Für uns ist es nach wie vor rechtlich bedenklich, den Behörden und Einrichtungen des Landes Berlin die Entscheidung darüber selbst zu belassen, in welchem Umfang sie das Benachteiligungsverbot umsetzen und wie sie sich an diesen Forderungen beteiligen. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Bestimmungen des Gesetzes zu Artikel 11 der Verfassung von Berlin nicht einmal in der Verwaltung ausreichend bekannt sind, und wenn sie bekannt sind, dann nur teilweise. Zumindest ist nicht im Bewusstsein verankert, dass dieses Gesetz auch auszuführen ist. Dies zeigt sich beispielsweise auch beim Erstellen von Formularen und Schriftstücken. So gibt es beim Landesschulamt wirklich diskriminierende Briefbausteine. Es gab schon vielfach Beschwerden darüber.
Frau Abgeordnete! Ich möchte noch einmal den Hinweis von vorhin wiederholen: Es ist nicht angebracht, mit dem Rücken zur Rednerin zu sprechen!
Danke schön! – Das Gesetz schuf die Funktion des Landesbehindertenbeauftragten. Es ist aber zu hoffen, dass nunmehr endlich gesichert wird, dass bei allen Gesetzes- und Verordnungsvorhaben er auch rechtzeitig beteiligt wird und endlich geklärt ist, was unter der Formulierung des § 5 Abs. 3 – unter „sonstigen wichtigen Vorhaben“ – zu verstehen ist. Gehörte dazu beispielsweise der vorgelegte Bericht zur Situation von Menschen mit Behinderungen? Zumindest ist dieser Bericht nicht bei Herrn Marquard vorbeigekommen, soweit uns bekannt ist.
Die Senatsverwaltung hat sich, wie zu erwarten war, mit dem ebenfalls im Gesetz geforderten Bericht über Verstöße gegen die Regelung zur Gleichstellung behinderter Menschen sehr schwer getan. Frau Schöttler hat darauf hingewiesen, dass der Behindertenbeauftragte diesen Bericht erstellt hat. Dies war im Februar. Die Abstimmung mit den Senatsverwaltungen dauert bis heute an; der Verstößebericht liegt noch nicht vor. Wir bedanken uns aber trotzdem bei all denjenigen, die an diesem Bericht gearbeitet haben. Man muss ihn benutzen, um etwas zu verändern.
Zu der Thematik der Bezirksbehindertenbeauftragten, die im § 7 geregelt sein soll, haben wir ebenfalls kritisch anzumerken, dass die schon von Beginn an schwammige Formulierung tatsächlich auch dazu führt, dass in den Bezirken gehandelt wird, wie es jedem – meistens nach Finanzlage – wichtig erscheint. Wir kritisieren dies sehr und erinnern an unsere Forderungen, diese Funktion hauptamtlich und nicht ehrenamtlich einzusetzen, wie es in einigen Bezirken der Fall ist, und überhaupt Regelungen zu finden. Wir bedauern sehr, dass es dem Senat im Vorfeld der Fusion nicht gelungen ist, in diesem Zusammenhang auch die Funktion der Bezirksbehindertenbeauftragten rechtlich eindeutig festzulegen. Es ist unredlich, die Verantwortung den Bezirken zuzuschieben, weil ihnen das Hemd näher als der Rock ist. Dabei zieht die Behindertenarbeit oft den Kürzeren.
Wir betrachten es regelrecht als Schande, dass darüber gestritten wird, wie diese Beauftragten zu bezahlen sind. Auch das müsste eindeutig geregelt werden. Jeder, der sich ein wenig mit der Problematik auskennt, weiß, dass sie, volkswirtschaftlich betrachtet, das Geld vielfach wieder einbringen. Wir haben uns wirklich bei der sehr engagierten Arbeit der Bezirksbehindertenbeauftragten zu bedanken, die in den vergangenen Jahren schon intensiv gearbeitet haben!
Jetzt möchte ich auf einige Probleme aus dem Bereich der Hörbehinderungen eingehen. Die notwendigen Regelungen zur Anerkennung und Umsetzung der Gebärdensprache als gleichberechtigte Kommunikationsform zur deutschen Sprache wurde bereits durch immer weiter nach hinten verschobene Termine im Gesetzgebungsprozess verzögert. Nun soll erneut die Einführung des Studienganges Gebärdendolmetscher aus Kostengründen um ein Jahr hinausgezögert werden. Ich habe jetzt mit
Freude vernommen, dass im Jahr 2005 die erste Ausbildungsrunde abgeschlossen sein soll. Ich hoffe es sehr. Wenn ab dem Jahr 2005 ein Anspruch auf Unterricht in Gebärdensprache bestehen soll, müssen natürlich zunächst einmal die entsprechenden Lehrer zur Verfügung stehen. Alles andere wäre indiskutabel.
Wir betrachten es auch als ein Armutszeugnis, dass es der SFB bislang nicht geschafft hat, mindestens eine Stunde täglich mindestens eine Nachrichtensendung so auszugestalten, dass sie auch für gehörlose Menschen wahrzunehmen ist.
Vielleicht ist die angekündigte Regelung über Verkehrsverhältnisse schon etwas. Gehörlose Menschen sind aber auch politisch und kommunalpolitisch interessierte Menschen. Auch die anderen Informationen sollten zumindest in Kurzform täglich zugänglich gemacht werden. Der SFB hatte dies bislang mit der Begründung abgelehnt, dass die Akzeptanz durch das allgemeine Publikum nicht gegeben wäre. Das betrachten wir als einen Skandal. Es ist eine weitere Diskriminierung!
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich der Senat bei allen guten Vorsätzen mit den Belangen hörbehinderter Menschen schwer tut. Ich erinnere an einen Fauxpas, der bei der Plakataktion anlässlich des internationalen Frauentages 2001 unter dem Titel „Frauen bewegen Berlin“ geschehen war. Dort war zur Freude des Schwerhörigenverbandes die von ihnen vorgeschlagene Begründerin ihres Vereins, Frau Margarete von Witzleben, auch auf dem Plakat abgebildet. Allerdings wurde sie dort falsch bezeichnet. Frau von Witzleben war vor 100 Jahren die Gründerin der Schwerhörigenselbsthilfe und nicht – wie dargestellt – der Selbsthilfegruppen und des Verbandes der Gehörlosen. Diese entstanden bereits 52 Jahre früher.
Auch ein Beispiel für den Grundfehler des Gesetzes ist, die Forderung der Schwerhörigen, die Formulierung „jeder Hörbehinderte hat das Recht auf die ihm gemäße Kommunikationsform“ aufzunehmen, nicht in das Gesetz hineinzuschreiben. Im Übrigen wurden die Plakate später nicht korrigiert. Sie waren bereits gedruckt und ausgehängt; Geld war nicht vorhanden.
Sie hätten sie auch einstampfen können, es war ein Kardinalfehler enthalten. – Apropos Geld: Anlässlich des europäischen Protesttages behinderter Menschen haben Berliner Interessenvertreter ein Quiz veranstaltet. Eine Frage lautete – das „Blaue Kamel“ hatte einen witzigen Einfall: „Wie viele Jahre müsste Herr Landowsky in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten, um einen Jahresbetrag seines Ruhestandsgehaltes zu verdienen?“ Es gab drei Antwortmöglichkeiten: „25 Jahre, 100 Jahre oder 250 Jahre?“
Ich verkneife mir die Antwort. Denken Sie einmal darüber nach, bevor Haushaltsrisiken und leere Kassen wieder ins Feld gebracht werden, um Belange behinderter Menschen abzuwehren! [Beifall bei der PDS und den Grünen]
Ich möchte auf ein weiteres Problem eingehen. Wir befinden und in dem von der UNO ausgerufenen internationalen Jahr der Freiwilligen. Ohne ehrenamtliche Arbeit ist auch die Behindertenhilfe und Selbsthilfe undenkbar. Menschen mit Behinderungen haben zahlreiche Ehrenämter übernommen. Wenn sie dabei allerdings auf Assistenz angewiesen sind, beispielsweise aus Blindheit, Hör- oder Mobilitätsbehinderungen, haben sie schlechte Karten. Diese Tätigkeit wird nicht als Arbeit anerkannt, also werden auch keine Mittel beispielsweise durch die Hauptfürsorgestelle zur Verfügung gestellt. Hier gibt es eindeutigen Handlungsbedarf. Dies wäre auch ganz im Sinn des § 8 des Gesetzes, der Stärkung des Zusammenlebens von Menschen mit und ohne Behinderungen.
Handlungsbedarf gibt es aber auch hinsichtlich der Bewilligung und Bereitstellung von notwendigen Hilfsmitteln für den Arbeitsbereich behinderter Menschen. Diese Hilfsmittel können erst bei der Hauptfürsorgestelle beantragt werden, wenn der behinderte Mensch eine Arbeitsstelle bekommen hat. Dies ist aber meist verknüpft mit einer Probezeit. Oft ist die Probezeit aber bereits abgelaufen, bevor die Bewilligung der Hilfsmittel vorliegt. Somit können die Behinderten oft gar nicht ihre volle Arbeitsleistung unter Beweis stellen. Auch das ist eine Form der Benachteiligung. Keiner kann erklären, warum die Bearbeitungszeit dieser Landesbehörde in der Regel ein halbes oder gar ein dreiviertel Jahr beträgt. Da auf wundersame Weise die Anträge nach Prüfung meistens bewilligt werden, kann es auch eine Einsparmaßnahme sein.
Die Behauptung des Senats, dass Berlin bundesweit das behindertenfreundlichste Baurecht hat, lässt erkennen, dass wenige Sonnenstrahlen – heute ist auch schönes Wetter – schon ausreichen, um die Welt durch eine rosarote Brille zu betrachten. Es pfeifen buchstäblich die Berliner Spatzen von den Dächern dieser Stadt, dass Fachleute gerade in Berlin immer wieder beklagen, dass viele Vorschriften des Landes Berlin diesbezüglich nicht mehr auf dem neuesten Stand des Baugeschehens seien. Notwendige Umplanungen oder sogar Umbauten haben schon zusätzliche Kosten in Millionenhöhe verursacht.
Auch die Leitlinien – ich habe leider nicht mehr die Zeit, darauf ausführlich einzugehen – sind unbedingt zu überarbeiten. Eine Aktualisierung wurde kürzlich im Bauausschuss mit dem Hinweis abgelehnt, es würde alles getan.
Wir hoffen sehr, dass damit nicht auch der Bau der geplanten Sperranlagen an U-Bahnhöfen gemeint ist, denn ich finde es symptomatisch, dass nicht nur die Behindertenverbände, sondern z. B. auch Seniorenvertretungen Sturm laufen gegen die Absicht, diese Anlagen einzurichten. Ich denke, hier gibt es die Möglichkeit zu einer echten Einsparmaßnahme. Hier soll etwas gemacht werden, was viel Geld kostet und nicht gewollt wird. Warum hört man nicht auf die Betroffenen?
Einen Komplex möchte ich noch ansprechen: Aus unserer Sicht ist es nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung, sondern eine Investition in die Zukunft, wenn Menschen mit Handikaps gut ausgebildet werden, um bessere Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben zu erlangen. Nach dem Landesgleichberechtigungsgesetz besteht zwar das Elternwahlrecht zwischen der gemeinsamen Erziehung an einer Regelschule und der Erziehung an einer Sonderschule. Das Recht auf gemeinsame Erziehung und Unterricht in der Grundschule und Sekundarstufe I wird jedoch durch den generellen Finanzvorbehalt praktisch wieder aufgehoben.
Der Entwurf des neuen Schulgesetzes stellt in Bezug auf die gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Schülerinnen und Schülern einen weiteren Rückschritt dar. Der Verweis auf „die schutzwürdigen Belange der Schülerinnen und Schüler ohne sonderpädagogischen Förderbedarf“ ist ein Beweis dafür – –
Ich komme zum Schluss. – Dieser Hinweis ist ein Beweis dafür, wie weit wir noch von einem Paradigmenwechsel in positiver Richtung entfernt sind. Dass auch dieser Entwurf ohne Kenntnis des Landesbehindertenbeauftragten veröffentlicht wurde, passt dabei wohl in das Bild.
Wir schließen uns den Forderungen der Verantwortlichen an: Aufhebung des Haushaltsvorbehaltes, Genehmigung aller von den Schulen beantragten Integrationsklassen, Absicherung der angemessenen Ausstattung der Schulen für eine gemeinsame Erziehung, Sicherstellung des Anspruchs auf die Fortsetzung der gemeinsamen Erziehung in der Sekundarstufe I durch die Verpflichtung aller Oberschulen!
Für heute! Danke! – Die Beratungen für den Nachtragshaushalt und erst recht die Haushaltsdebatte für das Jahr 2002 werden beweisen, wie ernst die Absichten zu nehmen sind, und wir hoffen sehr, dass die Kürzungen in diesen Bereichen nicht die Arbeit lähmen, sondern dass dieses Gesetz, das mit gutem Willen gemacht worden ist, dann auch in der Wirklichkeit zum Zuge kommt. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Der europäische Protesttag behinderter Menschen am 5. Mai, dieser besondere Tag, ist Anlass für die Beratung einer Großen Anfrage – und auch aus diesem Grunde noch vor der Aktuellen Stunde. Wir finden es allerdings ein bisschen bedauerlich, Frau Herrmann, dass Sie das gemeinsame Anliegen benutzt haben, um sich als Initiatorin herauszustellen.
Die Große Anfrage betrifft die Auswirkungen eines Gesetzes, das die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit einem Handikap in allen Bereichen des Lebens sichern und sie vor Benachteiligung und Diskriminierung schützen soll. Nehmen wir dies aber wirklich ernst, dann wird für mich deutlich, wie zweischneidig die Sache ist, herausgehoben vom Alltagsgeschäft einen speziellen Tag zum Anlass dieser aktuellen politischen Debatte zu nehmen. Wenn die gleichberechtigte Teilhabe am Leben Selbstverständlichkeit wäre, wäre aus meiner Sicht dieser besondere Tag vollkommen überflüssig.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Es ist wirklich wichtig, dass wir uns intensiv einem Politikfeld widmen, das die alltäglichen Lebensumstände von etwa einer halben Million unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger betrifft. Aber aktuell sind ihre Probleme an 365 Tagen im Jahr, und sie sollten in unserer Arbeit ständig präsent sein.
Die Darlegungen von Frau Senatorin Schöttler haben die gesamte Bandbreite der Problematik sichtbar gemacht. Sie reicht von der Erziehung und Ausbildung bis hin zu den Hochschulen, über die Teilnahme am Arbeitsleben und die Mobilität für behinderte Menschen bis hin zu juristischen Fragen und zur Rehabilitation. Insgesamt kann das Land Berlin im Rückblick auf die Jahre seit der Wiedervereinigung unserer Stadt auf beachtliche Erfolge zurückblicken. Bewertet man die Politik dieser Jahre, so wird deutlich, dass die bisher bereits erreichte Teilnahme und Mitgestaltung behinderter Menschen an gesellschaftlichen Prozessen und damit die Übernahme sozialer Kompetenzen immer das Ergebnis erfolgreicher Integration und nicht zuletzt von Selbstbestimmung ist.
Die Verabschiedung des Landesgleichberechtigungsgesetzes war ein Meilenstein auf diesem Weg. Erwachsen aus dem kritischen Dialog zwischen den Betroffenen und der Politik, hat es diesen intensiviert, den Blick auf die Probleme geschärft und für viele Bereiche durch das gesetzliche Gebot, Barrieren zu beseitigen und Diskriminierung zu verhindern, vielfach erstmalig überhaupt ein öffentliches Bewusstsein dafür geweckt. Stärker als früher wird deutlich, dass die Verwirklichung der Chancengleichheit in der täglichen Praxis ein langwieriger Prozess ist – ein Weg, auf dem es noch viele Hindernisse zu beseitigen gilt.