Protokoll der Sitzung vom 28.06.2001

Alle Gewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

[Gram (CDU): Das hätten Sie dem neuen Regierenden Bürgermeister vorlesen sollen!]

So der Artikel 20.

[Beifall bei den Grünen]

Wenn Herr Lehmann-Brauns das Verlangen nach zügigen Neuwahlen als „Blitzkrieg“ bezeichnet,

[Zuruf des Abg. Schöneberg (CDU)]

finde ich das nicht nur kulturlos, indiskutabel, sondern auch absurd. Das steht gerade einem kulturpolitischen Sprecher nicht an. [Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Aber noch absurder wird das Ganze, wenn aus den eigenen Reihen, nämlich aus den Reihen der CDU, der 6., der 9. oder was weiß ich was für ein September vorgeschlagen wird, der noch viel früher liegt. Ist der Krieg da noch mehr am blitzen, oder wie wollen Sie das einordnen? – In dem Zusammenhang solch einen Begriff zu benutzen, finde ich peinlich.

Auch der Herr Steffel hat sich dazu verstiegen, bei Beschlüssen von demokratischen Mehrheiten vom Putschen zu reden. Und auch Sie, Herr Kaczmarek, können nicht daran herumdeuteln, dass es hier, im Abgeordnetenhaus, Mehrheiten gibt.

[Zuruf des Abg. Kaczmarek (CDU)]

Sie sind die stärkste Fraktion,

[Beifall des Abg. Wegner (CDU)]

aber es gibt eine andere Mehrheit hier im Hause. Und auch das ist Demokratie.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Dann wird hier von Putsch geredet. Solche Sachen zeigen, dass einige – und leider auch der Fraktionsvorsitzende – ein erhebliches Defizit im Demokratieverständnis haben.

[Gelächter bei der CDU]

Und das finde ich peinlich.

[Beifall des Abg. Cramer (Grüne)]

Herr Steffel redet davon, dass hier irgendjemand an die Macht schleicht, und wie Herr Kaczmarek spricht er nicht einmal darüber, was hier in dieser Stadt in diesem Jahr passiert ist. – Ich konnte mir im Januar bei meiner ersten Anfrage nicht vorstellen, worauf ich überall stoßen muss. Sie müssen bitte irgendwann auch einmal Stellung nehmen zu dem, was in diesem halben Jahr gelaufen ist! [Niedergesäß (CDU): Eine Schmierenkomödie ist hier gelaufen!]

Aber kein Ton! Kein Ton von Herrn Steffel, kein Ton von Herrn Kaczmarek. Stattdessen werden Verschwörungstheorien hergestellt.

Nun sagen Sie mir einmal: Wer hat denn die Bank ruiniert? –

[Niedergesäß (CDU): Das ist unverschämt, was sie sagen!]

Bei dem Haushalt des Landes Berlin war es die große Koalition. Und ich finde auch, dass es sicherlich nicht nur die CDU war. Das haben wir in leidvoller Erfahrung der vergangenen Jahre mitbekommen müssen. Von uns kamen ständig Warnungen, weil viele Gelder ausgegeben wurden, zum Beispiel bei den Entwicklungsgebieten. Das hätte man viel preiswerter machen können! Frau Klotz sagte es vorhin bereits: Es sind die Großprojekte, es war der Metropolenwahn. Ihnen ist jede Realität abhanden gekommen!

Für meine Fraktion kann ich sagen: Erstens möchten wir so früh wie möglich wählen.

Zweitens finde ich es fatal, wenn der Streit über den Termin den Grund der Neuwahlen einfach vergessen lässt. Das ist nicht unser Interesse.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Wir haben einen Grund, warum wir Neuwahlen wollen.

Herr Wruck beschwerte sich darüber, dass wir ganz „hinterrücks“ hinter dem Souverän, nämlich dem Volk, einfach neue Wahlen ansetzen. Herr Wruck – es tut mir Leid. 70 000 Unterschriften für das Volksbegehren innerhalb von kürzester Zeit machen – neben allen Umfragen – deutlich, dass die Wut und das Entsetzen darüber, was in Berlin passiert, auch innerhalb der Bevölkerung so groß ist, dass ich nur sagen kann: Sie will und sie muss auch die Möglichkeit haben können, eine neue Regierung zu wählen.

[Zuruf aus der CDU: Das waren alles CDU-Wähler! – Cramer (Grüne): Die 30 %, die nicht wollen!]

Ich begrüße dabei ausdrücklich, dass auch die CDU immerhin seit zwei Tagen einen Termin genannt hat. Ich finde, das ist ein Erfolg des Volksbegehrens.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Weil es sonst keiner tut, bedanke ich mich an dieser Stelle bei allen, die sich an den Unterschriftenaktionen beteiligt und dafür gesorgt haben, dass es diese 70 000 Unterschriften gibt. –

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen]

Ein entscheidender Grund, warum ich für die Entscheidung der CDU so dankbar bin, ist, dass wir uns damit die zweite Phase des Volksbegehrens ersparen. Es ist auch wesentlich preiswerter, wenn das Parlament sich selbst auflöst.

Über die Gründe der Neuwahlen wurde hier schon viel erzählt – von der Bankgesellschaft über den politischen Filz. Wenn ich die Unterlagen aus dem Untersuchungsausschuss lese, packt mich mitunter die kalte Wut über so viel Dreistigkeit und Unverschämtheit, mit der hier zugegriffen wurde.

[Beifall bei der SPD, der PDS und den Grünen – Niedergesäß (CDU): Wer hat denn da zugegriffen?]

Das darf Ihnen nicht sagen, Herr Niedergesäß, es ist nämlich aus dem Untersuchungsausschuss. Das ist leider mein Problem, sonst würde ich sie gerne aufzählen.

[Zurufe – Gaebler (SPD): Fragen Sie mal Ihre Kollegen, die bestätigen Ihnen das!]

Herr Steffel hat sich hingestellt und gesagt: Berlin ist keine rot-grüne Spielwiese. Und was mich dabei erschreckt ist, dass er offensichtlich meint, es ist immer noch eine CDU- Spielwiese. So haben Sie sich in den letzten Jahren verhalten, und das ist das, was mich wirklich wütend macht, und nicht nur mich, sondern auch große Teile der Bevölkerung von Berlin.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Herr Steffel hat gesagt, die CDU ist für die soziale Marktwirtschaft. Und nach dem, was hier im Land Berlin in den letzten Jahren passiert ist, fragt man sich natürlich: Für wen ist diese Marktwirtschaft eigentlich sozial? Ich kann Ihnen ein paar Leute nennen, und ich glaube, Sie wissen auch, für wen diese Wirtschaft sozial war.

[Niedergesäß (CDU): Für Sie! – Gräff (CDU): Riebschläger!]

Ich sage nicht, dass es nur CDUler waren, ich sage bloß, dass ich, wenn ich schon über soziale Marktwirtschaft rede, eigentlich an etwas anderes denke als das, was sich in Berlin abspielt.

Die Möglichkeiten eines Übergangssenats sind beschränkt. Wir haben auch gesagt, dass wir die Verantwortung und die Verpflichtung fühlen, so schnell wie möglich Neuwahlen durchzuführen, um auch die Möglichkeit zu haben, uns bestätigen zu lassen.

Natürlich kann auch die CDU gewählt werden, auch das werden wir sehen. Aber ich glaube, dass es ganz notwendig ist, bei dieser katastrophalen Finanzsituation bei den Auswirkungen, die die nächsten Jahre auf alle Berliner und Berlinerinnen zukommen. Dies alles in einer Zeit, in der die anderen nämlich mit den Millionen, die sie abgezockt haben, schon längst irgendwo in der Südsee sitzen. Eine Voraussetzung muss sein, einen neuen Regierungsauftrag zu erhalten, damit man dann tatsächlich auch mit der Bevölkerung zusammen die notwendigen Einsparungen hinbekommt.

Jeder will ein rechtmäßiges Verfahren – Herr Kaczmarek schimpft darüber, dass irgendwelche Verordnungen geändert werden sollen. Herr Kaczmarek, wollten Sie nicht sogar die Verfassung ändern, soweit ich mich erinnere, mal so eben, damit die CDU-Bürgermeister dranbleiben?

[Pfui! von links]

Und wenn Sie hier schon irgendwie darüber reden, wie schwierig das in Hamburg war. Wer war es denn in Hamburg? Es waren nicht die Grünen, es war auch nicht die SPD – es war die CDU.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der PDS]