Protokoll der Sitzung vom 14.06.2001

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RBm Diepgen

Für die deutsche Föderalismusdiskussion sei festgehalten: 16 Landeshauptstädte ersetzen noch keine Bundeshauptstadt. Der deutsche Umdenkungsprozess, der mit der Debatte vor zehn Jahren im Bundestag begonnen hatte, ist noch nicht abgeschlossen. „Nur eine Nation, die keine sein will, braucht keine Hauptstadt und keine Solidarität.“ Ich erinnere an diesen Satz von Brigitte Seebacher-Brandt. Das war die Herausforderung, eine Hauptstadt auch zu akzeptieren, mit all dem, was dazugehört.

So segensreich der Umzugsbeschluss 1991 war, so schädlich seine verzögerte Umsetzung. Chancen wurden dadurch verpasst oder kleingeredet. Berlin verfügte bei der Wiedervereinigung noch aus DDR-Zeiten über eine regierungs- und parlamentstaugliche Infrastruktur. Ein Umzug aus dem Stand heraus wäre damals möglich gewesen. Natürlich sind wir Berliner und sicher auch die meisten Menschen in den neuen Bundesländern bis heute froh, dass mit dem historischen Umzugsbeschluss ein kraftvolles Zeichen für die innere Wiedervereinigung gesetzt wurde. Aber manche Entwicklungschancen Berlins wurden durch den zögerlichen Umzug behindert. Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass der Hauptstadtumzug eine logistische Meisterleistung gewesen ist, ein Stück deutsche Wertarbeit im gesetzten Kostenrahmen, allerdings – wie ich eben schon sagte – im verzögerten Zeitrahmen. Für das insgesamt so erfolgreiche Unternehmen sei all jenen, die sich mit ihren öffentlichen Äußerungen, mit ihrem Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag oder auch mit Inititiativen im Deutschen Bundesrat oder mit ihrer Arbeit für Planung und Umsetzung des Umzugs eingesetzt haben, noch einmal hier von dieser Stelle herzlich im Namen der Berlinerinnen und Berliner gedankt.

[Starker Beifall bei der CDU]

Zehn Jahre lang hat die Berliner Koalition aus CDU und SPD den Wiedervereinigungsprozess gestaltet, von Berlin aus, aber keineswegs ausschließlich für unsere Stadt. Damals standen wir wirklich vor einem Neuanfang. Die Leitlinie war, das Zusammenwachsen Berlins zu ermöglichen, zu fördern und zu beschleunigen. Wir wollten eine Einheit in Freiheit ohne Sieger und Besiegte. Und wir haben im Umbruch die Balance wahren wollen.

Deswegen war es so wichtig, dass wir zehn Jahre lang Aufbau Ost vor Ausbau West gesetzt haben,

[Starker Beifall bei der CDU]

dass wir gegen erhebliche Widerstände in Berlin eine Politik der Tarifangleichung, also gleichen Lohn für gleiche Arbeit, verfolgt haben. Und ich erinnere mich noch sehr genau, wie 1990, 1991 – der vor kurzem Koalitionspartner – Herr Momper mit Polemik gegen diese Forderung der Lohnangleichung vorgegangen ist. Ich erinnere mich sehr genau daran, dass sie erst langsam dazu bewegt werden mussten, eine solche Politik der inneren Einheit wirklich zu verfolgen.

[Anhaltender Beifall bei der CDU]

Es war wichtig, dass wir ein einheitliches Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem aufgebaut haben, dass wir Justiz, Polizei und Feuerwehr, dass wir jahrzehntelang getrennte Institutionen möglichst ohne Verwerfungen wieder zusammengeführt haben.

Wir haben auch in großer Einmütigkeit die Beschäftigten des Magistrats in den öffentlichen Dienst Berlins übernommen. Auch das gehörte dazu. [Beifall bei der CDU]

Haushaltspolitisch war dieser Kurs mit erheblichen zusätzlichen Ausgaben verbunden. Ich wundere mich heute, wer so alles dagegen polemisiert, dass wir in der Haushaltsentwicklung Schwierigkeiten haben: weil wir diese Politik der inneren Einheit betrieben haben.

[Anhaltender, starker Beifall bei der CDU]

Wir haben Schulden riskiert, um den sozialen Frieden zu wahren und die innere Einheit zu ermöglichen. Wenn man innerhalb von zehn Jahren die Lasten der Vergangenheit schultern, die Probleme der Gegenwart in den Griff bekommen und die Herausforderungen der Zukunft meistern muss, dann kann man dies nicht nur mit einer Politik des knappen Geldes aus dem Lehrbuch der Haushaltswirtschaft schaffen. Das ist die Wirklichkeit der Berliner Entwicklung. [Beifall bei der CDU]

Es war eine bewusste Entscheidung übrigens der gesamten Koalition in all den Jahren, die Sanierung der Infrastruktur der Stadt, die teils seit 100, teils seit 50 Jahren nicht mehr in Angriff genommen worden war, in den neunziger Jahren anzupacken. Niemand, Frau Kollegin Schöttler, in diesem Haus will wohl in Zweifel stellen, dass es auch sinnvoll war, bei den Aufbauarbeiten, bei der Stadtentwicklung Leitlinien zum Ausbau Berlins zu einer behindertengerechten Metropole mit zu berücksichtigen. Niemand will das wohl, auch wenn das zusätzliches Geld gekostet hat.

Bei nahezu allen Entscheidungen mit finanziellen Auswirkungen stand der Senat immer im Spannungsfeld zwischen den Fragen: Was können wir uns finanziell leisten? Und was müssen wir uns aus Gründen der Zukunftssicherung Berlins leisten? – Die Debatte hierüber ist immer sehr intensiv und – Herr Kollege Böger, Sie werden sich erinnern – auch kontrovers geführt worden. Ich erinnere an Ihre heftigen Anstrengungen, Bemühungen, gerade im Schulbereich die Einsparungen in der Amtszeit Ihrer Amtsvorgängerin noch weiter zu verstärken. Ich erinnere daran, dass Sie den Vorwurf formuliert haben: Da ist ja Unfähigkeit zur Sparsamkeit. – Herr Böger, ich weiß, dass Sie jedenfalls heute zufrieden damit sind, dass der damalige und heutige Regierende Bürgermeister Ihre Amtsvorgängerin und heute auch Sie selbst gegen sich selbst immer in Schutz genommen hat.

[Beifall bei der CDU]

Weil wir Arbeitsplätze und Steuerkraft fördern wollten, haben wir, und zwar gemeinsam, den Haushalt oft erheblich belastet. Der gleichzeitig notwendige Ausgleich musste dabei – das ist eine Folge für mittelfristige Finanzplanungen, um das technisch zu sagen – zeitlich gestreckt werden. Aber notwendige Investitionen vorzufinanzieren, halte ich für eine verantwortliche Politik, nicht nur für gerade mal so verantwortlich, sondern für eine in wesentlichen Punkten auch notwendige Politik.

[Beifall bei der CDU]

Keinen der Berlinerinnen und Berliner wird es schmerzen, dass wir Aufbau vor Abriss gesetzt haben, Plattenbauten saniert, Brücken und Neubauten errichtet und Opern und Museen, auch wenn es Doppelungen in der zusammenwachsenden Stadt zwischen Ost und West gegeben hat, erhalten haben, weil wir in Wissenschaft und Forschung für ein kommendes Jahrhundert investiert haben. [Beifall bei der CDU]

Dieses Geld – und auch diese Entscheidungen wurden bewusst getroffen – wurde vorfinanziert, damit Berlin im Wettbewerb der Regionen und Städte nicht von vornherein seine Chancen aus der Hand gibt. [Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Zunächst einmal – das wissen wir alle – muss Berlin seine Hausarbeiten machen, die Stadt muss modernisiert werden. Wir müssen alle Anstrengungen der Sparsamkeit durchführen, uns auf Kernaufgaben konzentrieren. Aber Kernaufgaben sind so zu definieren, dass sie auch die Zukunft und die Zukunftsmöglichkeiten der Berlinerinnen und Berliner mit umfassen.

[Beifall bei der CDU]

Dann muss die Stadt ihre Position im Bund-Länder-Finanzausgleich sichern. Der Kollege Kurth hat hier gute Vorbedingungen für die Erörterungen geschaffen, die gerade auch in der nächsten Woche wieder stattfinden. Schließlich ist die Verantwortung der gesamten Nation – ich sage: nicht nur des Bundes – für ihre Hauptstadt herauszuarbeiten. Dabei ist dann zu beachten: Was ist hier nationale Aufgabe? Was ist kommunale

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RBm Diepgen

Aufgabe? – Dabei ist dann zu beachten: Was ist auch in der Geschichte im Grunde nie eine kommunale Aufgabe gewesen? – Dann ist zu beachten, ob denn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Landesaufgabe ist oder eine Aufgabe der gesamten Nation. [Beifall bei der CDU]

Das alles sind die Entscheidungen, die wir dann auch zu treffen haben, anzumahnen haben. Und ich sage, in dieser Reihenfolge wegen der Durchsetzbarkeit in dieser Republik. In dieser Republik war es nämlich leider nicht in allen Punkten – und ist es heute noch nicht – eine Selbstverständlichkeit, dass nationale Einrichtungen, die es in Berlin gibt, dass das, was teilungsbedingte Lasten dieser Stadt sind, mit großer Selbstverständlichkeit auch als Gemeinschaftslasten angesehen werden. Aber selbstverständlich erst unsere Schularbeiten, dann der Normalfall des Länderfinanzausgleichs und dann die Sonderaufgaben, die für Berlin zu bewältigen sind!

Ich behaupte – das betraf nicht nur mich, aber wenn Sie wollen, formuliere ich es auch sehr persönlich bezogen –, die Modernisierung unserer Stadt mit sozialem Gesicht, das ist jedenfalls mein Credo.

[Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Cramer (Grüne)]

Das war mein Credo bei der Neuordnung der Eigenbetriebe. Das war mein Credo auch bei der Bezirksgebietsreform. Das war mein Credo bei allen Entscheidungen über Sparen – ich sage, sparen und gestalten –, dass wir dieses in sozialer Balance in einer Phase des Umbruchs und einer Fülle von Spannungen und von Ungerechtigkeiten in dieser Stadt in den letzten zehn Jahren gestaltet haben. Ich jedenfalls bin stolz darauf, dass das gelungen ist. [Beifall bei der CDU]

Berlin ist heute wieder die wichtige Metropole im Herzen Europas. Übrigens sind sich alle ausländischen Beobachter da längst einig. Ich komme auf die Zitate von Herrn Weiß zurück. Die ausländischen Beobachter sind sich längst einig: Die Stadt ist kreativ und vital. Die Berliner sind spritzig und witzig,

[Zuruf des Abg. Over (PDS) – Hoff (PDS): Kreative Buchführung!]

und ich behaupte, von Ideen sprühend. Ein bisschen ist dabei – den Zuruf nehme ich gerne auf – auch bei der Regierung hängen geblieben, und zwar in all diesen Charakterisierungen, die ich eben vorgenommen habe. Aber vor allen Dingen für die Stadt ist es entscheidend. Aber wir wissen, nur die Stadt selbst schwankt in ihrer Rollenfindung zwischen Wagemut und Wehgeschrei. Angesichts der Spannungen und der Belastungen in dieser Stadt – und zwar der Menschen in dieser Stadt – ist das auch sehr verständlich.

Wir haben den Berlinerinnen und Berlinern viel zugemutet. In der bundesweiten Diskussion wird das eine oder andere verdrängt. Da hat man den Eindruck, die Kündigungen und der Abbau im öffentlichen Dienst in einer Größenordnung von 67 000 Planstellen, das ist geradezu gar nichts. Das sind 67 000 Menschen und Einzelschicksale, die dahinter stehen. 67 000! [Beifall bei der CDU]

Und dieses in einer sozial verträglichen Form gestaltet zu haben, das ist der richtige Weg, auch übrigens für die Zukunft – ganz abgesehen davon, Herr Wowereit, dass betriebsbedingte Kündigungen nichts anderes sind als Beschäftigungsprogramme für die Arbeitsgerichte und andere Juristen.

[Beifall bei der CDU]

Wir haben den Berlinern viel zugemutet, den Menschen im Osten sicher die gewichtigeren Änderungen

[Zuruf von der CDU: Die kennt Herr Wowereit sowieso nicht!]

und denen im Westen die größeren finanziellen Abstriche. Aber die Freude über die Gestaltung der Einheit – jedenfalls bei mir – überwiegt bei weitem die Schwierigkeiten, die wir insgesamt in

der Entwicklung hatten. Ohne Reibungsverluste verlief der Prozess der inneren Wiedervereinigung nicht. Ich möchte aber an dieser Stelle allen Berlinerinnen und Berlinern herzlich für ihre große Veränderungs- und Modernisierungsbereitschaft danken, dafür, dass die Stadt – so ist es in den Medien einmal beschrieben worden – so geliftet worden ist, sich so verändert hat, auch die gesellschaftlichen Strukturen sich so verändert haben.

[Zuruf des Abg. Wolf (PDS)]

Ich bedanke mich für die Anpassungsfähigkeit, für die Geduld und übrigens auch für die Weitsicht der Berliner bei der Volksabstimmung über die Fusion mit Brandenburg, denn da war die weitsichtige Entscheidung bei den Berlinerinnen und Berlinern.

[Beifall bei der CDU]

Und ich bedanke mich für Tatkraft und auch dafür, dass vieles ein Stück mit Humor genommen wird. Jedenfalls haben die Berlinerinnen und Berliner die Entwicklung der Stadt so begleitet.

Was die Berlinerinnen und Berliner gemeinsam geleistet haben, die Mitarbeiter des so oft gescholtenen öffentlichen Dienstes, die Arbeiter auf dem Bau, die Planer am Reißbrett, die Wissenschaftler im Labor und die Unternehmer im Büro, das sucht seinesgleichen. Jedenfalls: Die Stadt war und wird bleiben eine Werkstatt der Einheit, in der das Berlin und das Deutschland der Zukunft entsteht.

Solche Fähigkeiten brauchen wir auch in den nächsten Jahren. Denn im Prozess der inneren Wiedervereinigung haben wir die Halbzeit gerade erst überrundet. Wir konnten unser Ziel, die weitgehende Angleichung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse, noch nicht vollständig erreichen. Wir werden sicher noch Jahre in ganz Deutschland benötigen, um wirklich von Deutschland einig Vaterland sprechen zu können. Das betrifft die materiellen und noch mehr die mentalen Voraussetzungen.

Mir ist wegen der Kraft der Stadt und der Berlinerinnen und Berliner über die Zukunft Berlins nicht bange. Aber ich habe Sorge, dass durch die aktuelle politische Entwicklung dringend notwendige Entwicklungsschritte, die für eine gedeihliche Entwicklung Berlins in nächster Zeit dringend erforderlich sind, nicht rechtzeitig oder nicht hinreichend erfolgen werden.

[Beifall bei der CDU]