Das wissen Sie. Dann finde ich es um so unerfreulicher, dass Sie offenbar immer noch hinter diesem Antrag stehen. – Bersarins Programm in Berlin war programmiert von Walter Ulbricht. Und wenn Sie konsequent wären, müssten Sie heute auch noch die Ehrenbürgerschaft für Walter Ulbricht beantragen, meine Damen und Herren!
Meine Fraktion wiederholt es: Uns sind die Menschen näher, die nicht im Dienst einer Diktatur, sondern gegen diese Diktatur gekämpft haben.
Pristawkin und auch noch einmal die russischen Panzersoldaten, die ihre Weigerung, auf die protestierenden Arbeiter am 17. Juni 1953 zu schießen, mit ihrem Leben bezahlen mussten.
Ich hätte es begrüßt, wenn wir in Erinnerung dieser Männer einen gemeinsamen Antrag formuliert hätten, anstatt uns mit einer Person zu befassen, deren Charakterbild in der Geschichte immer noch schwankt.
Die Person Bersarin bleibt umstritten, wobei ich gar nicht behaupten will, dass wir letztlich absolut Recht behalten werden. Aber die Person bleibt umstritten, und das spricht dagegen, ihm nachträglich zur Ehrenbürgerwürde zu verhelfen. Das ist ein Novum und ein Unding.
Gleichwohl hat die Stadt dem Andenken Bersarins einen Platz gewidmet. Darüber hinaus kann man im Museum in Karlshorst seine Geschichte verfolgen. Übrigens ist dieses Museum in Karlshorst besonders dafür wichtig, dass es – das ist wohl fast einmalig in den Ländern Mittel- und Osteuropas – eine Einrichtung ist, dessen Trägerverein nicht nur aus Berlinern und Deutschen, sondern eben auch aus Russen und Ukrainern besteht. Das heißt, wir gehen da wirklich mit der erforderlichen Objektivität heran, um uns nicht dem Vorwurf der Eindimensionalität auszusetzen. Nun noch zusätzlich eine Ehrenbürgerschaft für Bersarin zu stipulieren, das wäre ein Übermaß und des Guten zuviel.
Ich möchte noch meinen Kontakt während unserer Moskaureise mit Herrn Maximitschew erwähnen, ein Kontakt, den er gesucht hat. Wir haben über die Frage der Ehrenbürgerschaft für Bersarin gesprochen. Er hat mir in der Tat seine Besorgnis darüber ausgedrückt, dass eine Ablehnung dieser Verleihung einen Schatten auf das deutsch-russische Verhältnis werfen könnte.
Nein, danke! Ich bin mit meiner Rede gleich am Ende. – Ich habe betont, dass der CDUFraktion, der gesamten Union – für die ich eigentlich gar nicht sprechen kann, aber ich habe so getan, als ob – nichts ferner läge, als einen solchen Schatten auf das Verhältnis zu werfen. Ich habe mich als jemand geoutet, dem die russische Geschichte und Kultur genau so nah und eng am Herzen liegt wie die deutsche. interjection: [Frau Dr. Klotz (Grüne): Haben Sie denn keine Leitkultur?]
Ich war auch derjenige, der angeregt hat, dass der Kulturausschuss nach Moskau und nicht nach Paris oder sonstwohin fährt. Das heißt, ich habe ihm klar gemacht, dass bei uns keinesfalls irgendein antirussischer Affekt hinter unserer Haltung steht.
Aber – und ich hoffe, dass Sie mit der Zeit auch dahinter kommen – wir werden immer zwischen der Sowjetunion und Russland differenzieren, zwischen Diktatur und Demokratie. Aus dieser differenzierenden Haltung bitten wir um Verständnis, dass wir dem Mehrheitsbeschluss des Senats zustimmen. – Danke!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lehmann- Brauns! Auch heute konnten Sie leider wieder in Ihrer Rede nicht zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden.
Auch heute nehmen Sie Bersarin in Verantwortung als Bürger der Sowjetunion und nicht als persönlichen Menschen. Das ist der Verweis auf eine Kollektivschuld, die Sie im anderen Zusammenhang zu Recht ablehnen. Bitte messen Sie alle Menschen mit gleichem Maß!
Sie verweisen dann weiter auf die umfangreichen Artikel in der „Berliner Zeitung“. Aber es gab dazu noch weitere Artikel. Ich weiß, dass Herr Staadt nur die Dokumente untersucht hat, dass er keine Zeitzeugen befragt hat. Zeitzeugen sind aber wichtig, weil man aus Dokumenten allein die konkrete Haltung von Menschen nicht ableiten kann. Er hatte keine Kenntnisse über die Debatte in diesem Abgeordnetenhaus, die seit Jahren um die Person Bersarin geführt wird, er hat sie schlicht ignoriert. Er ist in
der „Berliner Zeitung“ in den wesentlichen Aussagen, die Sie heute wieder mit der Gleichsetzung von Ulbricht und Bersarin gebracht haben, von Peter Jahn widerlegt worden. Auch dazu haben Sie kein einziges Wort verloren.
Es ist unbestreitbar, dass sich Bersarin um Berlin verdient gemacht hat. Es ist unbestreitbar, dass er Übertretungen der sowjetischen Soldaten verfolgt und geahndet hat. Das ist das Verdienst von Nikolai Bersarin, und deshalb stellen wir diesen Antrag. [Beifall bei den Grünen und der PDS – Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Natürlich sind Persönlichkeiten umstritten, in diesem Jahrhundert voller Brüche, darauf hatte ich in den letzten Debatten immer wieder hingewiesen. Wir haben den Ehrenbürger Michail Gorbatschow. Natürlich ist auch er eine umstrittene Persönlichkeit. Aber dennoch ist er zu Recht Ehrenbürger von Berlin. Auch Paul von Hindenburg ist eine umstrittene Persönlichkeit, und ich finde nicht, dass er zu Recht Ehrenbürger von Berlin ist.
Heute geht es geht es aber nicht mehr in erster Linie um die Person Bersarin – da kann ich auf die Plenar- und Ausschussprotokolle verweisen –, sondern darum, wie der Senat mit Parlamentsbeschlüssen umgeht. Heute geht es darum, wie sich das Verfassungsorgan Senat mit dem Verfassungsorgan Abgeordnetenhaus auseinandersetzt. Das ist die zentrale Frage. Es geht um die Rechte der ersten Gewalt, die mit Ihrer Mitteilung – zur Kenntnisnahme –, Herr Regierender Bürgermeister, von Ihnen mit Füßen getreten wird. Das können wir nicht dulden!
Dabei strotzt diese Mitteilung auch vor Unzulänglichkeiten und Widersprüchen, die mit der Realität und der herrschenden Gesetzeslage überhaupt nichts zu tun haben. Im ersten Absatz heißt es:
Nach Herstellung der Einheit Berlins hat der Senat beschlossen, die in den beiden früheren Teilen der Stadt entstandenen unterschiedlichen Ehrenbürgerlisten zu einer Gesamtberliner Ehrenbürgerliste zusammenzufassen. Die Liste der Ehrenbürger sollte außerdem nach dem Datum der Verleihung der Ehrenbürgerwürde neu gefasst werden.
Schaut man sich die Liste an, so sind die 7 Personen der DDRListe, die nicht gestrichen wurden, zeitlich nach ihrem Verleihungsdatum eingereiht worden. Nr. 80 ist zum Beispiel Heinrich Zille, Nr. 89 Anna Seghers, Nr. 97 Wieland Herzfelde, vor Heinz Galinski und nach John McCloy. Die Ehrenbürger Nrn. 59 bis 63 fehlen mit dem Hinweis, dass sie auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 16.12.1948 aus der Liste der Ehrenbürger gestrichen wurden – Hitler, Göring, Goebbels und Frick. Das ist nachvollziehbar, und ich finde es auch richtig, dass die Nummern der einstigen Nazi-Größen frei bleiben und die Geschichte hier nicht entsorgt wird.
Auffällig ist aber die „Nr. 58: Paul von Beneckendorff und von Hindenburg (1933)“, die einzige Ehrenbürgerwürde ohne konkretes und korrektes Datum. Wäre ihm die Ehrenbürgerwürde vor Hitlers Machtergreifung am 30. 1. 1933 verliehen worden, das Datum wäre sicherlich vollständig. Es liegt die Vermutung nahe, dass Hindenburg der einzige Politiker in der Liste ist, der seine Ehrenbürgerwürde Adolf Hitler zu verdanken hat. Schließlich hat er ihn auch zum Reichskanzler ernannt. Wenn Sie die Liste verfassen wollen, dann müsste Paul von Hindenburg der erste sein, der gestrichen wird.
Aber auch andere Dinge sind nicht korrekt. Im Kulturausschuss hat Staatssekretär Kähne ausgeführt, dass Ehrenbürger im Einvernehmen zwischen Senat und Abgeordnetenhaus ernannt werden. Das Abgeordnetenhaus hat der Streichung aber bis heute nicht zustimmen können, weil es gar nicht befragt
wurde. Der Hinweis, dass die Parlamentspräsidentin ihr Einverständnis erklärt hat, ist kein Ersatz – es sei denn, man halte monarchische Strukturen für moderne Demokratie.
Der letzte Satz: „Eine Ehrung eines Verstorbenen ist nicht möglich.“ überzeugt ebenfalls nicht. Otto Nagel und Heinrich Zille wurden beide posthum Ehrenbürger von Berlin – wie auch Nikolai Bersarin. Die ersten beiden bleiben Ehrenbürger, Nikolai Bersarin werde gestrichen.
Nicht nur Berlin, auch andere Städte haben Probleme mit ihren Ehrenbürgern. In Jena zum Beispiel ging der Streit um Jussuf Ibrahim, ein Medizinprofessor, der eine Kriegsauszeichnung des Dritten Reichs ebenso erhielt wie den Verdienstorden der DDR. Als Ikone in Jena verehrter Kinderarzt, war er nachweislich und unbestreitbar in Euthanasiefälle verwickelt, hat also Leben und Töten freigegeben und über „wertes oder unwertes Leben“ entschieden. Trotzdem bleibt Jussuf Ibrahim Ehrenbürger von Jena.
Nikolai Bersarin hingegen, der sich um die Stadt Berlin verdient gemacht hat, soll von der Liste ihrer Ehrenbürger gestrichen werden. Im Gegensatz zu Jussuf sind Bersarins Verdienste unbestritten. Unbestritten ist aber auch seine kommunistische Vita. Sollte die, Herr Lehmann-Brauns, allerdings zur Messlatte werden, müsste die Bewunderung für Ernst Reuter oder Michail Gorbatschow noch einmal überdacht werden. Nicht wegen der inhaltlichen, auch wegen der besagten Formfehler ist es notwendig, dass der Senat die Streichung Nikolai Bersarins aus der Liste der Ehrenbürger zurücknimmt und dem Beschluss des Abgeordnetenhauses vom 13. Juli dieses Jahres folgt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lehmann-Brauns! Weder russophile noch russophobe Einstellungen sollten uns grundsätzlich bei allen politischen Entscheidungen im Abgeordnetenhaus leiten, sondern hier sollten uns die Frage der historischen Wahrheit, die Frage nach der Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte und auch die Frage, wie differenziert wir in der Lage sind, den Osten zu sehen, leiten.
Natürlich war ein anderes Vorgehen gegen ein besiegtes Volk möglich. Wir haben es auch erfahren in diesem Land. Insofern sind die Erinnerungen an die Nachkriegszeit sehr differenziert und in der Tat nicht unbedingt positiv. Wir hatten großes Glück mit diesem Mann. Die Geschichtsforscher sagen uns, ein anderer Mann sei im Gespräch gewesen für diese Stadt, er wäre möglicherweise ein Racheengel gewesen und nicht derjenige, der sich für die besiegten Deutschen eingesetzt hat und an den Rand seiner politischen rechtlichen Möglichkeiten gegangen ist. Dass Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen und können, verwundert schon einigermaßen.