionalverkehr in der Flächenbahn. Wir hatten vor einiger Zeit sehr positiv die Wiedereröffnung der Strecke nach Kremmen, Sommerfeld und Neuruppin,

[Sen Strieder: Sind Sie da schon einmal gefahren?]

sie ist Teil des Sternkonzeptes. Aber gucken Sie sich an, was die Deutsche Bahn im Land Brandenburg mit der Flächenbahn zur Zeit macht. Instandsetzung zur Stilllegung findet dort statt auf allen Strecken, die nicht zum Sternnetz Berlin gehören. Es ist elementar für das System Bahn, dass es weiterhin die Flächenbahn gibt, dass die Menschen auch hinkommen zum Verkehrsknoten Berlin. [Beifall bei der PDS]

An diesem Problem versuchen inzwischen private Eisenbahnunternehmen etwas zu ändern, indem sie von der Deutschen Bahn AG Strecken übernehmen wollen. Aber glauben sie nur nicht, dass sich die Deutsche Bahn AG darüber freut, dass man ihr Kunden an die Knoten für den Schnellverkehr bringt, nein, wir müssen uns nur die Prignitzer Eisenbahn anschauen. Hier wird seit Jahren von der Deutschen Bahn verhindert, dass Strecken an die Prignitzer Eisenbahn übertragen werden, die Deutsche Bahn fordert 1 Million DM pro Kilometer für Strecken, die – ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen schon einmal die Ferkeltaxen der PEG benutzt hat, die zwar sehr gemütlich sind, aber 40 km/h sind in der heutigen Zeit keine ganz angemessene Reisegeschwindigkeit für den Regionalverkehr.

[Sen Strieder: Aber Sie fahren da nie mit!]

Doch, doch, ich fahre damit sehr wohl, auch wenn die nur 40 km/h fährt. Herr Strieder, so ist das nicht. Nun werden manche sagen, das sei Kleinkram. Ich halte die Flächenbahn für die Existenzgrundlage.

Schauen wir uns eine andere Situation an. Stellen wir uns vor, wir landen um 22.20 Uhr auf dem Großflughafen Berlin-Leipzig. Sie gehen auf den Bahnsteig des Großflughafens Berlin-Leipzig, finden dort das schöne Plakat „Die Bahn kommt“, doch dies tut sie leider erst am nächsten Tag. Es ist doch nicht vorstellbar, dass man heutzutage, wo es durchaus normal ist, dass man mit einem Ferienflieger um 22.30 Uhr, 23.30 Uhr oder auch 0.30 Uhr auf einem Flughafen ankommt, die Bahn keine Städteverbindungen mehr nach Berlin anbietet, übrigens natürlich auch nicht in andere Richtungen. Sie können auf dem Bahnsteig übernachten, um 4.30 Uhr geht es dann weiter.

Aber auch, wenn wir uns nicht mit anderen Großflughäfen beschäftigen, sondern uns ansonsten ansehen, was die Deutsche Bahn gerade im Abend- und Nachtbereich anbietet, wie die Städteverbindungen nicht nur in andere ostdeutsche Städte, sondern generell aussehen, ist es leider ausgesprochen traurig und hat aus meiner Sicht eher etwas mit einer Verhinderungspolitik zu tun. Es ist eben nicht möglich, einen Abendtermin in Schwerin wahrzunehmen und um 1.00 Uhr nach Hause zu kommen. Hier in der Stadt ist es durchaus üblich, dass man zu solchen Zeiten öffentliche Verkehrsmittel benutzt.

Ich möchte auf einen weiteren Punkt kommen, der ganz konkret Berlin und die deutsche Bahn betrifft: die Güterbahnhöfe, die wir in dieser Stadt in reichlicher Anzahl hatten. Durch intelligente Systeme, die inzwischen längst entwickelt sind, hätte die Bahn diese Güterbahnhöfe zu wirklichen Güterverteilzentren umbauen können, die dann auch noch Wege eingespart hätten. Stattdessen setzt die Bahn auf große Güterverteilzentren außerhalb der Stadt, die dann zusätzliche Lkw-Transporte erzeugen.

Wenn sich die Deutsche Bahn endlich mit diesen ganzen von ihr so an den Rand geschobenen Fragen beschäftigen würde, dann brauchten wir uns auch nicht über den Personalabbau bei

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der Deutschen Bahn zu unterhalten. Herr Strieder, Sie hatten das ja vorhin angemerkt, dass Sie sich Sorgen machen. Ich mache mir auch Sorgen, und zwar wegen der Politik des Vorstands der Deutschen Bahn. Mit einer anderen Bahnpolitik in diesem Lande wäre es nicht die Frage, ob Personal abgebaut wird, sondern ob genug qualifiziertes Personal vorhanden ist, das die Bahn einstellen kann, um ihren Betrieb auszubauen.

[Beifall bei der PDS – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Ich möchte mit dem Zitat schließen, mit dem ich begonnen habe:

Als Kunde kann man nicht wirklich zufrieden sein mit der Bahn.