Protokoll der Sitzung vom 16.11.2000

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Wansner (CDU): Eine sehr gute Rede!]

Für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Dr. Lehmann-Brauns das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zyniker oder Ignoranten könnten sagen: Ihr seid mir ja feine Politiker!

[Ach! und Äh! von der PDS und den Grünen]

Erst ruft ihr 20 Jahre lang: Die Mauer muss weg!, und jetzt seid ihr dafür, dass der Wachturm stehen bleibt. Jetzt, zu einer Zeit, da die Stadt befreit ist von dieser Mauer, jetzt kommt ihr und macht euch stark dafür, dass der Wachturm bleibt. –

[Weinschütz (Grüne): Wir sind geschichtsbewusst!]

Aber ich glaube, es gibt grundsätzliche Erwägungen, die dafür sprechen, dass wir, möglichst gemeinsam, dafür kämpfen, dass der Wachturm da verbleibt, wo er steht.

[Beifall bei der CDU und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich will zwei Gründe nennen: Jeder Platz lebt von seinem Mythos. Der Mythos seines Platzes ist seine Geschichte, und diese Geschichte wollen wir nicht verdrängen und nicht verrükken. Diese Geschichte sagt, dass dieser Platz vor 11 Jahren ein freies Schussfeld war, ein Schussfeld mit Hundelaufgraben, mit bewaffneten Motorradfahrern, ein Schussfeld, dem der eine oder andere auch zum Opfer fiel. Eine solche Vergangenheit beseitigt man nicht, indem man mit einem Bagger diesen Wachturm entfernt. [Beifall bei der CDU, der SPD und den Grünen]

Ich sage das auch aus einem weiteren Grunde, der vielleicht Ihrer Seite nicht in vollem Umfang gefallen wird: Offenbar brauchen die Deutschen einen Abstand zu ihrer Geschichte von einer oder anderthalb Generationen. Nach Auffassung meiner Partei und meiner Fraktion ist ein großer Teil der politischen Linken jedenfalls dabei, die Vergangenheit der zweiten deutschen Diktatur zu verdrängen oder zu beschönigen.

[Beifall bei der CDU]

Auch das spricht dafür, dass wir die authentischen Reste dieser zweiten Diktatur nicht einfach abräumen, sondern stehen lassen, wo sie sind. Denn nichts transportiert Geschichte so gut wie die authentischen Orte.

[Beifall bei der CDU – Beifall des Abg. Cramer (Grüne)]

Und ich meine auch, dass wir allen Grund haben, dafür zu sorgen, dass dort ein Monument steht, das an die Zeit dieser leblosen militärischen Situation erinnert, die es damals am Potsdamer Platz gab, bevor dann Kollhoff und Jahn sich diesen Platz nahmen und zu pulsierendem Leben erweckten. Ich meine – und ich glaube, ich spreche da auch für meine Partei und für meine Fraktion –, in diese schöne neue Welt gehört auch dieser Wachturm.

[Beifall bei der CDU, der SPD und den Grünen]

Es spricht doch überhaupt nichts dagegen. Wenn man sich die Örtlichkeit ansieht, dann erkennt man, dass der Wachturm auf dem Bürgersteig einer gerade im Entstehen begriffenen Stichstraße zum Bundesrat steht. Der Wachturm hat eine Dimension, wenn Frau Ströver und ich uns zusammenstellen – von dieser Größe etwa, wie eine Litfaßsäule.

[Heiterkeit – Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Nun sagt wahrscheinlich Herr Strieder, falls er uns die Ehre gibt, heute noch ein paar Worte dazu zu sagen, dahin käme die Ausfahrt einer Tiefgarage. Das stimmt nicht! Nach den Zeichnungen, die uns vorliegen, steht der Wachturm klein und bescheiden in der von mir beschriebenen Dimension neben dem potentiellen Ausgang der Tiefgarage. Also, verehrter Herr Strieder, lassen Sie ihn da stehen, wo er ist, dann haben Sie die Zustimmung – ich glaube, einhellig – dieses Parlaments. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU, der SPD und den Grünen]

Für die Fraktion der PDS hat der Abgeordnete Over das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Parteiübergreifend wird es heute als Fehler eingestanden, die DDR-Grenzanlagen fast vollständig beseitigt zu haben, weil es notwendig ist, sie als steinerne Zeitzeugen der Nachwelt zur Verfügung zu stellen. Sie gehören zum Gedächtnis unserer Stadt.

Ich denke, soweit können wir alle der Begründung des Antrags zustimmen.

Ich war doch sehr erstaunt über die Rede von Herrn LehmannBrauns, weil – was nicht alle mitbekommen haben – seit einigen Stunden hinter den Kulissen wieder einmal ein heftiger Streit um einen Änderungsantrag tobt. Da gibt es einen Änderungsantrag der großen Koalition. Herr Lehmann-Brauns führte aber aus, dass er eigentlich die Position der Grünen viel besser findet.

[Widerspruch des Abg. Dr. Lehmann-Brauns (CDU)]

Denn in dem Änderungsantrag der großen Koalition ist in der Eile mal wieder ein kleiner Fehler unterlaufen. Sie wollen den Wachturm im Straßenbild Berlins erhalten. Doch wohl kaum auf dem Olympiagelände oder vor dem Schloss Charlottenburg! Wenn, dann gehört der Wachturm an diese Stelle!

[Zuruf des Abg. Landowsky (CDU) – Goetze (CDU): So ein Dummschwätzer!]

Herr Landowsky, dass Sie an dieser Stelle abfällige Bemerkungen machen und mit der Hand wedeln, das ist ja in Ordnung. Aber dann formulieren Sie einfach einmal treffendere Anträge, dann kommt so etwas nicht vor.

[Zuruf von der CDU: Sie müssen ein bisschen lesen können!]

Herr Abgeordneter, ich möchte Sie kurz unterbrechen. Man hat mir mitgeteilt, dass hinter: „im Straßenbild“ eingefügt werden soll: „dieses Areals“, also: „im Straßenbild dieses Areals zu erhalten“. Ich hatte angenommen, dass Herr Dr. Lehmann-Brauns das in seiner Begründung vorträgt und dann Klarheit geschaffen werden kann. – Dies der Vollständigkeit halber. Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie das Parlament über die derzeitige Antragslage aufgeklärt haben; die ändert sich ja nun minütlich.

In einer Frage muss ich Frau Ströver widersprechen. Es wird nämlich inzwischen gebaut.

[Zuruf der Frau Abg. Ströver (Grüne)]

Sie haben es anders dargestellt; da würde noch geplant. – Aber es ist deutlich: Der Turm kann dort stehen bleiben, wie er dort steht. Ich habe mir das vorhin angeschaut. Er steht auf dem Bürgersteig, er behindert dort niemanden.

[Dr. Steffel (CDU): Sagen Sie doch, ob Sie dafür oder dagegen sind!]

Auch die Frage der Ausfahrt ist jetzt von mehreren Vorrednern deutlich erörtert worden.

Was ich will, ist, dass Sie sich einen Schubs geben und diesem Antrag der Grünen zustimmen, weil er vernünftig ist. Das ist alles, und das ist auch der Sinn der Debatte in diesem Haus.

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Ich muss an dieser Stelle noch einmal aufzeigen: Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren alle verdammt schwer damit getan – das sagte ich bereits in meinen einführenden Bemerkungen –, den Mauerverlauf weiterhin deutlich zu machen. Wir werden auch alle gelernt haben – sei es, weil wir Verwandte oder Gäste durch die Stadt geführt haben –, dass man diesen Mauerverlauf markieren muss, dass er zur Geschichte dieser Stadt gehört. Inzwischen ist, nicht zuletzt auf Grund eines Antrags der PDS-Fraktion in der letzten Legislaturperiode, zumindest die Markierung erfolgt. Sie ist aus meiner Sicht sehr gut gestaltet, sie ist aber viel zu wenig wahrnehmbar. Ich denke, es fehlt hier das nötige Marketing, die Hinweistafeln, damit es auch wahrnehmbar wird.

Auch die Situation an der Eastside Gallery ist zwar besser geworden, nachdem die Sanierung in Gang gekommen ist durch ein großzügiges Sponsoring der Farbenindustrie, aber sie ist eben nicht gesichert.

[Zuruf des Abg. Dr. Steffel (CDU)]

Wir haben erlebt, dass es die künstlerische Gestaltung der Grenzübergänge gab, die in der Friedrichstraße durchaus sehr gut gelungen ist, wo das Grenzhaus der Amerikaner wieder aufgebaut worden ist, aber es gibt auch – nur die wenigsten Mitglieder des Hauses werden wissen, was dort steht – an der Chausseestraße eine Horde hoppelnder Hasen. Dort ist einfach nichts wahrnehmbar. Es ist zwar eine nachvollziehbare Idee, aber ich denke, dass die Stadt Berlin und auch ihr Tourismuspartner hier noch einiges an Hinweisen und Dokumentation hinzufügen muss.

In diesem Zusammenhang, damit die jungen Menschen in der Stadt, die Schülerinnen und Schüler, die Studentinnen und Studenten, aber auch die Gäste dieser Stadt die Geschichte dieser Stadt nachvollziehen können, bitte ich Sie, stimmen Sie mit uns für den Erhalt des Wachturms, stimmen Sie für den GrünenAntrag. – Danke!

[Beifall bei der PDS und den Grünen]

Für die Fraktion der SPD hat das Wort Frau Dr. Neef, bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem uns die PDS zu später Stunde darüber aufgeklärt hat, wie wir zu unserer Geschichte zu stehen haben, wäre dem eigentlich nichts mehr viel hinzuzufügen,

[Beifall bei der PDS]

denn der gemeinsame Nenner beider Anträge ist der Erhalt aller noch wahrnehmbaren Zeichen der Grenze, die diese Stadt jahrzehntelang geteilt und zerschnitten hat, als Zeichen ehemaliger Gewalt gegen jeden, der diese Mauer überwinden wollte. Der hier zur Rede stehende Wachturm ist ein solches Zeichen, ein anschauliches Zeugnis der jüngsten Geschichte, unbedingt zu bewahren für die junge Generation und die Besucher dieser Stadt. Genau dieses fordert unser Änderungsantrag.

[Beifall bei der SPD und der CDU]