Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Danke schön, Herr Kollege! – Das Wort hat nunmehr für den Senat Herr Senator Dr. Werthebach. – Bitte schön, Herr Senator!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe vor etwa einer halben Stunde erfahren, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen in Israel plötzlich angestiegen sind. Es herrschen offensichtlich Bürgerkriegszustände. Ob es zu einem Krieg kommt, wird man abwarten müssen. Hintergrund für diese Eskalation ist eine Agenturmeldung, die ich Ihnen vorlese:

Mindestens zwei Israelis sind am Donnerstag in Ramallah im Westjordanland von einer wütenden palästinensischen Menge gelyncht worden. Vier Israelis waren am Morgen versehentlich in die palästinensische Autonomiestadt geraten. Sie wurden von der palästinensischen Polizei festgenommen und in eine Polizeistation gebracht. Hunderte wütender Palästinenser drangen anschließend in die Station ein und töteten mindestens zwei von ihnen. Sie warfen die Leichen aus dem Fenster des Gebäudes und schlugen weiter auf sie ein. Ein weiterer Israeli wurde von der Menge schwer verletzt und in ein Krankenhaus gebracht. Der israelische Premierminister Barak soll erklärt haben, dass der Friedensprozess nunmehr beendet sei.

Ich hoffe, im Namen vieler in diesem Hause sprechen zu können, wenn ich sage: Unsere Herzen schlagen für unsere israelischen Freunde, denen wir in dieser Stunde beistehen müssen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Hoffen wir sehr, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen bald zum Ende kommen. Ich bin überzeugt, dass Amerika und auch die Staaten der Europäischen Union nunmehr eine besondere Verantwortung und Pflicht haben.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Die heutige Thematik fällt in einen für Berlin und Deutschland besonderen Zeitraum. Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung hat Deutschland die größten Herausforderungen der inneren Einigung sichtbar in den Griff bekommen und steht als gefestigte Demokratie an der Seite unserer europäischen und transatlantischen Partner. Das freundliche Bild des freiheitlich-demokratisch vereinten Deutschlands, das seit den Novembertagen des Jahres 1989 um die Welt ging, wurde schon bald dadurch beeinträchtigt, dass in Hoyerswerda, in Rostock-Lichtenhagen, in Mölln, in Solingen und in anderen Orten Ost- und Westdeutschlands die brutale Fratze des Rechtsextremismus und der Ausländerfeindlichkeit zu Tage trat. Die übergroße Mehrheit der Deutschen hat dies tief entsetzt. Das Bild Deutschlands im Ausland begann dennoch, Schaden zu nehmen. Diese erste Welle der fremdenfeindlichen Gewalt konnte durch das entschiedene Auftreten des Staates, aber auch durch die immer wieder bekundete Zivilcourage in der Bevölkerung zwar erheblich geschwächt, aber leider nicht gänzlich gestoppt werden. Der dumpfe Aktionismus der rechten Szene zeigt zunächst mehr ausländerfeindliche Bestrebungen als offen antijüdische bzw. gegen Israel gerichtete Aktivitäten. Spätestens seit dem Anschlag des Berliner Ehrenbürgers Heinz Galinski wissen wir aber, dass noch ein antisemitischer Bodensatz in unserer Gesellschaft existiert. Die wehrhafte Demokratie muss gegenüber Verfassungsfeinden entschlossen auftreten, da sie Zögerlichkeit als Schwäche auslegt und als Ermutigung begreift.

[Beifall bei der CDU]

So wie Feuer Sauerstoff braucht, um zu brennen, so benötigen Extremisten – welcher Provenienz auch immer – die Nachgiebigkeit der Gesellschaft für ihre Erfolge.

Die Serie der Anschläge von Rechts seit dem Sommer 2000 zeigt darüber hinaus, dass wir es keinesfalls nur mit vereinzelten Aktionen zu tun haben, deren Hintergründe und Motivationen isoliert zu betrachten sind. Als Innensenator der deutschen Hauptstadt sage ich ganz klar: Wer jüdische Bürger oder jüdische Einrichtungen angreift, greift uns alle an.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Jüdische Kultur ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil unserer abendländischen Tradition; sie hat auch von Moses Mendelssohn über Heinrich Heine, Walter Rathenau und Albert Einstein bis in unsere Tage unser Land bereichert. Die Katastrophe nach 1933 hat daher gerade für Berlin neben der menschlichen Tragödie auch spürbare kulturelle, geistige und wissenschaftliche Verluste mit sich gebracht. Niemand darf sich das Recht nehmen, jüdische Bürger anzugreifen oder deren Gotteshäuser oder Einrichtungen, ja sogar die Friedhöfe zu schänden. Jüdisches Leben gehört seit weit über 1 800 Jahren zu unserer mitteleuropäischen Kultur. Sie innerhalb der deutschen Nationalkultur zu pflegen und zu entwickeln ist heute unsere selbstverständliche Aufgabe.

Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte wissen wir: Wer seine Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie ewig zu wiederholen. Die Substanz einer Kultur zeigt sich daher auch darin, wie sie ihre Vergangenheit gegenwärtig hält. Die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Berlin können sich darauf verlassen, dass der Staat – und dafür stehe ich persönlich ein – alles irgend Mögliche tun wird, um den Schutz der jüdischen Einrichtungen Berlins zu gewährleisten.

[Beifall bei der CDU und der SPD]

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Bm Dr. Werthebach

Dies erfolgt selbstverständlich in enger Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde selbst. Zwischen der Stadt Berlin und der Jüdischen Gemeinde existiert seit langem eine Sicherheitspartnerschaft, die auf Vertrauen und gegenseitiges Verständnis gründet. Ich habe das immer wieder im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses von Berlin vorgetragen, aber offensichtlich wird es dort nicht vernommen. Die jüdischen Bürger dieser Stadt haben unserer Demokratie einen Vertrauensvorschuss eingeräumt, den es nunmehr zu bestätigen gilt. Wir dürfen nicht zulassen, dass eine verschwindende Minderheit primitiver und geistloser Fanatiker ihr beschämendes Ziel erreicht, deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens aus der Mitte unserer Gesellschaft zu verdrängen.

[Beifall bei der CDU und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Wer meint, eine eingeworfene Scheibe sei noch nicht so schlimm, dem sage ich: Auch die Reichskristallnacht 1938 begann mit eingeschlagenen Scheiben. Das Ende kennen wir.

Auch wenn der damalige israelische Präsident Weizmann bereits unter dem Eindruck der ersten rechtsextremistischen Aufzüge im Herzen Berlins gesagt hat, er könne nicht verstehen, dass Juden in Deutschland leben könnten, so geht diese Problematik vor allem uns Deutsche an. Wir sind es uns als Nation schuldig, dafür zu sorgen, dass Kinder jüdischer Bürger in Schulen gehen können, die nicht durch Mauer und Stacheldraht geschützt werden müssen. Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass Synagogen nicht durch Polizeischutz und Anschläge, sondern als Bestandteil unserer nationalen Kultur im öffentlichen Bewusstsein verhaftet sind. Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn wir uns freuen müssen, dass wir unter Aufbietung aller Kräfte widerwärtige Angriffe auf unsere Würde als Volk und Nation für eine gewisse Zeit verhindern konnten. Erst wenn es selbstverständlich geworden ist, Synagogen ebenso wenig wie christliche Kirchen schützen zu müssen, haben wir einen Zustand erreicht, der eigentlich selbstverständlich sein sollte.

[Beifall bei der CDU Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Für die Jüdische Gemeinde ist es unstrittig, dass die Schutzmaßnahmen für Menschen Vorrang vor denen an Gebäuden haben müssen. Dieser abgestufte Schutz ist daher geübte und bewährte Praxis. Er trägt der Notwendigkeit Rechnung, Ressourcen optimal einzusetzen; denn wir müssen bei begrenzten Mitteln in Berlin auch für den Schutz anderer gefährdeter Einrichtungen sorgen. Unsere flexiblen Schutzmaßnahmen gelten besonders auch dem Schutz israelischer Einrichtungen, gerade jetzt, wo die angespannte Lage im Nahen Osten bis zu uns nach Berlin strahlt.

Unsere staatlichen Schutzmaßnahmen sind aber solche eines Rechtsstaates und daher ihrem Wesen nach begrenzt. Andreas Nachama hat kürzlich in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass wir kein zweites Stammheim brauchen. Wir können in einem freiheitlichen Land aus jüdischen Einrichtungen keinen Hochsicherheitstrakt machen. Norma Drimmer vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hat vor zwei Tagen in einer Fernsehsendung festgestellt: „Die Sicherheitsmaßnahmen, die wir haben, haben gegriffen.“ Und sie fügte hinzu: „Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz.“

Genau dies müssen wir uns immer dann deutlich machen, der Rechtsstaat ist kein Polizeistaat. Die Freiheit, die wir haben, ist verletzlich. Aber gerade weil wir das wissen, müssen wir das rechtliche, administrative und sicherheitspolitische Potential des Rechtsstaats voll ausschöpfen. Die Berliner Polizei verfolgt seit Jahren und nicht erst seit jüngster Zeit ein erfolgreiches Schutzkonzept, welches dieser Notwendigkeit Rechnung trägt. Hunderte Mitarbeiter schützen Dutzende von Einrichtungen dauerhaft und effektiv; hinzu kommt ein erfolgreiches Raumschutzkonzept. [Wieland (Grüne): Immer, wenn es passiert ist!]

Insgesamt setzt die Berliner Polizei ihre Ressourcen sehr intensiv ein. Gefährdungslagen führen zu einer kurzfristigen Erhöhung der Schutzmaßnahmen. Der Gradmesser für die Bewertung der Schutzmaßnahmen ist, neben ihrem Erfolg, das Urteil der Betrof

fenen, also der Jüdischen Gemeinde. Und das fällt in Berlin durchaus positiv aus, übrigens nicht in allen Bundesländern. Es ist daher Ausdruck einer beachtlichen Biegsamkeit, wenn ausgerechnet aus den Reihen der Opposition Kritik an unseren Schutzmaßnahmen laut wird. Gerade diejenigen, die aus Polizisten Sozialarbeiter ohne Befugnisse und aus Verfassungsschützern Arbeitslose machen wollen, sollten mit ihrer Empörung behutsamer umgehen.

[Beifall bei der CDU]

Denn wie ist aus der Opposition zu hören? Videoüberwachung jüdischer Einrichtungen – nicht mit uns; eine Novellierung des Versammlungsrechts zur Verhinderung rechtsextremer Aufmärsche – Ausverkauf der Demokratie; Verschärfung des Straf- und Strafprozessrechts – keine Repression.

[Wieland (Grüne): Brauchen wir nicht!]

So schallt es uns entgegen, bis der nächste feige Anschlag passiert ist und Rechtsextremisten unsere Demokratie am Pariser Platz, dem ehemaligen Wohnort des Juden Liebermann, erneut verhöhnt haben.

[Frau Dr. Klotz (Grüne): Wo waren Sie denn, wenn wir was dagegen unternommen haben?]

Dann können die Vorwürfe gar nicht laut genug formuliert werden. Dazu kann ich nur sagen: Etwas mehr Redlichkeit

[Beifall bei der CDU und bei den Grünen]

und etwas weniger Verweigerung nutzt unserem gemeinsamen Anliegen mehr als verspätete Empörung.

[Beifall bei der CDU]

Der Rechtsstaat ist verletzlich genug. Wir sollten ihn nicht auf selbstzerstörerische Weise angreifbar machen. Die für die Sicherheit zuständigen Behörden der deutschen Hauptstadt müssen daher in die Lage versetzt werden, alle rechtsstaatlichen Instrumentarien der Verbrechensbekämpfung anzuwenden.

Die Sicherheitsbehörden allein allerdings können das Problem von Antisemitismus, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit nicht in den Griff bekommen. Die Polizei steht am Ende der gesellschaftlichen Handlungskette. Sie wird, ja sie kann erst dann tätig werden, wenn andere versagt haben, wenn der Erziehungsauftrag der Familie missglückt ist, wenn die Schule keinen hinreichenden Einfluss ausüben konnte, wenn Freunde, Verwandte, das Wohnumfeld versagt haben. Unsere Gesellschaft muss sich wieder verstärkt an christlich-jüdischen Worten und Werten orientieren, will sie nicht erleben, dass Intoleranz, Hass und Gewalt in einer Weise selbstverständlich werden, dass ihre Folgen nur noch mit den Mitteln eines Polizeistaats bekämpft oder hingenommen werden müssen. Der Schutz jüdischer Einrichtungen und die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung für alle Bürger ist Aufgabe der gesamten Zivilgesellschaft. Ein Politikbereich allein kann gesamtgesellschaftliche Probleme wie das uns hier beschäftigende Problem des Rechtsextremismus und Antisemitismus nicht lösen. Es ist deshalb stets ein Bündel von Maßnahmen sowie die enge Kooperation der relevanten staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Verbände erforderlich. Der Senat von Berlin hat vor diesem Hintergrund am 12. September das Zehnpunkteprogramm gegen Rechtsextremismus verabschiedet, das alle Senatsverwaltungen und die gesellschaftlichen Verbände dazu auffordert, ihre Maßnahmen zu präzisieren und dadurch eine kontinuierliche Arbeit beizutragen, das gesamtgesellschaftliche Potential von Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus zurückzudrängen und gesellschaftlich zu ächten.

Wir Berliner lassen uns unsere Stadt von Toleranz, Weltoffenheit und Gastfreundschaft nicht durch die Feinde der Freiheit kaputtmachen. Diese Lektion haben wir aus der Geschichte gelernt. Die Bürger Berlins, insbesondere auch die jüdischen Bürger dieser Stadt, können sich darauf verlassen, dass der Senat alles in seiner Macht Stehende tun wird, um alle notwendigen Schutzmaßnahmen auch in Zukunft sicherzustellen, um die Gefahr von Anschlägen zu verringern. Garantien kann ich natürlich nicht geben, da die Möglichkeiten des Rechtsstaats seinem

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Bm Dr. Werthebach

Wesen nach begrenzt sind und auch sein müssen. Absoluten Schutz kann eine freiheitliche Gesellschaft nicht bieten. Die Würde und das Ansehen unserer Nation können durch den Einsatz der Sicherheitsbehörden allein daher nicht geschützt werden. Freiheit ist anstrengend und verpflichtend, aber für jeden Bürger. Nehmen wir uns ein Beispiel an den Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, nicht Rückzug und Resignation, sondern Mut und Entschlossenheit sind das Gebot der Stunde. Hitler darf und wird keine späten Triumphe feiern. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Danke schön, Herr Senator!

Das Wort für die Fraktion der PDS hat nunmehr Frau Martins! – Ich bitte um Entschuldigung. Für die Grünen hat nunmehr Frau Martins das Wort!

[Wieland (Grüne): Ein bisschen Zurückhaltung zur PDS!]

Das wäre Ihnen vor kurzem wahrscheinlich noch nicht passiert, Herr Präsident. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Werthebach, ich glaube, Sie haben die Anfänge der Diskussion überhaupt nicht verfolgt. Sowohl Herr Wieland als auch Frau Seelig haben sehr eindeutig dazu Stellung genommen, wie aus innenpolitischer Sicht mit dem Schutz von jüdischen Einrichtungen umgegangen werden soll. Es ist eine Frechheit, wenn Sie hier einen Popanz aufbauen,

[Kittelmann (CDU): Na, na!]

der nicht vorhanden ist.