Aber jetzt kommt es: Ich frage einige Abgeordnete dieses Hauses: Wie können Sie gerichtlich bestätigte Verbote, die eine deutliche Verringerung der Sach- und Personenschäden ermöglicht haben, als ein Unheil bezeichnen?
Ja, unheilvoll ist das! – Welches Rechtsverständnis wird hier offenbar? Mangelt es Ihnen an Unrechtsbewusstsein? Dabei wäre es gerade dann, wenn der Rechtsstaat durch seine Feinde herausgefordert wird, besonders wichtig – Herr Lorenz, da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu –, die Gemeinsamkeit der Demokraten zu unterstreichen. Welch ein Zeichen wäre es gewesen, wenn das Abgeordnetenhaus hier und heute die völlig sinnlosen Gewalttaten gemeinsam verurteilt hätte?
Die Wirklichkeit sieht indes anders aus. Das, was die Chaoten auf der Straße nicht geschafft haben, gelingt im Nachhinein. Die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates wird erschüttert, indem Randalierer und zu allem bereite Extremisten als Opfer staatlicher Willkür dargestellt werden. Wer auf diese Weise das Gewaltmonopol der Polizei in Frage stellt und Handlungen des Rechtsstaates als „Aggression gegen den wehrlosen Bürger“
umdeutet, bereitet das Klima vor, in dem Extremismus und Gewalt gedeihen. Es ist höchste Zeit, das Thema gesellschaftspolitisch anzupacken.
Schwierige soziale Verhältnisse, Jugendarbeitslosigkeit, mangelnde Perspektiven und ein gestörtes Selbstwertgefühl sind einige der möglichen Ursachen für die Verfestigung der Gewaltbereitschaft in unserer Gesellschaft, vor allem bei jungen Menschen.
Gewalt statt Sprache, Steine statt Worte – dies sind Signale für gefährliche Entwicklungen in den westlichen Industriegesellschaften, die auch am 1. Mai etwa in Zürich und in London offenbar wurden. Hier hat nicht nur der Staat, sondern die gesamte Gesellschaft geradezu die Pflicht, die Ursachen für diese Verhaltensweise vorzugsweise junger Menschen zu untersuchen und zu überprüfen. Die Auflösung gesellschaftlicher Bindungen, der zunehmende Autoritätsverlust ehemals bedeutsamer Institutionen wie Schule und Gesellschaft und Kirche oder die zunehmende Bedeutungslosigkeit der Erfahrungen älterer Menschen in einer sich wandelnden Welt bewirken Orientierungslosigkeit und Verunsicherung.
Die Polizei steht der Gewalt junger Menschen daher als letztes Glied einer Kette gegenüber, weil zuvor bei unserer Jugend vieles schief gegangen ist. Das ist unser eigentliches Problem und nicht die Frage, ob die Anwesenheit vieler Polizisten zum Steinewerfen angeregt hat. Die Aufgabe der Polizei ist es, unsere Bürger zu schützen und Straftäter zu verfolgen. Mehr können und dürfen Sie von ihr nicht erwarten – das ist Herausforderung genug. Ich verspreche daher an dieser Stelle, dass wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln, die uns zu Gebote stehen, den Druck auf die politisch motivierten Gewalttäter, ja Terroristen, so lange erhöhen werden, bis wir sie gestellt haben,
Wie Hannover die „Chaostage“ beseitigt hat, so muss es uns in Berlin auch mit den so genannten revolutionären Maikrawallen gelingen. Die Fahndung nach verbrecherischen Gewalttätern läuft.
Darüber hinaus werden wir auch bemüht sein, die Personen, denen eine Beteiligung an den Krawallen nachgewiesen werden kann, persönlich für die Gesamtschäden zur Verantwortung zu ziehen. [Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Wer einmal auf diese Weise für die entstandenen Schäden in Anspruch genommen wird, der wird am 1. Mai keine Krawalle mehr auslösen und an keinen Krawallen mehr teilnehmen.
Lassen Sie mich noch einmal auf die Veranstaltung der rechtsextremistischen NPD eingehen, die – trotz des von mir ausgesprochenen Verbots zum 1. Mai – nach den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte stattfinden durfte. Sie haben mir heute wieder politisch und taktisch falsche Entscheidungen sowie fehlerhafte Begründungen vorgeworfen. Ich sage nur eines dazu: Hätte ich mein Verbot in Nordrhein-Westfalen ausgesprochen, dann wäre es durch das dortige Oberverwaltungsgericht bestätigt worden.
Das sollten Sie nur einmal zur Kenntnis nehmen. Ich komme gleich noch einmal darauf zu sprechen, Herr Wolf, und will Sie gern darüber unterrichten. – Es besteht also eine uneinheitliche Rechtsprechung bei den Obergerichten, so dass immer wieder
das Bundesverfassungsgericht angerufen wird, um die bestehenden Rechtsfragen zu klären. In Hamburg hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot des Neonaziaufzugs bestätigt, aber in Nordrhein-Westfalen nicht, und in München ist es ebenfalls aufgehoben worden. Aber auch der VGH München hat erklärt, dass das Verbot des NPD-Aufzugs rechtens sei. Hier ist der Gesetzgeber, nämlich der Deutsche Bundestag, gefordert, durch eine Novellierung des Versammlungsgesetzes Klarheit zu schaffen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat bereits einen von mir initiierten Gesetzentwurf eingebracht. – Nach Durchführung der 1. Lesung findet hierzu übrigens in der nächsten Woche, am 16. Mai, eine Anhörung statt.
Schon am kommenden Samstag haben wir erneut eine rechtsextremistische Demonstration in unserer Stadt, die nach der bestehenden Rechtsprechung nicht verboten werden kann. Die Frage lautet daher – ich bitte Sie, diese genau zu beachten: Sind die Demonstrationen der Neonazis bloß eine missliebige Meinung oder ein eklatanter Angriff auf das Gedächtnis unserer Nation, nämlich auf unsere Verfassung? Die Antwort auf diese Frage wird unsere Gesellschaft so lange spalten, bis der Gesetzgeber Klarheit geschaffen hat.
Ich komme noch einmal auf die Bilanz des 1. Mai zurück: Auch wenn ich mir insgesamt einen sehr viel besseren Ablauf gewünscht hätte, muss man – im Vergleich zum letzten Jahr – mit der vorläufigen Bilanz zufrieden sein. Jeder nicht verletzte Bürger oder Polizeibeamte stellt einen Erfolg dar und verbessert die Bilanz. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis! Der erste Schritt auf dem Weg zu einem friedlichen 1. Mai ist getan. Der Rechtsstaat ist abwehrbereit. Das Prinzip Deeskalation durch Anwendung von Recht und Gesetz greift.
Die Polizei wird die Ereignisse vom 30. April und 1. Mai auswerten und für die Zukunft ihre Schlüsse daraus ziehen.
Ich bin gern bereit, am Ende meiner Rede eine Zwischenfrage zu beantworten. Ich bin mir nämlich sicher, dass sich diese Zwischenfrage dann nicht mehr stellen wird.
Das Wichtigste für den Rechtsstaat ist, dass seine Bürger an ihn glauben. Dies setzt ein stabiles Rechtsbewusstsein voraus. Daher waren die Maßnahmen für den 1. Mai 2001 auch deswegen wichtig, um der Bevölkerung zu versichern, dass es nicht nur verboten ist, bei Rot über die Ampel zu gehen, sondern dass es auch verboten ist, durch das Werfen von Pflastersteinen Menschen schwer zu verletzen oder sogar die Tötung billigend in Kauf zu nehmen.
Berlin hat durch die Einheit die große Chance gewonnen, die Zukunft zu gestalten, indem wir die Gegenwart verändern. Früher gehörten besetzte Häuser, illegale Wagenburgen und ritualisierte Krawalle zu den unerfreulichen Begleiterscheinungen der Stadt. Hier mussten Zeichen gesetzt werden, damit den Bürgern dieser Stadt das Gefühl der Ohnmacht und Resignation genommen wird. Das ist uns gelungen, und das werden wir auch fortsetzen. Denn der Rechtstreue ist nicht der Dumme, vielmehr verdient er jede Unterstützung seines Staates. Ich bin mir daher sicher, dass die überwältigende Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner den neuen Weg, den wir beschreiten, mitträgt und unterstützt. Ich appelliere an Sie: Unterstützen auch Sie die Politik, dem Rechtsstaat immer und überall Geltung zu verschaffen.
Die Berlinerinnen und Berliner, aber vor allen Dingen unsere Polizei werden es Ihnen danken, und diesen Dank haben sie wahrlich verdient.
Vielen Dank, Herr Dr. Werthebach, für die Stellungnahme des Senats. – Wir kommen nun zur zweiten Rederunde der Abgeordneten. Es beginnt die Fraktion der CDU. Der Abgeordnete Wansner hat das Wort.
Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Wieland! Als wir vor einem Jahr im Innenausschuss den 1. Mai diskutierten, war ich der Meinung, dass Sie die Problematik des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg verstanden haben. Es war Ihnen – so habe ich es empfunden – peinlich, dort miterlebt zu haben, dass Chaoten, insbesondere am Oranienplatz, die Veranstaltungen dazu benutzten, um Krawalle durchzuführen. Ich glaube, Sie waren damals auch der Meinung, dass es so nicht mehr weitergeht.
Sie haben natürlich zwischenzeitlich ein Problem, denn Sie haben eine Art Koalitionsaussage zu Gunsten der PDS gemacht, und Ihr Problem ist zwischenzeitlich Sie haben damit auch eine Koalitionsaussage zur Gewalt in dieser Stadt gemacht.
Das zeigt, dass Sie für die Politik in dieser Stadt nicht mehr akzeptabel sind. Sie tun mir menschlich leid.
Herr Innensenator Werthebach! Die Bevölkerung in Friedrichshain-Kreuzberg dankt Ihnen ausdrücklich für Ihre mutige und wegweisende Entscheidung, erstmals die seit vielen Jahren als Ausgangspunkt schwerer Krawalle geltende so genannten revolutionäre 1. Mai-Feier und damit den Aufzug linksextremistischer Gewalttäter in diesem Bezirk zu verbieten.