Protokoll der Sitzung vom 26.10.2000

Für die PDS-Fraktion hat Herr Dr. Girnus das Wort!

Vielen Dank Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich, Herr Wowereit, freue mich, dass wir heute die Probleme der Berliner Theater und Opern an angemessener Stelle öffentlich inhaltlich beraten. Das ist längst überfällig und dringend notwendig, weil alle Mitglieder dieses Hauses – nicht nur die Experten des Kultur- und Hauptausschusses – ein Recht darauf haben, die tatsächliche Situation und den Stand der Diskussion zu erfahren. Auch die Berlinerinnen und Berliner haben das Recht, informiert zu sein – schließlich sind es ihre Theater, Opernhäuser, Orchester und Ballette. Der Kultursenator kritisierte in der Einleitung seines Strukturpapiers – quasi als Makel der bisherigen Entwicklung –, dass die Kulturpolitik in den letzten Jahren der Finanzpolitik gefolgt sei.

Aber auch das uns jetzt vorliegende Konzept folgt wieder der Finanzpolitik. Zuerst werden die Zahlen aufgelistet und analysiert, dann werden Sparvorgaben bestimmt, eine dazu passende Struktur wird entworfen, schließlich wird ein zu alledem passendes inhaltliches Profil vorgegeben. Hier wird wirklich versucht, das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen. Was so entsteht, kann nicht funktionieren.

Die Analyse, die uns der Senator vorgelegt hat, ist in wesentlichen Punkten richtig. Nun wurde daraus aber ein falscher Lösungsweg entwickelt. Die Ursachen dafür, dass die Bühnenauslastung in Berlin insgesamt nicht ausreichend ist, liegt nicht daran, dass die Orchester zu groß oder das Ballett an der Komischen Oper fehl am Platz ist. Sie liegen unter anderem darin, dass mit dem Fall der Mauer die Förderung der Kultur aus politischen Prestigegründen weggefallen ist, künstlerisch innovative perspektivreiche Ensembles auseinandergegangen sind und Berlin als Kommune die Bedeutung von Kunst und Kultur als erstrangigem Standortfaktor nicht erkannt hat.

[Landowsky (CDU): So ein Quatsch!]

Ja, Herr Landowsky, sonst müssten wir uns jetzt nicht über diese Probleme unterhalten.

Die erste Frage, die das Konzept zur zukünftigen Bühnenstruktur beantworten muss, lautet: Welchen Stellenwert in der politischen Prioritätenliste ist Berlin bereit, der Kultur – nicht nur lauthals und verbal – zu geben? Folglich sollte mit den Betroffenen und mit auswärtigen Experten zuerst über die Profilentwicklung der Berliner Bühnen diskutiert werden, bevor die dazu passende Struktur konstruiert wird. Natürlich kann diese dann auch so aussehen, dass bei strikter Gewährleistung der künstlerischen Autonomie der Häuser zum Beispiel zwei oder auch alle drei Opernhäuser organisatorisch unter einem Verwaltungsdach zusammenarbeiten. Im Verwaltungsbereich – das wissen die Verwaltungsdirektoren am besten – liegen sicher auch noch haushaltswirksame Sparpotentiale. Die Verwaltungsdirektoren wissen aber auch ebenso gut, wo es nichts mehr zu sparen gibt. Entscheidend ist, dass zum Inhalt die passende Form gefunden wird und nicht zur Form der passende Inhalt. Das würde und wird nicht funktionieren. Die nur fadenscheinig begründete Vorgabe, dass für die Staatsoper die vorklassische Oper bis zum frühen Verdi prägend sein soll und an der Deutschen Oper vor allen Dingen Klassik und Moderne gespielt werden soll, wird die Opernhäuser unweigerlich zu Qualitätseinbußen und zur Durchschnittlichkeit führen. Es wird sich nämlich kein Intendant, kein Dirigent, Regisseur und kein Dramaturg finden, der – mit dem Ehrgeiz für Erfolg ausgestattet – sich mit eigenen Visionen und Ideen in ein solches Korsett zwängen lässt. Nach Berlin würden allenfalls noch Leute kommen, die ihren Geldjob tun oder die ihre Berufung nach Berlin als Wartesaal 2. Klasse bis zu einem besseren Angebot akzeptieren.

[Landowsky (CDU): Was reden Sie eigentlich?]

Überhaupt ist der in dem Konzept vorgegebene Personalabbau im künstlerischen Bereich ausgesprochen problematisch. Ich möchte dies am Beispiel der vorgeschlagenen Ballettstruktur und den Personalkürzungen im Orchesterbereich ausführen. Dr. Köllinger, der frühere Ballettdirektor der Komischen

Oper hat uns allen in einem Brief vorgeführt, dass es überflüssig ist, zwei getrennte Ensembles für den klassischen und klassisch modernen Repertoirebereich zu installieren. Jeder klassisch hinreichend trainierte Tänzer bewältigt nahezu alle anderen tänzerischen Ausdrucksbereiche ebenso. Ein Ensemble für Tanzexperimente einzurichten, ist hingegen sinnvoll. Ob es dem BerlinBallett zugeschlagen oder lieber eigenständig installiert werden soll, ist eine gründlich zu bedenkende, jedoch sekundäre Frage.

Für den Kernbereich des Berlin-Balletts bliebe jetzt nach dem Strukturpapier von Herrn Stölzl ein Ensemble von 88 Tänzern übrig, viel zu klein, um 150 bis 200 Ballettvorstellungen pro Spielzeit zu realisieren. Gruppe wie Solisten würden bei diesem Verhältnis von Ensemblestärke und Vorstellungszahl total auf Verschleiß getanzt. Erfahrungsgemäß reduziert sich die Anzahl der tatsächlich zur Verfügung stehenden Kräfte durch Krankheit, Verletzungen, Schwangerschaft und Ähnliches um weitere 15 % bis 20 %. Das wären nur noch 70 bis 75 einsatzfähige Tänzerinnen und Tänzer.

Nach dem vorliegenden Strukturpapier müssten diese 75 Tänzer pro Spielzeit 6 neue Produktionen, 6 neue ganze Ballettabende, erarbeiten. Dazu kämen 150 bis 200 Aufführen, für die ebenfalls immer wieder probiert werden muss. Zu den eigentlichen Ballettvorstellungen kämen noch die Ballettauftritte in den drei Opernhäusern, wozu es übrigens in dem Papier keinerlei Aussagen gibt. Oder sollten diese in die 150 bis 200 Ballettvorstellungen mit eingerechnet worden sein? Dann wäre die ganze Argumentation, die sich auf diese Zahlen stützt, eine reine Mogelpackung. Das Berlin-Ballett hätte dann effektiv höchstens genauso viel reine Ballettvorstellungen wie gegenwärtig das Ballett der Staatsoper. Rang und Bedeutung des Balletts in Berlin würden nicht gestärkt und verbessert, sondern endgültig ruiniert.

Oder nehmen Sie Ihre Kürzungsvorgabe von 77 Stellen im Orchesterbereich von Staats- und Deutscher Oper? Eine Aufteilung der Kürzungsvorgabe haben Sie nicht vorgenommen. Bekanntlich gibt es für Opernaufführungen aber Mindestspielstärken, die in der Komposition und nicht in Tarifverträgen begründet sind.

Herr Zimmermann, der designierte Intendant der Deutschen Oper, hat sich dafür eine Liste gemacht. Ich zitiere daraus:

Im Schnitt liegt die Zahl der Orchestermusiker, auf die Sie zurückgreifen müssen, bei etwa 105 bis 110. Wenn Sie nur 2 x 95 haben – wie es Stölzls Konzept vorsieht –, dann müssen Sie immer irgendwelche Leute hinüber und herüber karren. Das ist eine Idee, die so nicht funktioniert. So sind wir nahe einem Orchesterpool... Die Zahlen sind zu niedrig, wenn man die eigenständige Physiognomien der Orchester erhalten will.

Im Übrigen sagt Herr Zimmermann sehr deutlich: „Ich glaube auch nicht, dass eine Senatsverwaltung festlegen sollte, was jedes Haus zu spielen hat. Dafür gibt es Intendanten.“

Der einzige, der das wohl zu managen vermag, ist Herr Thielemann. Er erklärt seinerseits zwei Tage später: „Es geht zunächst darum herauszufinden, wo die Stücke gespielt werden, um dem Publikum das Beste anzubieten. Dann könnte vielleicht die Staatskapelle in diesem Haus spielen und das Orchester der Deutschen Oper Unter den Linden.“ Allein diese kleine Gegenüberstellung zeigt doch ganz deutlich, warum das jetzt vorgegebene Konzept aus inhaltlichen Gründen nicht funktionieren kann. Denkt man sich die Personen dazu, die es realisieren sollen, Herr Zimmermann und Herr Thielemann sind ja dafür im Gespräch, dann funktioniert es erst recht nicht.

Ein drittes Problem sind die im Strukturpapier vorgesehenen Haustarifverträge. Wir wissen, dass das Tarifgefüge im Theaterund Orchesterbereich eines der kompliziertesten in der Bundesrepublik ist. Wir haben mit unserem Antrag über eine neue Kulturpolitik für Berlin – Drucksache 14/203 – den Senat auch aufgefordert, an der Entwicklung eines theatergerechten einheitlichen und transparenten Tarifsystems mitzuwirken, damit die bestehenden, zum Teil extremen Unterschiede abgebaut werden und damit auf der einen Seite soziale Sicherheit gewährleistet wird, aber auf der anderen Seite auch das Land Berlin vor unge

rechtfertigten hohen Vertragsabschlüssen geschützt ist. Es gibt einen Widerspruch zwischen den Tarifbedingungen der in der Verwaltung und im technischen Bereich als Angestellte und Arbeiter im öffentlichen Dienst Beschäftigten und den Tarifbedingungen der anderen, vor allem künstlerisch tätigen Bühnenangehörigen, der gelöst werden muss.

Die Chance, dass mit der Bildung der Großgewerkschaft ver.di dabei auch unterschiedliche Positionen der bisher am Verhandlungstisch sitzenden Gewerkschaften aufgelöst werden können, ist günstig. Haustarifverträge dagegen, wie sie jetzt vorgesehen sind, komplizieren die Situation weiter, schreiben bestehende Unterschiede und Ungerechtigkeiten fest und führen nicht dazu, dass das Betriebsklima als Stabilitätsfaktor für ein Ensemble gestärkt wird.

Ich komme zum Schluss: Ich habe jetzt nicht von den Rahmenbedingungen gesprochen, in die dieses Konzept eingebettet ist, von der chronischen Unterfinanzierung der Kultur in Berlin, auch nicht von 100 Millionen DM, um die der Kulturplafond in den letzten Jahren abgesenkt worden ist und nicht von den Kultureinrichtungen, die in eben dieser Zeit trotzdem entstanden sind, auf die wir stolz sind, die genannt worden sind, die aber auch auf Dauer finanziert werden müssen.

Ich habe auch nicht davon gesprochen, welche erheblichen Anstrengungen die Opern und Theater bisher unternommen haben.

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluss kommen!

Herr Präsident, ich komme zu meinem letzten Satz: Die Opern und Theater haben damit in der Vergangenheit schon erheblich zu Einsparungen beigetragen. So, wie das Konzept jetzt auf dem Tisch liegt, wird es nicht zur Lösung des Problems führen, sondern die Probleme eher noch verschärfen. Wir wollen über dieses Konzept diskutieren, und wir sind dazu bereit, in der Sache zusammen mit Ihnen eine Lösung zu finden, aber nicht in einem Galoppritt voreilig eine Scheinlösung zu schaffen, die uns nur Probleme serviert. – Vielen Dank!

[Beifall bei der PDS]

Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Lehmann-Brauns – bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wowereit hat mit Recht den Stellenwert und die Strahlkraft der Kultur für diese Stadt hervorgehoben. Die CDU-Fraktion hat, wie Sie wissen, seit Jahren daran mitgewirkt, dass sich diese Überzeugung auch in diesem Parlament und vor allem bei den Haushaltspolitikern festgesetzt hat, und wir freuen uns, dass wir bei einem so wichtigen Haushaltspolitiker wie Klaus Wowereit jetzt damit angekommen sind. Gemeinsam sollten wir aufpassen, dass sich diese Hochachtung vor der Kultur nicht zu folgenlosen Ritualen entwickelt.

[Cramer (Grüne): Allerdings!]

Lassen Sie mich mit einer scheinbaren Banalität beginnen. Die Zeiten für die Kulturpolitik haben sich nämlich drastisch verändert. Konnten wir noch vor einigen Jahren – es ist noch gar nicht so lange her – in beiden Hälften der Stadt überlegen, mit welchen aufwendigen Preziosen wir z. B. die 750-Jahrfeier oder die Kulturstadt Europas fit machen oder ob Hollein oder Wisniewski auf dem Kulturforum baut – eine herrliche Zeit –, so geht es heute um pauschale Minderausgaben und Haushaltskonsolidierung.

[Frau Ströver (Grüne): Das haben selbst Sie gemerkt!]

Zynisch, Frau Ströver, könnte man sagen: Schluss mit lustig!

Die Gesellschaftspolitik – das betrifft nicht nur die Kultur – ist auch in anderen Feldern zur Haushaltspolitik geschrumpft. Aber das betrifft vor allem die Kulturpolitik. Vielleicht positiv daran ist, dass damit das Floskelhafte, Deklamatorische und

Schwärmerische, das oft in solchen Reden steckte, verschwunden ist. Aber negativ ist, dass das vielfältige Kulturangebot der Stadt insgesamt unter einen auch gesellschaftlich relevanten Spardruck geraten ist, und dem kann man nicht entfliehen. Das führt zu Verteilungskämpfen zwischen den Einrichtungen und zu einem Gezerre zwischen öffentlichen Geldgebern – zwischen Bund und Land, zwischen Land und Lotto, zwischen Land und Bezirk –, und der Druck der öffentlichen Meinung verstärkt sich, je größer und dauerhafter die Defizite der Häuser sind.

Das ist ungefähr die Ausgangslage, auf der wir heute Kulturpolitik machen und diskutieren müssen. Vor diesem Hintergrund kann ich es nicht als seriöse Kritik empfinden, wenn die PDS Begriffe wie Nullsummenspiel oder Ruinierung in die Debatte wirft oder der Kulturpolitik vorhält, sie gerate in den Sog der Finanzpolitik. Da ist sie mitten drin, verehrte Kollegen!

[Frau Ströver (Grüne): Ja, eben!]

Was Sie hier beklagen, das ist offenbar nicht bei Ihnen angekommen. Sie haben offenbar noch Bilder einer glücklicherweise vergangenen Zeit im Kopf. Wir sind im Sog der Finanzpolitik.

[Wieland (Grüne): Als Frau Fugmann-Heesing auf der Regierungsbank saß, haben Sie das genauso gesagt!]

Das ist richtig, und wir müssen diese Voraussetzung annehmen, sonst sind wir hier an der falschen Stelle. Denn diese Fundamentalkritik ist noch nicht einmal ehrenwert. Sie ist einfach kontraproduktiv. Ich zitiere Richard von Weizsäcker, der in seinem Artikel in einer Tageszeitung den Sparzwang mit Recht „gebieterisch“ nennt. Daran kann man nicht vorbei. Ich glaube, Frau FugmannHeesing wird sich freuen über solche Sätze.

[Cramer (Grüne): Die hat aber auch noch mehr gesagt! – Wieland (Grüne): Das hat Sie von Ihnen nie gehört!]

Es gibt keine Fluchtmöglichkeit aus dieser gegebenen Situation, und es gibt auch keine völlig glatten Lösungen. Der Senator konnte nicht einfach sagen: „Ich lege da 100 Millionen drauf!“ – Das kann er nicht durchsetzen. Er durfte auch nicht sagen: „Dann schließen wir eben ein oder zwei von diesen Häusern.“ – Das wäre mit meiner Fraktion und der Öffentlichkeit nicht zu machen gewesen. Auch das Prinzip: „Augen zu und abtauchen!“ ging nicht. Das lassen schon die laufenden Defizite nicht zu. Er musste also einen Weg finden, dieses schwierige Problem zu lösen, ohne den Bühnen Gewalt anzutun, und nach Auffassung meiner Fraktion hat er diesen Weg gefunden. Er hat die Richtung vorgegeben, ohne die Diskussion über Einzelheiten abzuwürgen.

Wie sieht dieser Weg aus? – Berlin behält seine drei Opernhäuser. [Dr. Girnus (PDS): Noch!]

Durch eine Verschränkung der Administrationen der beiden großen Bühnen zu einer wird der Verwaltungsaufwand geringer. Die beiden Orchester werden in verkleinerter Form ebenfalls in ihrer Selbständigkeit erhalten. Das Ausmaß der Verkleinerung ist ausdrücklich der Diskussion anheim gegeben. Dagegen werden Chor, Leitung, Verwaltung, Werkstätten und Technikpool zusammengefasst. Soweit ich einzelne Künstler – ich bin kein Fachmann – wie z. B. Christian Thielemann richtig verstanden habe, hat diese maßvolle Reduzierung der Orchester nichts mit der Identität der Klangkörper zu tun.

Drittens: Die Komische Oper bleibt bei verkleinertem Orchester eigenständig. – Und viertens werden die Ballettkompanien der drei Häuser zu einem Berlin-Ballett zusammengelegt.

Natürlich kann man über Einzelheiten streiten und reden. Diese Fraktion schließt sich der Aufforderung des Senators an Sie alle und vor allem an die Beteiligten ausdrücklich an. Machen Sie Vorschläge, allerdings nicht nach diesem billigen Rollenspiel: „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“

[Frau Ströver (Grüne): Das machen wir doch nie!]

„Man kann der Gesellschaft alles aufdrängen, nur nicht, was eine Folge hat.“, lässt Goethe in den „Wahlverwandtschaften“ jemand sagen, und so scheint es mir hier auch zu sein. Genau darauf läuft der Fundamentalismus vor allem der PDS hinaus. Wir

erwarten hingegen realistische Konzepte und nicht dieses Dauergejammer. Es liegt auch kein Konzept vor, wenn die Opposition den Eingriff in die künstlerische Autonomie der drei Häuser an die Wand malt. Offenbar hat sie weder die vorangegangenen Diskussionen noch das Reformpapier richtig verstanden.