Nehmen wir die Standorte für die Bürgerämter. Das Konzept steht und fällt mit der wohnortnahen Versorgung. Es hat keinen Sinn, ein Bürgeramt einfach in ein leerstehendes öffentliches Gebäude in einer einsamen Gegend zu verbannen. Wir werden also auch um Anmietung an zentralen Punkten in der Stadt nicht herumkommen. Doch diese Anmietungen werden zurzeit vom Senat verzögert.
Auch der Hauptausschuss hat sich nicht bereit erklärt, hier wenigstens von Flächenbilanzen abzusehen, die von den Bezirken gerade jetzt gefordert werden, wo sie mitten in den Wirren der Umzüge sind. In Lichtenrade könnte es zum Beispiel losgehen mit der Einrichtung eines Bürgerbüros. Aber seit Anfang Oktober geht es bei einem Schriftwechsel zwischen Bezirk und Senatsinnenverwaltung hin und her, und es passiert nichts. Wir haben jetzt Januar, und die Zeit vergeht. Ich weiß nicht, wie Sie Ihre Vorgabe von 50 Bürgerämtern bis Ende des Jahres auf diese Art und Weise einhalten wollen. So geht das nicht!
Wir müssen den Bezirken die Anmietung erleichtern. Ansonsten wird das nie etwas mit dem Bürgeramt in Ihrer Nähe.
Das Mindeste, das ein Bürgeramt bieten muss, sind bürgerfreundliche Öffnungszeiten. Es sollte abends und auch am Samstag geöffnet sein. Doch was geschieht tatsächlich? – Da gibt die Innenverwaltung 30 Stunden Öffnungszeiten vor, und zwar: montags und dienstags von 8 bis 16 Uhr, mittwochs ist geschlossen, donnerstags von 10 bis 18 Uhr – das ist der übliche, altbekannte Spätsprechtag in der Verwaltung – und freitags von 7.30 bis 13.30 Uhr. Ist das bürgerfreundlich? – Das sind die klassischen abschreckenden Sprechzeiten der Berliner Verwaltung nach dem Motto: „Hoffentlich kommt keiner!“
Da muss sich jeder arbeitende Mensch einen Tag Urlaub nehmen, wenn er ein Bürgeramt aufsuchen möchte. Das kann wohl nicht sein, das gehört dringend geändert. Ich kann Ihnen als Beispiel ein Faltblatt der Stadt Bremen vorlesen, wo die dortigen Bürgerämter mit ihren Öffnungszeiten genannt sind, an denen
auch wir uns orientieren sollten: montags bis freitags von 10 bis 20 Uhr, samstags von 10 bis 16 Uhr. Wie machen die das eigentlich dort?
Wie steht es denn ansonsten mit der „modernen Dienstleistung“ in den neuen Bezirken zum jetzigen Zeitpunkt aus? Herr Gewalt hat gesagt, der Bürger sehe erstmals die Auswirkungen der Fusion. Das stimmt, aber die Auswirkungen sind nicht positiv.
In Schöneberg-Tempelhof gibt es Chaos und Verwirrung bei der Umstellung auf das gemeinsame Telefonnetz. Im neuen Bezirk Mitte gibt es diese Umstellung überhaupt noch nicht. Telefonisch sind Mitte, Tiergarten und Wedding noch immer drei Bezirke. In Pankow gibt es erheblichen Widerstand gegen den neuen Bezirksnamen.
In Charlottenburg-Wilmersdorf und Hohenschönhausen-Lichtenberg – und sicherlich nicht nur da – wussten die Pförtner nur aus der Tageszeitung, wer vom neuen Bezirk wo und wie erreichbar ist. Es gibt auch keine Hinweise in diesen Bezirken an den alten Dienstzimmern, nachdem die Sachbearbeiter umgezogen sind. Es gibt in diesen Rathäusern keine aktualisierten Wegweiser. So irren Bürgerinnen und Bürger hin und her.
Für die Einträge der neuen Bezirke in das amtliche Telefonbuch – vielleicht eine Kleinigkeit, in der Außenwirkung aber groß – gibt es keine gemeinsame Vorgabe. Es wird künftig keine einheitliche Form geben, jeder Bezirk wird seine Ämter mit anderen Namen und in anderer Form dort eintragen lassen. Das erleichtert die Suche sicherlich nicht gerade.
Noch immer ungeklärt ist die wichtige Frage, wie viel Personal und wie viel Geld der Senat nun wirklich an die Bezirke abgibt, damit sie ihre neuen Aufgaben wahrnehmen können.
Was hat die Hauptverwaltung seit 2 Jahren gemacht, seitdem sie weiß, dass bestimmte Aufgaben an die Bezirke gehen? – Ich kann es Ihnen sagen. Sie hat diese Bereiche gezielt vernachlässigt.
Sie hat nichts mehr investiert, nach dem Motto: „Das können dann die Bezirke machen!“ – Ein Beispiel: Das zentrale Fundbüro ist an den Bezirk Tempelhof-Schöneberg übertragen worden. In diese für Bürger wichtige Einrichtung hat erst jetzt das technische Zeitalter Einzug gefunden. Man hat nämlich dort jetzt ein Faxgerät angeschafft.
Es gibt keine Computer, und jetzt will die Innenverwaltung dort auch noch den einzigen vorhandenen Kopierer abziehen. So sieht die Realität aus.
Erfrischend ehrlich ist ein Schreiben der Innenverwaltung an den Verwaltungsreformausschuss. Derartige Inhalte gibt sie leider nicht in ihren Presseerklärungen heraus, aber damit wir alle Bescheid wissen, wie es wirklich steht, lese ich Ihnen das jetzt einmal vor:
Nach unserer derzeitigen Erkenntnis kann eine qualifizierte Einschätzung, ob die neuen Bezirksstrukturen positive Wirkungen haben oder ob Versorgungsdefizite bzw. Nachteile für den Bürger im Zuge der Gebietsreform entstanden sind, erst auf Grund einer erneuten Befragung aller relevanten Behörden und Institutionen erfolgen. Deshalb bitten wir für den zu erstellenden Bericht bis Ende des Jahres um Fristverlängerung.
Wir Grünen waren nicht gegen die Fusion. Wir hatten jedoch eine andere Vorstellung, wie sie durchzuführen sei. Uns ging und geht es nicht lediglich um Gebietsveränderungen.
Und deren Inhalte sind schnell genannt: Aufwertung der Bezirke durch Stärkung der Stellung der gewählten Bezirksverordnetenversammlungen,
der Stellung des Rats der Bürgermeister und durch weitere Aufgabenverlagerungen von der Haupt- an die Bezirksverwaltung, denn noch immer findet Doppelarbeit statt.
Aber das Herzstück einer wirklichen Reform müssen stärkere Beteiligungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger sein. Die Menschen in Berlin sind nicht nur so genannte Kunden der Verwaltung, sie sind Bürger, die ihre Stadt mitgestalten wollen. Wir brauchen die Mitwirkung der Bürger. Wo, wenn nicht vor Ort, soll sie denn stattfinden? – Berlin ist das einzige Bundesland, der einzige Stadtstaat, in dem keine Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene möglich sind. Berliner Gesetze verhindern die Möglichkeit von Bürgerfragestunden, von Rederechten in den Gremien der Bezirke. Die Berliner Bezirke kranken an einem demokratischen Defizit. Das muss dringend behoben werden.
Ich komme gleich zum Ende! – In der schwarz-roten Koalitionsvereinbarung heißt es, dass der Senat dem Parlament bis zur Jahresmitte 2000 einen Bericht über die erweiterte Bürgerbeteiligung vorlegen wird. Der Termin ist seit sieben Monaten abgelaufen. Wo ist der Bericht? – Der Senat hat an diesem Thema überhaupt kein Interesse.
Erst dann, wenn die Verwaltungsdienstleistungen mit denen mithalten können, die wir aus sonstigen Bereichen gewohnt sind, und erst dann, wenn die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger rechtlich garantiert wird, werden von neuen leistungsstarken Bezirken sprechen können.
Vielen Dank, Frau Werner! – Damit haben die Fraktionen ihre Redezeiten erschöpft. Für den Senat hat jetzt Herr Innensenator Dr. Werthebach das Wort. Danach haben die Fraktionen, wenn Bedarf besteht, noch einmal maximal fünf Minuten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sicher ist es eher ein Zufall, dass die heutige Aktuelle Stunde über die Bezirksgebietsreform auf ein für die deutsche Geschichte markantes Datum fällt. Heute vor 300 Jahren war die Geburtsstunde Preußens. Die Länder Berlin und Brandenburg haben in dem heutigen Festakt diesem Ereignis würdig gedacht. Ich persönlich habe die dort gehaltenen Reden als sehr interessant, nützlich und fortbildend gesehen.
Ich hoffe, Sie sind diesen Reden auch wirklich gefolgt, Herr Cramer, denn sonst könnten Sie diesen Zuruf nicht machen! –
Der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. hat sich in Königsberg zum König in Preußen gekrönt. Gleichzeitig ist es Tag der Reichsgründung 1871.
Die Geschichtsmächtigkeit dieser Daten ist selbstverständlich nicht auf die Bezirksreform in Berlin zu übertragen. Dennoch sollte dieser große Tag uns dazu anhalten, Frau Werner, nicht kleinteilig über diese grundlegende Reform zu debattieren,
zumal sie in eine umfassende Modernisierung der gesamten öffentlichen Verwaltung Berlins eingebettet ist, die nicht einmal vor diesem Parlament Halt gemacht hat.